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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 12.10.2004
Aktenzeichen: 16 W 116/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 252
ZPO § 485 Abs. 2
1. Ein nach § 485 II ZPO betriebenes selbständiges Beweisverfahren wird unzulässig, wenn der Antragsteller vor seiner Beendigung Klage zur Hauptsache erhebt.

2. In einem solchen Falle ist das selbständige Beweisverfahren durch Beschluss einzustellen und die Sache an das Prozessgericht abzugeben.


Beschluss

16 W 116/04

In dem selbständigen Beweisverfahren

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 10. August 2004 gegen den Beschluss des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 20. Juli 2004 am 12. Oktober 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 252 ZPO statthaft.

Der angefochtene Einstellungsbeschluss bewirkt einen dauerhaften Stillstand des Verfahrens, ohne dass die Anhängigkeit durch Antragsrücknahme beendet wäre. Ein eingestelltes Verfahren kann auch wieder aufgenommen werden, etwa wenn der Einstellungsgrund nachträglich wegfällt. Auch kann streitig sein, ob ein Einstellungsgrund überhaupt vorliegt. Deshalb ist es geboten, auch dem Antragsgegner das in § 252 ZPO vorgesehene Rechtsmittel zu gewähren. Zwar ist für den Antragsgegner ein stattgebender Beschluss nach § 490 ZPO nicht anfechtbar (Zöller/Herget, ZPO, 24. Auflage, § 490 Rn. 2). Dasselbe gilt jedoch nicht für eine auf Antrag des Antragstellers ausgesprochene Einstellung des Verfahrens. Die Entscheidung wäre nur dann unanfechtbar, wenn das Gesetz dem Antragsteller ein entsprechendes Antragsrecht zubilligte, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Das ist nicht der Fall. Der Antrag des Antragstellers war nur eine Anregung an das Gericht, eine von Amts wegen gebotene oder erlaubte Entscheidung aufgrund der durch die Klagerhebung des Antragstellers entstandenen Verfahrenslage im selbständigen Beweisverfahren zu treffen. Eine solche Einstellung des Verfahrens ohne Kostenentscheidung greift in die durch seine Verfahrensbeteiligung gewachsene Rechtsposition des Antragsgegners ein, die er zur Wahrung seiner Interessen durch das Beschwerdegericht überprüfen lassen können muss. Dafür hat er schon wegen seines Kosteninteresses ein berechtigtes Rechtsschutzbedürfnis.

Die sofortige Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO. Der zur Entscheidung berufene Einzelrichter hat das Verfahren dem Senat zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO. Die Frage, wie im selbständigen Beweisverfahren vorzugehen ist, wenn eine der Parteien noch vor Beendigung des Verfahrens in derselben Hauptsache Klage erhebt, ist in der Rechtssprechung umstritten und bedarf höchstrichterlicher Entscheidung.

2. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Der angefochtene Einstellungsbeschluss ist zu Recht ergangen. Der Antragsteller war nicht genötigt, seinen Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens mit der Kostenfolge aus § 269 Abs. 3 ZPO analog zurückzunehmen, nachdem er vor dessen Beendigung Klage zur Hauptsache erhoben hat. Der angefochtene Einstellungsbeschluss stellt eine zulässige Feststellung der durch Klageerhebung entstandenen Verfahrenslage im selbständigen Beweisverfahren dar, ohne dass dadurch berechtigte Interessen des Antragsgegners beeinträchtigt werden.

a) Das selbständige Beweisverfahren ist nach Klagerhebung des Antragstellers unzulässig geworden. Ein nach § 485 Abs. 2 ZPO betriebenes selbständiges Beweisverfahren setzt nämlich voraus, dass über den Sachverhalt, der Gegenstand des beantragten selbständigen Beweisverfahrens ist, noch kein Rechtsstreit anhängig ist. Wird nach Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens im Sinne § 485 Abs. 2 ZPO in derselben Sache Klage erhoben, entfällt die Zulässigkeit des Verfahrens (Zöller/Herget, a. a. O., § 485 Rn. 7). So liegt es hier. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Fortsetzung des Verfahrens nach § 485 Abs. 1 ZPO liegen nämlich, jedenfalls jetzt, nicht mehr vor.

