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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 11.05.2007
Aktenzeichen: 8 U 84/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 287
ZPO § 304
ZPO § 538 Abs. 2 Ziff. 4
ZPO § 538 Abs. 2 Ziff. 7
ZPO § 286
1. Ein dem Leistungsantrag stattgebendes Grundurteil erstreckt sich im Zweifel nicht auf den Feststellungsantrag.

2. Im Regressprozess gegen den Rechtsanwalt beurteilt sich die Frage, wie der Vorprozess richtigerweise entschieden worden wäre nach § 287 ZPO.


Oberlandesgericht Rostock

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

8 U 84/06

Lt. Verkündungsprotokoll verkündet am: 11.05.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 27.04.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 4.) und 8.) wird das am 15.09.2006 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichtes Schwerin, Az.: 4 O 423/05, aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Landgericht Schwerin zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat ursprünglich die Beklagten zu 1.) bis 8.) aus Anwaltsvertrag auf Zahlung von Schadensersatz sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden in Anspruch genommen. Dem liegt zugrunde, dass die Klägerin, die sich am 30.05.1997 einer Operation unterzogen hatte, dabei einen Hirninfarkt erlitten hat und seitdem pflegebedürftig ist. Der Ehemann und damalige Betreuer der Klägerin wandte sich daraufhin an die Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammer und beantragte die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens. Ferner beauftragte er die Beklagte zu 8.), bei der es sich seinerzeit noch um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelte, mit der Wahrnehmung der Interessen der Klägerin.

Aufgrund des Schlichtungsverfahrens teilte die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen dem Kommunalen Schadensausgleich des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit, dass sie Schadensersatzansprüche für begründet halte. Nach weiterem Schriftwechsel zwischen der bei der Beklagten zu 8.) als Partnerin tätigen Beklagten zu 4.) und dem Kommunalen Schadensausgleich schliefen die Verhandlungen Ende 2000 ein. Erst nachdem der bisherige Betreuer der Klägerin im Mai 2005 verstorben war und das Amtsgericht Grevesmühlen eine neue Betreuerin für die Klägerin bestellt hatte, die die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit der Durchsetzung von Ansprüchen beauftragte, kam es zu einer erneuten Kontaktaufnahme mit dem Kommunalen Schadensausgleich. Mit Schreiben vom 04.08.2005 lehnte dieser Zahlungen unter Berufung auf die inzwischen eingetretene Verjährung der Ansprüche ab. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach gegenüber der Beklagten zu 4.) und der Beklagten zu 8.) für gerechtfertigt erklärt und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 4.) und zu 8.) mit ihren Berufungen.

Die Beklagte zu 4.) macht geltend, ein Grundurteil sei hier nicht zulässig gewesen, weil die Klägerin unter Ziff. 3.) einen unbezifferten Feststellungsantrag gestellt habe. Im Übrigen habe das Landgericht den Prozessstoff auch noch nicht so weit aufgearbeitet, um eine Haftung der Beklagten zu 4.) dem Grunde nach feststellen zu können. Voraussetzung dafür sei u. a., dass dem Mandanten tatsächlich ein Schaden entstanden sei. Dies könne bislang nicht festgestellt werden, weil das einzuholende Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis als das von der Schlichtungsstelle eingeholte Gutachten kommen könne.

Im Übrigen macht die Beklagte zu 4.) nach wie vor geltend, mit der Mandatsbearbeitung nicht befasst gewesen zu sein. Nach der internen Aufgabenverteilung sei sie für Arzthaftungsfragen nicht zuständig gewesen; derartige Fragen seien allein durch den Beklagten zu 5.) bearbeitet worden.

Im Übrigen vertritt die Beklagte zu 4.) die Auffassung, dass im Falle ihrer Haftung auch eine Haftung der Beklagten zu 1.) bis 3.) und 5.) bis 7.) gegeben sei. Denn entgegen der vom Landgericht Schwerin vertretenen Auffassung komme es nicht auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts, sondern auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Beauftragung an.

Die Beklagte zu 8.) vertritt ebenfalls die Auffassung, dass es für eine Haftung aus dem Anwaltsvertrag auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Mandatsbegründung ankomme. Da die ursprüngliche Beauftragung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als die Beklagte zu 8.) noch nicht existent gewesen sei und es sich bei der Beklagten zu 8.) und der GbR um unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten handle, hafte die Beklagte zu 8.) folglich nicht.

