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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: I Ws 408/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB, StVollzG, GVG


Vorschriften:

StPO § 112
StPO § 114
StPO § 115
StPO § 115 a
StPO § 117
StPO § 118
StPO § 119
StPO § 126 a Abs. 3
StPO § 154 a Abs. 1
StPO § 275 a
StPO § 275 a Abs. 5
StPO § 275 a Abs. 5 Satz 1
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 57 Abs. 1
StGB § 63
StGB § 64
StGB § 66
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 66 Abs. 3 Satz 1
StGB § 66 Abs. 4 Satz 1
StGB § 66 b
StGB § 66 b Abs. 1
StGB § 66 b Abs. 2
StGB § 68 f
StGB § 250
StGB § 250 Abs. 3
StGB § 251
StGB § 252
StGB § 255
StVollzG § 16 Abs. 2
StVollzG § 42
StVollzG § 103 Abs. 1 Nr. 9
StVollzG § 114
GVG § 74 f Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

I Ws 408/05

In der Strafsache

gegen T. R. , geb. H. , gesch. S. geboren am in

wegen Vergewaltigung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally sowie die Richter am Oberlandesgericht Hansen und Röck auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg gegen den Beschluss der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Rostock vom 18.10.2005 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten

am 7. Dezember 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Rostock im Verfahren über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66 b StGB) Anträge der Staatsanwaltschaften Stralsund und Neubrandenburg zurückgewiesen, gegen den Verurteilten einen Unterbringungsbefehl nach § 275 a Abs. 5 StPO zu erlassen, da mangels neuer und erheblicher Tatsachen keine dringenden Gründe für die Annahme sprächen, eine solche Anordnung werde ergehen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg bleibt ohne Erfolg.

Da die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bereits aus den nachfolgenden materiell-rechtlichen Gründen nicht wahrscheinlich ist und ein Unterbringungsbefehl daher nicht in Betracht kommt, konnte vorliegend eine nähere Prüfung der Frage unterbleiben, ob verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschriften der § 66 b StGB, § 275 a Abs. 5 StPO bestehen (verneinend: BGH, Urteile vom 11.05.2005 - 1 StR 37/05 - [NJW 2005, 2022, 2025] und vom 01.07.2005 - 2 StR 9/05 - [NJW 2005, 3078]; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 106 [109]; OLG Brandenburg NStZ 2005, 272 [274]; offengelassen im Senatsbeschluss vom 18.01.2005 - I Ws 560/04 - [StV 2005,279]; zweifelnd MünchKommStGB/Ullenbruch § 66 b Rdnrn. 35 ff., 120 ff., jeweils m.w.N.).

I.

Der Verurteilte verbüßte zuletzt vollständig zwei jeweils mehrjährige Haftstrafen aus Entscheidungen des Landgerichts Stralsund vom 07.12.1992 bzw. 22.07.1996 (II KLs 12/92) sowie des Landgerichts Rostock vom 16.11.2000 (II KLs 48/00):

Das Landgericht Stralsund hatte ihn am 07.12.1992 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Diese Strafe wurde durch Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 22.07.1996 unter Einbeziehung der Strafen wegen Gefangenenmeuterei u.a. aus dem Urteil des Amtsgerichts Stralsund vom 01.12.1992 - 3 Ls 21/92 - auf die nachträgliche Gesamtstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten zurück geführt. Der Verurteilte verbüßte die Strafe - im Anschluss an eine Strafvollstreckung in anderer Sache - seit dem 19.11.1993 teilweise bis zu seiner bedingten Entlassung am 18.09.1997 im Rahmen einer Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB.

Aufgrund nur wenige Monate später, am 08.02.1998, begangener neuer Straftaten verurteilte ihn das Landgericht Rostock "wegen Vergewaltigung und wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung, mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Zuvor waren zwei entsprechende Urteile des Landgerichts Neubrandenburg vom 02.07.1998 und vom 19.07.1999 jeweils im Revisionsverfahren aufgehoben und zurückverwiesen worden. In dieser Sache befand sich der Verurteilte seit dem 04.03.1998 in Untersuchungshaft.

Mit Wirkung vom 05.04.2001 wurde nach dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung der Strafrest aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts Stralsund vollstreckt. Diese Strafe war am 04.06.2003 vollständig verbüßt. Im Anschluss daran wurde die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Rostock vollstreckt, das Strafende war auf den 02.11.2005 notiert. Aufgrund von Freistellungsansprüchen nach § 42 StVollzG war jedoch beabsichtigt, den Verurteilten bereits am 22.10.2005 oder - bei Vorliegen eines entsprechenden Antrages nach § 16 Abs. 2 StVollzG - am Freitag, dem 21.10.2005 nach Vollverbüßung zu entlassen.

Bereits am 21.02.2005 leitete die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg das Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b StGB, § 275 a StPO ein und teilte dies dem Verurteilten am 20.04.2005 mit. Unabhängig davon begann auch die Staatsanwaltschaft Stralsund im August 2005 mit einer solchen Prüfung, worüber sie den Verurteilten mit Verfügung vom 25.08.2005 unterrichtete. Gleichzeitig übersandte sie das Vollstreckungsheft (2 Bände) des Verfahrens 536 VRs 757/93 (559) StA Stralsund an das "LG Stralsund - StVK" mit dem Antrag, gegen den Verurteilten die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 2 StGB anzuordnen. Dabei wurde außerdem "bereits jetzt für den Fall, dass eine Entscheidung nicht vor dem Entlassungstermin des Verurteilten ergeht, ein Antrag gemäß § 275 a Abs. 5 StPO" gestellt.

