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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 15 UF 104/08
Rechtsgebiete: GG, BGB, SGB VIII


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2
BGB § 1632 Abs. 1
BGB § 1632 Abs. 4
BGB § 1666
SGB VIII § 27
1. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der Kindesinteressen des bei Pflegeeltern untergebrachten Kindes und des Elternrechts der leiblichen Eltern muss auch für die Prüfung einer Verbleibensanordnung nach § 1632 IV BGB das Wohl des Kindes bestimmend sein.

2. Die Prüfung der Herausgabevoraussetzungen (Herausgabe des Kindes von den Pflegeeltern an die leibliche Mutter) erfordert eine ganzheitliche Betrachtung des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung der Bindungstheorie und der Tiefenpsychologie sowie der familiären, beruflichen, sozialen und gesundheitlichen Situation der leiblichen Mutter.


15 UF 104/08

Beschluss

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 2. April 2009 beschlossen:

Tenor:

I. Die Beschwerden des Jugendamtes des Kreises Rendsburg Eckernförde und der Pflegeeltern gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Eckernförde vom 18. Juli 2008 werden zurückgewiesen.

II. Die Herausgabe des Kindes E an die Kindesmutter wird angeordnet.

III. Gerichtskosten einschließlich Gerichtsauslagen werden für beide Rechtszüge nicht erhoben.

Ihre jeweiligen außergerichtlichen Auslagen in beiden Rechtszügen haben die Kindesmutter, die Pflegeeltern und das Jugendamt jeweils selbst zu tragen.

Der Gegenstandswert beträgt 6.000,00 €.

Gründe:

A.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen mit folgenden Ergänzungen:

Die Kindesmutter wurde am 11.1.1979 geboren. Nach ihrem Realschulabschluss absolvierte sie eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin und erlernte anschließend den Beruf der Altenpflegerin. Nach einem Anerkennungsjahr im P-Heim in Kiel im Jahr 2000 arbeitete sie dort ein weiteres halbes Jahr. Im Sommer 2007 kehrte sie an ihre ehemalige Arbeitsstelle zurück und sie übt jetzt dort eine halbschichtige Tätigkeit als Altenpflegerin auf einer gerontopsychiatrischen Station aus. Zu ihrer Drogenvergangenheit hat sie angegeben, sie habe mit dem 13. Lebensjahr begonnen, zu "kiffen" und Alkohol zu trinken. Im Alter von 15/ 16 Jahren habe sie vor allem am Wochenende Ecstasy und Speed konsumiert. Ab 20 Jahren habe sie Benzodiazepine und Kokain, ab 2001 auch Heroin zu sich genommen, dies aber nur geschnupft, nicht gespritzt. 2004 bis 2006 sei der Konsum intensiver geworden. Sie habe im Grunde genommen alles ausprobiert. Sie habe bestimmt 10 Entgiftungen hinter sich. Nachdem sie mit E schwanger geworden sei, sei sie in ein Methadonprogramm aufgenommen worden.

Die Kindesmutter war psychisch erkrankt. Schon als Kind litt sie an Verhaltensstörungen. Zurzeit leidet sie unter einer schizoaffektiven Störung, die aktuell unter laufender psychiatrischer Behandlung symptomfrei erscheint.

Das Amtsgericht hat zu den Fragen der Erziehungsfähigkeit und einer Umsetzung E's in den Haushalt der Kindesmutter Gutachten eingeholt. Wegen der Ergebnisse wird auf die Gutachten der Sachverständigen B vom 6.02.2008 (Bl. 61-85) und des Psychiaters D vom 3.03.2008 (Bl. 88-104) verwiesen.

In dem diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Beschluss hat das Amtsgericht die einstweiligen Anordnungen vom 13.02. und 30.03.2007 betreffend die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und dann der gesamten Personensorge aufgehoben und angeordnet, dass E bis zum 31. August 2008 im Haushalt der Pflegeeltern bleibt. In dem im Parallelverfahren 15 UF 105/08 angefochtenen Beschluss vom 18. Juli 2008 (8 F 416/07) hat das Amtsgericht unter Aufhebung der einstweiligen Anordnung vom 30. Juli 2007 (Umgang für die Kindesmutter alle 14 Tage für eine Stunde ab Kalenderwoche 33) erweiterte Umgangsregelungen getroffen und die Bestimmung der Einzelheiten der Umgangskontakte unter diesbezüglicher Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die damalige Verfahrenspflegerin übertragen.

Die Pflegeeltern machen mit ihrer Beschwerde geltend, aus der Tenorierung des angefochtenen Beschlusses ergebe sich zwar, dass das Gericht noch eine Schlussentscheidung fällen möchte. Es befriste den Verbleib des Kindes im Haushalt aber auf den 30.8.2008.

Es bestehe die Befürchtung, dass das Kind zur Unzeit aus seinen Bindungsverhältnissen gelöst werde. Dies ergebe sich auch aus dem den Pflegeeltern zur Kenntnis gebrachten und für sie nicht angreifbaren Beschluss vom gleichen Tage im Verfahren 8 F 416/07. Im Übrigen ergebe sich aus dem Beschluss, dass das Gericht offensichtlich für die Umsetzung des Kindes schon einen Zeitrahmen im Auge habe.

