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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 03.02.2005
Aktenzeichen: 12 UF 20/05
Rechtsgebiete: HKÜ


Vorschriften:

HKÜ Art. 13 S. 2
I. Ein sieben Jahre altes Kind besitzt noch nicht die erforderliche Reife für eine verantwortungsbewusste Entscheidung gegen eine beantragte Rückführung von Deutschland nach Australien im Sinn des § 13 S. 2 HKÜ.

II. Die mit einer Rückgabe stets verbundenen Schwierigkeiten wie Wechsel der Bezugsperson, weite Entfernung des Heimatstaates, Wechsel von Kindergarten, Schule u.s.w. vermögen die Anwendung von Art. 13 Absatz 1 HKÜ als Ausnahmetatbestand grundsätzlich nicht zu rechtfertigen.


12 UF 20/05

Beschluß

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 03. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Schleswig vom 26. Januar 2005 - Az.: 91 F 228/04 - wird als unbegründet zurückgewiesen.

II. Die Gegenvorstellungen des Antragsgegners gegen den Senatsbeschluß vom 01. Februar 2005 werden zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.

I. Formularbeginn Gründe:

I.

Auf Antrag der Antragstellerin hat das Familiengericht durch den angefochtenen Beschluß u. a. die Herausgabe des Kindes A. K. , geboren am 26. April 1997 an den Antragsteller zum Zwecke der sofortigen Rückführung des Kindes nach Australien und durch weiteren Beschluß vom 01. Februar 2005 die sofortige Vollziehbarkeit dieser Entscheidung angeordnet.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den angefochtenen Beschluß Bezug genommen.

Gegen die dem Antragsgegner am 27. Januar 2005 zugestellte Entscheidung hat dieser mit Schriftsatz vom 01. Februar 2005 sofortige Beschwerde eingelegt. Hinsichtlich der Begründung im einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 01. Februar 2005 (Bl. 61-63 d.A.) Bezug genommen.

Der Antragsgegner begründet seine Beschwerde im wesentlichen damit, daß ein Fall des Art. 13 Abs. 1 S. 1 b und S. 2 HKÜ vorliege, daß nämlich die Rückführung des Kinder für dessen Psyche gefährlich sei und daß dem Willen des Kindes nicht ausreichend Rechnung getragen worden sei.

Der Antragsgegner beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Rückführungsantrages der Antragstellerin.

II. Die statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig.

Gemäß § 8 Abs. 2 des Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetzes (SorgeRÜbkAG) vom 05.04.1990, das das Haager Übereinkommen vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) ergänzt, findet gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 22 FGG statt. Diese wurde innerhalb der 2-Wochen-Frist gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 FGG eingelegt.

Das Amtsgericht -- Familiengericht -- Schleswig und das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht als Beschwerdegericht sind für die Entscheidung über das Herausgabeverlangen international, örtlich und sachlich zuständig, §§ 5, 6 SorgeRÜbkAG.

Die sofortige Beschwerde ist aber unbegründet.

Das Amtsgericht hat zu Recht die Rückführung des Kindes angeordnet.

Die Rechtsgrundlagen für das Rückgabeverlangen folgen aus dem gemäß § 12 SorgeRÜbkAG vorrangigen HKÜ, wobei das Übereinkommen für die Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu Australien am 01.12.1990 in Kraft getreten ist.

Wie das Amtsgericht bereits zutreffend festgestellt hat, sind die Voraussetzungen für eine Anordnung des Kindesherausgabe gemäß Art. 12 HKÜ erfüllt, indem der Antragsgegner das Kind nach einem am 20. November 2003 angetretenen Urlaubsaufenthalt in Deutschland nicht wieder nach Australien zurückgebracht und damit widerrechtlich im Sinne des Art. 3 HKÜ in Deutschland zurückgehalten hat. Dabei ist unerheblich, ob zwischen den Parteien bereits bei Beginn der Reise der genaue Rückgabetermin für den 05. Februar 2004 vereinbart worden war, da die Mutter ihre Zustimmung nur zu einem besuchsweisen Aufenthalt des Kindes in Deutschland erteilt hatte und jedenfalls am 14. Januar 2004 unmißverständlich auf der Rückkehr des Kindes bis zum 05. Februar 2004 nach Australien bestanden hat. Zu diesem Zeitpunkt übte die Antragstellerin mit dem Antragsgegner auch tatsächlich die gemeinsame elterliche Sorge aus, da jedenfalls ein regelmäßiger Umgang des Kindes mit der Mutter im Rahmen des gemeinsamen Sorgerechts stattfand. Dabei ist unerheblich, ob sich A. tatsächlich häufiger beim Vater aufgehalten hat als bei der Mutter.