Mit Beschluss vom 16.09.2005 erklärte sich das Landgericht Stralsund - 22. Kammer als Große Strafkammer - unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt (NStZ-RR 2005, 106) für unzuständig, weil die Strafe aus dem Urteil der Kammer bereits vollständig vollstreckt sei. Die Staatsanwaltschaft Stralsund richtete daher nunmehr ihre Anträge zum Landgericht Rostock, wo die Akten am 26.09.2005 eingingen.

Zeitgleich - mit Verfügung vom 22.09.2005 - beantragte auch die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg in dem Verfahren 833 VRs 2650/05 beim Landgericht Rostock die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung "gemäß § 66 b StGB" sowie den Erlass eines Unterbringungsbefehls nach § 275 a Abs. 5 StPO. Außerdem wurde der Verurteilte über die Einleitung der Prüfung unterrichtet. Diese Akten lagen dem Landgericht am 06.10.2005 vor.

Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landgericht Rostock - 2. Große Strafkammer als Jugendschutzkammer - die Anträge beider Staatsanwaltschaften auf Erlass eines Unterbringungsbefehles ab, da keine dringenden Gründe für die Annahme sprächen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werde. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg, mit der sie ihr ursprüngliches Begehren weiter verfolgt.

Der Verurteilte befand sich zwischenzeitlich in anderer Sache in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Rostock - 418 Js 16031/05 - hatte gegen ihn Anklage wegen versuchter räuberischer Erpressung zum Amtsgericht - Schöffengericht - Rostock erhoben. Dieses erließ unter dem 21.10.2005 zunächst Haftbefehl nach § 112 StPO gegen den Verurteilten. In der Hauptverhandlung vom 29.11.2005 wurde er freigesprochen und der Haftbefehl aufgehoben. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig. Seither befindet er sich auf freiem Fuß, unterliegt jedoch der Führungsaufsicht nach Maßgabe des § 68 f StGB.

II.

Zwar liegen die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor (unten 1. - 3.). Sie kommt jedoch aus materiellen Gründen nicht in Betracht (nachfolgend 4. - 7.).

1.

Nach dem durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I 1838) mit Wirkung vom 29.07.2004 eingeführten § 275 a Abs. 5 Satz 1 StPO kann das - nach § 74 f Abs. 1 GVG (neu) zuständige - Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils im Verfahren nach § 275 a StPO, § 66 b StGB einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Die §§ 114 bis 115 a, 117 bis 119 und 126 a Abs. 3 StPO gelten entsprechend. "Dringende Gründe" sind dabei nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. §§ 111 a Abs. 1, 126 a Abs. 1, 132 a Abs. 1 sowie § 112 Abs. 1 StPO) dann anzunehmen, wenn nach bisherigem Ermittlungsstand eine hohe Wahrscheinlichkeit für die endgültige Verhängung der Maßregel spricht.

Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann dabei nach der ebenfalls durch das Gesetz vom 23.07.2004 eingeführten Vorschrift des § 66 b Abs. 1 StGB dann nachträglich angeordnet werden, wenn nach einer Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbst-bestimmung oder eines Verbrechens nach den §§ 250, 251 StGB, auch in Verbindung mit den §§ 252, 255 StGB, oder wegen eines der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Vergehen vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, und wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Darüber hinaus müssen die übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB erfüllt sein, im Wesentlichen also, dass der nachträglich zu Verwahrende im Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei (§ 66 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 1 StGB) oder drei Jahren (§ 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB) einsitzt, er bestimmte Vorstrafen und einen Vorvollzug aufweist (§ 66 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StGB) oder wegen drei Straftaten mit einer bestimmten minimalen Strafhöhe (§ 66 Abs. 2 StGB) (vor-)verurteilt wurde (vgl. Kinzig NJW 2004, 655 [657]).

Nach § 66 b Abs. 2 StGB kann das Gericht auch dann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn Tatsachen der in § 66 b Abs. 1 StGB genannten Art nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder nach den §§ 250, 251 StGB, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255 StGB, erkennbar werden und die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

2.

Eine Anordnung nach § 66 b StGB kann dabei auch noch dann ergehen, wenn der Verurteilte - wie hier - die Strafe bereits vollständig verbüßt hat (so jetzt BGH NJW 2005, 3078; offengelassen noch im Senatsbeschluss vom 18.01.2005 a.a.O.). Es genügt, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft vorher gestellt und dem Verurteilten vor dem Ende des Strafvollzugs mitgeteilt wurde, dass die Staatsanwaltschaft prüft, ob die nachträgliche Anordnung der Maßregel in Betracht kommt (BGH a.a.O.). Das war hier der Fall.

3.

Die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung sowohl nach § 66 b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 4 Satz 1 StGB als auch nach § 66 b Abs. 2 StGB sind gegeben:

Gegen den Verurteilten wurde neben den jetzt vollstreckten Freiheitsstrafen von sechs Jahren und drei Monaten wegen schweren Raubes aus dem Urteil des Landgerichts Stralsund vom 07.12.1992 und von fünf Jahren und sechs Monaten wegen Vergewaltigung und fahrlässiger Tötung aus dem Urteil des Landgerichts Rostock vom 16.11.2000 auch - durch Urteil des Bezirksgerichts Schwerin vom 20.12.1991 (3 KLs 7/91) - eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen Gefangenenmeuterei verhängt. Sämtliche Strafen hat der Verurteilte vollständig verbüßt.

4.

