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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 04.09.2008
Aktenzeichen: 14 U 73/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 119 Abs. 1 S. 2
ZPO § 522 Abs. 2
1. Auch nach Vorlage der Berufungsbegründung ist für den Berufungsbeklagten die Beauftragung eines Rechtsanwalts jedenfalls in dem Fall, wo das Berufungsgericht unmittelbar nach Eingang der Berufungsbegründung darauf hingewiesen hat, dass es nach § 522 Abs. 2 ZPO vorzugehen beabsichtigt, grundsätzlich nicht notwendig und Prozesskostenhilfe daher nicht zu bewilligen.

2. Die Bestimmung in § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO beruht darauf, dass das Urteil der Vorinstanz eine Vermutung dafür begründet, dass die Verteidigung dieses Urteils durch denjenigen, der in der Vorinstanz obsiegt hat, hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist. Diese Vermutung kann jedoch in Ausnahmefällen nicht gerechtfertigt sein, in denen § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO daher auch keine Anwendung findet.


14 U 73/08

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 04. September 2008 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beklagte und Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Berufung des Klägers.

Die Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. Der Kläger hat gegen das klagabweisende Urteil fristgerecht Berufung eingelegt, die dem Beklagtenvertreter, der auch in erster Instanz Prozessbevollmächtigter der Beklagten war, zugestellt worden ist. Auf Antrag des Klägers hat der Senat am 30.Mai 2008 die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 30.Juni 2008 verlängert. Die Abschriften der Verfügung sind am 02. Juni 2008 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten abgesandt worden. Dieser hat mit Schriftsatz vom 31. Mai 2008 angezeigt, dass er die Beklagte auch in der Berufungsinstanz vertrete, und die Zurückweisung der Berufung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Nach Eingang der Berufungsbegründung am 01. Juli 2008 hat der Senat diese an die Beklagte übersandt, ihr aber keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt, sondern am 28. Juli 2008 einen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erlassen, in dem er darauf hingewiesen hat, dass er beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen und diesbezüglich eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen gesetzt. Mit Schriftsatz vom 13. August 2008 hat der Beklagtenvertreter sich die Gründe des Hinweisbeschlusses zu eigen gemacht. Er gehe im Übrigen davon aus, dass sich der die Möglichkeit zur Stellungnahme im Wesentlichen an den Kläger richte, damit dieser die Berufung gegebenenfalls zurücknehme. Der Kläger hat die Berufung mit Schriftsatz vom 01.September 2008 zurückgenommen.

II.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz ist zurückzuweisen, da die Verteidigung der Beklagten und Berufungsbeklagten nicht notwendig war.

1. Zwar ist nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Dies bedeutet aber nicht, dass Prozesskostenhilfe dem Gegner ausnahmslos in jedem Fall zu bewilligen ist. Die Bestimmung in § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO beruht darauf, dass das Urteil der Vorinstanz eine Vermutung dafür begründet, dass die Verteidigung dieses Urteils durch denjenigen, der in der Vorinstanz obsiegt hat, hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist. Diese Vermutung kann jedoch in Ausnahmefällen nicht gerechtfertigt sein, in denen § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO daher auch keine Anwendung findet (vgl. Zöller/Phillippi, ZPO, 26. Aufl., § 119 Rdnr. 56). Des Weiteren besteht nur die Vermutung dafür, dass die Verteidigung der angefochtenen Entscheidung als solche hinreichende Erfolgsaussicht bietet und nicht mutwillig ist, nicht aber dafür, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts in jeder Lage des Rechtsmittelverfahrens nicht mutwillig ist. (vgl. BGH NJW 1982, 446) Die Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Recht nicht in gleicher Weise verfolgen würde (Zöller-Philippi, ZPO, 26.Auflage, § 114 Rn.30) Es ist zwar anzunehmen, dass auch eine verständige Partei, die ihren Prozessbevollmächtigten selbst bezahlen muss, die zu ihren Gunsten ergangene erstinstanzliche Entscheidung verteidigt, insbesondere weil die Erfolgsaussicht der Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils grundsätzlich nicht verneint werden kann. Jedoch wird sie einen Rechtsanwalt nicht einschalten, solange dies zur Wahrung ihrer Rechte offenkundig nicht notwendig ist.

