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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 13.01.2000
Aktenzeichen: 11 U 7/98
Rechtsgebiete: BNotO, BauGB


Vorschriften:

BNotO § 19 I
BNotO § 23
BNotO § 24
BauGB § 124
Muß der Notar nach dem Grundstückskaufvertrag ein Teil des auf sein Anderkonto gezahlten Kaufpreises direkt an einen Erschließungsträger auszahlen, besteht insoweit gegenüber dem Verkäufer regelmäßig keine Amtspflicht.
11 U 7/98 7 O 181/97 LG Itzehoe

Verkündet am: 13. Januar 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Urteil

Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit

Notar,

Beklagter und Berufungskläger,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Petersen, Dr. Peters, Grimm, v. Hobe, Dr. Petersen und Schober in Schleswig,

gegen

Stadt,

Klägerin und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Giese und Giese in Schleswig,

hat der 11. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Dezember 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht sowie den Richter am Oberverwaltungsgericht für R e c h t erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe - Einzelrichter der 7. Zivilkammer - vom 03. Dezember 1997 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 17.520 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer - aus ihrer Sicht - vertragswidrigen Auszahlung eines Grundstückskaufpreises in Anspruch.

Am 18. April 1991 beurkundete der Beklagte den Kaufvertrag zwischen der Klägerin und den Eheleuten E. Darin verkaufte die Klägerin ein "erschlossen" zu lieferndes Baugrundstück für 40 DM je Quadratmeter, wobei der Kaufpreis zunächst auf ein Anderkonto des Beklagten zu leisten war. In § 2 des Vertrages heißt es dazu:

"DM 19.200 verpflichtet sich der Erwerber....zu treuen Händen des beurkundenden Notars zu zahlen für dessen Notaranderkonto...mit der Weisung, diesen Betrag an den Veräußerer auszuzahlen, sobald

a) die Eintragung der nachstehend bewilligten Vormerkung im Grundbuch beantragt ist,

b) dem Notar - mit Ausnahme der steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung - alle zur vertragsgemäßen Eigentumsumschreibung erforderlichen Unterlagen vorliegen, mindestens die grundbuchliche Absicherung auf dem Stammgrundstück erfolgt ist.

... die Auszahlung des Kaufpreises hat wie folgt zu erfolgen:

1.) DM 3,50 DM pro Quadratmeter an die Gemeinde Barth...

2.) DM 36,50 DM pro Quadratmeter an die Firma S der Weisung, hieraus die Primärerschließung zu begleichen."

Die Käufer zahlten dementsprechend den Kaufpreis auf das Anderkonto des Beklagten ein.

Am 07.06.1991 schloss die Klägerin mit der Fa. S GmbH einen Vertrag, in dem die Firma sich u. a. verpflichtete, "die Primärerschließung" bis zum 31.10.1991 zu erstellen.

Am 18.06.1991 wurde zugunsten der Grundstückskäufer eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Am 28.06.1991 überwies der Beklagte den auf die S GmbH entfallenden Anteil in Höhe von 17.520 DM an diese. Der auf die Klägerin selbst entfallende Restanteil von 1.680 DM wurde am 01.07.1991 überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Abschreibungsunterlagen (Vermessung) und die Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung - letztere wurde erst am 27.03.1996 erteilt - noch nicht vor.

Die S GmbH führte die sogenannte "Primärerschließung" nicht durch. Die Klägerin erklärte am 09.10.1991 den Rücktritt von dem mit dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrag. 1992 wurde bezüglich der S GmbH die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens beantragt. Der Antrag wurde mangels Masse abgewiesen. Die Erschließung wurde in der Folgezeit von einem anderen Erschließungsträger durchgeführt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe den Kaufpreis im Juli 1991 vertragswidrig vom Anderkonto ausbezahlt. Die Auszahlungsbedingungen seien noch nicht erfüllt gewesen. Dadurch sei ihr ein Schaden in Höhe von 17.520 DM entstanden. Der Erschließungsvertrag mit der S GmbH sei gekündigt und die Gesellschaft zahlungsunfähig geworden, ohne Erschließungsleistungen erbracht zu haben.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 17.520 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Juli 1991 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, er sei im Juni 1991 vom Dezernatsleiter der Stadtverwaltung Starke ausdrücklich angewiesen worden, in "Abweichung von den Auszahlungsfälligkeiten des Vertrages" den Kaufpreisanteil an die S GmbH auszuzahlen. Die Käufer seien einverstanden gewesen. Im übrigen habe die Pflicht, den hinterlegten Kaufpreis erst bei Vollzugsreife auszuzahlen, ausschließlich dem Schutz der Käufer gedient. Eine Amtspflicht gegenüber der Klägerin liege darin nicht. Auch habe die Klägerin keinen, jedenfalls keinen kausal auf die behauptete Pflichtverletzung zurückzuführenden Schaden erlitten, und der Schadensersatzanspruch sei verjährt.

