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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 22.04.2004
Aktenzeichen: 15 UF 38/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 517
ZPO § 520
ZPO § 522 I
Am Ablauf der absoluten Berufungsfrist von 5 Monaten nach Verkündung des Urteils ändert auch die spätere Zustellung des zwischenzeitlich abgefassten Urteils nichts. Wussten die Prozessbevollmächtigten der Parteien von der Verkündung, kommt auch eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht in Betracht.
15 UF 38/04

Beschluss

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 22. April 2004 beschlossen:

Tenor:

Die am 19. Februar 2004 eingelegte Berufung des Beklagten gegen das am 15. Juli 2003 verkündete und am 5. Februar 2004 zugestellte Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Flensburg - 93 F 241/01 UE - wird - unter Zurückweisung der Wiedereinsetzungsanträge vom 19. Februar 2004 - als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt nach einem Streitwert in Höhe von 3.600,00 € der Beklagte.

Gründe:

I.

Die 1941 geborene Klägerin begehrt von dem 1940 geborenen Beklagten die Abänderung eines Vergleichs über nachehelichen Unterhalt.

Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Sie haben sich in dem Verfahren 15 UF 17/96 OLG Schleswig = 64 F 166/93 AG Flensburg am 10. Februar 1997 zum nachehelichen Unterhalt u.a. dahin verglichen, dass der Beklagte an die Klägerin ab Juli 1997 monatlich 1.250,00 DM zahlt.

Mit der am 25. Oktober 2001 beim Amtsgericht - Familiengericht - Flensburg eingegangenen Stufenklage hat die Klägerin Auskunft über die Einkünfte des Beklagten und Zahlung nachehelichen Unterhalts auf der Grundlage der Auskunft begehrt. Nachdem der Beklagte auf Grund eines am 25. Januar 2002 verkündeten Teilanerkenntnisurteils Auskunft erteilt hatte, hat die Klägerin den Beklagten im Juni 2002 auf Zahlung rückständigen Unterhalts sowie fortlaufenden Unterhalts in Höhe von monatlich 1.225,70 € zuzüglich Krankenvorsorgeunterhalt in Höhe von 170,00 € ab 1. Juli 2002 in Anspruch genommen.

In der am 20. Mai 2003 geschlossenen mündlichen Verhandlung hat das Amtsgericht einen Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 10. Juni 2003 anberaumt. Der Verkündungstermin ist am 10. Juni auf den 1. Juli und am 1. Juli auf den 15. Juli 2003 verlegt worden. Von den Verlegungen sind die Prozessbevollmächtigten der Parteien jeweils zeitnah durch Zustellungen in Kenntnis gesetzt worden.

Am 15. Juli 2003 ist ausweislich des Verkündungsprotokolls (Bl. 179 d.A.) das angegriffene, als im schriftlichen Verfahren ergangen bezeichnete Urteil verkündet worden. Zum Verkündungstermin hat offensichtlich nur die erste Seite des Urteils mit dem Tenor der Entscheidung vorgelegen, die noch am 15. Juli 2003 zur Geschäftsstelle gelangt ist (Bl. 173 d.A.). Nach dem Tenor ist der Beklagte in Abänderung des Vergleichs verurteilt worden, an die Klägerin rückständigen Unterhalt für den Zeitraum vom 1. August 2001 bis zum 31. Januar 2003 in Höhe von 12.555,80 € nebst Zinsen sowie ab 1. Februar 2003 monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.200,00 € zu zahlen. Die Zustellungsverfügung der Geschäftsstelle vom 24. Juli 2003 (Bl. 179 d.A.) ist offensichtlich nicht ausgeführt worden.

Auf telefonische Nachfrage erfuhren die Prozessbevollmächtigten des Beklagten den Tenor des Urteils. Eine Berufungsfrist wurde nicht notiert.

Die Prozessbevollmächtigten erkundigten sich, nachdem die Zustellung des Urteils ausblieb, am 17. September 2003 schriftsätzlich danach, wann mit Zustellung des vollständig abgefassten Urteils zu rechnen sei.

Auf Grund Zustellungsverfügung vom 3. Februar 2004 (fälschlich mit 2003 bezeichnet, Bl. 183 d.A.) ist das Urteil in vollständiger Form beiden Parteien am 5. Februar 2004 zugestellt worden.

Am 19. Februar 2004 hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er hat zugleich unter dem Vorbehalt der Erweiterung beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage im Umfang von monatlich 300,00 € mit Wirkung ab Rechtshängigkeit abzuweisen,

die Berufung vorsorglich und vorläufig begründet und wegen Versäumung der Berufungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt.

