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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 20.12.2001
Aktenzeichen: 16 U 59/01
Rechtsgebiete: EuGVÜ, CMR


Vorschriften:

EuGVÜ Art. 20
EuGVÜ Art. 57
CMR Art. 31 I
Die Zuständigkeitsnormen der CMR gehen denjenigen des EuGVÜ vor.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

16 U 59/01

verkündet am: 20. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. Mai 2001 verkündete Urteil des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Flensburg aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Flensburg zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert beide Parteien im Werte von jeweils 51.370,03 DM.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, Transportversicherer der D GmbH in Flensburg, verlangt gemäß § 17 Abs. 1 CMR Schadensersatz aus einem von der Beklagten übernommenen Transport von 20 Paletten Kompressoren von F nach G B.

Die D GmbH beauftrage die Beklagte Anfang Dezember 1999. Dem Transportauftrag lagen die NSAB 2000 zugrunde. Auf Bl. 38 ff. der Akten wird Bezug genommen. Nach § 32 dieses Bedingungswerkes ist für den Fall der Klage ein Gerichtsstand in Dänemark und die Anwendung dänischen Rechts vereinbart.

Die Beklagte transportierte die Paletten, die sie in Flensburg übernahm, mit einem Lkw zum Hafengelände in E in Dänemark, von wo der Lkw mit Ware per Fähre nach H in England und von dort auf dem Landwege weiter zum Zielort B in West-Sussex transportiert werden sollte. Bevor es zur Verladung auf die Fähre kam, wurden die Paletten bei einem Sturm mit Hochwasser auf dem Hafengelände in E durchnässt.

Die Klägerin hat behauptet:

Sie habe als Transportversicherer der D GmbH den entstandenen Schaden ersetzt. Die Versicherungsnehmerin habe ihr, der Klägerin, sämtliche Ansprüche aus dem Schadensfall abgetreten. Der Schaden belaufe sich umgerechnet auf 51.300,03 DM.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 51.370,03 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 13. März 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat fehlende internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Flensburg gerügt und nur vorsorglich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht gewesen:

Da sie sich ausdrücklich nicht auf das gegenständliche Verfahren einlasse und den Klageabweisungsantrag nur höchst hilfsweise stelle, sei die Klage wegen fehlender Internationaler und örtlicher Zuständigkeit des Landgerichts Flensburg als unzulässig abzweisen. Dies folge trotz der an sich gegebenen internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 31 CMR aus Art. 57 Abs. 2 Satz 2 EuGVÜ.

Zwar sehe Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ grundsätzlich vor, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit in Übereinkommen für besondere Rechtsgebiete, zu denen auch die Vorschriften der CMR gehörte, unberührt blieben. Im Interesse einer einheitlichen Auslegung schreibe aber Art. 57 Abs. 2 Satz 2 EuGVÜ vor, dass in jedem Falle Art. 20 EuGVÜ anzuwenden sei. Insoweit sei folglich Art. 57 Abs. 2 EuGVÜ außer Kraft gesetzt. Art. 20 EuGVÜ habe Vorrang, so dass die Klage mangels Einlassung zur Sache durch sie, die Beklagte, als unzulässig abzuweisen sei. Zur näheren Begründung hat sich die Beklagte auf die Entscheidungen des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24.11.1998 (TranspR 1999, 62) und des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8.6.2000 (nunmehr abgedruckt in TranspR 2001, 399) bezogen.

Das Landgericht ist der Argumentation der Beklagten gefolgt und hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung der angefochtenen Entscheidung wird auf deren Inhalt Bezug genommen. Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der sie die vom Landgericht übernommene Auffassung der Oberlandesgerichte Dresden und München als fehlerhaft bekämpft, dies insbesondere unter Bezugnahme des Urteils des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 25.6.01 (nunmehr abgedruckt in TranspR 2001, 397).

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 51.370,03 nebst 5 % Zinsen seit dem 13. März 2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung einschließlich seiner Verweisungen sowie auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klage ist zu Unrecht als unzulässig abgewiesen worden.

Das Landgericht Flensburg ist zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Das Verfahren wird deshalb gemäß § 538 Nr. 2 ZPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Flensburg zurückverwiesen.