Das Landgericht Itzehoe - Einzelrichter der 7. Zivilkammer - hat der Klage durch Urteil vom 03. Dezember 1997 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte sei gem. §§ 19 Abs. 1, 23, 24 BNotO zum Schadensersatz verpflichtet. Die in § 2 des Kaufvertrages enthaltene Hinterlegungsvereinbarung habe der Notar gegenüber beiden Vertragsparteien zu beachten gehabt. Mit der verfrühten Auszahlung im Juli 1991 habe er dagegen verstoßen. Eine Änderung der Hinterlegungsvereinbarung oder eine übereinstimmende andere Weisung der Vertragsparteien sei nicht festzustellen. Der städtische Bedienstete Starke sei nur zu Erklärungen im Zusammenhang mit der Eigentumsumschreibung, nicht aber für eine Anweisung zur vorzeitigen Auszahlung des Kaufpreises an die S GmbH bevollmächtigt gewesen. Eine erweiternde Auslegung der Vollmacht sei nicht möglich, auch bestehe keine Anscheinsvollmacht. Hinsichtlich des Kaufpreises sei der Beklagte durch eine sog. Mehrfachtreuhand gebunden gewesen. Der Schaden sei auch adäquat kausal durch die Amtspflichtverletzung verursacht worden, denn es liege im Rahmen des objektiv vorhersehbaren Geschehensverlaufs, dass die verfrühte Auszahlung eines Kaufpreisteiles an einen Empfangsberechtigten - vorliegend die S GmbH - zu Komplikationen bzw. einem Totalverlust führen könne. Mit der verfrühten Auszahlung des Teilkaufpreises an die S GmbH sei die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Scheiterns dieser Gesellschaft, ohne dass die Klägerin bereits eine Gegenleistung erhalten hätte, gegeben gewesen. Im Hinblick auf den Vermögensverfall der S GmbH seien die ausgezahlten 17.520 DM uneinbringlich verloren. Da die Klägerin erst 1995 vom Schaden Kenntnis erlangt habe, sei der Anspruch nicht verjährt. Ab Verzugsbeginn am 17.05.1997 sei der Zinsanspruch in Höhe von 4 % begründet worden.

Gegen das am 16.12.1997 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13.01.1998 Berufung eingelegt und behauptet, die ursprüngliche Vereinbarung über die Auszahlung des Kaufpreises in § 2 des Vertrages sei nachträglich einvernehmlich abgeändert worden. Der Finanzdezernent Starke sei dazu bevollmächtigt gewesen. Soweit in seiner schriftlichen, nicht beurkundsbedürftigen Vollmacht eine falsche Flurstücksbezeichnung enthalten gewesen sei, sei dies unschädlich. Die Vollmacht habe auch die Berechtigung zur Änderung der Auszahlungsvereinbarung mit umfasst. Im übrigen seien hier Anscheinsbeweisgrundsätze anzuwenden, da niemals Zweifel daran bestanden hätten, dass Herr Starke alles habe bestimmen und die maßgebliche Erklärung habe abgegeben können. Selbst wenn man von keiner nachträglichen Änderung der Auszahlungsregelung ausgehe, scheitere eine Amtspflichtverletzung daran, dass bezüglich des Auszahlungszeitpunktes ein Schutzzweck gegenüber der Klägerin nicht bestanden habe, sondern allenfalls gegenüber den - nicht geschädigten - Grundstückskäufern. Der Vorwurf der Amtspflichtverletzung knüpfe nur an die vorzeitige Auszahlung, nicht aber daran an, dass an die Fa. S GmbH ausgezahlt worden sei. Es sei das Risiko der Klägerin, dass sie hinsichtlich der an die Fa. S GmbH gezahlten Anteile verlustig gegangen sei. Da die Klägerin bereits seit Juli 1991 von der Auszahlung des Kaufpreises gewusst habe, sei auch die Verjährungseinrede begründet. Der Klägerin sei auch ein Schaden nicht entstanden. Die Klägerin habe für den Kaufpreisanteil eine adäquate Gegenleistung der Fa. S GmbH erhalten.