Eine Verletzung der Rechtsposition des Kindes ergebe sich aus der Missachtung des § 1632 Abs. 4 BGB durch die Sachverständige und in der Folge durch das Gericht. Dies ergebe sich bereits aus dem Schriftsatz vom 14.3.2008. Das Kind sei im Mutterleib körperlich misshandelt worden. Es sei am 31.1.2007 mit Methadonentzugserscheinungen geboren. Dieses sei das erste Trauma des Kindes. Als Folge der Suchterkrankung der Kindesmutter sei das Kind untergewichtig geboren und habe unmittelbar nach der Geburt nicht von der Person versorgt werden können, die es geboren habe. Es sei nach der Geburt im Krankenhaus verblieben, sei dort von ihnen besucht und im Alter von 3 Wochen in ihre Familie gegeben worden. Ihre Familie sei die erste liebevolle Erfahrung des Kindes. Ihre Familie sei die soziale Familie des Kindes. Das Familienumfeld der Kindesmutter habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Damit sei auch festgestellt, dass das Kind mit etlichen Lebensrisiken geboren sei: Entzugserscheinungen, Untergewicht, Sectio, soziale statt leibliche Elternschaft. Die Familienpflege i.S.d. § 1632 Abs. 4 BGB bestehe auch seit längerer Zeit.

Im vorliegenden Fall sei das Kind seinen leiblichen Eltern nicht entfremdet worden, denn das Kind sei zu keiner Zeit bei seiner Mutter gewesen. Wenn also die Sachverständige ein Kind E vorgefunden habe, das gut entwickelt und positiv in die Gesellschaft und das Leben hineingeführt worden sei, so sei dieses passiert, weil es in einer sozialen Elternschaft zu den Pflegeeltern gebunden sei, es lieb empfangen worden sei und dadurch eine normale Entwicklung genommen habe. Diesen Ist-Zustand habe die Sachverständige als selbstverständlich zur Kenntnis genommen, ohne ihn einer Bewertung zu unterziehen. Es gehe nicht um eine Rückführung des Kindes, sondern um eine Umsetzung und Zuführung. Die Umsetzung des Kindes in den Haushalt der Kindesmutter komme eher einem Wechsel der Pflegestelle gleich. Das Bundesverfassungsgericht habe indes, wenn ein Wechsel der Pflegestelle intendiert sei, hohe Anforderungen gestellt und nur, wenn eine Gefährdung mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, eine Herausnahme des Kindes aus einem Pflegeverhältnis zugelassen.

Das Kindeswohl erfordere es, bei einem Herausgabebegehren eine umfassende Gefährdungsprüfung durchzuführen. Es komme ausschließlich darauf an, ob zum Zeitpunkt der Geltendmachung eines Herausgabebegehrens eine Kindeswohlgefährdung bestehe. Das Gesetz stelle nicht auf den Zeitpunkt der Trennung von der Herkunftsfamilie, sondern auf die Wegnahme von der Pflegeperson ab. Es komme also darauf an, ob die beabsichtigte Rückführung bei dem Kind Schäden herbeiführen könne, ob die Herausnahme aus dem Pflegeverhältnis solche Schäden voraussichtlich mit sich bringe. Wenn dies festgestellt werde, gebe es keinen Ermessensspielraum. Erwägungen über das Kindeswohl habe das Gericht nicht angestellt.

Das Gutachten weise desaströse fachliche Fehler auf. Die Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht nicht einen der Kritikpunkte aufklären können. Sie habe sich weder mit Fragen der Bindungstheorie noch mit der Frage der Kindeswohlgefährdung noch mit der Frage der Umsetzung zur Unzeit auseinandergesetzt. Das Gutachten stelle weder die Lebenssituation des Kindes anlässlich seiner Geburt noch die Lebenssituation des Kindes heute dar. Es stelle nicht die emotionale Bedürfnislage des Kindes dar noch stelle das Sachverständigengutachten dar, wie die Kindesmutter sich auf die Umsetzung des Kindes zu ihr vorbereitet habe. Die Sachverständige sage nichts zu den konstitionellen Belastungen des Kindes und der Kindesmutter. Es sei auch nicht der Konflikt Mutter - Großeltern, welcher angeblich behoben sein solle, abgehandelt. Die Kindesmutter sei mit der Versorgung des Kindes überfordert. Eine Untersuchung, dass sie das Kind in ihrem Haushalt ohne jedwede Verletzung des Kindeswohls versorgen könne, sei nicht erfolgt. Es gehe nicht darum, der Kindesmutter ein Kind in die Hand zu geben, das neu geboren sei, sondern sie werde ein Kind an die Hand bekommen, dass bereits 1,6 Jahre alt sei und eine Sozialisation völlig außerhalb ihres Haushalts und ihrer Lebensbedingungen erfahren habe.

Der Beschwerde sei stattzugeben, weil die Rechtspositionen des Kindes rechtliches Gehör, Wahrnehmung seiner Person als Rechtssubjekt in dem Konflikt der Erwachsenen sowie Beachtung des Kindeswohls missachtet worden seien.

Das Kreisjugendamt macht mit seiner Beschwerde geltend, es handele sich um einen Fall notwendiger Verfahrenspflegschaft i.S.v. § 50 Abs. 2 FGG. Gleichwohl habe der Familienrichter eine Verfahrenspflegerin erst nach der zweiten mündlichen Verhandlung bestellt und diese nicht mehr angehört. Obendrein habe der Familienrichter die Verfahrenspflegerin auch noch durch den Beschluss im Parallelverfahren mit einer Umgangspflegschaft betraut, ohne dafür eine verfahrensrechtliche Rechtfertigung zu haben.

