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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 31.03.2006
Aktenzeichen: 15 UF 147/04
Rechtsgebiete: BGB, SGB VII


Vorschriften:

BGB § 1570
BGB § 1572 Nr. 1
BGB § 1572 Nr. 2
SGB VII § 56 II

Entscheidung wurde am 20.10.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete und die Vorschriften wurden geändert, Stichworte, Sachgebiete, Orientierungssatz und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Bei den Voraussetzungen eines Krankheitsunterhaltsanspruchs nach Beendigung der Pflege oder Erziehung eines Kindes.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

15 UF 147/04

verkündet am: 31. März 2006

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2006 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Schlussurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Lübeck vom 26. Mai 2004 abgeändert.

Die Zahlungsklage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die 1940 geborene Klägerin und der 1947 geborene Beklagte waren von 1968 bis 1983 verheiratet. Aus der Ehe ist der 1970 geborene Sohn K. hervorgegangen. Während des Zusammenlebens bis Sommer 1980 ist die Klägerin nicht berufstätig gewesen. Ende 1980 nahm sie zunächst eine Halbtagstätigkeit auf, die sie ab 01.02.1983 auf eine 35-Stunden-Tätigkeit ausweitete und im September 1996 beendete.

Der Beklagte ist auf Grund eines Urteils des Oberlandesgerichts Celle vom 8.12.1981 zur Leistung von Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 725,00 DM verurteilt worden. Ein geltend gemachter Anspruch auf Nachehelichenunterhalt seitens der Klägerin ist nach klagabweisender Entscheidung des Amtsgerichts T. mit einem abschlägigen Prozesskostenhilfebeschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 21.1.1986 für ein Berufungsverfahren beschieden worden. Das Unterhaltsverfahren endete danach. Nachehelicher Unterhalt ist vom Beklagten bislang nicht geleistet worden.Der Beklagte lebt in einer neuen Partnerschaft und ist Vater des am 26.07.1987 geborenen Sohnes A. .

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin nachehelichen Unterhalt beginnend ab 1. August 2002. Sie beruft sich auf eine während der Ehe angelegt gewesene Erkrankung, die 1997 zur vollen Erwerbsunfähigkeit geführt habe; seit 1997 bezieht die Klägerin Erwerbsunfähigkeitsrente.

Insgesamt wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts - Familiengericht - im angegriffenen Schlussurteil Bezug genommen.

Mit seiner Berufung rügt der Beklagte, die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch seien nicht hinreichend dargelegt worden. Erklärungen zu den ehelichen Lebensverhältnissen der Parteien fehlten. Sollte die Klägerin krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten können, könne darauf die Feststellung einer unterhaltsrechtlich relevanten Bedürftigkeit nicht gestützt werden. Die Feststellung eines 100%igen Grads der Behinderung sei nicht gleichbedeutend mit einer Berufsunfähigkeit. In der Vergangenheit habe die Klägerin durch Ausübung ihrer Tätigkeit gezeigt, dass sie uneingeschränkt habe vollschichtig berufstätig sein können. Art und Umfang der Berufstätigkeit sei nicht substantiiert dargelegt. Zudem sei es ihr wohl auf Grund eigener Vermögensverhältnisse möglich gewesen, ihre Berufstätigkeit aufzugeben. Jedenfalls sei der Klägerin mindestens ein monatliches Nettoeinkommen von 1.400,00 € bedarfsdeckend zuzurechnen. Im Jahre 1984 habe sie ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von rund 1.000,00 € erzielt.

Im Übrigen könne auf seiner Seite nur das frühere Einkommen als angestellter Speditionskaufmann fortgeschrieben werden. Einkünfte auf Grund der jetzt ausgeübten selbständigen Tätigkeit könnten der Klägerin nicht zugute kommen. Unter Berücksichtigung allgemeiner Lohnsteigerungen könne heute ein Einkommen von allenfalls rund 2.200,00 € einer denkbaren Unterhaltsberechnung zugrunde gelegt werden. Vermögensbeträge seien bei ihm nicht vorhanden, da die jetzt bewohnte Immobilie finanziert sei.