Der Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet, eine mündliche, von der vertraglichen Regelung in § 2 des Kaufvertrages abweichende Anweisung des Finanzdezernenten Starke habe es nicht gegeben, eine solche könne auch nicht ausreichen. Sie sei von der diesbezüglichen Vollmacht nicht gedeckt. Sofern der Beklagte aufgrund einer mündlichen Anweisung ausgezahlt habe, liege darin eine Amtspflichtverletzung. Eine Gegenleistung sei von der Fa. S GmbH nicht erlangt worden. Der Verjährungseinwand greife im Hinblick auf die erst am 04. August 1995 erlangte Kenntnis vom Schaden und dem schädigten Ereignis nicht ein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg. Das stattgebende Urteil des LG ist zu ändern, denn die Klägerin kann vom Beklagten keinen Schadensersatz gem. §§ 19 Abs. 1, 23, 24 BNotO beanspruchen.

1.) Die Schlüssigkeit der Klage begegnet hinsichtlich des geltend gemachten Schadens Bedenken.

Aus dem Zusammenhang des Grundstückskaufvertrages vom 18.04.1991 mit dem Vertrag zwischen der Klägerin und der S GmbH ist zu entnehmen, dass der Kaufpreisanteil von 36,50 DM pro Quadratmeter zur Abdeckung der Kosten der sogenannten "Primärerschließung" bestimmt war. Die Klägerin hatte den Käufern ein "erschlossenes" Grundstück zu liefern (§ 1 Abs. 3 des Kaufvertrages) und die Firma S GmbH hatte die "Primärerschließung....einschließlich Tiefbau" zu erbringen (§ 1 des Vertrages vom 07.06.1991); die Klägerin hatte "keine Kosten" zu übernehmen (§ 2 a. a. O.).

Ein Schaden wäre der Klägerin demnach nur dann entstanden, wenn sie selbst Erschließungsaufwendungen endgültig zu tragen gehabt hätte, die bei reibungsloser Durchführung der der Firma S GmbH obliegenden "Primärerschließung" aus dem an diese ausgezahlten Kaufpreisanteils abgedeckt gewesen wären.

Das ist nicht dargetan:

Die Klägerin blieb - zwar - auf Grund der in § 1 Abs. 3 des Kaufvertrages getroffenen Verpflichtung zur Lieferung eines "erschlossenen" Grundstücks den Käufern gegenüber verpflichtet, die Erschließungskosten - jedenfalls im Umfang der vereinbarten und von den Käufern erbrachten Leistung - zu tragen. Ihre Berechtigung und Verpflichtung, öffentlich-rechtliche Erschließungsbeiträge zu erheben (§§ 127 ff. BauGB; vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1973, IV C 39.72, DVBl. 1974, 294), kann zwar durch die vertragliche Vereinbarung nicht abbedungen werden, doch wäre die Klägerin auch nach der Beitragsveranlagung zivilrechtlich weiter verpflichtet, den Käufern die (vollwertige) Gegenleistung für den geleisteten Kaufpreis zu verschaffen.

Aus dem Klagvorbringen ist indes nicht mit der erforderlichen Klarheit abzuleiten, dass die Klägerin endgültig Erschließungskosten in Höhe der Klageforderung (zusätzlich) aufzubringen oder zu tragen hatte.