Darüber hinaus habe der Erstrichter die Beteiligten nicht angehört, sondern mit ihnen lediglich zweimal die Rechtslage erörtert. Soweit im angefochtenen Beschluss von einer Anhörung der Beteiligten die Rede sei, finde sich dazu in den Protokollen rein gar nichts. Darüber hinaus habe der Erstrichter angeordnet, dass das Kind nur noch bis zum 31.8.2008 im Haushalt der Pflegeeltern verbleiben solle, ohne zuvor geklärt zu haben, ob diese Anordnung sachlich zu rechtfertigen sei. Denn bis zum 31.8.2008 sollten die von der Sachverständigen völlig verfehlt als ausreichend angesehenen Besuchskontakte stattfinden, die dem Ziel dienten, Kind und Kindesmutter einander näher zu bringen. Bei dieser Regelung blieben die Interessen der Pflegeeltern und des Kindes vollständig auf der Strecke (Urlaub in Dänemark, Mutter/Kind-Kur).

Mangels Anhörung der Pflegeeltern sei dem Erstrichter verborgen geblieben, dass E seit längerer Zeit unter einem sich nicht lösenden Husten leide und die behandelnden Ärzte angeregt hätten, die Umgangskontakte aus gesundheitlichen Gründen auszusetzen, weil bei E der Verdacht einer asthmatischen Erkrankung bestehe.

Nach dem Gutachten des Sachverständigen D seien Rückfälle der Erkrankung der Kindesmutter in der Zukunft nicht ausgeschlossen, zumal die Kindesmutter nach eigenen Angaben bestimmt zehn Entgiftungen hinter sich habe. Der Sachverständige habe ferner darauf hingewiesen, dass von einer medizinischen Heilung überhaupt keine Rede sein könne. Offen geblieben sei, in welchen zeitlichen Abständen sich die Kindesmutter einer weiteren psychiatrischen Behandlung unterziehen müsse, damit der derzeitige Zustand aufrechterhalten bleibe, und ob sie das auch wirklich tue.

Die Sachverständige B ein Gutachten abgeliefert, das sie in dieser Form richtigerweise gar nicht verantworten könne.

In dem Beschluss des OLG Frankfurt FamRZ 2004, 720 gehe es um die Voraussetzungen einer Anordnung auf Verbleiben in der Pflegefamilie für ein Kind, das 18 Monate nach seiner Geburt ausschließlich bei den Pflegeeltern verbracht habe. In jenem Verfahren habe der Sachverständige ernste Bedenken gegen eine Herausnahme des Kindes erhoben und diese damit begründet, dass das Kind in seinen ersten 18 Lebensmonaten, in denen es von den Pflegeeltern betreut worden sei, zu diesen eine primäre Bindung aufgebaut habe. Nach den überzeugenden Ausführungen des vom Gericht eingeholten Gutachtens hätte die Herausnahme des Kindes aus seinem bisherigen Umfeld die Folge einer schwerwiegenden Traumatisierung mit nachhaltigen Störungen der weiteren Entwicklung. Dies könne unter den gegebenen Umständen nur durch eine besonders kompetente Beziehungsperson überwunden werden mit überdurchschnittlicher Fähigkeit, die Situation eines so getrennten Kindes aufzufangen. Genau in diesem Bereich aber liege die Kompetenz der Mutter, bedingt durch ihre eigene Biografie, nicht.

Ähnlich wie in dem oben genannten Fall des OLG Frankfurt lägen die Dinge hier. Dies ergebe sich aus der "Drogenkarriere" der Mutter. Es könne nicht die Rede davon sein, dass die Schwangerschaft für sie ein "Wendepunkt" gewesen sei. Denn noch während der Schwangerschaft habe sie sich ablehnend gegenüber dem Kind geäußert, eine ablehnende Haltung gegenüber der Schwangerschaft eingenommen und weiterhin Drogen genommen, obgleich ihr habe klar sein müssen, dass E den Drogenkonsum "mitmachen" müsse. Vor diesem Hintergrund frage man sich vergeblich, wie die Sachverständige es verantworten möchte, E schlicht innerhalb weniger Wochen "umzugewöhnen" und zur Mutter zurückzuführen.

Nicht nur das Jugendamt, sondern auch die Pflegeeltern hätten erhebliche gravierende Bedenken gegen die Umsetzung des Kindes vorgetragen und der Sachverständigen vorgehalten. Im Verhandlungsprotokoll vom 4.6.2008 finde sich lediglich der Vermerk, dass die Befragung der Sachverständigen 1 3/4 Stunden gedauert habe und dass im Ergebnis die vom Jugendamt und den Pflegeeltern geäußerte Kritik am Gutachten aufrechterhalten geblieben sei.