Das Risiko der Einkommensminderung auf Seiten der Klägerin infolge einer Krankheit sei von ihr zu tragen. Es sei ihr in der Vergangenheit gelungen, ihren Unterhaltsbedarf auf Grund der vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachhaltig zu sichern. Es sei nicht relevant, ob es sich dabei um eine überobligationsmäßige Tätigkeit oder nicht gehandelt habe. Dies gelte sowohl mit Rücksicht auf die Belange des Sohnes der Parteien, K. , als auch auf die angegriffene Gesundheit der Klägerin. Über Jahre hinweg habe sie eine vollschichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Schon 1984 habe sie die volle Arbeitszeit erbracht. Demgegenüber solle nach dem subjektiven Empfinden der Klägerin ihre Erkrankung frühestens im Jahr 1985 anzunehmen sein. Zu dieser Zeit sei aber das Krankheitsbild als solches noch nicht erkennbar gewesen oder diagnostiziert worden. Erst rückwirkend könne in Ansätzen der Krankheitsverlauf rekonstruiert werden, wobei ihre Befindlichkeit die Klägerin nicht an der Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert habe. Dies sei aber allein Maßstab für die Feststellung der nachhaltigen Sicherung des Unterhalts. Zudem habe er sich stets darauf eingestellt, keinen nachehelichen Unterhalt an die Klägerin erbringen zu müssen.

Der Beklagte beantragt,

das Schlussurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Seit September 1996 sei sie vollständig erwerbsunfähig und habe infolge dessen ihre Arbeit aufgeben müssen. Antragsgemäß werde ihr ab Januar 1997 eine Erwerbsunfähigkeitsrente durchgehend gezahlt. 1999 sei ihre 100 %ige Behinderung beschieden worden. Ihre Vermögensverhältnisse seien nicht so, dass sie sich "leisten könne" nicht zu arbeiten. Sie verfüge über keine Vermögensrücklage. Ab 1. November 1980 habe sie als Phonotypistin-, Büro- und Schreibkraft beim Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer gearbeitet. Sie habe seit dem 1. Februar 1983 35 Wochenstunden gearbeitet, mithin nicht eine ganz vollschichtige Tätigkeit ausgeübt. Es habe sich nicht um einen behindertengerecht eingerichteten Arbeitsplatz gehandelt. Ihr hätten nicht etwa besondere Möbel für die Arbeitsleistung zur Verfügung gestanden. Bis auf zwei zusätzliche Pausen habe sie keine bevorzugte bzw. behindertengerechte Behandlung erfahren.

Ihrer Meinung nach sei für die Berechnung des Unterhaltsbedarfs nicht auf den Zeitpunkt der Scheidung, sondern auf die Beendigung der Sorge um das gemeinsame Kind der Parteien, K. , abzustellen. Auf Grund seiner Erkrankung und der damit einhergehenden Behinderung von K. sei als Ende der Betreuung 1993 anzusehen. In dem Jahr habe K. krankheitsbedingt den ersten Lehrvertrag aufgelöst und über die Reha-Abteilung des Arbeitsamts eine Ausbildung in einer überbetrieblichen Arbeitsstätte abschließen können. Bis dahin habe K. der besonderen Fürsorge und Pflege durch sie bedurft. In seiner Entwicklung sei K. deutlich zurückgeblieben. Insgesamt sei ihr Unterhalt nicht durch die Erwerbstätigkeit als nachhaltig gesichert anzusehen. Nach objektiven Maßstäben und allgemeiner Lebenserfahrung sei vorhersehbar gewesen, dass mit gewisser Sicherheit ihre Berufstätigkeit nicht als dauerhaft habe angesehen werden können. Dies ergebe sich aus dem Krankheitsverlauf. Schon vor 1997 sei sie krankheitsbedingt nicht voll erwerbsfähig gewesen und hätte demgemäß ihre Arbeit jederzeit verlieren können. Nach neuesten Erkenntnissen durch die neurologische Abteilung des Johanna-Etienne-Krankenhauses sei festgestellt worden, dass sie unter einer genetischen Erkrankung, nämlich einer spastischen Spinalparalyse, leide. Diese anders lautende Diagnose gegenüber einer Myelitis ergebe sich auf Grund weitergehender Untersuchungen. Mithin sei hier schon bei der Heirat der Parteien eine genetisch bestehende Erkrankung gegeben gewesen, die zu einer chronisch progredienten Gangverschlechterung im Sinne einer Paraspastik geführt habe.

