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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 20.04.2004
Aktenzeichen: 7 W 10/04
Rechtsgebiete: EGBGB, GBO, ZPO, VwVfG


Vorschriften:

EGBGB Art. 233 § 2 Abs. 3
EGBGB Art. 233 § 2 Abs. 3 S. 1
GBO § 18
GBO § 29
GBO § 78
ZPO § 546
VwVfG § 44 Abs. 1
VwVfG § 44 Abs. 2
VwVfG § 48 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

Geschäftsnummer: 7 W 10/04

In der Grundbuchsache

betreffend das im Grundbuch von D., Blatt 96, Gemarkung D., Flur 3, Flurstücke 130/51 und 130/52, eingetragene Grundstück, ON 10

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

die Richterin am Oberlandesgericht E. als Vorsitzende den Richter am Oberlandesgericht B. und den Richter am Landgericht B.

am 20.04.2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1. werden der Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 09.12.2003 sowie der Beschluss des Amtsgerichts Parchim vom 24.02.2003 aufgehoben.

Das Grundbuchamt Parchim wird angewiesen, den Antrag des Beteiligten zu 1. auf Eintragung als Eigentümer im Grundbuch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu bescheiden.

Beschwerdewert: 3.000,00 EUR

Gründe:

I.

Durch notariellen Vertrag vom 18.09.2000 überließ der Beteiligte zu 2. dem Beteiligten zu 1. das im Grundbuch von D. Bl. 96 eingetragene Grundstück. Dabei handelte der Beteiligte zu 2. als gem. Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB bestellter Vertreter für die unbekannten Erben in Erbfolge nach dem im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen Willi F. aufgrund Bestellungsurkunde des Landkreises Parchim vom 28.08.2000. Nachdem auf Zwischenverfügung des Grundbuchamtes vom 15.08.2002 die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes vom 08.10.2002 am 14.10.2002 vorgelegt worden war, wurde dem Grundbuchamt bekannt, dass am 23.05.1978 durch das staatliche Notariat Lübz ein Erbschein erteilt worden war, wonach Alleinerbin des am 14.05.1978 verstorbenen Willi F. seine am 29.04.1895 geborene Mutter, Hedwig F., sei.

Mit Schreiben vom 28.10.2002 wurde dies dem Verfahrensbevollmächtigten für den Beteiligten zu 1. bekannt gegeben und um Überprüfung der Antragstellung gebeten, wogegen mit am 18.11.2002 eingegangenem Schreiben Erinnerung unter Hinweis auf eine Entscheidung des Thüringer OLG vom 04.05.2000 (NotBZ 8/2000, S. 272) eingelegt wurde. Durch Beschluss des Amtsgerichts Parchim vom 24.02.2003 wurde dem Verfahrensbevollmächtigten aufgegeben, gem. § 18 GBO bis zum 31.03.2003 die Genehmigung der Auflassung durch die Erbin des eingetragenen Eigentümers in der Form des § 29 GBO einzureichen, weil eine wirksame Auflassung durch das Amt M. als Vertreter der unbekannten Erben nach Willi F. nicht vorliege. Zum Zeitpunkt der Vertreterbestellung am 28.08.2000 und der Auflassung vom 18.09.2000 seien die Erben bekannt gewesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 24.06.2003 hat das Landgericht Schwerin mit Beschluss vom 09.12.2003 zurückgewiesen. Zwar seien Gerichte und Behörden grundsätzlich an den Verwaltungsakt - Bestellung eines Vertreters gem. Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB - gebunden, jedoch leide dieser an einem besonders schwerwiegenden Fehler, weil jedermann die Rechtswidrigkeit der Vertreterbestellung hätte erkennen können. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass die Erben nach der Alleinerbin Hedwig F. "offenbar zum Teil die Erbschaft ausgeschlagen oder einen Erbscheinsantrag nicht gestellt" hätten. Gegebenenfalls hätte eine Vertreterbestellung für die unbekannten Erben nach Hedwig F. erfolgen können.

II.

Die am 04.02.2004 beim Senat eingegangene weitere Beschwerde vom 02.02.2004 gegen den am 15.12.2003 zugestellten Beschluss des Landgerichtes vom 09.12.2003 ist zulässig, § 78 GBO, und begründet. Die Entscheidung des Landgerichtes beruht auf einer Verletzung des Rechtes.

Entsprechend § 546 ZPO ist das Recht verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, wobei es nur auf den objektiven Rechtsverstoß ankommt. So liegt es hier.