Es gehe nicht, die Beschlüsse vom 13.2 und 30.3.2007 aufzuheben und mit der Umsetzung des Kindes fortzufahren. Der Erstrichter habe auch verkannt, dass zwischen den Interessen der Kindesmutter und denen der Pflegeeltern abzuwägen sei im Hinblick auf das Kindeswohl von E. Zwar möge es sein, dass unabhängig von der Art ihres Zustandekommens in Übereinstimmung mit dem Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 GG anzustreben sei, Pflegeverhältnisse nicht so zu verfestigen, dass die leiblichen Eltern mit der Wegnahme in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie befürchten müssten. Jedoch könne allein die Dauer des Pflegeverhältnisses zu einer Verbleibensanordnung nach § 1632 BGB führen, wenn eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes bei seiner Herausgabe an die leiblichen Eltern zu erwarten sei. Genau das sei hier der Fall. Als Folge eines länger andauernden Pflegeverhältnisses könne nämlich zwischen dem Kind und seinen Pflegeeltern eine gewachsene Bindung entstanden sein. Unter dieser Voraussetzung sei auch die zwischen dem Kind und den Pflegeeltern bestehende Pflegefamilie jedenfalls durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt.

Der Erstrichter habe diese Umstände vollständig verkannt. E sei von ihrer 3. Lebenswoche an durchgehend bei den Pflegeeltern gewesen. Die Pflegemutter sei die primäre Bezugsperson von E. Das Kindeswohl erfordere deshalb, eine umfassende Gefährdungsprüfung durchzuführen, wie sie gerade im Gutachten der Sachverständigen B fehle.

Die Kindesmutter erwidert, sie sei seit der Kenntnis der Schwangerschaft ohne Beigebrauch substituiert. Sie sei bis heute drogenabstinent trotz der enormen psychischen Belastung, die dieses Verfahren für sie bedeute. Sie habe sich vier Tage nach der Geburt selbst aus dem Krankenhaus entlassen, sei aber in den folgenden 14 Tagen täglich ins Krankenhaus gefahren, um ihre Tochter zu versorgen. Das sei die erste liebevolle Erfahrung, die E gemacht habe. Nach einem ebenfalls krankheitsbedingten Vorfall auf der Station sei sie dort mit Handschellen weggebracht worden. In den folgenden Wochen habe sie erfahren müssen, dass sie durch das Jugendamt keinerlei Unterstützung erhalte. Ihr wurde jeglicher Kontakt zu E untersagt. Sie habe ein regelmäßiges Umgangsrecht vor Gericht erstreiten müssen. Beim Gespräch am 10. Mai 2007 in der psychiatrischen Klinik in Eckernförde habe das Jugendamt unmissverständlich deutlich gemacht, dass nach seiner Auffassung E in der Pflegefamilie bleiben und unter keinen Umständen in ihrem Haushalt leben solle. Bis heute habe das Jugendamt keinen Kontakt zu ihr aufgenommen.

Die formellen Bedenken gegen den Einsatz der Verfahrenspflegerin würden nicht geteilt. Die Verfahrenspflegerin sei im Zeitpunkt bestellt worden, als sie benötigt worden sei. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Pflegeeltern habe den Einsatz einer Verfahrenspflegerin notwendig gemacht.

Die Pflegeeltern betrachteten E ganz offensichtlich als ihr Kind, das sie "behalten" wollten. Herr P habe der Verfahrenspflegerin erklärt, sie könne E gleich ganz mitnehmen, wenn sie sie zum Umgangsbesuch abhole. Es werde deutlich, dass die Pflegeeltern nicht unbedingt nur die Interessen von E, sondern auch ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellten. Die Sachverständige habe unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Umsetzung E nicht schade. Dies könnten die Pflegeeltern nicht akzeptieren; sie seien mit der Situation überfordert. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht sei Frau P wegen der psychischen Belastung nicht in der Lage gewesen, eine Stellungnahme abzugeben. Bei dem ersten Umgangskontakt nach dieser mündlichen Verhandlung habe Frau P sich nicht loyal verhalten, sondern sich darüber ereifert, dass der Großvater seine Tochter begleite. Die Sachverständige habe ausgeführt, dass das Verbleiben E's in der Pflegefamilie einen Dauerkonflikt auslöse, der dem Kindeswohl schade.

Sie kämpfe seit 1 1/2 Jahren um ihre Tochter und werde ihren Kampf nicht aufgeben. Sie sei gesund, psychisch stabil und trotz der schwierigen Monate, die hinter ihr lägen, nicht rückfällig geworden. Sie sei berufstätig und meistere ihren Alltag ohne jeglichen Tadel. Sie könne nicht akzeptieren, warum sie ihre Tochter nicht betreuen und versorgen solle. Wie könne es dem Wohl E's widersprechen, wenn sie bei ihrer Mutter aufwachse?

Der Senat hat für das Kind eine neue Verfahrenspflegerin bestellt und gleichzeitig durch Beschluss vom 10.10.2008 die Einholung eines schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen G zur Umsetzung von E, insbesondere unter Berücksichtigung von Bindungen, angeordnet. Er hat die Kindesmutter, die Pflegeeltern, die Mitarbeiterin des Jugendamtes Frau K sowie die beiden Verfahrenspflegerinnen B und S persönlich angehört sowie die Sachverständigen B und G ergänzend zu ihren schriftlichen Gutachten befragt.

B.