2. Hier war die Beauftragung des Klägervertreters in der 2. Instanz aus Sicht einer verständigen, kostenbewussten Partei, auf die abzustellen ist, nicht notwendig.

a) Die Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, entsteht - von Ausnahmefällen abgesehen - noch nicht mit der Kenntnisnahme von der eingelegten Berufung, da in diesem Verfahrensstadium noch nicht einmal absehbar ist, ob die Berufung frist- und formgerecht begründet wird. Zu dem Zeitpunkt, als sich die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten für diese auch in der zweiten Instanz meldeten, war die Vertretung der Beklagten durch einen Rechtsanwalt daher nicht erforderlich.

b) Aber auch mit der Vorlage der Berufungsbegründung ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts jedenfalls in dem Fall, dass das Berufungsgericht unmittelbar nach Eingang der Berufungsbegründung darauf hingewiesen hat, dass es nach § 522 Abs. 2 ZPO vorzugehen beabsichtigt, grundsätzlich nicht notwendig und Prozesskostenhilfe daher nicht zu bewilligen (OLG Köln, MDR 2006, 947; OLG Nürnberg MDR 2004, 961; Zöller/Phillippi, a. a. O., § 119 Rdnr. 55). Dasselbe gilt aber grundsätzlich auch, solange das Berufungsgericht den Berufungsbeklagten noch nicht zur Erwiderung auf die Berufung auffordert, da in diesem Fall eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht besteht, dass das Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren wird. Solange dem Berufungsgegner noch keine Fristen gesetzt worden sind, muss daher ein Rechtsanwalt grundsätzlich noch nicht tätig werden. (vgl. OLG Celle, 13 U 141/07; OLG Celle, 4 U 94/07; jeweils zitiert nach juris; OLG Dresden, MDR 2007, 423; Musielak/Fischer, ZPO, 5. Aufl., § 119 Rdnr. 16; a.A. OLG Rostock, 6 U 71/04; zitiert nach juris; OLG Schleswig NJW-RR 2006, 1726; OLG Bran-denburg, MDR 2008,285)

c) Nach diesen Grundsätzen war es auch hier nach Übermittlung der Berufungsbegründung an die Beklagte noch nicht erforderlich, dass ihr erstinstanzlicher Bevollmächtigter auch in der Berufungsinstanz für sie tätig wurde. Weder zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung noch zu einem späteren Zeitpunkt hat der Senat die Beklagte zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung aufgefordert. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten meldete sich nach seiner Vertretungsanzeige mit dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung auch tatsächlich erst wieder nach Erhalt des Hinweises nach § 522 Abs.2 ZPO - wobei allerdings zu diesem Zeitpunkt dies ersichtlich nicht notwendig war, da der Senat bereits mit ausführlicher Begründung darauf hingewiesen hatte, dass er die Berufung für aussichtslos halte, weshalb der Beklagtenvertreter auch keine eigene Stellungnahme abgegeben, sondern sich lediglich die Begründung des Senats zu eigen gemacht hat. Die Berufung ist schließlich auch aufgrund des Hinweises des Senats zurückgenommen worden, ohne dass der Kläger nochmals Stellung genommen hat.

3.

a) Der Auffassung, dass Prozesskostenhilfe in einem Fall wie dem vorliegenden nicht zu bewilligen ist, steht auch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Oktober 2003 (NJW 2004, 73) entgegen, dass dann, wenn der Berufungsbeklagte nach Begründung des Rechtsmittels und vor einer Entscheidung des Gerichts über dessen mögliche Zurückweisung durch Beschluss einen Sachantrag stellt, die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung i. S. v. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen sind. Der Bundesgerichtshof hat dies damit begründet, dass der Berufungsbeklagte nach Begründung des Rechtsmittels ein berechtigtes Interesse daran habe, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine vom Berufungsgericht beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch zusätzliche Argumente zu fördern. Denn an einer Entscheidung im Beschlusswege habe der Berufungsbeklagte nicht nur wegen der damit regelmäßig verbundenen Beschleunigung, sondern auch wegen der durch § 522 Abs. 3 ZPO angeordneten Unanfechtbarkeit ein besonderes Interesse.

Die vorstehenden Argumente können nämlich nicht auf die Frage der Notwendigkeit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe i. S. v. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO übertragen werden. ( so aber OLG Schleswig NJW-RR 2006, 1726 ) Die im vorliegenden Fall entscheidende Frage ist - anders als im Fall des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ob auch eine vernünftige Partei, die die Kosten des Rechtsstreits selbst tragen müsste, bereits vor Aufforderung zur Berufungserwiderung und Entscheidung, ob nach § 522 Abs. 2 ZPO vorgegangen wird, einen Rechtsanwalt beauftragen würde. (OLG Celle, 13 U 141/07, zitiert nach juris) Für die Notwendigkeit im Sinne des § 91 Abs.1 ZPO sind weniger strenge Maßstäbe als bei der Beurteilung der Frage Mutwilligkeit im Sinne des § 114 ZPO anzulegen. (vgl. BGH NJW 2003,1324 )

b) Dass Art. 3 Abs.1 GG i.V.m. Art. 20 Abs.3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet, steht dem nicht entgegen (so aber OLG Rostock a.a.O., OLG Brandenburg a.a.O.).