Seit dem Zurückhalten des Kindes ab dem 05. Februar 2004 bis zur Antragstellung auf Rückführung Ende Juni 2004 beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ist kein Jahr vergangen, Art. 12 S. 1 HKÜ.

Der Rückführung des Kindes steht auch nicht Art. 13 Abs. 1 S. 1 b HKÜ entgegen. Hiernach ist das Gericht nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe widersetzt, nachweist, daß die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Dies ist nur bei besonders schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Kindeswohls, die über die mit einer Rücküberstellung gewöhnlich verbundenen Schwierigkeiten hinausgehen, der Fall (BVerfG FamRZ 1996, 405 f.; FamRZ 1999, 641 f.).

Solch schwerwiegende Gefahren im Sinne des HKÜ sind nach Auffassung des Senats in dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt nach dem Vortrag des insoweit beweisbelasteten Vaters und auch nach der Aktenlage nicht erkennbar.

Das HKÜ dient dem Ziel, die Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes ins Ausland abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sicherzustellen. Dem so verstandenen Schutz des Kindes würde die Berücksichtigung der zwangsläufig mit jeder Rücküberstellung verbundenen Belastungen für das Kind im Rahmen der Folgenabwägung widersprechen. Sie könnte darüber hinaus dazu führen, zunächst geschaffenen vollendeten Tatsachen von vornherein ein Übergewicht zu geben (Bundesverfassungs-gericht, FamRZ 1996, 405). Es ist daher eine enge Auslegung geboten, in der nicht alleine das Wohl des Kindes von überragender Bedeutung ist, sondern vor allem und zuvörderst das schnelle Rückgängigmachen und das Verhindern widerrechtlicher Selbsthilfe durch Entführen und Zurückhalten von Kindern. Über das Wohl des Kindes soll das Gericht am bis dahin gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes entscheiden (KG, FamRZ 1997, 1098, 1099). Aus diesem Grunde ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, welche Regelung der elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes am besten entspräche, das heißt, daß die Rollen der beiden Elternteile und die Beziehungen der beiden Elternteile zu den Kindern vor der Trennung und in der Zukunft nicht entscheidungserheblich sind (OLG München, FamRZ 1994, 1338/1339). Es kommt somit für die Entscheidung nicht darauf an, wer in der Vergangenheit die Hauptbezugsperson gewesen ist und wie die Betreuung in Australien gewährleistet wurde oder wird. Vielmehr ist zu fragen, ob eine schwerwiegende Gefährdung des Kindes durch die Rückführung und einen Aufenthalt bei der Mutter eintritt (Senatsbeschluß vom 03.12.2003 - 12 UF 184/03 - nicht veröffentlicht; OLG München, DAVorm 2000, 1157-1160; OLG Bamberg, FamRZ 1994, 183).

Der Antragsgegner hat nicht nachgewiesen, daß die Rückgabe im Sinne des Art. 13 Abs. 1 S. 1 b HKÜ, 3. Variante -- unzumutbare Lage auf andere Weise -- mit einer schwerwiegenden Gefahr eines seelischen Schadens für das Kind verbunden ist. Zwar "signalisierte" A. nach dem Bericht des Jugendamtes des Kreises P. vom 01.Februar 2005 (Bl. 64, 65), auf Helgoland bleiben zu wollen, weil sie sich dort wohlfühle, ihre Großeltern möge, viele Freunde habe und beim Vater bleiben zu wollen. Auch spricht die von dem Arzt X. abgegebene Stellungnahme (Bl. 23) ebenfalls dafür, daß A. lieber auf Helgoland bleiben möchte, weil sie sich dort wohlfühle und viele Freunde habe, während sie am neuen Wohnort der Mutter in Australien niemanden kenne. Andererseits mache sie der fehlende Kontakt zu ihrer bei der Mutter lebenden Schwester M. traurig. Dies sind aber keine Umstände i. S. v. Art. 13 HKÜ. Es sind keinerlei Anzeichen für eine schwerwiegende Gefahr eines seelischen Schadens für das Kind durch die Rückführung zur Mutter ersichtlich. Der Arzt X. hat vielmehr angegeben, daß A. - sogar unter dem Eindruck der drohenden Rückführung - einen selbstbewußten, unbeschwerten Eindruck vermittelt habe. Auch spricht gegen das tatsächliche Vorliegen konkreter schwerwiegender Gefahren eines seelischen Schadens für das Kind, daß der Antragsgegner noch am 22. Dezember 2004 der Rückführung des Kindes zugestimmt hatte. Dies läßt sich nicht mit seiner im Schriftsatz vom 16. Dezember 2004 geäußerten Sorge um eine ernstliche Gefährdung des Wohles seiner Tochter vereinbaren.