Die Erschließung ist unstreitig durchgeführt worden. Die Klägerin hat nach Insolvenz der S GmbH damit einen - von ihr so bezeichneten - "neuen Erschließungsträger" beauftragt. Sie hat zwar vorgetragen, dass für die von diesem durchgeführten Erschließungsmaßnahmen "Kosten in Höhe der Klageforderung angefallen" sind, doch ergibt sich daraus noch nicht, dass diese Kosten - als Schaden - bei ihr, der Klägerin, entstanden bzw. (endgültig) "geblieben" sind. Die Klägerin ordnet die Verträge mit der S GmbH und dem nachfolgend tätig gewordenen "Erschließungsträger" als Erschließungsverträge ein. Kennzeichnend für derartige Verträge ist, dass der Erschließungsunternehmer die Erschließungsmaßnahmen auf eigene Kosten durchführt; die Gemeinde hat damit nichts mehr zu tun (vgl. § 124 Abs. 2, S. 2 BauGB; vgl. Ernst, in: Ernst-Zinkhahn-Bielenberg, BauGB, 1999, § 124 Rnr. 4). Dem entspricht auch § 2 Satz 2 des Vertrages zwischen der Klägerin und der Firma S GmbH vom 07.06.1991. Aus dem Klagevorbringen sind keine substantiierten Angaben der Klägerin darüber zu entnehmen, dass sie gegenüber dem "neuen Erschließungsträger" Kosten in Höhe der Klageforderung getragen oder zu tragen hat. Ein Schaden der Klägerin ist damit nicht dargetan.

2.) Auch wenn angenommen wird, dass die Klägerin verpflichtet war, Erschließungsaufwendungen (jedenfalls) in Höhe der Klageforderung zu tragen bzw. dem "neuen Erschließungsträger" zu erstatten, wäre ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten unter dem Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung nicht begründet.

Zwar wäre der Anspruch noch nicht verjährt (unten a)), doch hat der Beklagte durch die vorzeitige Auszahlung des Kaufpreisanteils an die S GmbH keine Amtspflicht gegenüber der Klägerin verletzt (unten b)). Unabhängig davon steht dem Schadensersatzanspruch entgegen, dass der geltend gemachte Schaden durch die vorzeitige Auszahlung des Kaufpreises nicht adäquat kausal verursacht worden ist (unten c)).

Im einzelnen gilt folgendes:

a) Die Verjährungseinrede des Beklagten ist unbegründet. Die nach §§ 19 Abs. 1 BNotO, 852 BGB für den Verjährungsbeginn relevante Kenntnis erlangte die Klägerin nicht bereits 1991, sondern - frühestens - 1995. Zwar wurde der Klägerin der ihr zustehende Kaufpreisanteil (3,50 DM pro Quadratmeter) bereits im Juli 1991 ausgezahlt, doch musste die Klägerin daraus nicht ohne weiteres entnehmen, dass - bereits damals - auch der Anteil an die S GmbH ausbezahlt worden war. Spätere Schreiben der Klägerin vom 29.04. und 26.05.1992 und des Beklagten vom 08.05., 04.06.1992 und 18.03.1997 belegen, dass - jedenfalls - vor 1995 bei der Klägerin keine Kenntnis über die Auszahlung an die S GmbH vorhanden war. Die Klage ist damit in unverjährter Zeit rechtshängig geworden (§§ 209 Abs. 1 BGB, 253 Abs. 1, 270 Abs. 3 ZPO).

b) Der Beklagte hat den auf S GmbH entfallenden Kaufpreisanteil ausbezahlt, bevor die Auszahlungsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 3 des Kaufvertrages erfüllt waren. Zur Zeit der Auszahlung fehlten für die Eigentumsumschreibung auf die Käufer noch die Abschreibungsunterlage (Vermessung) und die Genehmigung nach §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 der Grundstücksverkehrsverordnung vom 15.12.1977, jetzt i. d. F. vom 20.12.1993 (BGBl. I., S. 2221). Mit dieser vorzeitigen Auszahlung hat der Beklagte objektiv seine Amtspflichten i. S. d. § 19 Abs. 2, 23, 24 BNotO verletzt.

Die Frage, ob die Kaufpreisauszahlung von einer entsprechenden Änderung der "Hinterlegungsvereinbarung" oder einer geänderten Auszahlungsanweisung des - entsprechend bevollmächtigten - Finanzdezernenten Starke gedeckt und damit nicht "pflichtwidrig" war, kann ebenso offen bleiben wie die (in der mündlichen Verhandlung erörterte) Frage, ob der Vertrag im Hinblick auf das Einverständnis der Grundstückskäufer mit der Auszahlung nachträglich geändert worden ist. Auch wenn - weiterhin - von einer (objektiv) pflichtwidrigen vorzeitigen Auszahlung des Kaufpreisanteils an die S GmbH ausgegangen wird, scheitert der Schadensersatzanspruch daran, dass damit keine der Klägerin gegenüber bestehende Amtspflicht verletzt worden ist.