Nach Art. 233 § 2 Abs. 3 S. 1 EGBGB war der Landrat des Landkreises Parchim befugt, mit Bestellungsurkunde vom 28.08.2000 für einen nicht festgestellten Grundstückseigentümer einen Vertreter zu bestellen.

Nach dieser Vorschrift kann für den Eigentümer eines im Betrittsgebiet belegenen Grundstückes ein gesetzlicher Vertreter bestellt werden, wenn der Eigentümer nicht feststellbar oder sein Aufenthalt unbekannt ist. Weitere Voraussetzung ist ein Bedürfnis, die Vertretung des Eigentümers sicherzustellen (vgl. Rauscher in Staudinger, 2003, Art. 233 § 2 EGBGB Rn. 58 m. w. N.). Zuständig für die Bestellung des gesetzlichen Vertreters ist der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, in deren Gebiet sich das Grundstück befindet, wobei es eines ausdrücklichen Bestellungsaktes nicht einmal bedarf (vgl. Rauscher a. a. O., Rn. 59; BGH VIZ 2000, 619). Die gleichwohl am 28.08.2000 ausgestellte Bestellungsurkunde des Landrates des Landkreises Parchim für das Amt M. genügt daher den hieran zu stellenden Anforderungen. Gesetzlicher Vertreter kann auch eine juristische Person sein (Meikel, Grundbuchrecht, Sonderband Neue Bundesländer, S. 1329). Demnach ist nichts einzuwenden dagegen, dass der Landkreis keine natürliche Person, sondern das Amt M. als gesetzlichen Vertreter eingesetzt hat, weil das Gesetz auch nicht ausgeschlossen hätte, wenn der Landkreis sich selbst als Vertreter des Grundstückseigentümers bestellt hätte (vgl. BGH VIZ 2000. 619). Die Vertretung durch das Amt M. endet damit grundsätzlich nur durch Abberufung, nicht jedoch Kraft Gesetzes (vgl. Meikel a. a. O.).

Die Vertreterbestellung gem. Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB stellt, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, einen Verwaltungsakt dar (vgl. BGH MDR 2003, 324 = VIZ 2003, 194 m. w. N.). Das Grundbuchamt war zur Prüfung der Voraussetzungen der Vertreterbestellung nicht berufen. Die einmal vorgenommene Bestellung ist bindend, ihre Voraussetzungen werden weder von Gerichten noch von Verwaltungen geprüft (vgl. Säcker in MK 4. Aufl., Art. 233 § 2 EGBGB Rn. 10). Der Senat schließt sich der Auffassung des Thüringer OLG an, wonach das Grundbuchamt an die Vertreterbestellung durch den Landrat gebunden ist (vgl. Thüringer OLG NotBZ 2000, 272, 273). Insoweit gilt nämlich der allgemeine Satz, dass eine auf öffentlicher Gewalt beruhende Maßnahme wirksam ist, solange sie Bestand hat, und dass die Bestandskontrolle ausschließlich den nach dem jeweiligen Verfahrensrecht berufenen Stellen (Widerspruchsbehörden, Verwaltungsgerichten) obliegt (vgl. Thüringer OLG a. a. O).

Entgegen der Auffassung des Landgerichtes liegt der Fall hier auch nicht deshalb anders, weil etwa der Verwaltungsakt nichtig wäre. Die Vertreterbestellung wäre als Verwaltungsakt nur dann nichtig, wenn sie an einem offensichtlichen, schwerwiegenden und mit der geltenden Rechtsordnung unter keinen Umständen zu vereinbarenden Fehler leiden würde (vgl. BGH VIZ 2003, 194). Anzuwenden ist dabei § 44 Abs. 1 VwVfG. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn "er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist". Der Fehler, von dem hier die Rede ist, bezieht sich auf den Verwaltungsakt, nicht auf das Verhalten der Behörde. Dies ergibt sich insbesondere aus § 48 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG, der selbst durch Bestechung erwirkte Verwaltungsakte für nicht nichtig, sondern nur für rücknehmbar erklärt. Als Auslegungshilfe für die Generalklausel des § 44 Abs. 1 VwVfG ist der Katalog der in § 44 Abs. 2 VwVfG aufgezählten Nichtigkeitsgründe heranzuziehen. Bereits vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein Verwaltungsakt nur dann an einem besonders schweren Fehler leide, wenn er "mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar" sei, wohingegen "die Verletzung (selbst) einer wichtigen Rechtsbestimmung allein ... den Fehler noch nicht als schwerwiegend erscheinen" lasse. Durch das Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist bezüglich der hieran zu stellenden Anforderungen keine Änderung eingetreten. "Besonders schwerwiegend" ist nur ein Fehler, der den davon betroffenen Verwaltungsakt als schlechterdings unerträglich erscheinen, d. h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar sein lässt (vgl. BVerwG NJW 1985, 2658, 2659).