Im übrigen ist nicht zu verkennen, daß das Herausnehmen des Kindes aus seinem jetzigen Beziehungssystem natürlich eine Belastung des Kindes darstellt. Dies ist aber in solchen Verfahren immer der Fall. Die mit einer Rückgabe stets verbundenen Schwierigkeiten wie Wechsel der Bezugsperson, weite Entfernung des Heimatstaates, Wechsel des Sprachgebietes, Wechsel von Kindergarten, Schule usw. vermögen die Anwendung von Art. 13 Abs. 1 HKÜ als Ausnahmetatbestand grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (Senatsbeschluß v. 03.12.2003; Pfälzisches OLG Zweibrücken FamRZ 2001, 643-645).

Auch Art. 13 S. 2 HKÜ steht der Rückführung des Kindes nicht entgegen, da der Widerstand des Kindes bei der Entscheidung keine Berücksichtigung finden kann. Angesichts des Alters des Kindes von sieben Jahren ist der Senat davon überzeugt, daß das Kind die erforderliche Reife für eine verantwortungsbewußte Entscheidung hierüber noch nicht besitzt. Eine genaue Prüfung der Verhältnisse muß daher dem Herkunftsland im Rahmen eines eventuellen neuen Sorgerechtsverfahrens überlassen bleiben (vgl. Senatsbeschluß v. 03.12.2003; OLG München, DAVorm 2000, 1157-1160).

Da somit ein Ausnahmefall des Art. 13 HKÜ nicht vorliegt, hat das Amtsgericht zu Recht die Herausgabe des Kindes zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Australien angeordnet. Eine Anhörung des Kindes durch den Senat war entsprechend der Zielsetzung des Übereinkommens, für eine rasche Wiederherstellung des verletzten Sorgeverhältnisses zu sorgen, hier nicht veranlaßt, weil der Senat von der die Rückführung ablehnenden Haltung des Kindes ausgegangen ist, die Entscheidung der Bewertung des Vorderrichters folgt und keine neuen Tatsachen vorgebracht worden sind. Für das Familiengericht bestand ebenfalls kein Grund, das Kind anzuhören, zumal in der mündlichen Verhandlung am 22. Dezember 2004 sich beide Elternteile darüber einig waren, daß A. nach Australien zurückkehren sollte.

III.

Das als Gegenvorstellungen zu behandelnde Rechtsmittel des Antragsgegners gegen den Senatsbeschluß vom 01. Februar 2005 ist unbegründet. Der Beschluß vom 26. Januar 2005 war sofort vollziehbar, nachdem das Familiengericht dies mit Beschluß vom 01. Februar 2005 angeordnet hatte. Darauf, daß dieser Beschluß erst im Laufe des Versuchs, jenen Beschluß zu vollstrecken, ergangen ist, kommt es ebenso wenig an wie darauf, daß der Beschluß (noch)nicht förmlich zugestellt, sondern dem Prozeßbevollmächtigten des Antragsgegners per Telefax übermittelt worden ist. Entscheidend ist, daß zum Zeitpunkt der eigentlichen Vollziehung - Wegnahme des Kindes durch den Gerichtsvollzieher - die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden war und die Entscheidung dem Antragsgegner tatsächlich bekanntgegeben worden ist (§ 189 ZPO i. V. m. § 16 Abs. 2 S. 1 FGG).

Eine Anhörung des Kindes oder eine weitere Sachaufklärung waren aus den oben genannten Gründen und angesichts der klaren Aktenlage nicht geboten.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 94 Abs. 3 KostO, Art. 26 Abs. 4 HKÜ, § 13 a Abs. 1 FGG. Die Voraussetzungen des § 131 Abs. 3 KostO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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