Die Beschwerden sind zulässig. Die Statthaftigkeit der Beschwerde des Jugendamtes folgt aus den §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, diejenige der Beschwerde der Pflegeeltern aus §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Den Pflegeeltern steht nur insoweit ein Beschwerderecht zu, als es um die bis zum 31. August 2008 befristete Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB geht. Aufgrund der ebenfalls am 18.07.2007 vom Amtsgericht im Verfahren 8 F 416/07 getroffenen Entscheidung zum Umgangsrecht der Kindesmutter mit E, die Gegenstand des hiesigen Beschwerdeverfahrens 15 UF 105/08 ist und der die vom Amtsgericht beabsichtigte Einleitung des Umsetzungsprozesses zur Kindesmutter zu entnehmen ist, ist davon auszugehen, dass es sich bei der Verbleibensanordnung in dem angefochtenen Beschluss um die Schlussentscheidung in der Hauptsache ohne Verlängerungsmöglichkeit handelt. Daraus folgt die Beschwerdeberechtigung der Pflegeeltern.

Die Beschwerden sind unbegründet. Das Amtsgericht hat zu Recht die Einschränkungen des Sorgerechts der Kindesmutter aufgehoben. Die Voraussetzungen für eine Verbleibensanordnung liegen nicht vor.

I.

Eine Kindeswohlgefährdung gemäß § 1666 BGB durch die Kindesmutter kann nicht mehr angenommen werden.

Das Gesetz macht mit der Unterscheidung von körperlichem, geistigem und seelischem Wohl des Kindes deutlich, dass es um einen umfassenden Schutz des in der Entwicklung befindlichen Kindes geht und nicht darum, bestimmte Bereiche elterlicher Fürsorge aus der staatlichen Kontrolle herauszunehmen (Palandt/Diederichsen, 68. Aufl., § 1666 BGB Rn. 9). Die begründete Besorgnis einer Gefährdung oder gar Schädigung entsteht in der Regel aus Vorfällen in der Vergangenheit. Bei drogensüchtigen Müttern wird zum Teil aus lange andauerndem und wiederholtem Versagen in der Vergangenheit die Besorgnis künftigen Versagens abgeleitet (vgl. Palandt a. a. O. Rn. 10 mwN).

Aufgrund des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen D vom 03.03.2008 (Bl. 88-104) im erstinstanzlichen Verfahren in Verbindung mit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen G vom 18.12.2008 (Sonderheft zur hiesigen Akte) einschließlich der von ihm ergänzend eingeholten Erklärungen des Sachverständigen D sowie des Chefarztes der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kreiskrankenhauses ..., P, und des Arztes K (Gutachten S. 29 - 30) sowie des Verhaltens der Kindesmutter seit Mitte 2007 hat der Senat keine Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter. Der Sachverständige D hat ausgeführt, das Risiko, dass die Mutter erneut drogenabhängig werden könnte und dass ihre schizoaffektive Störung Symptome zeige, z. B. dadurch, dass sie die laufende psychiatrische Behandlung abbreche, sei für die Zukunft nicht so wesentlich erhöht, dass eine Gefährdung für Mutter und Kind naheliegend scheine; die psychischen Störungen seien aufgrund der medikamentösen Behandlung kein Hinderungsgrund für eine Betreuung und Versorgung des Kindes durch die Kindesmutter (Gutachten des Sachverständigen G S. 29). P hat dem Sachverständigen G mitteilen lassen, die Kindesmutter sei bis zum 07.07.2008 regelmäßig zu den Untersuchungsterminen erschienen, ihre psychische Situation sei stabil, und die ambulante Behandlung sei jetzt an Herrn M abgegeben worden. Von diesem ist die Kindesmutter - da er kein Arzt ist und die Kindesmutter kein konkretes psychotherapeutisches Anliegen hatte - an den Allgemeinmediziner K verwiesen worden. Dieser hat bestätigt, dass die Kindesmutter ihre Dauermedikation von ihm verschrieben bekomme und nach seinen Kenntnissen verlässlich einnehme. Sie erscheine alle sechs bis acht Wochen in der Praxis.

Auch im familiären, beruflichen und sonstigen sozialen Umfeld ist der Kindesmutter nichts vorzuwerfen. Im Gegenteil: Die vom Sachverständigen G diesbezüglich Befragten haben sich alle positiv über die Kindesmutter geäußert. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten (S. 29 f.; 32 f.) verwiesen. Diese positive Entwicklung der Kindesmutter berechtigt nicht mehr zu Zweifeln an ihrer Erziehungsfähigkeit, denn diese Entwicklung ist konstant und stabil seit Mitte 2007 und damit seit fast zwei Jahren.

II.

Voraussetzungen für eine Einschränkung des Sorgerechts und eine Verlängerung der Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB liegen nicht vor.

1.

Die Herausgabe des Kindes an die Eltern darf nur dann versagt werden, wenn durch die Wegnahme von der Pflegeperson das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet würde. Nur unter dieser Voraussetzung hat die Verbleibensanordnung Vorrang. Das Herausgabeverlangen von Eltern scheitert deshalb nicht schon dann, wenn das Kind bei den Pflegeeltern gut versorgt wird oder diese auch sonst geeigneter erscheinen als die leiblichen Eltern. Das natürliche Vorrecht der Eltern braucht nur dann zurückzutreten, wenn die Aufenthaltsänderung bei dem Kind zu nicht unerheblichen körperlichen oder seelischen Schäden führt oder führen kann. Die ganze Regelung steht unter dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind verschiedene Abwägungen erforderlich, insbesondere die Kindesinteressen und das Elternrecht der leiblichen Eltern. Bei der Abwägung können im Einzelnen von Bedeutung sein der Anlass und die Dauer der Familienpflege. Auch die Entfremdung zwischen dem Kind und dem Elternteil, etwa weil sich die Mutter jahrelang nicht um ihr Kind gekümmert hat, kann Grund für eine Verbleibensanordnung sein. Ferner sind persönliche Defizite bei den leiblichen Eltern zu beachten. Gegenüber einem bloßen Wechsel der Pflegeeltern ist die Risikogrenze weniger weit zu ziehen als bei der Rückkehr zu den leiblichen Eltern (Palandt aaO § 1632 BGB Rn.15f mwN).