Wegen des weiter gehenden Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Es ist zur Erwerbsunfähigkeit Beweis erhoben worden durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. gemäß Beweisbeschluss vom 31. Januar 2005 (Bl. 342 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Begutachtung wird auf das Sachverständigengutachten vom 2. Juni 2005 (Bl. 348 - 370 d.A.), das ergänzende Schreiben des Sachverständigen vom 2. September 2005 (Bl. 384 - 386 d.A.) und dessen weitere Stellungnahme vom 9. Februar 2006 (Bl. 419 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ab dem 1. August 2002.

Zunächst käme gemäß § 1572 BGB Nr.1 und 2 ein Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen in Betracht. Voraussetzung dafür ist, dass die Klägerin vom Zeitpunkt der Scheidung oder der Beendigung der Pflege des gemeinschaftlichen Kindes an wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht ausüben konnte, um den Unterhaltsbedarf selbst zu decken.

Ein Unterhaltsanspruch wegen Krankheit vom Zeitpunkt der Scheidung an ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat 1980, nach Trennung der Parteien, eine halbschichtige Arbeit aufgenommen. 1983 ist der Arbeitsumfang auf eine 35-stündige Tätigkeit pro Woche ausgebaut worden. Diesen Umfang der Tätigkeit hat die Klägerin beibehalten, bis sie im September 1996 die Berufstätigkeit beendete.

Allerdings kommt für die Zeit nach der Scheidung der Parteien zunächst ein Kindesbetreuungsunterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB in Betracht. Bis zum Ende der notwendigen Kindesbetreuung stand der Klägerin dem Grunde nach gemäß § 1570 BGB ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Beklagten zu. Zunächst konnte keine vollschichtige Tätigkeit mit Rücksicht auf das Alter des Sohnes K. verlangt werden. Die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten ist ein Umstand, der nicht als Tatbestandsmerkmal für einen nachehelichen Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1570, 1572 BGB anzusehen ist (vgl. Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 4 Rdnr. 48 ff.). Mangelt es an der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten, so entfällt lediglich die Leistungspflicht des Unterhaltsverpflichteten. Tritt nachträglich die Bedürftigkeit ein, so schadet dies nicht, vielmehr erwächst die Leistungspflicht auf Grund des dem Grunde nach fortbestehenden Unterhaltsanspruchs. Aus dem Prozesskostenhilfebeschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 21. Januar 1986 ergibt sich, dass auf Grund der eigenen Einkünfte der Klägerin seinerzeit eine Leistungsverpflichtung des Beklagten auf Unterhalt Verneint wurde. Dem Grunde nach ist aber ein Unterhaltsanspruch angenommen worden.

Soweit die Parteien darüber streiten, in welchem Umfang der Sohn K. auf Grund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen (der Senat nimmt insofern Bezug auf die zum Gesamtzustand von K. eingereichten Atteste und Befunde) der Betreuung durch die Klägerin bedurfte, mag zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass eine erforderliche Betreuung im Sinne von § 1570 BGB bis 1993 erfolgte. Zu dem Zeitpunkt ist der Sohn K. zwar schon 23 Jahre alt geworden, auf Grund seiner im Kindesalter erlittenen Meningitis ggf. aber der besonderen Betreuung durch die Klägerin bedürftig gewesen. Einer Entscheidung zu dem Streit der Parteien, ob die erhebliche Ausweitung der Kinderbetreuungszeit angemessen ist oder nicht, bedarf es auf Grund der nachfolgenden Umstände nicht.

Gemäß § 1572 BGB ist ein Krankheitsunterhalt nach Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes nämlich nur dann gegeben, wenn eine lückenlose Unterhaltskette hinsichtlich der Unterhaltsanspruchstatbestände besteht. Es ist erforderlich, dass eine im Einsatzzeitpunkt vorhandene Erkrankung des Unterhaltsberechtigten in einem nahen zeitlichen Zusammenhang zu dem Einsatzzeitpunkt sich so verschlimmert, dass eine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit eintritt. Bei einem solchen Anschlussunterhalt ist dieser dann in dem Umfang gegeben, wie er im Zeitpunkt der weggefallenen Tatbestandsvoraussetzungen des vorangegangenen Unterhaltsanspruchs Bestand hatte. Mithin wäre bei einer teilweisen Erwerbsunfähigkeit jedenfalls im Umfang eines entsprechenden Teilbetrages ein Krankheitsunterhaltsanspruch gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH FamRZ 2001, 1291 ff.) ist ausreichend, wenn zum Einsatzzeitpunkt (hier zugunsten der Klägerin mit 1993 angenommen) die die Erwerbsunfähigkeit begründende Krankheit latent vorhanden ist, jedoch später in einem noch zeitlichen Zusammenhang zum Einsatzzeitpunkt tatsächlich zu einer teilweisen oder vollständigen Erwerbsunfähigkeit führt. Der erforderliche nahe zeitliche Zusammenhang zwischen dem Einsatzzeitpunkt und dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit wird bei einer Zeitspanne von mehr als 23 Monaten vom Bundesgerichtshof verneint (vgl. BGH a.a.O.).

