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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 15.04.2005
Aktenzeichen: 8 U 34/04
Rechtsgebiete: EGBGB, StVG, PflVG, ZPO, StVO


Vorschriften:

EGBGB Art. 229 § 8 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 2 a. F.
StVG § 17 Abs. 1 a. F.
StVG § 18 Abs. 1 a. F.
PflVG § 3
ZPO § 531 Abs. 2
StVO § 3 Abs. 1 S. 1
StVO § 3 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 34/04

Verkündet am: 15.04.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

auf die mündliche Verhandlung vom 01.04.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 13.01.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Schwerin, Az.: 4 O 173/03, wird zurückgewiesen.

....

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 21.06.2002 auf der Bundesautobahn 24, Fahrtrichtung Hamburg in Höhe der Abfahrt Wittenburg im Bereich einer Baustelle ereignet hat. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Sie sind der Auffassung, das Landgericht habe zu Unrecht die Regeln des Anscheinsbeweises angewendet und sei auch zu Unrecht von einem Abkommen des Beklagten zu 1.) nach links von der Fahrbahn ausgegangen. Darüber hinaus habe das Landgericht den vom Zeugen ... vorgelegten Verkehrszeichenplan unrichtig ausgelegt, was mangels vorherigen Hinweises für die Beklagten überraschend gewesen sei. Es treffe insbesondere nicht zu, dass der rechte vom Beklagten zu 1.) befahrene Fahrstreifen mindestens 3 m breit gewesen sei. Richtigerweise sei die Hälfte der Gleitwand und die Hälfte der rechten Fahrspurbegrenzung in Abzug zu bringen, so dass sich eine reale Fahrspurbreite für die rechte Behelfsfahrbahn von 2,60 m ergebe. Hierzu sei die unstreitige Regelbreite eines Lkw von 2,50 m in Relation zu setzen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass ein Fahrer, der unter derartigen Bedingungen überhole, bewusst ein erhebliches Risiko eingehe. Dies gelte umso mehr, als auch ein noch so sorgfältiger LKW-Fahrzeuglenker bei derart eingeschränkten Fahrbahnbreiten einen minimalen Versatz, der auf Fahrbahnunebenheiten beruhe, nicht vermeiden könne. Im Übrigen stehe nicht einmal fest, ob der vom Beklagten zu 1.) geführte Lkw gegen den Pkw des Klägers oder umgekehrt der PKW des Klägers gegen den vom Beklagten zu 1.) geführten LKW geraten sei.

Die Beklagten beanstanden auch die Ausführungen des Landgerichts zur Schadenshöhe. (wird ausgeführt)

Die Beklagten beantragen,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils vom 13.01.2004 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Berechnungen der Beklagten zur Breite der rechten Fahrspur seien unzutreffend. Würde man die Berechnung der Beklagten konsequent zu Ende führen, müsse auch noch der hälftige Anteil des Trennstreifens zwischen rechter und linker Fahrspur berücksichtigt werden mit der Folge, dass sich für die rechte Fahrbahn dann nur noch eine Gesamtbreite von 2,525 m ergebe. Glücklicherweise entspreche die Realität nicht diesen theoretischen Berechnungen. Es stelle auch kein unvertretbares Risiko dar, an einem Lkw unter den vorstehend geschilderten Parametern vorbeizufahren. Vielmehr sei dies gerade vor dem Hintergrund eines flüssigen Verkehrsgeschehens geboten.

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Anzuwenden sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Straßenverkehrsgesetzes in ihrer vor Inkrafttreten des zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 gültigen Fassung, weil sich der Verkehrsunfall am 21.06.2002 ereignet hat, Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB. Danach ist das Landgericht zutreffend von der alleinigen Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG a. F. i. V. m. § 3 Pflichtversicherungsgesetz ausgegangen.

Soweit die Beklagten in der Berufungsinstanz in Abrede stellen wollen, dass der vom Beklagten zu 1.) geführte Lkw nach links von der Fahrbahn abgekommen und sodann gegen den vom Kläger geführten Pkw geraten ist, handelt es sich um ein neues Verteidigungsmittel, welches nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist. Denn die Beklagten haben dies erstinstanzlich letztlich unstreitig gestellt, wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt. Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen, welcher nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden kann (§ 314 ZPO). Aus dem Sitzungsprotokoll vom 09.12.2003 geht insoweit lediglich hervor, dass der Sach- und Streitstand und das Ergebnis der Beweisaufnahme erörtert worden sind. Hiermit können die Beklagten die Beweiskraft des Tatbestandes mithin nicht entkräften.

Die Beweiskraft des Tatbestandes kommt allerdings nicht zum Tragen, soweit die Feststellungen in sich widersprüchlich sind. Ein derartiger Widerspruch liegt hier indessen nicht vor. Ein solcher ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass der Tatbestand am Ende auf alle gewechselten Schriftsätze verweist. Zwar haben die Beklagten schriftsätzlich nicht ausdrücklich unstreitig gestellt, dass der Unfall sich im Bereich der linken Spur ereignet hat, sondern geltend gemacht, ein Fahrspurwechsel sei nicht beabsichtigt gewesen und im Übrigen auf die Aussage des Beifahrers des Beklagten zu 1.) verwiesen, der auf Frage des den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten zum Hergang des Unfalles angegeben habe, dass der Sattelzug leicht geschlenkert habe und ein bisschen nach links gekommen sei, wo dann der Pkw gewesen sei. Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Beklagten im Termin vom 09.12.2003 eingeräumt haben, dass der Beklagte zu 1.) zum Teil auf die linke Fahrspur geraten ist und dort den Pkw des Klägers gestreift hat, zumal dies nicht im Widerspruch zu der Behauptung der Beklagten steht, ein Fahrspurwechsel sei nicht beabsichtigt gewesen.