Mit dem Institut der nachträglichen Sicherungsverwahrung sollte einerseits ein Mittel geschaffen werden, den - sich als staatliche Aufgabe darstellenden (BVerfGE 109, 190 [236]) - Schutz der Allgemeinheit vor solchen Verurteilten zu gewährleisten, gegen die zum Urteilszeitpunkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, die sich aber gleichwohl zum Entlassungszeitpunkt als hochgefährlich darstellen (vgl. Senatsbeschluss a.a.O., BGH NJW 2005, 2022 [2023]). Andererseits sind bei der Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auch der hohe verfassungsrechtliche Rang des Freiheitsgrundrechts des Betroffenen und der mit der Anordnung verbundene Eingriff in die Rechtskraft des Ausgangsurteils zu berücksichtigen. Eine solche Maßnahme kommt daher nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht, was auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht (Senatsbeschluss a.a.O., BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O. und Urteil vom 25.11.2005 - 2 StR 272/05 -; BT-Drs. 15/2887, S. 10).

Daraus ergibt sich zum Einen, dass sich neue Tatsachen ergeben haben müssen, die in dem früheren Verfahren nicht bekannt oder wenigstens erkennbar gewesen sein dürfen. Dabei kommt es nicht auf den Entstehungszeitpunkt an, sondern allein auf die Erkennbarkeit, d.h. auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme und Berücksichtigung im vorangegangenen Strafverfahren. Es genügt nicht, dass der (ggfs. sachverständig beratene) Tatrichter des Ausgangsverfahrens die fraglichen Tatsachen tatsächlich nicht erkannt hat. Entscheidend ist, ob er sie hätte erkennen können. Ebensowenig stellt das für den Verurteilten negative Ergebnis einer erstmaligen Gesamtwürdigung "alter" Tatsachen - auch bei ergänzender Berücksichtigung des Vollzugsverhaltens - unter dem Gesichtspunkt erhöhter Gefährlichkeit eine neue Tatsache i.S.d. § 66 b StGB dar (vgl. zum Vorstehenden Senatsbeschluss a.a.O.; BGH a.a.O.; OLG Koblenz NStZ 2005, 97 [99]; OLG Frankfurt a.a.O.).

Zum Anderen muss es sich um erhebliche Tatsachen handeln. Nach den Gesetzesmaterialien können z.B. wiederholte verbal-aggressive Angriffe auf Bedienstete der Justizvollzugsanstalt als Anknüpfungspunkt für eine weitere Prüfung ebenso denkbar sein wie die Drohung des Verurteilten, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen, die Begehung einer erneuten Straftat während des Vollzugs der Freiheitsstrafe oder intensive Kontakte zu einem gewaltbereiten Milieu aus der Haft heraus. Durch den Verzicht auf eine exemplarische oder "namentliche" Nennung von Tatsachen sollte aber auch zum Ausdruck gebracht werden, dass monokausale Erklärungsmuster fehl am Platze sind (BT-Drs. a.a.O., S. 12). Entscheidend ist, dass die neuen Tatsachen über einer gewissen Erheblichkeitsschwelle liegen. Sie müssen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips schon für sich allein und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände Gewicht haben im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Anderer (BGH a.a.O.). Das bedeutet aber auch, dass zum Beispiel nicht jeder während des Vollzugs aufgetretene Ungehorsam ungeachtet seiner Neuheit i.S.d. § 66 b StGB die Einleitung eines Verfahrens über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, welches schon als solches eine erhebliche Belastung des Betroffenen darstellt, rechtfertigt (BGH, Urteil vom 25.11.2005 a.a.O.).

Schließlich dient das Verfahren nach § 66 b StGB auch nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden.

Nur wenn wirklich erhebliche neue Tatsachen während des Vollzugs erkennbar werden, kann dies zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung führen (BGH a.a.O.).

5.

Vorliegend war der Verurteilte während des Vollzugs immer wieder auffällig und hat auch Straftaten begangen, was zu Disziplinarmaßnahmen sowie zu zahlreichen Verurteilungen führte:

a)

So forderte er am 11.01.2001 in der JVA Waldeck einen Mitgefangenen auf, ihm 35 DM oder zwei Boxen Tabak auszuhändigen, wobei er - unwiderlegt - glaubte, einen Anspruch darauf zu haben. Als der Geschädigte nicht reagierte, packte der Verurteilte ihn am Kragen, schubste ihn und schlug mit Fäusten auf ihn ein, so dass er zu Boden ging. Das Amtsgericht Rostock - 24 Cs 745/01 - verhängte daraufhin wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung mit Strafbefehl vom 30.10.2001 eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 DM.

Am 29.10.2001 fragte der Verurteilte im Zusammenhang mit einer Haftraumrevision in der JVA Waldeck eine Justizbedienstete, ob sie seinen "Schwanz sehen" wolle, er habe damit kein Problem. Das Amtsgericht Rostock - 23 Cs 271/02 - verurteilte ihn daraufhin durch Strafbefehl vom 31.05.2002 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5 Euro.

Aus diesen beiden Verurteilungen wurde mit Beschluss vom 29.11.2002 eine nachträgliche Gesamtgeldstrafe von 65 Tagessätzen zu je 5 Euro gebildet.

Am 07.08.2002 äußerte der Verurteilte in der JVA Waldeck gegenüber zwei Vollzugsbeamten: "Ihr Fotzen" und "Ihr habt nicht alle Gardinenstangen am Schädel!". Deswegen verurteilte ihn das Amtsgericht Rostock - 24 Cs 486/02 - durch Strafbefehl vom 15.10.2002 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 5 Euro.