Es ist nicht festzustellen, dass die Klägerin zum Einsatzzeitpunkt 1993 und danach bis 1996 ganz oder teilweise erwerbsunfähig war.

Bei der Beurteilung eines Krankheitsunterhaltsanspruches ist zu beachten, dass es unterhaltsrechtlich nicht um einen Grad der Behinderung gemäß den Bewertungskriterien im Schwerbehindertenrecht geht, sondern um eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit. Die Klägerin hat umfangreich dargelegt, dass auf Grund ihrer Erkrankungen schrittweise höhere Grade der Behinderung beschieden wurden. Der Grad der Behinderung (GdB) gilt im Behindertenrecht als Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen auf Grund eines Gesundheitsschadens. Nach bundeseinheitlichen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit werden diese bemessen und haben die nicht alterstypischen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt. Der Grad der Behinderung setzt eine nicht nur vorübergehende, d.h. eine über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten hinausgehende, gesundheitliche Störung voraus. Insofern wird auf die Gesetzeslage im Sozialgesetzbuch IX verwiesen. In Abgrenzung dazu nimmt der Gesetzgeber im § 56 Abs. 2 SGB VII eine Definition der Minderung der Erwerbsfähigkeit dahin vor, dass sich der Grad der Erwerbsunfähigkeit nach dem Umfang richtet, der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und damit den verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens ergibt. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die der Erkrankte dadurch erleidet, dass er bestimmte von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge der Beeinträchtigungen nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

Demgemäß kann eine unterhaltsrechtliche Beurteilung im Sinne von § 1572 BGB nicht auf den Grad der beschiedenen Behinderung der Klägerin gestützt werden. Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Beeinträchtigung und der gesundheitlichen Entwicklung hat der Sachverständige Prof. Dr. S. im Rahmen seiner Begutachtung festgestellt, dass die Bewertung der Grade der Behinderung zwar zutreffend, in der Zeit von 1987 bis 1996 aber keine teilweise oder vollständige Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin eingetreten sei. Der Senat folgt den Bewertungen des Sachverständigen. Zutreffend hat die Klägerin zum Sachverständigengutachten vom 2. Juni 2005 Einwendungen geltend gemacht. Diese sind aber nachvollziehbar mit der Stellungnahme des Sachverständigen vom 2. September 2005 ausgeräumt worden. Eine Veränderung des Begutachtungsergebnisses hat sich damit nicht ergeben. Die gerügten Umstände waren für das Gutachtenergebnis nicht tragend. Die textliche Unklarheit am Ende des Sachverständigengutachtens (dort S. 22/23) ist Veranlassung einer weiteren Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 7. Februar 2006 gewesen. Mit seiner Antwort vom 9. Februar 2006 ist die Unklarheit beseitigt worden. Die Aussage, dass der Grad der Behinderung nicht zu eine Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt hat der Sachverständige bewusst getroffen.