Ferner bestreitet die Beklagte zu 8.) die Existenz eines schädigenden Ereignisses. Sie vertritt die Auffassung, dass die Verjährung bis zum Eintritt der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin und deren Schreiben an die Schlichtungsstelle vom 18.07.2005 gehemmt gewesen sei. Da die Ansprüche der Klägerin bei Mandatsübernahme durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten noch nicht verjährt gewesen seien, hätte es diesem oblegen, eine eigenständige Prüfung der Verjährungsfrage vorzunehmen. Diese hätte nach Ansicht der Beklagten zu 8.) zu dem Ergebnis geführt, dass die Ansprüche noch nicht verjährt waren. Sofern sie nunmehr tatsächlich verjährt sein sollten, treffe dieses Verschulden die Klägerin.

Die Beklagte zu 4.) beantragt,

das Grundurteil des Landgerichts Schwerin vom 15. September 2006, Az.: 4 O 423/05, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 8.) beantragt,

unter Abänderung des am 15.09.2006 verkündeten Urteils des Landgerichtes Schwerin, Az.: 4 O 423/05 die Klage gegen die Beklagte zu 8.) abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen der Beklagten zu 4.) und zu 8.) zurückzuweisen.

Soweit bei einer Feststellungsklage ein Grundurteil wesensgemäß ausscheide, könne dies im vorliegenden Fall nicht gelten, weil neben dem Feststellungsantrag bezifferte Leistungsanträge streitgegenständlich seien und insoweit ein Bedürfnis für die Feststellung der Haftung dem Grunde nach bestehe. Das Urteil sei deshalb dahingehend auszulegen, dass es sich nicht auf den Feststellungsantrag erstrecke.

Das Landgericht habe auch zutreffend die Haftung dem Grunde nach bejaht. Insoweit genüge eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen einer Forderung in noch unbestimmter Höhe. Die Frage, ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliege, sei hier keine Frage der haftungsbegründenden, sondern der haftungsausfüllenden Kausalität, weil haftungsbegründend allein das Vorliegen des Verstoßes gegen die Pflichten aus dem Anwaltsvertrag sei. Im Hinblick auf das von der Schlichtungsstelle eingeholte Gutachten bestehe im Übrigen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Klägerin ein Schaden entstanden sei. Dies gelte umso mehr, als das Bestreiten der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens eines ärztlichen Behandlungsfehlers unsubstantiiert sei.

Soweit die Beklagte zu 4.) nach wie vor bestreiten wolle, mit dem Mandat befasst gewesen zu sein, sei ihr Vorbringen ebenfalls unsubstantiiert. Das Vorbringen der Beklagten zu 4.) zur Zuständigkeit des Beklagten zu 5.) werde bestritten; im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte zu 4.) außergerichtlich zu keiner Zeit ihre Mandatsbefassung in Abrede gestellt habe.

Die Auffassung der Beklagten zu 8.) zu der Frage, mit wem ein Mandatsverhältnis zustande gekommen sei, werde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht geteilt. Gleiches gelte im Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten zu 8.) zur Frage der Verjährung.

Wegen des übrigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufungen der Beklagten zu 4.) und 8.) haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Dahingestellt bleiben kann, ob hinsichtlich des in erster Instanz streitgegenständlichen unbezifferten Feststellungsantrages kein Grundurteil zulässig war, wie die Beklagte zu 4.) in ihrer Berufungsbegründung geltend macht (vgl. hierzu - für den Fall eines in Rede stehenden Mitverursachungsanteils - BGH, Urt. v. 13.05.1997, NJW 1997, S. 3176, 3177). Denn auch wenn man davon ausgeht, dass im vorliegenden Fall eine der Klägerin zuzurechnende Mitverursachung des Schadens nicht in Betracht kommt, wäre hinsichtlich der Feststellungsklage kein Zwischenurteil über den Grund i. S. v. § 304 ZPO, sondern ein dem Feststellungsantrag vollumfänglich stattgebendes (Teil-) Endurteil zu erlassen gewesen (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 304 Rz. 3). Hat das Gericht hingegen - wie hier - nur ein Grundurteil erlassen, so liegt darin im Zweifel nicht zugleich ein stattgebendes Teil-Endurteil über den Feststellungsantrag (vgl. Zöller-Vollkommer, a. a. O., Rz. 3 m. w. N.). Auch hier kann davon nicht ausgegangen werden, weil die Entscheidungsgründe keine Ausführungen zum Feststellungsantrag enthalten. Daraus folgt, dass der Feststellungsantrag noch nicht beschieden ist, wie die Klägerin in ihrer Berufungserwiderung zutreffend erkannt hat.