Am 26.11.2002 wurde der Verurteilte in der Schlosserei der JVA Waldeck alkoholisiert angetroffen; ein später durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 1,48 %. Als der Verurteilte zur Durchführung des Alkoholtests dem medizinischen Dienst zugeführt werden sollte, kam es zu verbalen Drohungen, weshalb der Verurteilte in einen besonderen Sicherungsraum innerhalb der Anstalt verbracht werden sollte. Dabei äußerte er gegenüber den dazu eingesetzten Vollzugsbeamten: "Ich bringe denjenigen Beamten um, der mir meine Uhr abnimmt". Außerdem biss er einem Bediensteten bei dessen Versuch, ihm die Uhr abzunehmen, in den Oberarm. Das Amtsgericht Rostock - 24 Cs 429/03 - wertete dies als Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und verhängte deswegen mit Strafbefehl vom 27.06.2003 eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 5 Euro. Hinsichtlich weiterer Äußerungen des Verurteilten wie er mache "jemanden platt" oder "kalt" war die Verfolgung von der Staatsanwaltschaft nach § 154 a Abs. 1 StPO beschränkt worden.

Anlässlich einer Revision des Haftraumes des Verurteilten in der JVA Waldeck wurde dort am 27.11.2003 auf einem Briefumschlag Cannabis mit einem Gewicht von 0,08 g sicher gestellt. Das Amtsgericht Rostock - 23 Cs 776/04 - verurteilte ihn daher mit Strafbefehl vom 22.09.2004 wegen unerlaubten Erwerbes in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 5 Euro.

Im Zusammenhang mit einer Vorführung vor dem Amtsgericht Rostock am 07.10.2004 äußerte der Verurteilte gegenüber den Vorführbeamten: "Die Fotzen (...) werden schon sehen, was sie davon haben". Damit meinte er die Vollzugsleiterin und die Leiterin des Betriebs- und Sicherheitsdienstes der JVA Stralsund, die er für seine während des Transports von der JVA Stralsund zum Amtsgericht Rostock erfolgte Hand- und Fußfesselung verantwortlich machte. Das Amtsgericht Rostock - 23 Cs - 216/05 verhängte hierfür durch Strafbefehl vom 02.03.2005 wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 5 Euro.

Sämtliche Strafbefehle sind rechtskräftig; alle Geldstrafen aus diesen Verurteilungen hat der Verurteilte bezahlt.

b)

Auch sonst hat das vollzugliche Verhalten des Verurteilten in der Vergangenheit häufig Anlass zu Beanstandungen gegeben:

Aus einer Stellungnahme der JVA Waldeck vom 25.03.1997 ergibt sich, dass gegen den Verurteilten bereits während der Verbüßung der ersten beiden Drittel der Gesamtstrafe aus dem Urteil des LG Stralsund vom 07.12.1992 wiederholt Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen wegen Verstößen gegen die Anstaltsregeln ausgesprochen werden mussten. So wurden in seinem Haftraum in der JVA Tegel, in deren sozialtherapeutische Anstalt er zur Behandlung seiner schon damals bekannten psychischen Auffälligkeiten sowie zur Verbesserung seiner Sozialprognose verlegt worden war, am 06.08.1995 1,25 g Heroin sichergestellt. Er wurde sodann in den geschlossenen Vollzug verlegt, musste dort aber auch wegen Alkoholbesitzes im Haftraum und wegen der Führung eines nicht genehmigten Telefonates disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden.

Auch nach seiner erneuten Inhaftierung im Jahr 1998 kam es in der JVA Stralsund zu mehrfachen Disziplinarverstößen, wie dem Besitz von nicht genehmigten Mobiltelefonen, Beleidigungen von Bediensteten, Schmuggeln von Briefen und Nichtbefolgen von Weisungen. In einer Stellungnahme der JVA Waldeck vom 10.01.2003 zur Vorbereitung einer Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB heißt es, der Verurteilte sei zwar bemüht, sein vollzugliches Verhalten den Anforderungen entsprechend zu gestalten. Er trete jedoch "situationsabhängig nach wie vor äußerst reizbar und wütend" auf. Am 09.10.2003 wurde erneut ein nicht genehmigtes Mobiltelefon in seinem Haftraum gefunden. Eine Suchtberatung musste abgebrochen werden, nachdem der Verurteilte am 14.07.2003 "emotional-affektiv massiv entgleiste" und die - externe - Suchtberaterin eine weitere Behandlung "vehement" ablehnte. Eine am 24.01.2003 unangekündigt durchgeführte freiwillige Urinkontrolle erbrachte den Nachweis von Kokain- und Cannabismissbrauch, spätere Kontrollen blieben jedoch negativ. Anträge auf vorzeitige Entlassung wurden aus diesen Gründen jeweils abgelehnt, auch weil keine Straftataufarbeitung erfolge und der Verurteilte außerdem eine Psychotherapie nicht für erforderlich halte.

Des Weiteren kam es im August 2005 in der JVA Stralsund zu mehreren Vorfällen in Zusammenhang mit illegalem Alkoholkonsum. Im Haftraum des Verurteilten wurden am 19. und 20.08.2005 jeweils mehrere Liter selbst angesetzten Weines gefunden. Am 20.08.2005 war der Verurteilte zudem - wie mehrere andere Strafgefangene auf seiner Station - offensichtlich nicht unerheblich alkoholisiert, eine verwertbare Alkoholmessung konnte nicht durchgeführt werden. Während der Kontrollen randalierte der Verurteilte und äußerte Beleidigungen gegenüber den Vollzugsbediensteten, weshalb er zunächst in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht und am 23.08.2005 in die JVA Waldeck verlegt wurde. Bei einer weiteren Kontrolle wurden außerdem ein Mobiltelefon und Bargeld bei ihm gefunden. Wegen des Alkoholkonsums verhängte die JVA als Disziplinarmaßnahme nach § 103 Abs. 1 Nr. 9 StVollzG einen Dauerarrest von vier Wochen, der ab dem 24.08.2005 vollstreckt wurde. Ein Antrag des Verurteilten nach § 114 StVollzG auf Aussetzung des Arrestes wurde durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stralsund vom 12.09.2005 als unzulässig verworfen, da die beanstandete Disziplinarmaßnahme rechtmäßig sei und es daher an einem schutzwürdigen Interesse des Verurteilten fehle. Gegen diese Entscheidung hat der Verurteilte "Beschwerde" eingelegt mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit des Arrestes, soweit er zwei Wochen übersteige, festzustellen. Der Senat - I Vollz(Ws) 6/05 - hat hierüber noch nicht entschieden.