Bei der Prüfung einer Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB verlangt die Verfassung eine Auslegung der Regelung, die sowohl dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als auch der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung trägt. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung ist bei der Auslegung von gesetzlichen Regelungen im Bereich des Art. 6 Abs. 2 GG in gleicher Weise wie bei Entscheidungen des Gesetzgebers zu beachten, dass das Wohl des Kindes letztendlich bestimmend sein muss. Das Verhältnis des Elternrechts zum Persönlichkeitsrecht des Kindes wird durch die besondere Struktur des Elternrechts geprägt. Dieses ist wesentlich ein Recht im Interesse des Kindes, was sich schon aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ergibt, der vom Recht zur Pflege und Erziehung des Kindes spricht und auf diese Weise das Kindesinteresse in das Elternrecht einfügt. Es entspricht auch grundsätzlich dem Kindeswohl, wenn sich ein Kind in der Obhut seiner Eltern befindet; denn die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft gewährleistet am ehesten, dass das Kind zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit heranwächst [vgl. BVerfGE 56, 363 ff., 395]. Dieser Idealzustand ist aber nicht immer gegeben und liegt dann nicht vor, wenn Kinder in einer Pflegefamilie aufwachsen. Dabei kann die Begründung des Pflegeverhältnisses auf einem freiwilligen Entschluss der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils beruhen oder behördlich angeordnet sein. Unabhängig von der Art ihres Zustandekommens ist in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG anzustreben, Pflegeverhältnisse nicht so zu verfestigen, dass die leiblichen Eltern mit der Weggabe in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie befürchten müssen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.04.1987, BVerfGE 75, 201ff = NJW 1988, 125ff; juris-Veröffentlichung Rn 55f).

Wie schon zur Zeit der oben genannten Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht, so ist auch heute nach wie vor unbestritten, dass eine Trennung eines Kindes von seiner Bezugsperson eine erhebliche psychische Belastung für ein Kind darstellt, deren Bewältigung von seiner Persönlichkeitsstruktur und den Begleitumständen abhängt, unter denen sich der Wechsel vollzieht. Allgemein ist davon auszugehen, dass für ein Kind mit seiner Herausnahme aus der gewohnten Umwelt ein schwer bestimmbares Zukunftsrisiko verbunden ist. Die Unsicherheiten bei der Prognose dürfen zwar nicht dazu führen, dass bei der freiwilligen Begründung eines Pflegeverhältnisses oder einer Wegnahme des Kindes von seinen leiblichen Eltern mit anschließender Unterbringung in einer Pflegefamilie durch die Behörde die Zusammenführung von Kind und Eltern grundsätzlich dann ausgeschlossen ist, wenn das Kind seine "sozialen Eltern" gefunden hat. Bei der Abwägung zwischen Elternrecht und Kindeswohl im Rahmen von Entscheidungen nach § 1632 Abs. 4 BGB ist es von Bedeutung, ob das Kind wieder in seine Familie zurückkehren soll oder ob nur ein Wechsel der Pflegefamilie beabsichtigt ist. Danach bestimmt sich das Maß der Unsicherheit über mögliche Beeinträchtigungen des Kindes, das unter Berücksichtigung seiner Grundrechtsposition hinnehmbar ist. Die Risikogrenze ist generell weiter zu ziehen, wenn die leiblichen Eltern oder ein Elternteil wieder selbst die Pflege des Kindes übernehmen wollen (BVerfG aaO juris-Veröffentlichung Rn 55 ff., Rn. 57; vgl. ferner EuGHMR FamRZ 2004, 1456 ff., wonach unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK die Vertragsstaaten verpflichtet sind, geeignete Maßnahmen zur Zusammenführung eines leiblichen Elternteils mit seinem Kind zu ergreifen).

2.

Bei einer Abwägung der Risiko- und Schutzfaktoren betreffend E- die detailliert im Gutachten des Sachverständigen G aufgeführt sind (S. 44 - 47) - kommt der Senat unter Berücksichtigung des überzeugenden schriftlichens Gutachtens des Sachverständigen sowie seiner beibehaltenen Empfehlung zu einer Rückführung im Termin am 25. März 2009 zu dem Ergebnis, dass ein zeitlich verlängerter Eingriff in das Elternrecht der Kindesmutter durch eine Verbleibensanordnung unverhältnismäßig wäre. Es fehlt an der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme.

a)

