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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 19.12.2007
Aktenzeichen: 10 UF 194/07
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 50 b
1. Im Umgangsrechtsverfahren kann die unterlassene Anhörung der betroffenen Kinder ein wesentlicher Verfahrensmangel sein, der die Aufhebung und Zurückverweisung im Beschwerdeverfahren rechtfertigt.

2. Will das Familiengericht von einer gutachterlichen Empfehlung abweichen, darf es sich bei der weiteren Beweiserhebung nicht mit der Einholung einer telefonischen Auskunft einer anderen unbenannten Sachverständigen begnügen.


10 UF 194/07

Beschluss

In der Familiensache

hat der 2. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 19. Dezember 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Ahrensburg vom 9. Oktober 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Ahrensburg zurückverwiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Der Antragsgegnerin wird Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlung unter Beiordnung des Rechtsanwalts aus bewilligt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um das Umgangsrecht des Antragstellers mit den gemeinsamen Töchtern A, geboren am 28. August 1998 und B, geboren am 28. August 1998.

Die Kinder sind aus der am 19. Dezember 1997 geschlossenen Ehe der Parteien hervorgegangen. Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts Ahrensburg vom 12. Juli 2001, Az. 20 (8) F 313/99 geschieden. Dabei wurde die elterliche Sorge für die Töchter auf die Kindesmutter übertragen. In einem Umgangsrechtsverfahren bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Ahrensburg, Az. 20 F 223/01 hat das Gericht mit Beschluss vom 19. Juni 2003 den Umgang des Antragstellers mit den Kindern ausgeschlossen. Grundlage war ein Gutachten des Sachverständigen Dr. C, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 3. März 2003, das zu dem Ergebnis kam, dass der Antragsteller an einer schweren seelischen Erkrankung leide. Wegen wahnhafter Gedanken und Realitätsverlust sei ein unbeschränkter oder eingeschränkter alleiniger Kontakt zu den Kindern nicht möglich.

Der Antragsteller begehrt nunmehr erneut eine Umgangsregelung. Das Familiengericht hat erneut ein Gutachten des Sachverständigen Dr. C eingeholt und aufgrund dieses Gutachtens den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde. Er beantragt weiter Umgang mit seinen Kindern. Er bringt vor, er sei gesund. Es lägen keine Beweise dafür vor, dass ein direkter Kontakt mit seinen Kindern nachteilig sei.

II.

Die nach § 621 e ZPO zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - befristete Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen, da das amtsgerichtliche Verfahren an wesentlichen Mängeln leidet.

Das Familiengericht hat es unterlassen, die Kinder der Parteien persönlich anzuhören. Nach § 50 b Abs. 1 u. 3 FGG hat das Gericht in einem Verfahren, dass die Personensorge betrifft, das Kind grundsätzlich persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes von Bedeutung sind; von solchen Anhörungen darf nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden. Für eine Entscheidung in einem Umgangsrechtsverfahren nach § 1684 BGB sind Neigungen, Bindungen und der Kindeswille in aller Regel von Bedeutung. Will das Gericht gleichwohl von der Anhörung der Kinder absehen, muss es die leitenden Gründe darlegen. Schwerwiegende Gründe, die es geboten erscheinen lassen, von einer persönlichen Anhörung der Kinder abzusehen, liegen aber im Rahmen einer vorzunehmenden Interessenabwägung nur dann vor, wenn durch die Anhörung das Kind aus seinem seelischen Gleichgewicht gebracht wird und eine Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes zu besorgen ist (vgl. BGH NJW-RR 1986, 1130/1131; Engelhard in Keidl/Kunze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 50 Behrend Nr. 27 m.w.N.).

Gründe, von der persönlichen Anhörung der Kinder abzusehen, führt der angefochtene Beschluss nicht an. Die persönliche Anhörung der Kinder ist nachzuholen, denn diese hat das Ziel, dem Richter von den betreffenden Kindern einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und möglichst ihren Willen sowie Neigungen und Bindungen kennen zu lernen.

Von einer Anhörung hat auch nicht deshalb abgesehen werden können, weil nach dem derzeitigen Stand ein Umgang des Antragstellers mit den Kindern in jeder Form schlechthin ausgeschlossen ist. Zum einen kommt ein brieflicher Kontakt infrage. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C vom 30. Juli 2007 ist es zudem denkbar, dass es zu persönlichem Kontakt unter Begleitung einer dritten Person kommt. Es ist nach dem Gutachten dabei nicht zu erwarten, dass der Antragsteller seine paranoide Gedankenwelt den Kindern direkt mitteilt. Allerdings so der Sachverständige - sei zweifelhaft, ob die Kinder von dem Kontakt seelisch profitieren könnten. Falls die Kinder unter dem Kontakt leiden, müsse er untersagt werden. Danach scheint ein begleiteter Umgang des Kindesvaters mit den Kindern nicht von vornherein ausgeschlossen.

Hinzu tritt ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2007 hat das Familiengericht Rücksprache mit einer nicht näher benannten psychologischen Sachverständigen gehalten und hierauf seine Entscheidung gestützt. Im Protokoll heißt es:

"Das Gericht weist darauf hin, dass nach Rücksprache mit einer psychologischen Sachverständigen ein Umgang mit dem Vater, der an einer solchen Krankheit leidet, das Kindeswohl gefährden würde, weil die Verhaltensweisen für Kinder nicht nachvollziehbar und beängstigend sind und das Wohl der Kinder gefährden."

Aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C lässt sich dies nicht herleiten. Der Sachverständige hat einen begleiteten Umgang mit den Kindern gerade nicht ausgeschlossen. Wenn das Familiengericht das Sachverständigengutachten für unzutreffend gehalten hat, hätte ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Dr. C oder ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.

Dies darf aber nicht telefonisch ohne Benennung der Sachverständigen geschehen. Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob es sich mit formlosen Ermittlungen (Freibeweis) begnügen kann oder in der durch § 15 FGG vorgesehenen Form Strengbeweis erheben muss. Das Strengbeweisverfahren ist dabei vor allem dann zu wählen, wenn es für die Entscheidung auf die Erweisbarkeit einer bestimmten Einzeltatsache ankommt. Die Bedeutung der Angelegenheit erfordert zudem eine förmliche Beweiserhebung, wo die Schwere eines beabsichtigten Eingriffs bereits im Rahmen der Amtsermittlung eine persönliche Anhörung des davon Betroffenen unerlässlich macht (vgl. Schmid in Keidl/Kunze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 15 Rn. 6). Da ein völliger Ausschluss des Umgangsrechtes ein erheblicher Eingriff in durch Artikel 6 GG geschützte Rechte der Kinder und Eltern ist, darf sich das Familiengericht nicht auf ein formloses Beweisverfahren durch Einholung einer telefonischen Auskunft einer Sachverständigen beschränken.

Aufgrund dieser Verfahrensmängel ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - zurückzuverweisen. Der Senat hält es dagegen nicht für sachdienlich, von der Zurückverweisung abzusehen und selbst zu entscheiden. Es erscheint sachgerechter, dass die Anhörung der Kinder zunächst vom ortsnahen Familiengericht durchgeführt wird und ggf. ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt wird.

Eines Antrags auf Zurückverweisung bedarf es im FGG-Verfahren nicht (vgl. OLG Köln, FamRZ 2005, 1921).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§16 KostO, 13 a FGG.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 94 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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