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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 28.04.2006
Aktenzeichen: 7 U 48/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 925 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

Geschäftsnummer 7 U 48/06

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht die Richterin am Oberlandesgericht den Richter am Amtsgericht

am 28.04.2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit des Grundbuchs.

Die Klägerin und die Beklagte zu 1. sind Geschwister; der Beklagte zu 2. ist der Ehemann der Beklagten zu 1. Die Eltern der Klägerin und der Beklagten zu 1., G. und G. Sch., waren Eigentümer eines Grundstücks in M. Herr Sch. verstarb im Jahr 1987. Frau Sch., die Klägerin und die Beklagten schlossen am 05.05.1992 einen notariellen Erbauseinandersetzungsvertrag. Die Beklagten verpflichteten sich als Gesamtschuldner, an die Klägerin DM 40.000 zu zahlen. Die Vertragsparteien waren sich ausweislich des Vertragstextes einig darüber, daß das Eigentum an dem Grundstück auf die Beklagten als Miteigentümer je zur Hälfte übergehen sollte. Sie erklärten - ebenfalls ausweislich des Vertragstextes - die Auflassung und beantragten die Eintragung in das Grundbuch.

Der Beklagte zu 2. war bei der Beurkundung anwesend; er unterschrieb jedoch den notariellen Vertrag nicht. Die Beklagten wurden in der Folge dennoch als Miteigentümer je zur Hälfte in das Grundbuch eingetragen.

Im August 2005 verstarb Frau Sch. In demselben Monat beantragte die Klägerin Prozeßkostenhilfe für das vorliegende Verfahren und kündigte einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung an. Da der Beklagte zu 2. den notariellen Vertrag vom 05.05.1992 nicht unterschrieben habe, fehle es an einer wirksamen Auflassung. Das Grundbuch sei unrichtig, soweit die Beklagten darin als Eigentümer eingetragen seien. Daher sei ein Widerspruch einzutragen.

Nach der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe hat das Amtsgericht dem Antrag mit Beschluß vom 16.11.2005 stattgegeben; der Widerspruch wurde in das Grundbuch eingetragen. Danach hat das Amtsgericht die Sache auf Antrag der Parteien an das Landgericht verwiesen.

Nachdem ihm der Beschluß vom 16.11.2005 zugestellt worden war, ließ der Beklagte zu 2. am 14.12.2005 die folgende Erklärung notariell beurkunden: Er habe den notariellen Vertrag vom 05.05.1992 aus Gründen, die er heute nicht mehr nachvollziehen könne, nicht unterschrieben. Die Nichtunterzeichnung sei nur ein Versehen gewesen; und er hole die Unterschrift hiermit nach.

Mit Urteil vom 01.03.2006 hat das Landgericht den Beschluß vom 16.11.2005 aufgehoben und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Klägerin beantragt Prozeßkostenhilfe für die Berufungsinstanz. Sie möchte mit der Berufung ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgen und vorab die Einstellung der Vollziehung des angefochtenen Urteils ohne Sicherheitsleistung erwirken.

II.

Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe muß abgelehnt werden, da die beabsichtigte Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Das Landgericht hat im Ergebnis richtig entschieden.

1.

Die Eintragung eines Widerspruchs setzt voraus, daß der Inhalt des Grundbuchs nicht mit der wahren Rechtslage übereinstimmt (§§ 894; 899 BGB). Das ist unter anderem dann der Fall, wenn jemand als Eigentümer eingetragen ist, obwohl die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Eintragung als Eigentümer nicht gegeben waren, beispielsweise weil das Grundstück nicht wirksam an ihn aufgelassen wurde (MüKoBGB-Wacke, 4. Auflage § 894 Rn.7 m.w.N.). Ist die Auflassung dagegen materiell-rechtlich wirksam erklärt worden, so schadet es nicht, wenn das Grundbuchamt die Beklagten aus formellen Gründen nicht hätte eintragen dürfen. Dadurch wird das Grundbuch nicht unrichtig, wenn die materiellen Voraussetzungen des Eigentumsübergangs vorlagen (vgl. OLG Königsberg, Urteil vom 27.03.1912, OLGE 25, 378, 379). Ebenso hängt die Richtigkeit des Grundbuchs - um die es hier allein geht - nicht von der Wirksamkeit des zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vertrages ab.