Infolgedessen ist das Landgericht auch zutreffend davon ausgegangen, dass hier ein Anscheinsbeweis für ein Fehlverhalten des Beklagten zu 1.) spricht (vgl. auch Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., Rn 168 v § 249). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der vom Beklagten zu 1.) befahrene Fahrstreifen mit einer Breite von mindestens 3 m relativ schmal war. Gerade im Baustellenbereich gelten insoweit besondere Sorgfaltsanforderungen, zumal der benachbarte linke Fahrstreifen dort regelmäßig - wie auch hier - noch schmaler ist. Soweit die Beklagten mit ihrer Berufungsbegründung geltend machen, das Landgericht sei zu Unrecht von einer Mindestbreite des rechten Fahrstreifens von 3 m ausgegangen, und habe insoweit unter Verletzung seiner Hinweispflicht eine Überraschungsentscheidung getroffen, beruht dies auf einer Reihe von Missverständnissen.

Das Landgericht hat den Verkehrszeichenplan zutreffend interpretiert. Die mobile Gleitwand ist nicht in Abzug zu bringen, weil sie die jeweils linken Fahrspuren voneinander abgrenzt. Die rechte Fahrspurbegrenzung besteht ebenso wie die mittlere Fahrspurbegrenzung aus einer Dickschichtfolie mit einer Breite von 15 cm. Diese kann überfahren werden und gehört mithin rechts vollständig und mittig zur Hälfte zur rechten Fahrspur. Der Abstand zwischen der rechten Außenkante der rechten Folie und der Mitte der den Übergang zur linken Fahrspur markierenden Folie beträgt mindestens 3 m. All dies geht aus dem vorgelegten Verkehrszeichenplan eindeutig hervor. Der Kläger hat im Übrigen in seiner Berufungserwiderung zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Berechnung der Beklagten von einer Breite der rechten Fahrspur von lediglich 2,525 m auszugehen wäre. Die Beklagten mögen sich selbst ausrechnen, was dies für den Autobahnverkehr im Baustellenbereich bei einer zulässigen Lkw-Breite von 2,50 m bedeuten würde.

Verfehlt ist auch die Auffassung der Beklagten, der Kläger sei mit seinem Überholvorgang im Baustellenbereich bewusst ein erhebliches Risiko eingegangen und hafte aus diesem Grund anteilig für den eingetretenen Schaden. Ein Fehlverhalten des Klägers ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Insbesondere trifft es zu, dass die Benutzung der Überholspur im Baustellenbereich dem Verkehrsfluss zugute kommt. Die erhöhten Anforderungen, die an den Fahrer in einer derartigen Situation gestellt werden, sind durch besondere Aufmerksamkeit zu kompensieren.

Dahingestellt bleiben mag, ob der Unfall für den Kläger unabwendbar im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG a. F. mit der Folge war, dass der Kläger für die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeuges nicht einzustehen hätte. Die Unabwendbarkeit für den Kläger wäre jedenfalls zu verneinen, wenn aufgrund der Fahrweise des Beklagten zu 1.) bereits vor dem Unfall für den Kläger ersichtlich gewesen sein sollte, dass es dem Beklagten zu 1.) schwer fiel, den von ihm geführten Lkw im Bereich der rechten Fahrspur zu halten. Solches wird allerdings von den Beklagten selbst nicht behauptet. Ob darüber hinausgehend von einem Idealfahrer - auf den im Rahmen der Unabwendbarkeitsprüfung gem. § 7 Abs. 2 StVG a. F. abzustellen ist - zu verlangen wäre, von einem Überholvorgang im Bereich einer Autobahnbaustelle im Hinblick auf die eingeschränkten Fahrbahnbreiten abzusehen, erscheint dem Senat deswegen zweifelhaft, weil die Benutzung beider Fahrspuren auch im Bereich einer Autobahnbaustelle dem Verkehrsfluss dient. Letztlich bedarf diese Frage jedoch keiner Entscheidung, weil im Rahmen der gem. § 17 Abs. 1 StVG a. F. vorzunehmenden Abwägung die dem Kläger gegebenenfalls anzulastende Betriebsgefahr jedenfalls vollständig hinter die auf Beklagtenseite zu berücksichtigende Betriebsgefahr und das hinzukommende Verschulden des Beklagten zu 1.) zurücktritt. Die auf Beklagtenseite zugrunde zu legende Betriebsgefahr fällt erheblich stärker ins Gewicht, weil die im Vergleich zu dem vom Kläger geführten Pkw erheblich größere Breite des vom Beklagten geführten Lkw gerade im Bereich einer Autobahnbaustelle mit verengten Fahrspuren ein erheblich höheres Gefahrenpotenzial begründet. Hinzu kommt noch das dem Beklagten zu 1.) hier anzulastende Verschulden. Denn entgegen der von den Beklagten im Termin der mündlichen Verhandlung vom 01.04.2005 vertretenen Auffassung war der Beklagte zu 1.) unter allen Umständen verpflichtet, eine versehentliche Mitbenutzung der linken Fahrspur auszuschließen. Sofern dies dem Beklagten zu 1.) unter Berücksichtigung aller konkreten Verkehrsbedingungen bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit nicht möglich gewesen sein sollte, hätte er seine Geschwindigkeit so weit herabsetzen müssen, dass ihm dies möglich war, § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 StVO.

Das Landgericht hat auch die Schadenshöhe zutreffend ermittelt. (wird ausgeführt)

Ende der Entscheidung

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