In einer Stellungnahme des Anstaltspsychologen der JVA Waldeck vom 07.06.2005 wurde dem Verurteilten schließlich eine "Störung durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum sonstiger psychotroper Substanzen in Form eines schädlichen Gebrauchs (Polytoxikomanie als missbräuchliches Verhalten)" attestiert. Er sei "uneinsichtig und in der Folge behandlungsresistent." "Von der Genese her" sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich diese Suchtproblematik symptomatisch aus der vorliegenden schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung, F 61.0, mit dissozialen, histrionischen und starken narzisstischen Anteilen" ergebe. Diese Persönlichkeitsstörung sei trotz diverser Behandlungsangebote und dem Versuch einer psychotherapeutischen Behandlung Anfang 2003 "bisher nicht einmal ansatzweise" behandelt. Bei dem Verurteilten handele es sich daher um einen "unbehandelten (Sexual-)Straftäter, dessen in seinen Delikten zu Tage getretene Gefährlichkeit unverändert" fortbestehe. Diese Einschätzung stützt der Diplom-Psychologe durch die Auswertung verschiedener Testverfahren zur Gefährlichkeitsprognose (PCL-SV, SVR-20 und HCR-20) und kommt zu dem Schluss, dass von einem moderaten (mittleren, mäßig ausgeprägtem) Risiko bezüglich einer erneuten Sexualstraftat und einem erhöhten bis hohen Risiko bezüglich erneuter Gewaltstraftaten ausgegangen werden müsse.

c)

Schließlich hatte die Staatsanwaltschaft Rostock - 418 Js 16031/05 - unter dem 19.10.2005 Anklage gegen den Verurteilten zum Amtsgericht - Schöffengericht - Rostock wegen versuchter räuberischer Erpressung erhoben. Ihm wurde dabei zur Last gelegt, am 05.06.2005 aus der Strafhaft heraus mittels eines eingeschmuggelten Mobiltelefons die Freundin eines ehemaligen Mithäftlings angerufen und sie aufgefordert zu haben, an zwei von ihm gesandte Personen 300 Euro auszuhändigen, obwohl er auf deren Zahlung keinen Anspruch habe. Für den Fall der Weigerung der Zahlung habe er der Geschädigten angedroht, die beiden Personen würden sie "einer Behandlung" unterziehen. Außerdem habe er wenige Tage zuvor bereits zwei Personen mit gleichlautender Forderung zu der Geschädigten gesandt, weshalb diese seine Drohungen ernst genommen habe. In der Hauptverhandlung vom 29.11.2005 wurde der Verurteilte aus tatsächlichen Gründen - auf Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft - freigesprochen.

6.

Bei diesen Tatsachen handelt es sich nicht um "neue" in dem vorbezeichneten (oben 4.) Sinne. Der Verurteilte hat sich nämlich bereits vor der letzten tatrichterlichen Verurteilung ähnlich auffällig verhalten.

a)

Er ist - abgesehen von den beiden hier relevanten Verurteilungen durch das Landgericht Stralsund vom 07.12.1992 und das Landgericht Rostock vom 16.11.2000 - erheblich vorbestraft, u.a. wegen Gefangenenmeuterei. So wurde er am 20.12.1991 vom Bezirksgericht Schwerin - 3 KLs 7/91 - wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Gefangenenmeuterei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dem letzteren Vorwurf lag zu Grunde, dass er im April 1991, als er sich in jener Sache in Untersuchungshaft in der JVA Bützow befand, mit zwei anderen Häftlingen aus der Haftanstalt entwich. Dazu wurde mittels eines Spiralbohrers und eines Metalltischbeins das Fenstergitter eines Verwahrraumes angebohrt und aufgebogen. Sodann überwanden der Verurteilte und seine Mittäter mittels eines aus Bettlaken hergestellten Seiles eine Mauer der Vollzugsanstalt und versuchten zu flüchten. Er konnte jedoch noch im Bereich der Haftanstalt gestellt werden. Nach Rechtskraft des Urteils verbüßte der Verurteilte die Strafe in der JVA Stralsund. Ende Februar / Anfang März 1992 gelang es dem Verurteilten sowie einigen Mithäftlingen erneut, mittels eines Metallbohrers und Frühstücksmessern das Fenstergitter eines Verwahrraumes aufzubrechen und zu beseitigen. Mit Hilfe eines Wasserschlauches sowie eines aus Bettlaken geknüpften Seiles seilte er sich aus dem 1. Obergeschoss ab, überwand die Mauer und einen Zaun und konnte aus der Haftanstalt entkommen. Kurz danach entwendeten der Verurteilte und seine Mittäter nacheinander zwei PKWs zur Fortsetzung ihrer Flucht. Während die Mittäter bereits kurze Zeit später wieder festgenommen werden konnten, blieb der Verurteilte zunächst unauffindbar. Er stellte sich jedoch zwei Monate später der Polizei. Am 01.12.1992 verurteilte ihn das Amtsgericht Stralsund - 3 Ls 21/92 - daraufhin wegen (erneuter) Gefangenenmeuterei in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten.