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 31 Abs. 1 lit. b CMR. Dänemark und die Bundesrepublik Deutschland sind Signartarstaaten dieses Abkommens. Zwischen den Parteien ist unstreitig ein internationaler Straßengütertransport vereinbart worden. Folglich kann die Klägerin nach der genannten Vorschrift deutsche Gericht anrufen, da der Ort der Übernahme der transportierten Ware in F gelegen hat. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Flensburg folgt aus Art. 1 a des Zustimmungsgesetzes zur CMR vom 16.8.1961 (Bundesgesetzblatt II S. 1119) in der Fassung des Gesetzes vom 5.7.1989 (Bundesgesetzblatt II S. 586).

2. Entgegen der Ansicht des Landgerichts wird Art. 31 CMR nicht deshalb durch Art. 57 Abs. 2 lit. a Satz 2 i. V. mit Art. 20 EuGVÜ verdrängt, weil die Beklagte sich in diesem Verfahren nicht zur Sache, jedenfalls nicht in erster Linie, eingelassen hat.

Aus Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ folgt gerade im Gegenteil, dass die Zuständigkeitsnormen der CMR Vorrang für denjenigen des EuGVÜ haben. Das ist bis zu der zitierten Entscheidung des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden völlig unstreitig gewesen (zu den Einzelheiten Dißars, Das Verhältnis der Zuständigkeitsnormen der CMR zum EuGVÜ/LugÜ, TranspR 2001, 387 ff).

Zwar ist dem Landgericht und den von ihm zitierten Gerichten zuzugeben, dass bei einer sehr wörtlichen Auslegung Art. 57 Abs. 2 lit. a Satz 2 i. V. mit Art. 20 EuGVÜ dafür sprechen könnten, dass sich ein angerufenes Gericht für unzuständig erklären muss, wenn trotz eindeutig vorrangiger Zuständigkeitsvorschriften eines Sonderabkommens der ausländische Beklagte eine Einlassung zur Sache verweigert. Mit Sinn und Zweck des Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ ist aber eine solche Auslegung nicht zu vereinbaren. Es kann nicht richtig sein, dass ein Beklagte durch bloßes Nichtverhandeln vorrangig für anwendbar erklärte Zuständigkeitsvorschriften der CMR (Art. 41, 31 CMR) soll abändern können. Es ist auch nicht ersichtlich, wie eine solche Handhabung zu einer einheitlichen Auslegung des Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ beitragen sollte, was allein Zweck des Art. 57 Abs. 2, und damit auch seiner Verweisung auf Art. 20 EuGVÜ ist.

Der letzte Nebensatz des Art. 20 Abs. 1 Satz 1 EuGVÜ "wenn seine Zuständigkeit nicht aufgrund der Bestimmungen dieses Übereinkommens begründet ist", ist bei gebührender Berücksichtigung der grundsätzlichen Vorrangigkeit von Zuständigkeitsvorschriften in Sonderabkommen als eine Verweisung auch auf Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ und seine Weiterverweisungen auf die vorrangigen Spezialzuständigkeiten der CMR zu lesen.

Einziger Zweck des Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ ist in solchen Fällen folglich, im Wege einer ohne jede Einrede von Amts wegen vorzunehmenden Zuständigkeitsprüfung zu ermitteln, ob tatsächlich durch das für vorrangig erklärte Spezialabkommen eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben ist.

Dabei mag es sein, dass, wie von Dißars dargelegt (aaO., S. 389), einer Zuständigkeitsregelung in einem Spezialabkommen im Einzelfall die Anerkennung verweigert werden kann. Für die Zuständigkeitsregelungen gemäß Art. 31 Abs. 1 Satz 1 lit. b CMR i. V. mit Art. 1 a des Zustimmungsgesetzes zur CMR ist solches bisher von niemanden vertreten worden. Im übrigen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm in der zitierten Entscheidung (aaO., 398/399) Bezug.

3. Die Gerichtsstandregelung in § 32 NSAB 2000 ist wegen Art. 41 CMR unbeachtlich. Der Rechtsstreit ist folglich nach den Regeln der CMR zu entscheiden.

4. Der Senat hat die Revision gemäß § 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Es bedarf höchstrichterlicher Klärung, wie Art. 57 Abs. 2 lit. a Satz 2 i. V. mit Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ in Fällen vorliegender Art auszulegen ist. Eine eigene Sachentscheidung gemäß § 540 ZPO erachtet der Senat nicht als sachdienlich.

Ende der Entscheidung

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