Denn ein Anspruch auf völlige gebührenrechtliche Gleichbehandlung besteht gerade nicht (BGH NJW-RR 2007,1439; Musielak/Fischer, ZPO, 5. Aufl., § 119 Rdnr. 16).

Wenn durch das Abwarten mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts in der Berufungsinstanz bis zu dem Zeitpunkt, zu dem zur Berufungserwiderung aufgefordert wird oder zu dem zumindest Zweifel begründet sind, ob das Gericht einen Hinweis nach § 522 Abs.2 ZPO erteilen wird, dem Berufungsgegner in einem Fall, der keine Besonderheiten aufweist, keine Nachteile entstehen und eine kostenbewusste Partei daher - nach einem entsprechenden Hinweis ihres Rechtsanwalts, zu dem der erstinstanzliche Bevollmächtigte aufgrund nachwirkender Fürsorgepflichten verpflichtet ist - auch abwarten wird, verstößt die Versagung von Prozesskostenhilfe nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz.

Der auf Prozesskostenhilfe angewiesenen Partei, die in erster Instanz obsiegt hat, gehen allein dadurch, dass sie zunächst abwarten muss, ob das Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 ZPO vorgeht, keine Rechte verloren.

Soweit diesbezüglich argumentiert wird, der bedürftigen Partei dürfe ihr Einflussrecht auf den Prozess nicht genommen werden (vgl. OLG Rostock a.a.O.) überzeugt dies nicht. Wird die Berufung wie im vorliegenden Fall auf das bisherige tatsächliche Vorbringen gestützt, ist die Möglichkeit zur Einflussnahme für den Berufungsgegner als gering anzusehen. Das Berufungsgericht hat in diesem Fall vor allem zu überprüfen, ob die rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts und dessen Würdigung zutreffend sind. Dabei kann und wird es auch die in erster Instanz gemachten Ausführungen des Berufungsbeklagten berücksichtigen. (OLG Celle, 13 U 141/07, zitiert nach juris) Hat das Berufungsgericht auf die Berufungserwiderung nicht Termin anberaumt und auch keine Stellungnahmefrist gesetzt, so weist diese Vorgehensweise darauf hin, dass es nach § 522 ZPO verfahren wird und eine Stellungnahme des Berufungsgegners nicht für erforderlich hält. Zusätzlicher Argumente des Berufungsgegners, um das Gericht zu veranlassen, einen Hinweis nach § 522 ZPO zu erteilen, bedarf es in diesem Verfahrensstadium nicht.

Wenn die Berufung indes mit neuen Tatsachen begründet wird, die erheblich sein könnten, ergeht eine Aufforderung an den Berufungsgegner, sich zu der Begründung zu äußern. Erst dann besteht für die in erster Instanz siegreiche Partei Veranlassung, einen Rechtsanwalt für das Berufungsverfahren zu beauftragen mit der Folge, dass Prozesskostenhilfe ab diesem Zeitpunkt zu bewilligen ist. Es bleibt dann auch immer noch genug Zeit und Gelegenheit, auf das Berufungsverfahren Einfluss zu nehmen. (vgl. OLG Celle, 4 U 94/07; OLG Celle, 13 U 141/07, zitiert nach juris). In Ausnahmefällen kann die Vertretung durch einen Rechtsanwalt im Berufungsverfahren allerdings schon zu einem früheren Zeitpunkt notwendig sein, etwa wenn über eilbedürftige Vollstreckungsschutzanträge zu entscheiden ist oder der Berufungsgegner in erster Instanz nicht anwaltlich vertreten war. Auch wenn ein besonderes Interesse daran besteht, auf eine Entscheidung im Verfahren nach § 522 Abs.2 ZPO hinzuwirken, etwa weil die Berufung ersichtlich nur zur Verzögerung der Durchsetzung berechtigter Ansprüche des Berufungsgegners eingelegt worden ist mag im Einzelfall die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts bereits in einem früheren Stadium auch aus Sicht kostenbewussten verständigen Partei notwendig sein. Solche besonderen Umstände liegen hier aber nicht vor. Der Antrag des Klägers auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gebot hier nicht die Einschaltung eines Rechtsanwalts auf Seiten der Beklagten, da bezüglich dieses Antrages ersichtlich keine kurzfristige Entscheidung zu treffen war. Der Rechtsanwalt der Beklagten, der sich überdies auch bereits vor Stellung dieses Antrages für die Beklagte gemeldet hat, hat sich zu diesem Antrag auch nicht geäußert.

Nach alledem war Prozesskostenhilfe zu versagen.

Ende der Entscheidung

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