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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 12.04.2000
Aktenzeichen: I Ws 118/00
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 45 Abs. 1
StPO § 45 Abs. 1 Satz 1
StPO § 45 Abs. 2 Satz 2
StPO § 146
StPO § 345
StPO § 345 Abs. 1
StPO § 345 Abs. 2
StPO § 346 Abs. 1
StPO § 346 Abs. 2
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az.: 2 Ss (Owi) 10/00 I 22/00

I Ws 118/00

BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichtes Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally, den Richter am Oberlandesgericht Hansen und den Richter am Landgericht Klingmüller auf den Antrag des Betroffenen auf die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluß des Amtsgerichts Schwerin vom 1.11.1999, mit dem es die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 6.8.1999 - 35 OWi 139/99 - als unzulässig verworfen hat, und auf seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft in der Sitzung vom 12. April 2000 beschlossen:

Tenor:

1. Der Betroffene wird auf seine Kosten in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts wiedereingesetzt.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Schwerin vom 1.11.1999 - 35 OWi 139/99 - wird aufgehoben.

3. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 6.8.1999 - 35 OWi 139/99 - und

4. der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung einer formgerechten Begründung seiner Rechtsbeschwerde werden als unzulässig verworfen.

5. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Schwerin hat mit Urteil vom 6.8.1999 gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit, nämlich einer innerorts begangenen fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h, eine Geldbuße von 250,- DM verhängt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil richtet sich die mit am 13.8.1999 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er - nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils am 17.9.1999 - am 8.10.1999 zu Protokoll des Rechtspflegers bei dem Amtsgericht Schwerin begründet hat.

Zu diesem Zweck hat er dem Rechtspfleger ein von ihm verfasstes zweiseitiges Schreiben überreicht, das der Rechtspfleger nach Fertigung einer für die Protokollierung üblichen Eingangs- und Schlussformel ohne weitere Zusätze als Anlage zu dem Protokoll genommen hat.

In diesem Schreiben wendet der Betroffene sich gegen einzelne Urteilsfestellungen und führt seine Rechtsansichten zu dem ihm vorgeworfenen Verhalten aus; Rechtsbeschwerdeanträge oder Rügen der Verletzung des Rechts enthält das Schreiben und mithin das Protokoll nicht.

Mit Beschluß vom 1.11.1999, der dem Betroffenen am 26.11.1999 zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht Schwerin die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen, da er sein Rechtsmittel nicht fristgemäß in der Form des § 345 Abs. 2 StPO begründet habe.

Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Betroffenen vom 8.12.1999, bei Gericht eingegangen am selben Tage, mit dem er zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da er sich zur Zeit der Zustellung des Beschlusses im Urlaub befunden habe. In der Sache trägt er vor, dass der Rechtspfleger ein formrichtiges Protokoll hätte aufnehmen müssen und ihm dessen Unrichtigkeit nicht zugerechnet werden könne.

II.

1.

Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen den Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Schwerin, das nach der gebotenen Auslegung als Antrag auf die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 346 StPO) zu behandeln, erweist sich als zulässig und begründet.

a)

Soweit der Betroffene sein Rechtsmittel nicht innerhalb der hierfür gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 346 Abs. 2 vorgesehen Wochenfrist angebracht hat, war er in den vorigen Stand wiedereinzusetzen, da er hinreichend glaubhaft gemacht hat, ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert gewesen zu sein.

b)

Gemäß § 346 Abs. 1 StPO erstreckt sich die dem Tatrichter übertragene Prüfung der Rechtsbeschwerde nur auf die Frage, ob die Revision fristgerecht eingelegt sowie unter Einhaltung von Frist und Form des § 345 StPO begründet worden ist. Dabei erstreckt sich die Prüfungspflicht nicht darauf, ob es an einer vorschriftsmäßigen Rechtsbeschwerderechtfertigung etwa deshalb fehlt, weil der Verteidiger oder der mit der Protokollaufnahme befaßte Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht die Verantwortung für den Erklärungsinhalt übernommen hat oder weil keine zulässigen Rügen vorgetragen sind (vgl. für die Revision: KK-Kuckein, StPO, 4. Aufl., § 346, Rdnr. 7 f.; LR-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 346, Rdnr. 5).

Indem das Amtsgericht Schwerin ausführt,

"...Bei einer Erklärung zu Protokoll der Geschäftstelle sind die Formerfordernisse nur gewahrt, wenn die Erklärung des Betroffenen vom Urkundsbeamten bzw. Rechtspfleger geprüft, gebilligt und die Verantwortung für sie übernommen wird.