Auch in der Folgezeit entwich der Verurteilte mehrfach aus der Strafhaft, so etwa am 06.07.1992 aus der JVA Stralsund und am 27.04.1993 auf dem Rücktransport von einer medizinischen Behandlung aus der JVA Bützow. In allen Fällen konnte er noch am selben Tag oder kurz danach wieder gefasst werden. In einer Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock erklärte er am 25.05.1993, er sei im März 1992 aus der JVA Stralsund geflohen, "um meine Kontakte zur Heimat wieder herzustellen".

In der selben Anhörung gab er auch an, eine Alkoholtherapie durchführen zu wollen. Die JVA Bützow hatte in ihrer Stellungnahme vom 20.04.1993 zur Frage einer bedingten Entlassung ausgeführt, er sei "von der Persönlichkeit her (...) oft psychisch auffällig". Er trete - insbesondere bei Ablehnung seiner Forderungen - drohend und provozierend auf. Er habe außerdem Suizid- und Fluchtabsichten angekündigt, um seinen Willen durchzusetzen. Diese Feststellungen hatte die JVA auch schon in einer früheren Stellungnahme vom 28.08.1992 getroffen. Nunmehr wurde außerdem angegeben, der Verurteilte habe "mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß er nur einmal auf diese Welt kommt und durch normale Arbeit seinen Lebensstandard nicht bestreiten kann. Nach seiner Meinung sei dies nur durch kriminelle Handlungen möglich". Auch in diesem Berichtszeitraum hatte er sich mindestens einmal nachweisbar durch unerlaubte Einnahme von Alkohol in einen Rauschzustand versetzt.

Aus der bereits oben (5. b)) erwähnten Stellungnahme der JVA Waldeck vom 25.03.1997 ergibt sich außerdem, dass das Vollzugsverhalten des Verurteilten vor seiner Verlegung in diese Haftanstalt im Juli 1996 "von Auffälligkeiten geprägt" und es wiederholt zu Verstößen gegen die Anstaltsordnung gekommen war.

Allerdings kam es dann zeitweilig - Ende 1996 / Anfang 1997 - zur Besserung des Verhaltens. In einer Stellungnahme der JVA Waldeck vom 14.02.1997 wurde eine Entwicklung bei dem Verurteilten angenommen, die "auf eine stärkere Anpassung an die Verhältnisse im Vollzug schließen" lasse. Er zeige "sich zunehmend in der Lage, Konflikte angemessen zu verbalisieren und zu bearbeiten". Daraufhin setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock mit Beschluss vom 13.05.1997 die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 22.07.1996 mit Wirkung vom 18.09.1997 zur Bewährung aus, worauf der Verurteilte an diesem Tag entlassen wurde.

Nach seiner erneuten Inhaftierung wegen der vom Landgericht Rostock am 16.11.2000 abgeurteilten Tat vom 08.02.1998 kam es - schon während des Vollzugs der Untersuchungshaft - dann alsbald zu erneuten Vorkommnissen:

So versuchte er gemeinsam mit einem Mithäftling, am 27.09.1998 aus der JVA Stralsund zu entfliehen, indem er begann, das Zellengitter durchzusägen. Am 23.12.1999 wurde im Bett des Verurteilten in seiner Zelle in der JVA Bützow ein Plastiksack mit ca. 10 Litern selbst angesetzten Weines gefunden. Am 31.12.1999 hatte sich der Verurteilte durch den Genuss eines selbst angefertigten alkoholischen Getränkes in einen Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand Vollzugsbeamte beleidigt und bedroht, wobei er u.a. auch äußerte: "Euch mache ich platt wenn ich mal entlassen bin". Wegen dieser Vorfälle wurden jeweils Disziplinarmaßnahmen gegen ihn verhängt.

Das Vollzugsverhalten des Verurteilten vor der letzten tatrichterlichen Verurteilung war daher überwiegend disziplinlos und von Auffälligkeiten geprägt, die dem danach gezeigten Verhalten entsprechen. Eine zunehmende Hemmungslosigkeit und Gewaltbereitschaft des Verurteilten kann dagegen nicht festgestellt werden.

b)

Daneben traten aber auch schon in diesem Zeitraum die erhebliche kriminelle Energie des Verurteilten und seine rücksichtslose Haltung gegenüber staatlichen Regeln und den Rechten Anderer zu Tage.

Der Verurteilte hat seit 1991 massive Straftaten begangen und sich weder von Verurteilungen noch Inhaftierungen beeindrucken oder von weiteren Taten abhalten lassen:

So wurde er am 20.12.1991 vom Bezirksgericht Schwerin - 3 KLs 7/91 - wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Gefangenenmeuterei (vgl. dazu oben a)) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, wobei das Gericht zu Gunsten des Verurteilten einen minder schweren Fall nach § 250 Abs. 3 StGB angenommen hat. Der Verurteilte hatte am 23.12.1990 im Kreise seiner späteren Mittäter geäußert, dass er Geld brauche und dass "etwas steigen müsse". Man einigte sich schließlich darauf, eine Autobahntankstelle zu überfallen, wobei mindestens eine Gaspistole mitgeführt und dann auch eingesetzt wurde. Entsprechend dem gemeinsam gefassten Tatplan - bei dem sich der Verurteilte als Wortführer hervor getan hatte - besorgte man sich zunächst bei einem Bekannten unverfängliche Bekleidungsstücke sowie Mützen, um sich zu tarnen. Sodann wurde ein Fluchtfahrzeug entwendet, das der Verurteilte steuerte. Ein Mittäter betrat schließlich den Tankstellenverkaufsraum und zwang die dort anwesenden Kassierer unter Vorhalt der Waffe und Abgabe mehrerer Schüsse zur Herausgabe von ca. 4.900 DM, die später untereinander aufgeteilt wurden. Nach den Feststellungen des Gerichts war der Verurteilte bei Tatbegehung alkoholisiert, die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB konnten aber mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Während er sich aufgrund dieses Vorfalls in Untersuchungshaft befand, beging er den - bereits oben erwähnten und als Gefangenenmeuterei abgeurteilten - Ausbruchsversuch aus der JVA Bützow.