Die Beachtung der (genannten) vertraglich vereinbarten Auszahlungsvoraussetzungen obliegt dem Beklagten als Amtspflicht nur den Käufern gegenüber. Diese haben ein Sicherungsinteresse daran, dass der auf das Anderkonto gezahlte Kaufpreis erst ausgekehrt wird, wenn der vertraglich bezweckte Erfolg erreicht werden kann. Demgegenüber besteht im Zusammenhang mit dem beurkundenden Grundstücksverkauf kein vergleichbares Sicherungsinteresse der Klägerin.

Der Vertrag vom 18.04.1991 sieht insofern (einerseits) die Auszahlung "an die Verkäuferin" bei Vorliegen der Auszahlungsvoraussetzungen (§ 2 Abs. 3) und (andererseits) die Auszahlung an die Firma S GmbH "mit der Weisung, hieraus die Primärerschließung zu begleichen" (§ 2 Abs. 4 Nr. 2) vor. Daraus ergibt sich allenfalls die Pflicht des Beklagten, die mit der Auszahlung verbundene Weisung an die S GmbH weiter zu geben - dies ist unstreitig erfolgt -, nicht aber auch die Pflicht - gegenüber der Klägerin - zur Beachtung der der Sicherung der Käufer dienenden sachlichen Auszahlungsvoraussetzungen.

Soweit ein Sicherungsinteresse der Klägerin in Betracht zu ziehen ist, folgt dieses nicht aus dem Grundstückskaufvertrag, sondern aus den durch den Vertrag zwischen ihr und der Firma S GmbH vom 07.06.1991 geschaffenen Rechtsbeziehungen und (wirtschaftlichen) Risiken. Dieses Sicherungsinteresse ist im (vorher beurkundeten) Grundstückskaufvertrag nicht berücksichtigt worden. Der Vertrag enthält dazu keinerlei Bestimmungen; eine Grundlage für treuhänderisch der Klägerin gegenüber wahrzunehmende Amtspflichten des Beklagten bei der Auszahlung des Kaufpreises fehlt damit. Im übrigen wären Pflichten des Beklagten, die aus dem (späteren) - nicht beurkundeten - Vertrag zwischen der Klägerin und der S GmbH abgeleitet werden, keine Amtspflichten i. S. d. §§ 19 Abs. 1, 23, 24 BNotO.

Soweit die Vertragsbeteiligten bei Abschluss des Grundstückskaufvertrages bereits davon ausgegangen sind, dass die Erschließung durch den "Erschließungsträger", der einen Kaufpreisanteil erhalten soll, durchzuführen sein wird, haben sie ein insoweit in Betracht zu ziehendes Sicherungsinteresse der Klägerin im Vertrag nicht geregelt. Insbesondere sind dazu keine besonderen (speziellen) Auszahlungsvoraussetzungen bestimmt worden. Die im Interesse der Käufer vereinbarten Auszahlungsvoraussetzungen (§ 2 Abs. 3 des Vertrages) betreffen das Sicherungsinteresse der Klägerin nicht. Ein der Klägerin gegenüber bestehendes treuhänderisches Pflichtenprogramm des Beklagten fehlt damit.

c) Selbst wenn man - unabhängig davon - annehmen wollte, dass der Beklagte auch gegenüber der Klägerin ("ungeschriebenen") Treuhandbindungen unterlag und somit Amtspflichten zu beachten hatte, weil er das Interesse der Klägerin daran, dass die Durchführung der Primärerschließung gesichert ist, (u. a. im Hinblick auf § 1 Abs. 3 des Vertrages) ohne weiteres erkennen konnte, steht der Klägerin kein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu.

Im Hinblick auf die "ungeschriebenen" Treuhandbindungen des Beklagten gegenüber der Klägerin ist fraglich, ob die unter Verstoß gegen § 2 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages erfolgte Kaufpreisauszahlung auch gegenüber der Klägerin (amts-) pflichtwidrig war. Die direkte Auszahlung an die S GmbH war - als solche - im Vertrag vorgesehen; sie diente der Finanzierung von Baumaßnahmen der "Erschließungsträgerin" und konnte damit von anderen Kriterien abhängig sein als den in § 2 Abs. 3 des Vertrages genannten. Die Klägerin hätte durch klare Weisungen ihrem Interesse an einer verlässlichen Durchführung der "Primärerschließung" Geltung verschaffen können.