b) Die Klageerhebung stellte an sich einen Fall der Erledigung der Hauptsache des selbständigen Beweisverfahrens dar, wenn auf dieses Verfahren die Regeln des Zivilprozesses in vollem Umfange anwendbar wären. Es entspricht indes der zutreffenden Ansicht, dass auf das selbständige Beweisverfahren die Regeln über die Erledigung der Hauptsache nicht anwendbar sind. § 91 a ZPO setzt einen Rechtsstreit zwischen den Parteien voraus. Das selbständige Beweisverfahren ist kein Rechtsstreit, zielt auf keine Entscheidung in der Sache und dient lediglich der vorgezogenen Klärung von streitigen Tatsachen, die in einem künftigen Rechtsstreit von Bedeutung sein können. Deshalb ist weder eine einseitige noch eine übereinstimmende Erledigungserklärung mit einer Kostenentscheidung aus § 91 a ZPO zulässig (zum Streitstand: Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 91 a Rn. 58 "selbständiges Beweisverfahren").

Das folgt aus dem Grundsatz, dass im selbständigen Beweisverfahren eine Kostenentscheidung nicht veranlasst ist, weil eine Kostenerstattung grundsätzlich nur und erst im Hauptsacheverfahren möglich ist (Zöller/Herget, a. a. O., § 490 Rn. 5). Die Ausnahmen von diesem Grundsatz nach § 494 a ZPO und in den von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefällen, etwa bei Zurückweisung des Antrags als von vornherein unzulässig oder bei Antragsrücknahme, spielen im vorliegenden Falle keine Rolle.

c) Hier geht es vielmehr um das nachträgliche Unzulässigwerden des gemäß § 485 Abs. 2 ZPO eingeleiteten Verfahrens. Läge ein Rechtsstreit vor, müsste die Klage durch Prozessurteil abgewiesen werden, sofern der Kläger nicht zuvor seine Klage zurücknimmt. Eine solche Möglichkeit besteht in dem selbständigen Beweisverfahren nicht, da es nach der Anordnung des Beweisbeschlusses in der Regel keiner weiteren gerichtlichen Entscheidungen in der Sache mehr bedarf. Zu Recht ist in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass das Gericht ein unzulässiges Verfahren nicht weiter betreiben darf. Deshalb ist die Einstellung und Abgabe der Sache an das Prozessgericht die richtige Verfahrensweise (so auch OLG Köln, OLG-R 1995, 215). Berechtigte Interessen des Antragsgegners werden dadurch nicht berührt.

Wenn ein Antragsteller das von ihm eingeleitete selbständige Beweisverfahren selbst dadurch unzulässig macht, dass er in derselben Sache vor Abschluss des Beweisverfahrens Hauptsacheklage erhebt, entscheidet das Prozessgericht, ob es die noch unvollständige Beweisaufnahme zu Ende führt oder anderweitige Beweiserhebung anordnet. Eine Bindung nach § 493 ZPO setzt nämlich ein vollständig durchgeführtes und beendetes selbständiges Beweisverfahren voraus. Der Antragsteller läuft folglich das Risiko, dass sich die von ihm verursachten Kosten des selbständigen Beweisverfahrens nicht als notwendige Kosten der Hauptsache im Sinne von § 91 ZPO erweisen, selbst wenn er letztlich in der Hauptsache obsiegt.

Daraus folgt aber noch nicht, dass der Antragsteller, wie der Antragsgegner meint, seinen Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zurücknehmen muss, wenn er schon vor dessen Beendigung Klage erhebt.

Es ist nämlich seine Sache zu entscheiden, ob er das damit verbundene Kostenrisiko eingeht. Verfahrensrechtlich anerkannte Kosteninteressen des Antragsgegners werden dadurch nicht berührt.

Der Antragsgegner könnte nämlich selbst nach vollständiger Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 494 a Abs. 1 ZPO lediglich die Anordnung beantragen, dass der Antragsteller Klage zu erheben hat. Nur wenn der Antragsteller dies binnen der gesetzten Frist unterlässt, hat der Antragsgegner einen Anspruch auf eine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten, § 494 a Abs. 2 ZPO. Erhebt der Antragsteller dagegen Klage, ist der Weg zu einer Erstattung der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens im Rahmen der Abrechnung des Hauptsacheverfahrens eröffnet. Nichts anderes gilt für den hier vorliegenden Fall einer Klageerhebung vor Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens. Weitergehende Rechte stehen dem Antragsgegner nach der Kostensystematik des selbständigen Beweisverfahrens nicht zu.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO aus den bereits genannten Gründen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der Festsetzung eines Beschwerdewertes bedarf es nach neuem Kostenrecht nicht, § 72 Nr. 1 GKG, Nr. 1181 KV zum GKG.



Ende der Entscheidung

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