Für das Begutachtungsergebnis spricht, dass die Klägerin bis September 1996 im Umfang unverändert seit 1983 ihrer Tätigkeit als Phonotypistin, Büro- und Schreibkraft beim Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer nachgegangen ist. Es handelte sich dabei nicht um einen behindertengerecht eingerichteten Arbeitsplatz, sondern um eine den allgemeinen Berufsanforderungen entsprechende Tätigkeit, die auf einen gesunden Mitarbeiter zugeschnitten war. Nur zwei zusätzliche Pausen pro Arbeitstag sind der Klägerin vom Arbeitgeber gewährt worden. Ihre Arbeit konnte die Klägerin demnach nur mit entsprechender gesundheitlich bestehender Arbeitsfähigkeit erbringen. Den Gesamtumständen nach konnte die Klägerin ihre Arbeitsverpflichtung erfüllen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin dargestellten Ausfallzeiten infolge Krankheit. Das Maß der Krankzeiten ist zwar nicht unerheblich, hat aber nicht dazu geführt, dass sie ihren Arbeitsplatz aufgeben oder ihre tatsächliche Erwerbstätigkeit einschränken musste. Dem stehen die umfangreichen Befundunterlagen und Atteste anderer Ärzte, die seitens der Klägerin zur Gerichtsakte gereicht worden sind, nicht entgegen.. Es ist festzustellen, dass eine Untersuchung zur Frage der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im hier interessierenden Zeitraum nicht erfolgt ist, sondern erdt am 17.01.1997 attestiert wurde, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage war, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen ( Bericht Dr. Riemann vom 19.12.2005 Bl. 417 d.A. ).

Mit dem Sachverständigen Prof. Dr. S. kann das Krankheitsbild der Klägerin als eine monophasisch abgelaufene Myelitis angenommen werden. Dieser Bewertung tritt die Klägerin entgegen. Sie meint, nach der Auswertung der jüngeren Untersuchungen im Johanna-Etienne-Krankenhaus ergebe sich aus dortigen Stellungnahmen des Chefarztes der Neurologie Dr. Mohr aus 2004, auf die Bezug genommen wird,dass es sich bei der Erkrankung vielmehr um eine spastische Spinalparalyse bei paraspastischem Gangbild handeln könne. Die Klägerin bezieht sich insofern zuletzt auf die ergänzende Stellungnahme von Dr. Mohr vom 23. Januar 2006. Der Senat muss allerdings nicht abschließend entscheiden, welche Erkrankung tatsächlich bei der Klägerin vorliegt. Die Erwerbsunfähigkeit ab Ende 1996 ist nicht im Streit. Abgesehen davon, dass die Diagnose als spastische Spinalparalyse von Dr. Mohr nicht als sicher und überwiegend wahrscheinlich dargestellt worden ist, hätte diese Erkrankung dazu führen müssen, dass sich das Krankheitsbild in der Vergangenheit nach und nach verschlechtert hätte. Dem stehen die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. gegenüber, dass seit der ersten Untersuchung der Klägerin an der Universität Düsseldorf 1987 in etwa 20 Jahren die Krankheitssymptomatik nur unwesentlich objektivierbar stärker aufgetreten sei. Wegen der fast ausgebliebenen Verschlechterung seit vielen Jahren geht Prof. Dr. S. davon aus, dass eine spastische Spinalparalyse eher unwahrscheinlich sei. Im Hinblick auf die unterhaltsrechtliche Bewertung, ob in der Zeit von 1987 bis 1996 eine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit seitens der Klägerin eingetreten ist, würde die Zugrundelegung einer spastischen Spinalparalyse in der Rückschau dazu führen, dass gegenüber dem heutigen Krankheitsbild eine bessere Gesundheitslage in dem früheren Zeitraum bestanden hätte. Das Begutachtungsergebnis von Prof. Dr. S. , unter Zugrundelegung einer abgelaufenen Myelitis nach den Befundunterlagen und den Erkenntnissen hinsichtlich der Gesundheit der Klägerin eine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit nicht anzunehmen, würde durch eine Krankheit der Klägerin in Gestalt einer spastischen Spinalparalyse nicht anders aussehen. Die objektivierbaren Krankheitsfolgen würden auch unter Zugrundelegung dieses Krankheitsbilds nicht dazu führen, für die Vergangenheit objektivierbar eine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit zu beweisen.

Insgesamt ist damit festzustellen, dass hinsichtlich eines zeitnahen Zusammenhanges zum Einsatzzeitpunkt des Krankheitsunterhaltes - zugunsten der Klägerin im Jahre 1993 keine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit als bewiesen zugrunde gelegt werden kann. Es fehlt damit hinsichtlich der Unterhaltskette an einem Anknüpfungstatbestand für eine weitergehende Unterhaltsverpflichtung des Beklagten gemäß § 1572 Nr. 2 BGB.