Im Vollzug dieser Freiheitsstrafe kam es zu dem erneuten Ausbruch im März 1992 aus der JVA Stralsund, wobei sich der Verurteilte - wie bei seiner Flucht aus der JVA Bützow - auch nicht von Warnschüssen der Wachposten beeindruckt zeigte. Während seiner anschließenden, etwa zwei Monate dauernden Flucht beging der Verurteilte mehrere Straftaten, nämlich die - mit der Entscheidung des AG Stralsund vom 01.12.1992 abgeurteilten - PKW-Diebstähle sowie den Banküberfall vom 10.03.1992, der dem Urteil des Landgerichts Stralsund vom 07.12.1992 zugrunde liegt. Dabei betrat er gemeinsam mit einem Mittäter eine Sparkassenfiliale auf Usedom und erzwang die Herausgabe von Bargeld in Höhe von ca. 16.000 DM, wobei ein Schuss aus einer mitgeführten Pistole abgegeben und die Pistole an den Nacken eines Bankangestellten gehalten wurde. Anhaltspunkte für eine Alkoholisierung oder sonstige psychische Beeinträchtigung konnte das Landgericht nicht feststellen. Der Verurteilte hatte zwar in einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung angegeben, er stehe ständig unter dem Einfluss von Tabletten und sei alkoholabhängig. In der Hauptverhandlung konnte dies aber nicht näher konkretisiert werden, auf die Erstattung eines Gutachtens durch den von der Kammer vorsorglich geladenen rechtsmedizinischen Sachverständigen wurde allseits verzichtet.

Insbesondere die Tat vom 08.02.1998, die zu der letzten - hier relevanten - Verurteilung vom 16.11.2000 durch das Landgericht Rostock geführt hat, zeigt schließlich die hohe kriminelle Energie und auch Gewaltbereitschaft des Verurteilten. Nur wenige Monate nach seiner bedingten Entlassung vom 18.09.1997 machte der Verurteilte in einem Lokal die Bekanntschaft der damals 17jährigen Geschädigten, mit der er im Laufe des 07.02.1998 nicht unerheblich Alkohol konsumierte und die er - auf ihren Wunsch hin - mit dem PKW seiner Ehefrau, den er damals nutzte, fahren ließ. Dabei kam es zu einem Wildunfall, den die Geschädigte verursachte, wodurch an dem PKW geringer Blechschaden entstand. Man verbrachte auch die nächsten Stunden zusammen und trank weiter Alkohol. Am Morgen des 08.02.1998 wollte der Verurteilte die Geschädigte dann nach Hause fahren. Plötzlich begann er, sie als "Schlampe" zu beschimpfen und forderte sie auf, sich die Hose auszuziehen. Als die Geschädigte sich weigerte, schrie sie der Verurteilte an und würgte sie, weshalb sie ihren Widerstand aufgab. Sodann versuchte er mehrfach, in verschiedenen Stellungen den Geschlechtsverkehr mit ihr durchzuführen, was ihm jedoch nicht gelang. Deshalb sollte die Geschädigte ihm "einen blasen", was sie auch tat, weil er ihren Kopf packte und mit Gewalt zu seinem erigierten Penis drückte. Nach dem erfolgten Oralverkehr versuchte die Geschädigte aus dem PKW zu fliehen, was ihr zunächst nicht gelang. Später konnte sie doch noch entkommen, wobei sie ihre Jacke zurück lassen musste, die der Verurteilte festhielt. Der Verurteilte führte anschließend ein Telefonat, wobei er äußerte, "die alte Fotze hat mich angeschissen". Sodann fuhr er mit dem PKW weg, weil er mit Strafverfolgungsmaßnahmen rechnete. Dabei kam er - aufgrund seiner Alkoholisierung, die die Kammer mit maximal 2,32 % Blutalkoholkonzentration festgestellt hat - auf gerader Strecke auf die Gegenfahrbahn und prallte dort frontal mit einem im Gegenverkehr befindlichen PKW zusammen. Bei dem Unfall wurden der Fahrer dieses PKW getötet und zwei weitere Insassen nicht unerheblich verletzt. Aufgrund der Alkoholisierung ging die Kammer zu Gunsten des Verurteilten von den Voraussetzungen des § 21 StGB aus, sah jedoch keine zureichenden Anhaltspunkte für einen völligen Ausschluss der Schuldfähigkeit. Eine psychiatrische Begutachtung des Verurteilten ist in diesem Verfahren, das zunächst beim Landgericht Neubrandenburg anhängig gewesen und nach (Teil-)Aufhebung der dortigen Urteile vom 02.07.1998 bzw. 19.07.1999 auf die Revisionen des Verurteilten an das Landgericht Rostock verwiesen worden war, nicht erfolgt.

Damit waren die Gefährlichkeit des Verurteilten, aber auch seine - durch seine Taten und durch sein Vollzugsverhalten zu Tage tretenden - psychischen Auffälligkeiten bekannt. Die Anordnung von Maßregeln nach den §§ 63, 64 StGB oder § 66 StGB ist jedoch nicht erwogen oder geprüft worden.

c)

Der Verurteilte war daher bereits vor der letzten tatrichterlichen Verurteilung ein gefährlicher, psychisch auffälliger Straftäter, der sich von Versuchen staatlicher Einfluss-nahme unbeeindruckt gezeigt hat. Dies war für den letzten Tatrichter auch ohne Weiteres erkennbar, und zwar unabhängig davon, ob sachverständiger Rat eingeholt worden ist oder nicht. Bei den seit dem Jahr 2000 auftretenden Auffälligkeiten im Strafvollzug handelt es sich deshalb nicht um neue Tatsachen.