Entscheidend ist, ob die Beteiligten eine materiell-rechtlich wirksame Auflassung erklärt haben. Die Auflassung muß bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor einem Notar oder sonst einer zuständigen Stelle erklärt werden (§ 925 Abs.1 BGB). Sie braucht nicht notariell beurkundet zu werden (vgl. MüKoBGB-Kanzleiter, 4. Auflage § 925 Rn.15; Staudinger-Pfeifer, BGB, 2004, § 925 Rn.76). Nach herrschender Meinung kann die Auflassung durch schlüssiges Verhalten erklärt werden, namentlich dadurch, daß der eine Beteiligte die Erklärung der anderen Seite ohne Widerspruch anhört (so Meikel-Böttcher, Grundbuchrecht, 9. Auflage § 20 GBO Rn.117; MüKoBGB-Kanzleiter a.a.O. § 925 Rn.20; Staudinger-Pfeifer a.a.O. § 925 Rn.86).

2.

Demnach hat hier der Beklagte zu 2. die Auflassung erklärt: Der Beklagte zu 2. erschien zum Notartermin. Er gab seine Personalien und seine Personalausweisnummer bekannt oder duldete, daß diese Daten der Notarin mitgeteilt wurden. Und er hörte die Verlesung des seine eigene Auflassungserklärung enthaltenden Vertragstextes durch die Notarin ohne Widerspruch an. Daß der Beklagte zu 2. widersprochen habe, wird von keiner Seite behauptet. Dieses Verhalten kann nicht anders verstanden werden als so, daß er den Vertragstext und die darin ihm zugeschriebenen Willenserklärungen billigte. Damit gab er eindeutig und in gleichzeitiger Anwesenheit aller Beteiligten (§ 925 Abs.1 BGB) zu verstehen, daß er der Übertragung des Grundstückseigentums zustimmte. Jede andere Auslegung seiner Anwesenheit und seines Schweigens wäre lebensfremd.

3.

Im Schrifttum wird zwar die Meinung vertreten, daß die Auflassung nur ausdrücklich und mündlich erklärt werden könne. Insbesondere soll es nicht ausreichen, wenn ein Beteiligter die Erklärung des anderen Teils ohne Widerspruch hinnimmt (vgl. Demharter, GBO, 25. Auflage § 20 Rn.14; Erman/Lorenz, BGB, 11. Auflage § 925 Rn.24; Soergel-Stürner, BGB, 13. Auflage § 925 Rn.34). Soweit diese Meinung Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat, handelt es sich jedoch um Fälle, die mit dem hier relevanten Sachverhalt nicht vergleichbar sind: Das Reichsgericht hatte über eine notarielle Beurkundung zu entscheiden, bei der eine Partei sich mit dem Notar in einem Raum befand, während die andere Partei den Beurkundungsakt von einem anderen Raum aus durch die geöffnete Tür anhörte, ohne sich ausdrücklich zu äußern. Die Besonderheit jenes Falles lag darin, daß die beiden Parteien einander nicht sehen konnten und daher nicht sicher wahrnahmen, ob der jeweils andere anwesend war, ob er dem Vorgang folgte, und ob er durch Gesten oder anders etwa seine Ablehnung ausdrückte. Das Reichsgericht entschied, daß das bloße Schweigen der im Nebenraum anwesenden Partei nicht als Auflassung durch schlüssiges Verhalten gewertet werden könne (RG, Urteil vom 06.02.1928, 315/26 IV, JW 1928, 2519 f. mit zustimmender Anmerkung Rosenberg). Dagegen waren im hier zu entscheidenden Fall alle Beteiligten mit der Notarin im selben Raum und konnten einander sehen.

Das Bayrische Oberste Landesgericht hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, der ebenfalls anders gelagert war: Dort erklärte lediglich der Veräußerer, das Grundstück an den Erwerber aufzulassen. Der Erwerber widersprach dieser Erklärung nicht und unterschrieb den Vertragstext, der lediglich die Auflassungserklärung des Veräußerers enthielt. Auch in jenem Fall konnte das Schweigen auf die Erklärung der Gegenpartei nicht als Auflassung ausreichen (BayObLG, Beschluß vom 30.11.2000, 2Z BR 120/00, DNotZ 2001, 557). Dagegen war im hier verlesenen Text auch die eigene Auflassungserklärung des Beklagten zu 2. enthalten.