An einem Fehler dieser Qualität leidet die Vertreterbestellung vom 28.08.2000 nicht. Nach wie vor ist eingetragener Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstückes Willi F.; zum Zeitpunkt der Bestellung war, wie in der Bestellungsurkunde angegeben, unbekannt, wer letztlich das Erbe angetreten hat. Aufgrund welcher Umstände der Erbschein zu den Grundakten gelangte, ist nicht ersichtlich. Aus den Angaben in der Bestellungsurkunde ist zwar erkennbar, dass die Erbfolge nach Willi F. und seiner nachverstorbenen Witwe "anhand von Nachlassunterlagen" belegt werden könne, dass jedoch Erben teilweise die Erbschaft ausgeschlagen hätten und ein neuer Erbnachweis nicht erteilt worden sei. Der Erbschein vom 23.05.1978 führt zu keiner anderen Beurteilung. Offenbar ist die am 29.04.1895 geborene Erbin ihrerseits verstorben. Es wäre nunmehr nachzuforschen und festzustellen, wer insoweit die Erbschaft angetreten hat. Der Wortlaut der Bestellungsurkunde erfasst auch die Vertretung für diese unbekannten Erben, für die ein Erbnachweis - soweit aktenkundig - bislang nicht erteilt wurde. Es kann danach nicht festgestellt werden, dass der Verwaltungsakt der Vertreterbestellung zum Zeitpunkt seines Erlasses "mit der Rechtsordnung schlechterdings unter keinen Umständen vereinbar" gewesen wäre. Dass der Erbschein unter Umständen bekannt war oder hätte bekannt sein können, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Gesetzgeber wollte bei Verabschiedung des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB zeitraubende Nachforschungen nicht zur Voraussetzung der Vertreterbestellung machen. Zwar hat die bestellende Behörde grundsätzlich vor einer Vertreterbestellung den Aufenthaltsort bzw. die Identität eines Vertretenen zu ermitteln; jedoch wäre auch hier bei dem Ermittlungsversuch abzuwägen zwischen langwierigen Nachforschungen und einer schnellen Verfügbarkeit des Grundstückes, wobei im Regelfall dem Letzteren der Vorzug zu geben ist. Nach den Motiven des Gesetzes war die schnelle Verfügbarkeit ostdeutscher Grundstücke beabsichtigt, sodass Nachforschungen nicht allzulange dauern sollten, weil andererseits die von dem Gesetzgeber so nicht gewollte Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichtes gegeben wäre (vgl. Böhringer, Vermögensrechtliche Aufgaben der Kommunen, VIZ 2003, 553, 554).

Der besondere gesetzliche Vertreter des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB, der allgemein für alle Grundstücke in den neuen Bundesländern Anwendung findet, wurde geschaffen um Verfügungen über Grundstücke im Beitrittsgebiet zu erleichtern; gleichzeitig sollte aber auch der prekären Ausstattung der Gerichte in den neuen Bundesländern im Bereich der Rechtspfleger Rechnung getragen werden und die Überlastung der Vormundschaftsgerichte verhindert werden, die 1992 noch nicht oder nicht in hinreichender Zahl mit Rechtspflegern ausgestattet waren (vgl. Meikel a. a. O.; BGH VIZ 2003, 194). Allein die Tatsache, dass im Jahr 2004 jedenfalls letzteres Motiv für die Schaffung des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB entfallen sein dürfte, führt nicht dazu, nach dieser Vorschrift erlassene Vertreterbestellungsurkunden als "mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar" erscheinen zu lassen. Bis zu einer Änderung durch den Gesetzgeber bleiben Gerichte und Verwaltungen an entsprechende Verwaltungsakte grundsätzlich gebunden. Eine Prüfung der Frage, ob Nachforschungen im gebotenen Umfang gehalten wurden, obliegt ihnen daher in der Regel nicht.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; der Beschwerdewert bestimmt sich nach §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 S. 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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