Ein Wechsel von E zur leiblichen Mutter sichert ihr den Bezug zur eigenen sozialen Herkunft und dient dem (weiteren) Beziehungsaufbau zu den leiblichen Verwandten, hier z. B. auch zur Großmutter. Der Aufenthalt bei der Kindesmutter steht in Übereinstimmung mit der sozialen Norm, wonach Kinder bei ihren Eltern aufwachsen sollen.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen G geht der Senat in der Gesamtschau von hinnehmbaren Belastungen für E aus. Dabei ist zum einen die akute Phase des Wechsels zu bedenken und zum anderen die langfristige Perspektive des Aufwachsens bei der leiblichen Mutter im Verhältnis zum Aufwachsen bei den Pflegeeltern. Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, eine zukünftige Betreuung und Versorgung des Kindes im mütterlichen Haushalt und der damit zusammenhängende Verlust der alltäglichen Betreuung durch die primären Bindungspersonen (die Pflegeeltern) werde mit Sicherheit zu Belastungen beim Kind führen. Diese seien aus gutachtlicher Sicht jedoch nicht zwingend schädlich. Wörtlich heißt es: "Ein Wechsel des Lebensmittelpunkts des Kindes ist insgesamt aus gutachtlicher Sicht eine Belastung für E, stellt jedoch nicht zwangsläufig eine Gefährdung dar und ist angesichts der erfolgreichen und nachhaltigen Bemühungen der Kindesmutter um Schaffung einer stabilen Betreuungssituation mit dem Kindeswohl vereinbar." Im Falle eines Aufwachsens in der Pflegefamilie werde E mit wachsendem Alter verstärkt mit dem Widerspruch konfrontiert werden, dass sie nicht bei ihrer grundsätzlich erziehungsfähigen Mutter aufwachse. Das Mädchen werde bis zum Beginn der Pubertät sich zunehmend mit dem familiären System der Pflegefamilie verbinden und somit die jetzigen Tendenzen, dass die Kindesmutter ein Fremdkörper in diesem System ist, ebenfalls verinnerlichen. Eine mögliche Folge hieraus sei, dass es zu einer aktiven Ausgrenzung der Kindesmutter aus ihrem Leben komme, um dem primären Familiensystem ihre Loyalität zu beweisen. Hiermit einhergehend bestehe die Gefahr, dass die Heranwachsende sich eben dieses - die leibliche Mutter aktiv ausgrenzende - Verhalten nach Erreichen der Pubertät selber vorwerfen könnte.

Die Belastung der erst zwei Jahre und zwei Monate alten E durch die Trennung von der Pflegefamilie - und insbesondere von der Pflegemutter als Hauptbezugsperson -, bei der sie gewissermaßen seit der Geburt aufgewachsen ist, bedarf nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen G - auch im Termin am 25.03.2009 - auf Seiten der aufnehmenden Kindesmutter einer besonderen Rücksichtnahme auf das Kind, eines feinfühligen Eingehens und Einstellens auf die kindlichen Belange, insbesondere unter den geänderten Bedingungen eines sofortigen Wechsels ohne Übergangsphase.

Der Senat kommt aufgrund des gesamten Verfahrensablaufs und der währenddessen gezeigten Entwicklung der Kindesmutter mit dem Sachverständigen G zu der Überzeugung, dass die Prognose gerechtfertigt ist, dass es der Kindesmutter mit Hilfe der familiären, sonstigen und - gemäß § 27 SGB VIII gebotenen - Unterstützung des Jugendamtes gelingen wird, die Erziehung und Betreuung E's zu deren Wohle zu meistern, insbesondere auch die schwierige Übergangszeit. Auf die vom EuGHMR a. a. O. herausgestellte Verpflichtung zur staatlichen Unterstützung der leiblichen Eltern, die bisher vom Jugendamt nicht ausreichend wahrgenommen worden ist, weist der Senat besonders hin. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kindesmutter seit nunmehr fast zwei Jahren ganz erhebliche und konstante Anstrengungen unternommen hat, um Erziehungsfähigkeit, Umgang mit und das uneingeschränkte Sorgerecht für E zu erreichen. Im Gegensatz zu dem Fall, der der in der Beschwerdebegründung des Jugendamtes zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt zugrunde liegt, kann hier die notwendige Kompetenz der Kindesmutter nicht in Frage gestellt werden. Sie hat durch ihr Verhalten seit Mitte 2007 für eine Drogensüchtige eine ganz ungewöhnlich positive Entwicklung durchlaufen, die als Ausnahme hervortritt. Das hat auch der Sachverständige G mehrfach betont.

Die Kindesmutter hat sich durch die lange Dauer der Verfahren nicht entmutigen lassen und sich allen Anforderungen bereitwillig gestellt. Auch das spricht für Verlässlichkeit. Diese seit Mitte 2007 gezeigte Eigenschaft der Kindesmutter haben übereinstimmend auch die die Kindesmutter behandelnden Fachleute betont.