Unabhängig davon scheitert der Schadensersatzanspruch an der fehlenden adäquaten Kausalität der erfolgten Auszahlung für den geltend gemachten Schaden.

Zwar führte die Auszahlung - unzweifelhaft - dazu, dass die S GmbH in den Besitz des Geldes kam, doch trat hier ein (unterstellter, s. o. 1) Schaden der Klägerin infolge der Nichtdurchführung der Erschließungsarbeiten durch diese Firma und ihre spätere Insolvenz ein. Die Vornahme von Erschließungsarbeiten - (jedenfalls) im Gegenwert des streitigen Kaufpreisanteils - wäre zwischen der Auszahlung des Kaufpreisanteils an die S GmbH (Juli 1991) und dem Konkursantrag (1992) möglich gewesen; dies belegt auch der in § 1 des Vertrages mit der S GmbH vom 07.06.1991 vereinbarte Fertigstellungstermin (31.10.1991). Der Umstand, dass dies unterblieb, steht mit der Kaufpreisauszahlung ebensowenig in einem ersichtlichen Zusammenhang, wie der bereits am 09.10.1991 erfolgte Rücktritt der Klägerin von dem mit der S GmbH geschlossenen Vertrag; der Beklagte erhielt davon i. ü. erst Ende April 1992 Kenntnis.

Einer Verletzung notarieller Amtspflichten sind überdies nur solche Schadensfolgen adäquat kausal zuzurechnen, die den durch die Amtspflicht geschützten Interessen der Vertragsbeteiligten zuzuordnen sind.

Soweit als Schaden der Klägerin die endgültige Belastung mit Erschließungsaufwendungen in Höhe der Klageforderung in Betracht gezogen wird (s. o. 2., vor a)), ist diese bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise nicht darauf zurückzuführen, dass der Beklagte den Kaufpreisanteil auszahlte, bevor die Voraussetzungen für die Umschreibung des Kaufgrundstücks auf die Käufer vorlagen. Vielmehr hat sich mit dieser (angenommenen) Belastung der Klägerin ein Risiko verwirklicht, das unmittelbar mit dem Vertrag zwischen der Klägerin und der S GmbH vom 07.06.1991 verbunden war, nicht aber ein solches aus einer vorzeitigen Kaufpreisauszahlung. Eine (angenommene) Amtspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin, den auf das Anderkonto eingezahlten Kaufpreis (frühestens) bei Vorliegen der in § 2 Abs. 3 des Vertrages bestimmten Voraussetzungen an die S GmbH auszukehren, ist nicht dazu bestimmt, vor Gefahren zu schützen, die ihre Ursache nicht im Kaufvertrag oder dessen Abwicklung, sondern in dem (selbständigen) Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der S GmbH haben. Die vorzeitige Kaufpreisauszahlung hatte weder auf die Erfüllung des Vertrages vom 07.06.1991 noch auf die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit der S GmbH gefahrerhöhende Wirkungen.

Der Hinweis der Klägerin darauf, dass der geltend gemachte Schaden vermieden worden wäre, wenn der Beklagte den Kaufpreisanteil - gemäß § 2 Abs. 3 des Vertrages - nicht vor Vorliegen der Grundstücksverkehrsgenehmigung vom 29.03.1996 ausgezahlt hätte, trifft im Hinblick auf die bereits 1992 eingetretene Insolvenz der S GmbH zu. Für die Haftung des Beklagten gegenüber der Klägerin ist damit indes nichts gewonnen. Abgesehen davon, dass die Klägerin ihrem Hinweis stillschweigend die - rechtlich nicht tragfähige - Annahme zugrundelegt, dass die Treuhandbindung des Beklagten ihr gegenüber ebenso nach § 2 Abs. 3 des Kaufvertrages zu bestimmen ist wie den Käufern gegenüber, ist der geltend gemachte Schaden der Klägerin auf die Nichterfüllung und anschließende Insolvenz ihrer Vertragspartnerin und nicht auf die vorzeitige Kaufpreisauszahlung zurückzuführen.

Das erstinstanzliche klagstattgebende Urteil ist nach alledem zu ändern; die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Wert der Beschwer wurde gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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