Die Erkenntnisse aus der psychologischen Stellungnahme vom 07.06.2005 führen zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wird das Risiko einer erneuten Sexualstraftat als "moderat" und das Risiko neuer Gewalttaten sogar als erhöht bewertet. Der Diplom-Psychologe stellt aber auch fest, dass die "in seinen Taten zu Tage getretene Gefährlichkeit (...) unverändert fort" bestehe (Unterstreichung durch den Senat).

Die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten ist ebenso wie seine Gefährlichkeit und die bestehende Alkoholproblematik nämlich nicht erst gegen Ende des Strafvollzugs oder durch die Stellungnahme vom 07.06.2005 bekannt geworden. Diese Umstände wurden dort vielmehr zum wiederholten Male angenommen und beschrieben. Eine forensisch-psychiatrische Begutachtung des Verurteilten ist jedoch bislang zu keinem Zeitpunkt erfolgt oder auch nur erwogen worden. Auch sah die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg in dem Verfahren wegen der Tat vom 08.02.1998 - ebenso wie das Landgericht Neubrandenburg in der ersten dort von Mai bis Juli 1998 geführten Hauptverhandlung - keine Veranlassung für die Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB, obwohl sich dies angesichts der damals vorliegenden formellen Voraussetzungen angeboten hätte. Gegen das (erste) Urteil des Landgerichts Neubrandenburg in dieser Sache vom 02.07.1998 - das in der rechtlichen Würdigung dem Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang folgte und bei der Rechtsfolgenentscheidung sogar darüber hinaus ging - legte lediglich der Verurteilte Revision ein, die zur (ersten und vollständigen) Aufhebung dieses Urteils führte. Danach kam die Verhängung dieser Maßregel, die bis dahin möglich gewesen wäre, schon wegen des Verschlechterungsverbotes (§ 358 Abs. 2 StPO) nicht mehr in Betracht.

An der Gefährlichkeit und Persönlichkeitsproblematik des Verurteilten hat sich seither jedoch, wie dargestellt, nichts geändert. Die in dem letzten Vollzugsabschnitt - seit 1998 - bekannt gewordenen Regelverstöße und Straftaten geben keinen Anlass, eine erhöhte und erhebliche Gefahr des Verurteilten für die Allgemeinheit anzunehmen.

Da das Verfahren nach § 66 b StGB auch nicht dazu dient, eine möglicherweise fehlerhafte frühere Entscheidung bei im Wesentlichen gleich bleibender Tatsachengrundlage zu korrigieren, kann es hier nicht den von der Staatanwaltschaft angestrebten Erfolg haben.

7.

Auch weisen diese Tatsachen aber nicht auf eine - erst jetzt erkennbar gewordene - erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hin, die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnte.

Der Verurteilte hat sich im Vollzug gleichbleibend als schwieriger, disziplinloser und uneinsichtiger Gefangener gezeigt, der sein Verhalten von seiner ersten Inhaftierung im Jahr 1991 bis zuletzt praktisch nicht geändert hat, mit einer Ausnahme Ende 1996 / Anfang 1997, die zu der - schließlich auch gescheiterten - bedingten Entlassung geführt hat. Bei den festgestellten Regelverstößen handelte es sich durchweg um renitentes, verbal-aggressives Verhalten, wie es im Strafvollzug nicht gerade selten anzutreffen ist. Dabei spielte häufig auch das offensichtlich bestehende, aber mangels Therapiebereitschaft nicht ausreichend behandelte Alkoholproblem des Verurteilten eine Rolle. Körperliche Übergriffe des Verurteilten auf andere Gefangene oder Vollzugsbedienstete sind dagegen - abgesehen von den Vorfällen 11.01.2001 und 26.11.2002 - nicht bekannt geworden; bei der Nötigung eines Mitgefangenen am 11.01.2001 glaubte der Verurteilte unwiderlegt, einen Anspruch auf die geltend gemachte Forderung zu haben. Von dem Vorwurf der versuchten räuberischen Erpressung, die er im Juni 2005 begangen haben soll, ist der Verurteilte freigesprochen worden, ein strafbares Verhalten konnte insoweit nicht festgestellt werden. Zu sexualbezogenen Delikten oder Regelverstößen ist es nicht gekommen. Im Übrigen hat der Verurteilte sich bei den Beleidigungen "nur" der Fäkalsprache bedient.

Bei der Würdigung des Vollzugsverhaltens ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Verurteilte während seiner langandauernden Vollzugszeiten aufgrund seiner wiederholten Disziplinarverstöße häufig unter strenger Beobachtung der Vollzugsbediensteten stand, zumal er - nach seinen zahlreichen, teils auch erfolgreichen Ausbruchsversuchen - als stark fluchtgefährdet galt. Angesichts der - zuletzt nochmals in der Stellungnahme des Anstalts-psychologen der JVA Waldeck vom 07.06.2005 angenommenen - Persönlichkeitsstörung des Verurteilten mit dissozialen, histrionischen und starken narzisstischen Anteilen waren solche Probleme im Vollzug daher zu erwarten. Daraus kann aber nicht zwingend der Schluss gezogen werden, der Verurteilte werde dieses Verhalten in Freiheit unverändert fortsetzen und werde allein dadurch zu einer erheblichen Gefahr für die Allgemeinheit.

III.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da das Verfahren über die Anträge der Staatsanwaltschaften auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18.01.2005 a.a.O.).

Ende der Entscheidung

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