Die Gefahr einer nicht mehr eintretenden Bindung von E an die Kindesmutter bewertet der Senat in der Gesamtschau nicht als Hinderungsgrund für eine Umsetzung. Nach den Ausführungen des Sachverständigen G entwickelt sich im Verlauf des ersten Lebensjahres eines Kindes die primäre Bindung, welche in den beiden Folgejahren etabliert werde. Der Bindungsprozess finde für gewöhnlich im Jahr nach dem vollendeten zweiten Lebensjahr seinen Abschluss, und das Kind befinde sich bei Erwerb einer sicheren Bindung nachfolgend in einem Zustand der "psychischen Sicherheit" in Erziehungsfragen, umgangssprachlich als "Urvertrauen" bezeichnet. Der Sachverständige hat dazu für den Senat eindrucksvoll und überzeugend geschildert, die Frage einer Umsetzung eines Kleinkindes werde von Bindungstheoretikern eher verneint und von Tiefenpsychologen eher bejaht. Aus einer seiner Auffassung nach ganzheitlich vorzunehmenden Betrachtung heraus sei im konkreten Einzelfall zu prüfen, welche Wirkungen eine Umsetzung auf ein Kind habe. Nach seiner Erfahrung sei entscheidend für Kinder, dass die neue Bezugsperson feinfühlig sei und auf die unterschiedlichen Befindlichkeiten des Kindes angemessen reagiere. Ein solches Verhalten traue er der Kindesmutter zu, die er bei seinen Untersuchungen auch im Verhältnis zu E und in Anwesenheit der Pflegemutter positiv und einfühlsam erlebt habe, die Situation sei so gewesen, als habe E "zwei Mütter".

b)

Als milderes Mittel im Vergleich zu einer weiteren Trennung von Mutter und Kind hat das Jugendamt der Kindesmutter gemäß dem gesetzlichen Auftrag aus § 27 SGB VIII die geeignete und erforderliche Hilfe zur Erziehung zu gewähren. Die Auswahl richtet sich nach den konkreten Bedürfnissen, und sie ist vom Jugendamt als der kompetenten Fachbehörde zu treffen.

III.

Der Kindesmutter steht ein Anspruch auf Herausgabe von E gegenüber den Pflegeeltern gem. § 1632 Abs. 1 BGB zu für den Fall, dass sie E nicht freiwillig übergeben. Ein Behalten ohne Einwilligung der Kindesmutter wäre aufgrund ihres uneingeschränkten Sorgerechts widerrechtlich.

1.

Eine durch zunehmende Umgangskontakte vorbereitete Umsetzung - so wie vom Amtsgericht, der Sachverständigen B und vom Sachverständigen G auch im Beschwerdeverfahren zunächst vorgesehen und vom Senat erwogen - kommt aufgrund der Ablehnung eines solchen stufenweise Vorgehens durch die Pflegeeltern im Rahmen einer Gerichtsentscheidung nicht mehr in Betracht. Der Sachverständige G hat dazu ausgeführt, er bleibe dennoch bei seiner Rückführungsempfehlung. Optimal wäre eine Rückführung über einen Zeitraum von mehreren Monaten gewesen. Es werde jetzt voraussichtlich vermehrte Belastungen für E geben, aber die Spannbreite solcher Belastungen könne man nicht genau voraussehen. Bei einer entsprechend feinfühligen Reaktion der Kindesmutter sei es durchaus denkbar, dass die Belastungen nicht stärker ausfielen als in einem langsamen Umsetzungsprozess. Wichtig sei, ganz genau auf die kindlichen Befindlichkeiten zu achten und immer entsprechend darauf zu reagieren. Diesbezüglich sei eine umfangreiche Unterstützung der Kindesmutter geboten, die ihr u. a. in ihrem familiären Umfeld zur Verfügung stehe und zu der auch eine professionelle Unterstützung hinzutreten solle.

2.

Der Senat appelliert im Interesse E's an die Kindesmutter und die Pflegeeltern, freiwillig im gegenseitigen Einvernehmen einen stufenweisen Wechsel zur Kindesmutter erneut zu überdenken, um die Belastung für E so gering wie möglich zu halten. Der Senat sieht dabei, dass es für die Pflegeeltern eine menschlich äußerst schwierige und belastende Situation ist, in der sie - wie auch die Kindesmutter - eine kompetente und unparteiliche Beratungsstelle zur Unterstützung in Anspruch nehmen sollten, wie der Sachverständige G in seinem Gutachten ausgeführt hat (S. 59). Der Senat schließt sich dieser Empfehlung ausdrücklich an.

Hervorzuheben sind für die zukünftigen Entwicklungen folgende Ausführungen des Sachverständigen:

"Dem Kindeswohl wird mit Sicherheit am meisten gedient sein, wenn die Pflegeeltern sowie die Kindesmutter anerkennen, dass das Kind in einem ganz besonderen Bezugssystem heranwächst: E hat eine soziale und eine leibliche Mutter. Würden die Beteiligten erkennen, dass dieses System nicht nur Risiken birgt, sondern gleichfalls Chancen für das Kind beinhaltet, wären die jetzt gegebenen gegensätzlichen Standpunkte leichter zu überwinden.

Sollten die Familien nicht dazu in der Lage sein, eine Kindeswohl dienliche Grundhaltung zu entwickeln, ........, ist aus gutachtlicher Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass E in ihrer Persönlichkeitsentwicklung starke Belastungen erfahren wird. Untereinander nicht friedfertig agierende Bezugspersonen bringen Kinder in einen Loyalitätskonflikt, den die Kinder/Jugendlichen häufig dadurch "lösen", dass sie sich gegenüber einer Bezugsperson abgrenzen und sich ablehnend bezüglich einer gewünschten Kontaktaufnahme zeigen."

IV.

Die Beschwerden sind aus den vorgenannten Gründen erfolglos.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 2 Nr. 5, 94 Abs. 3 Satz 2 2. Fall, 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die Festsetzung des erhöhten Gegenstandswertes beruht darauf, dass das Verfahren hinsichtlich der rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten sowie des Umfangs überdurchschnittlich ist.

Ende der Entscheidung

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