Das vom Landgericht erlassene Grundurteil stellt sich bei dieser Sachlage allerdings als Teilurteil hinsichtlich Ziff. 1 und 2 des Klageantrages dar. Als Teilurteil ist das Urteil unzulässig, weil die Haftung dem Grunde nach eine Vorfrage hinsichtlich des Feststellungsantrages darstellt (vgl. Zöller-Vollkommer, a.a.O. § 301 Rz. 7 m. w. N.). Denn es besteht die Möglichkeit, dass die Frage der Haftung dem Grunde nach im Instanzenzug anders beurteilt wird als durch das Landgericht. Die in einem solchen Fall grundsätzlich gebotene Aufhebung des angefochtenen Urteils bedurfte auch nicht des Antrages einer Partei, weil hier neben der Vorschrift aus § 538 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO auch die Vorschrift des § 538 Abs. 2 Ziff. 7 ZPO zur Anwendung kommt. Ein ausnahmsweise mögliches "Hinaufziehen" des noch in erster Instanz anhängigen Feststellungsantrages (vgl. dazu BGH, Urt. v. 12.01.1994; NJW-RR 1994, S. 379, 381; Zöller-Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 301 Rz. 13) hat der Senat zwar erwogen, letztlich aber nicht für sachgerecht gehalten. Es erscheint zwar denkbar, dass sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Feststellung treffen ließe, die Haftung der Beklagten zu 4.) und 8.) sei dem Grunde nach hinreichend geklärt. Denn weil in diesem Rechtsstreit nicht das Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers, sondern das Vorliegen einer anwaltlichen Pflichtverletzung haftungsbegründend ist, zählt die Frage, ob die Klägerin in einem hypothetischen Vorprozess obsiegt hätte, weil ihr gesundheitlicher Zustand auf einen ärztlichen Behandlungsfehler zurückzuführen ist, zur nach § 287 ZPO zu beurteilenden haftungsausfüllenden Kausalität (BGH in st. Rspr., vgl. Urt. v. 13.06.1996, BGHZ 133, S. 110, 113 ff.; Urt. v. 16.06.2005, BGHZ 163, 223, 227). Zudem setzt der Erlass eines Grundurteiles nur voraus, dass der Anspruch mit (hoher) Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (vgl. BGH, Urt. v. 20.02.1998, NJW 1998, S. 1709, 1709; Urt. v. 31.01.1990, BGHZ 110, S. 196, 200 f.; Zöller-Vollkommer, a.a.O. § 304 Rz. 6).

Der Senat sieht sich an einer Entscheidung über den Feststellungsantrag aber deswegen gehindert, weil das Landgericht nach Aktenlage beabsichtigt, Beweis über die medizinischen Fragen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Die Durchführung einer solchen Beweisaufnahme steht gem. § 287 ZPO im Ermessen des Tatrichters. Der Senat hält es zwar für denkbar, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, den hypothetischen Arzthaftungsprozess vollständig nachzeichnen zu müssen und deshalb hier gem. § 286 ZPO zwingend Beweis durch Sachverständigengutachten über das Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers erheben zu müssen. Der Senat kann dies aber nicht unterstellen. Durch die Zurückverweisung unter Hinweis auf die Anwendbarkeit von § 287 ZPO wird dem Landgericht nunmehr Gelegenheit gegeben, die Frage erneut zu prüfen, ob es im Hinblick auf das vorliegende Gutachten aus dem Schlichtungsverfahren der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedarf.

Die Haftung der Beklagten zu 4.) und 8.) dem Grunde nach - und damit auch die Begründetheit des Feststellungsantrages - hängt nach Auffassung des Senates letztlich von der Beantwortung der vorgenannten medizinischen Frage ab. Soweit dem Urteil des Landgerichtes die Auffassung zugrunde liegen sollte, der kommunale Schadensausgleich sei nach Vorlage des Schlichtungsergebnisses regulierungsbereit gewesen, dürfte es Bedenken begegnen, diese Folgerung allein aus der Aufforderung zur Konkretisierung der geltend gemachten Forderungen zu ziehen. Soweit die Beklagte zu 4.) ihre Befassung mit dem Mandat in Abrede stellen will, erscheint ihr Vorbringen als substanzlos. Auch das Vorbringen der Beklagten zu 8.) zur Frage der Verjährung ist rechtsfehlerhaft.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.



Ende der Entscheidung

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