In Betracht käme daneben ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gemäß § 1573 BGB. Ein solcher Aufstockungsunterhaltsanspruch wäre denkbar, wenn die Klägerin zum Einsatzzeitpunkt - spätestens 1993 -auf Grund ihrer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage gewesen wäre, den eheangelegten Unterhaltsbedarf zu decken. Es können für die Anknüpfungszeiten und danach nicht die Einkünfte des Beklagten auf Grund seiner selbständigen Tätigkeit zugrunde gelegt werden. Die ehelichen Verhältnisse sind durch die Einkünfte des Beklagten als angestellter Speditionskaufmann geprägt worden. Unter Berücksichtigung der Lohnsteigerungen seit der Scheidung der Parteien ist ausgehend von einem Nettolohn des Beklagten zum Zeitpunkt der Scheidung mit 3.000,00 DM maximal ein Nettoeinkommen von 2.400,00 € zugrunde zu legen. Ein uneingeschränkter Anspruch der Klägerin auf 3/7 Unterhalt würde sich auf 1.028,00 € belaufen. Unter Zugrundelegung einer fast vollschichtigen Erwerbstätigkeit der Klägerin ist in der Zeit zwischen 1987 bis 1996 eine bedarfsdeckende Leistungsfähigkeit der Klägerin zugrunde zu legen. Dabei ist die Unterhaltsverpflichtung des Beklagten hinsichtlich des Sohnes K. und des 1987 geborenen Sohnes A. nicht berücksichtigt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist zum Einsatzzeitpunkt ( zugunsten der Klägerin mit 1993 angenommen ) als nachhaltig gesichert anzusehen ( § 1573 Abs. 4 BGB ). Die Klägerin ist durchgehend ab 1983 in unverändertem Umfang beim selben Arbeitgeber tätig gewesen. Das Risiko der gesundheitlichen Verschlechterung bis hin zur Erwerbsunfähigkeit im Jahr 1996/1997 trägt mangels zeitlichen Zusammenhangs vom Einsatzzeitpunkt an die Klägerin selbst. Insofern gelten die Feststellungen zum Unterhaltsanpruch gemäß § 1572 BGB auch hier.

Schließlich steht der Klägerin auch ein Billigkeitsunterhaltsanspruch gemäß § 1576 BGB nicht zu. Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Es ergeben sich keine Umstände, die es unter Zugrundelegung des allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens nahezu unerträglich machen würden, der Klägerin einen Unterhaltsanspruch in der Zeit ab August 2002 zu versagen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Ehe der Parteien, die immerhin bis zur Trennung 12 Jahre und bis zur Scheidung 15 Jahre dauerte. Legt man zugrunde, dass Mitte der 80er Jahre erste Anzeichen einer Erkrankung der Klägerin nach der Scheidung der Parteien auftraten, rechtfertigt sich ein Unterhaltsbegehren ab August 2002, also 19 Jahre nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe der Parteien ,nicht. Die eheliche Solidarität führt auch bei einer 15 Jahre währenden Ehezeit nicht dazu, nach einer so langen Zeit eine Unterhaltsverpflichtung des anderen Ehegatten zu begründen. Der Beklagte musste bei dieser langen Zeitdauer bis zum ersten Aufforderungsschreiben, Unterhalt zu leisten, nicht mehr mit einer Inanspruchnahme auf Unterhalt rechnen.

Im vorliegenden Fall ist nach Abwägung aller Umstände ein nachehelicher Unterhaltsanspruch allein auf Grund von Billigkeitsgesichtspunkten nicht zu begründen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.

Soweit mit dem Teilurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - vom 12. März 2003 eine Verurteilung des Beklagten zur Auskunft über seine Einkünfte erfolgt ist, stellt sich der Streitgegenstand der Auskunftsklage geringfügig gegenüber der Unterhaltsforderung dar. Der Klägerin sind mithin insgesamt die Kosten des ersten Rechtszuges gemäß § 92 Abs. 2 ZPO aufzuerlegen.

Die Verpflichtung, die Kosten des Berufungsrechtszugs zu tragen, ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Die Revision gegen das Urteil ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung dienst zudem nicht der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Zugrundelegung der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu bewertenden Rechtslage. Die Feststellung von Einsatzzeitpunkten ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt. Die Frage, ob eine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt anzunehmen ist oder Billigkeitsgesichtspunkte einen Unterhaltsanspruch begründen, ist eine Frage der tatrichterlichen Wertung.

Ende der Entscheidung

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