Zur Wiedereinsetzung trägt der Beklagte vor, die Überwachung der sog. absoluten Berufungsfrist sei nicht erforderlich gewesen. Denn die Ursachen für die Versäumung dieser Frist lägen in erster Linie in der Sphäre des Amtsgerichts. Dort habe man es aus Gründen, die dem Beklagten und seinen Prozessbevollmächtigten nicht bekannt seien, nicht fertig gebracht, das am 15. Juli 2003 offenbar noch nicht in vollständiger Form vorliegende Urteil rechtzeitig zuzustellen. Dies könne nicht auf dem Umweg über die Anwaltshaftung den Parteien bzw. ihren Rechtsanwälten angelastet werden, wie das Bundesverfassungsgericht (NJW 2002, 2937) ausgeführt habe. Das müsse erst recht für solche Fehler gelten, die ihre Ursache ausschließlich im Arbeits- und Organisationsbereich des Gerichts hätten.

Darüber hinaus sei der Umstand, dass die absolute Berufungsfrist nicht notiert worden sei, für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden. Wäre die Frist ordnungsgemäß notiert worden, wäre es dem Beklagten nicht zuzumuten gewesen, vorsorglich gegen ein nicht bekanntes Urteil Berufung einzulegen. Dies sei zum einen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuleiten. Zum anderen ergäbe sich das aber auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. November 2003 - LwZB 1/03-, nach der man allenfalls gegen ein Urteil Rechtsmittel einlegen müsse, von dessen Existenz die Partei Kenntnis habe und dessen Tenor sie kenne. Es könne der Partei nicht angesonnen werden, ein Rechtsmittel aufs Geratewohl einzulegen, auch auf die Gefahr hin, dass eine Entscheidung noch gar nicht ergangen sei oder wegen des Inhalts oder Umfangs von der Partei nicht angefochten werden könne.

Mit einem zweiten, ebenfalls am 19. Februar 2004 eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte für den Fall einer evtl. Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ebenfalls Wiedereinsetzung beantragt und sich zur Begründung dieses Antrags auf den Vortrag zur Berufungsfrist bezogen.

Die Klägerin beantragt,

unter Zurückweisung der Wiedereinsetzung die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien sind auf die vom Senat angenommene Rechtslage durch Verfügungen vom 24. Februar, 10. März, 11. März und 31. März 2004 hingewiesen worden.

II.

Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 522 Abs. 1 ZPO unzulässig, weil die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden sind (§§ 517, 520 Abs. 1 und 2 ZPO). Die Anträge auf Wiedereinsetzung sind unbegründet, weil der Beklagte nicht ohne das ihm zuzurechnende Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).

1.

a) Der Beklagte hat die sog. absolute Berufungsfrist des § 517 2. HS, 2. Alt. ZPO versäumt.

Mangelt es an der für den Beginn der Berufungsfrist notwendigen Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, beginnt die einmonatige Berufungsfrist mit dem Ablauf von 5 Monaten nach der - wirksamen - Verkündung des Urteils. Die Berufungsfrist hatte danach 5 Monate nach der wirksamen Verkündung des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht - am 15. Juli 2003, durch die das Urteil gemäß §§ 310, 311 ZPO rechtlich existent geworden ist, und damit am 15. Dezember 2003 begonnen. Zwar muss das Urteil, das nicht in dem Termin verkündet wird, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, bei der Verkündung in vollständiger Form abgefasst sein (§ 310 Abs. 2 ZPO). Ein Verstoß berührt jedoch die Wirksamkeit der Verkündung nicht. Zur Abwendung des Eintritts seiner formellen Rechtskraft bedarf ein derart fehlerhaft verkündetes Urteil der Anfechtung in der verlängerten Frist des § 517 ZPO (Zöller-Vollkommer, 24. Aufl., Rz. 5 zu § 310 ZPO mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH).

Die Berufungsfrist ist am 15. Januar 2004 abgelaufen. Die am 19. Februar 2004 eingelegte Berufung ist verfristet. Daran ändert auch die Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils am 5. Februar 2004 nichts (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1998, 1447; Baumbach-Albers, 62. Aufl. 2004, Rz. 12 zu § 517 ZPO).

b) Eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist kommt nicht in Betracht, denn die Berufungsfrist ist nicht schuldlos gemäß § 233 ZPO versäumt worden. Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten kannten den Verkündungstermin am 15. Juli 2003. Sie wussten auf Grund telefonischer Nachfrage, dass und mit welchem Inhalt eine Entscheidung verkündet worden war. Wenn vor diesem Hintergrund die Fristen des § 517 2. HS, 2. Alt. ZPO nicht notiert werden, ist das schuldhaft; das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten ist dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Der Hinweis des Beklagten auf den Beschluss des BGH vom 18. November 2003 greift nicht. Der dem Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt zeichnet sich dadurch aus, dass es dem Anwalt einer Partei trotz mehrfacher, auch schriftlicher Anfragen, nicht gelungen war, von dem Gericht zu erfahren, ob, ggf. wann und ggf. mit welchem Inhalt eine Entscheidung verkündet worden war. Bei einer solchen Fallgestaltung ist es, so der BGH, der Partei nicht zuzumuten, fristwahrend ein Rechtsmittel gegen eine zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt auch immer ergangene Entscheidung einzulegen.