(Vergl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl., § 345 Rand nr. 20 und 21; OLG Karlsruhe NJW 1974 Seite 915 f.)

Diesen Erfordernissen entspricht die zu Protokoll des Rechtspflegers genommene Begründung vorliegend nicht..."

hat es seine Prüfungskompetenz in dem o.g. Sinne überschritten, so dass der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Schwerin vom 1.11.1999 aufzuheben war.

2.

Die demgemäß erst durch den Senat als Rechtsbeschwerdegericht vorzunehmende Prüfung, ob die Rechtsbeschwerdebegründung der Form des § 345 Abs. 2 StPO entspricht, führt gleichwohl - aus den zutreffenden Gründen des Verwerfungsbeschlusses - zu dem Ergebnis, dass der Betroffene keine formgerechte Rechtsbeschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 1 StPO angebracht hat, mithin seine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 6.8.1999 als unzulässig zu verwerfen ist.

Im Einzelnen hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 15.3.2000 hierzu ausgeführt:

"Die am 08.10.1999 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Schwerin erklärte Rechtsbeschwerdebegründung (Bl. 68 f. d.A.) entspricht nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Protokollierung gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 2 StPO. Danach ist eine Rechtsmittelbegründung regelmäßig unzulässig, wenn der Urkundsbeamte sich den Inhalt des Protokolls vom Rechtsmittelführer diktieren lässt, wenn er sich darauf beschränkt, einen durch diesen überreichten Schriftsatz wörtlich abzuschreiben, wenn er einen Schriftsatz des Betroffenen lediglich mit den üblichen Eingangs- und Schlussformeln eines Protokolls umkleidet oder wenn er eine vom Betroffenen in Protokollform verfasste Privatschrift nur verliest und unterschreiben lässt (vgl. LR-Hannack, StPO, 25. Aufl., § 345, Rdnr. 35 m.w.N.). Auch die bloße Bezugnahme auf die dem Protokoll als Anlage beigefügte Privatschrift des Rechtsmittelführers ist selbst dann unzulässig, wenn der das Protokoll aufnehmende Rechtspfleger dabei ausführt, er habe sich von der Sachkunde des Angeklagten überzeugt (BGH, NStZ 1988, 449). Auch wenn der Rechtspfleger den durch den Rechtsmittelführer fertig geschriebenen Text in geringfügigem Umfang abändert, wird diese so vorgenommene "Prüfung" dem Zweck des § 345 Abs. 2 StPO nicht gerecht (vgl. BGHR StPO, § 345 Abs. 2 Begründungsschrift 5).

Vorliegend hat der Rechtspfleger des Amtsgerichts Schwerin auf dem durch den Betroffenen überreichten Schriftsatz lediglich die abschließende Grußformel sowie die Unterschrift des Betroffenen gestrichen und das Schreiben sodann, versehen mit den üblichen Eingangs- und Schlussformeln eines Protokolls, zum Gegenstand seiner Niederschrift gemacht (Bl. 67-69 d.A.).

Zwar wird es ausnahmsweise auch für zulässig erachtet, dass der Urkundsbeamte, der nach sorgfältiger Prüfung zu der Überzeugung gelangt ist, die ihm vorgelegte Schrift enthalte eine treffende, sachliche und sachgerechte Begründung des Rechtsmittels, diese sodann ohne inhaltliche Abänderungen für die Protokollaufnahme verwendet (LR-Hannack, StPO, 25. Aufl., § 345, Rdnr. 36, allerdings unter Hinweis auf eine eher ältere Rechtsprechung einzelner Oberlandesgerichte).

Für eine derartige Prüfung durch den Rechtspfleger fehlt vorliegend jedoch jeglicher Anhaltspunkt. Für den Fall einer auch nur in groben Grundzügen gemäß den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (dort Nr. 150) vorgenommenen Prüfung durch den Rechtspfleger wäre zumindest zu erwarten gewesen, dass in das Protokoll eine ausdrückliche Erklärung über den Umfang der Anfechtung und über die Rüge der Verletzung des sachlichen Rechts aufgenommen worden wäre. Mithin ist auch die Einholung einer dienstlichen Erklärung des Rechtspflegers darüber, inwieweit er den Inhalt der Rechtsbeschwerdeschrift des Betroffenen geprüft und für ihn die Verantwortung übernimmt, nicht veranlasst, da nach den Umständen eine den Formerfordernissen entsprechende Prüfung ausgeschlossen erscheint.