Aus den zitierten Entscheidungen läßt sich somit nicht generell entnehmen, daß eine Auflassung nur mündlich und ausdrücklich erklärt werden kann, nicht jedoch durch schlüssiges Verhalten. Ein solches Erfordernis läßt sich auch nicht überzeugend begründen. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn des § 925 Abs.1 BGB ergibt sich, daß die Auflassung eine ausdrückliche und mündliche Erklärung voraussetzt. Die Formulierung, daß die Auflassung "mündlich" erklärt werden müsse, hat in den Gesetzestext keinen Eingang gefunden, obwohl es im Gesetzgebungsverfahren zum BGB einen entsprechenen Vorschlag gab (Meikel-Böttcher a.a.O.; Staudinger-Pfeifer a.a.O.). Für eine solche Einschränkung besteht auch kein praktisches Bedürfnis. Die Auflassung muß als Voraussetzung des Eigentumsübergangs zwar eindeutig und unmißverständlich erklärt werden. Das läßt sich jedoch auch dann erreichen, wenn man allgemeine Grundsätze anwendet: Danach ist es möglich, Schweigen als Willenserklärung anzusehen. Wer schweigt, kann damit - je nach den Umständen, unter denen er schweigt - seinen Willen in rechtlich erheblicher Weise zum Ausdruck bringen. Wegen der latenten Mehrdeutigkeit des Schweigens ist jedoch Vorsicht geboten; die äußeren Umstände müssen eindeutig sein (vgl. Staudinger-Singer, BGB, 2004, Vorbem. zu §§ 116 - 144 Rn.60 ff. m.w.N.). Durch die Anwendung dieser Kriterien kann dem Bedürfnis nach eindeutigen Auflassungserklärungen Genüge getan werden. Wenn der Beklagte zu 2. hier zur Beurkundung erschien und dem verlesenen, eine von ihm selbst erklärte Auflassung enthaltenden Vertragstext nicht widersprach, so erscheint es nicht möglich, diesem Verhalten eine andere Bedeutung beizulegen als die, daß er dem Vertragstext und der darin enthaltenen Auflassung zustimmte. Damit wurde die Auflassung mit hinreichender Deutlichkeit erklärt.

4.

Die Wirksamkeit der Auflassung hängt nicht von dem zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vertrag ab. Jener Vertrag ist zwar möglicherweise unwirksam, da es an der Unterschrift und damit an der notariellen Beurkundung fehlte. Ob die erforderliche Erklärung des Beklagten zu 2. noch im Dezember 2005 nachgeholt werden konnte, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Selbst wenn der schuldrechtliche Vertrag unwirksam wäre, wird die Auflassung davon nicht erfaßt (vgl. MüKoBGB-Mayer-Maly/Busche, 4. Auflage § 139 Rn.20; Staudinger-Roth, BGB, 2003, § 139 Rn.54 ff.).

5.

Die Entscheidung des Landgerichts stellt sich damit jedenfalls im Ergebnis als richtig dar. Es kann offenbleiben, ob der notariellen Urkunde vom 05.05.1992 mit dem Landgericht zwei unterschiedliche Verträge entnommen werden können. Ebenso stellt sich nicht die Frage, ob Treu und Glauben der Berufung auf eine Unrichtigkeit des Grundbuchs entgegenstehen.

Über den Antrag auf Einstellung der Vollziehung des angefochtenen Urteils ist nicht förmlich zu entscheiden. Einmal ist dieser Antrag noch nicht gestellt, sondern nur für den Fall der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe angekündigt. Außerdem setzt die Einstellung der Zwangsvollstreckung ein zulässig eingelegtes Rechtsmittel voraus. Daß Prozeßkostenhilfe für die Durchführung eines Rechtsmittels beantragt ist, reicht nicht aus (MüKoZPO-Krüger, 2. Auflage § 719 Rn.3).

Diese Entscheidung ist gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

Ende der Entscheidung

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