Auch die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt zu keiner anderen Entscheidung. Zwar sind danach die Gerichte verfassungsrechtlich nicht legitimiert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung der Gerichte zu überbürden. Der Fall einer Verkündung eines Urteils unter Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift und die anschließend unterbleibende Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils innerhalb von fünf Monaten an die Parteien fällt darunter nicht. Dieser Fall ist vielmehr in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise in § 517 2. HS, 2. Alt. ZPO geregelt worden. Vor dem oben dargestellten Sachverhalt liegt hier gewissermaßen einer der "Grundfälle" vor, den die Vorschrift erfassen soll. Die Vorschrift geht von einem Fehlverhalten des Gerichts aus und knüpft gerade daran die Einhaltung von Fristen. Im Übrigen kann sich die durch das verkündete Urteil beschwerte Partei in ihrer Berufungsbegründung denn auch darauf beschränken, die nicht rechtzeitige Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils zu rügen (BGH FamRZ 2004, 179).

2.

a) Unabhängig von diesen Erwägungen ist die Berufung auch unzulässig, weil der Beklagte die sog. absolute Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. ZPO versäumt hat. Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist beginnen nach der Neuregelung des Berufungsrechts zeitgleich mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, jedenfalls aber mit Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung zu laufen; die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist wäre demnach am 15. Februar 2004 und ist - weil dieser Tag auf einen Sonntag fiel - tatsächlich am 16. Februar 2004 abgelaufen (§ 222 Abs. 2 ZPO).

Die am 19. Februar 2004 eingegangene - vorläufige - Berufungsbegründung ist verspätet.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist zurückzuweisen, weil die Berufung aus den obigen Gründen unzulässig ist.

An seiner bisher geäußerten Auffassung, insoweit liege auch ein Fall der Wiedereinsetzung nicht vor, weil zurzeit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils am 5. Februar 2004 die Berufungsbegründungsfrist noch nicht abgelaufen war, hält der Senat nicht fest.

Zwar sind Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist voneinander unabhängig. Auch wenn die Berufung verspätet eingelegt wird, läuft die Begründungsfrist normal, und durch ein Wiedereinsetzungsgesuch in die versäumte Berufungsfrist wird der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht berührt (BGH NJW 98, 1155; Musielak-Ball, 3. Aufl. 2002, Rz. 4 zu § 520 ZPO; Zöller-Gummer/Heßler, a.a.O., Rz. 14 zu § 520 ZPO). Diese zum alten Berufungsrecht vertretene Auffassung gilt auch für das neue Berufungsrecht (Brandenburgisches OLG, NJW 2003, 2995), und zwar nach Auffassung des Senats nunmehr erst recht, da der Beginn der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr an die Einlegung der Berufung geknüpft ist.

Auch ist es so, dass die Zweiwochenfrist des § 234 ZPO ab Wegfall des Hindernisses keine generelle Schonfrist ist. Fällt das Hindernis noch so rechtzeitig vor Ablauf der Notfrist weg, dass die Partei sie noch hätte einhalten können, liegt kein Wiedereinsetzungsfall vor (Zöller-Greger, a.a.O., Rz. 3 zu § 234 ZPO).

Fällt jedoch wie hier das Hindernis, die Berufungsfrist einzuhalten, während der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist weg, läuft eine Zweiwochenfrist für die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist. Diese Frist darf die Partei voll ausnutzen, und zwar ungeachtet der dann bereits verstrichenen Berufungsbegründungsfrist auch für die Berufungsbegründung. Denn solange die Partei eine Berufung nicht einlegen muss, kann von ihr auch nicht verlangt werden, gleichwohl in der noch weniger als zwei Wochen laufenden Berufungsbegründungsfrist Maßnahmen zu deren Einhaltung zu treffen. Wenn auch Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist voneinander unabhängig sind, so ist doch die Berufungsbegründung insofern von der Berufung abhängig, als letztere gemäß § 520 Abs. 3 ZPO gleichzeitig mit der Begründung oder vorher eingelegt werden kann; die Begründung eines noch gar nicht eingelegten Rechtsmittels oder auch nur der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist vor Einlegung des Rechtsmittels entspricht nicht unserem Rechtsmittelsystem. Der Wegfall des Hindernisses vor Ablauf der später versäumten Berufungsbegründungsfrist setzt deshalb in Fällen wie diesen auch für die Berufungsbegründung die Frist des § 234 ZPO in Lauf (vgl. dazu, dass die Frist des § 234 ZPO vor Ablauf einer später versäumten Notfrist zu laufen beginnen kann, Zöller-Greger, a.a.O., Rz. 5 a zu § 234 ZPO m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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