Die Rechtsbeschwerdebegründung ist mithin nicht formgerecht gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 2 StPO innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist angebracht worden.

Dem tritt der Senat bei.

3.

Soweit in dem Rechtsmittel des Betroffenen gegen den Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Schwerin vom 1.11.1999 und dem gleichzeitig angebrachten Wiedereinsetzungsantrag auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur ordnungsgemäßen Anbringung der Rechtsbeschwerdebegründung und -anträge zu erblicken ist, erweist sich dieser Wiedereinsetzungsantrag ebenfalls als unzulässig, weil der Betroffene die versäumte Handlung, d.h. eine der Form des § 345 Abs. 2 StPO entsprechende Rechtsbeschwerdebegründung, nicht nachgeholt hat.

Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt:

"Zwar berechtigt die Versäumnis, eine Rechtsmittelbegründung innerhalb der Frist lediglich nicht formgerecht angebracht zu haben, grundsätzlich nicht dazu, Wiedereinsetzung zu verlangen (BGHR StGB § 44, Verfahrensrüge 4, 5, 7). Der BGH hat von diesem Grundsatz jedoch Ausnahmen zugelassen, wenn etwa der Rechtspfleger bei der Protokollierung der Rechtsmittelbegründung den Mangel verschuldet hat (BGHR StPO §44 Verfahrensrüge 6, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Begründungsschrift 5).

Ob ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt, insbesondere den Rechtspfleger an der Mangelhaftigkeit der Protokollierung vom 08.10.1999 ein Verschulden trifft, kann vorliegend dahin stehen.

Jedenfalls ergibt sich die Unzulässigkeit des Antrags schon aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO. Danach ist die versäumte Handlung, hier die formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde, innerhalb der Antragsfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO nachzuholen (vgl. OLG Düsseldorf, VRS Bd. 90, 135). Das ist nicht geschehen. Der Betroffene hat nicht innerhalb der am 08.12.1999, dem von ihm selbst mitgeteilten Tag des Wegfalls des Hindernisses, in Lauf gesetzten Frist von 1 Woche eine den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entsprechende Rechtsbeschwerdebegründung angebracht.

Es kann vorliegend dahin stehen, ob die Anwendung der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO zu einer nicht hinnehmbaren Verletzung des rechtlichen Gehörs führt und daher ausnahmsweise auf die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO abzustellen ist (vgl. LR-Hannack, StPO, 25. Aufl., § 345 Rdnr. 9 a). Insoweit hat der BGH für den Fall, dass der Antragsteller erst durch einen Zurückweisungsbeschluss des Revisionsgerichts erstmalig erfährt, dass seine Revisionsbegründung wegen Verstoßes gegen § 146 StPO nicht formgerecht angebracht worden war, eine Ausnahme von der Frist des § 45 Abs. 1 StPO zugelassen (BGHSt 26, 335). Da der Verurteilte durch einen solchen Zurückweisungsbeschluss vor eine völlig neue Lage gestellt sei, verdränge in einem solchen Fall die für das Anbringen der Revisionsanträge und ihre Begründung geltende Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO die an sich für das Nachholen der versäumten Handlung vorgesehe Wochenfrist (BGH a.a.O.). Der Fristenlauf beginnt mit dem Tage der Kenntnisnahme des Hindernisses, mithin regelmäßig mit der Zustellung des betreffenden Zurückweisungsbeschlusses.

Auch wenn diese Grundsätze - wofür gewichtige Gründe sprechen - auf den vorliegenden Fall zu übertragen sind, ist eine formgerechte Rechtsbeschwerdebegründung nicht fristgerecht angebracht worden. Die gegebenenfalls anzuwendende Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO wurde spätestens mit der Bekanntgabe des Verwerfungsbeschlusses des Amtsgerichtes Schwerin vom 01.11.1999 (Bl. 71 f. d.A.), mithin am 08.12.1999 (Bl. 76 d.A.) in Lauf gesetzt.

Da der Betroffene eine der Form des § 345 Abs. 2 StPO entsprechende Rechtsbeschwerdebegründung demnach in jedem Falle nicht fristgerecht nachgeholt hat, ist sein Antrag auf Wiedereinsetzung bereits aus diesem Grund unzulässig."

Auch dem tritt der Senat bei.

III.

Da sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als erfolglos erweist, sind ihm gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Eine Kostenentscheidung bezüglich des Antrags auf die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 346 StPO ist nicht veranlasst (vgl. KK-Kuckein, StPO, 4. Aufl., § 346, Rdnr. 23 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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