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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 27.03.2006
Aktenzeichen: 16 W 177/05
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 34 a Satz 1

Entscheidung wurde am 20.10.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete und die Vorschriften wurden geändert, Stichworte, Sachgebiete, Orientierungssatz und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Die in Restschuldversicherungen übliche Ausschlussklausel, nach der der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte in den ersten zwei Jahren nach Vertragsschluss wegen einer ihm bei Vertragsschluss bekannten ernsthaften Erkrankung verstirbt, verstößt jedenfalls dann nicht gegen § 34 a S. 1 VVG, wenn die Kreditlaufzeit mindestens 60 Monate beträgt.
16 W 177/05

Beschluss

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 04. Oktober 2005 gegen den Beschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 14. September 2005 am 27. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO. Der gem. § 568 S. 1 ZPO zur Entscheidung berufene Einzelrichter hat die Sache dem Senat wegen besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art zur Entscheidung übertragen, § 568 S. 2 Nr. 1 ZPO.

Die sofortige Beschwerde ist aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses sowie des Nichtabhilfebeschlusses des Landgerichts vom 19. Dezember 2005 unbegründet.

Vergeblich macht die sofortige Beschwerde geltend, die Antragsgegnerin dürfe sich auf § 10 ihrer AVB zur Restschuldversicherung nicht berufen, weil ihr der Gesundheitszustand des verstorbenen Versicherten bekannt gewesen und dieser auch nicht hinreichend aufgeklärt worden sei.

1. Allerdings ist zugunsten der Antragstellerin davon auszugehen, dass beim Abschluss der hier allein maßgeblichen Restschuldversicherung vom 27. Mai 2005 sowohl der Deutschen Bank als Versicherungsnehmerin als auch der Antragsgegnerin als Versicherer die Herzerkrankung und der Bluthochdruck des Ehemanns der Antragstellerin im Rechtssinne bekannt gewesen sind.

Für die Deutsche Bank 24 ergibt sich diese Kenntnis aus deren Mitteilung vom Dezember 2000 an die Antragsgegnerin über die Ablehnung einer Risikolebensversicherung zu den Bedingungen des Angebots vom 29. November 2000 durch den später verstorbenen Ehemann der Antragstellerin. Aus der handschriftlichen Übermittlung der Ablehnung durch die Bank ergibt sich, dass sie sowohl von dem Angebot als auch dem erhöhten Gesundheitsrisiko ihres Kreditnehmers Kenntnis erlangt hatte.

Für die Antragsgegnerin ergibt sich die Kenntnis im Rechtssinne aus einer Wissenszurechnung gem. § 166 BGB analog. Bei einer Zusammenarbeit zwischen einem Kreditinstitut und einer Versicherung in der von der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 27. Februar 2006 geschilderten Weise kann sich der Versicherer nicht darauf zurückziehen, er nehme eine "Dunkelverarbeitung" vor und erfahre von Einzelheiten erst im Versicherungsfall. Gerade deshalb muss er sich Kenntnisse seines zur Vermittlung eingeschalteten "Versicherungsnehmers" zurechnen lassen.

2. Das hilft der Antragstellerin allerdings nicht weiter. Daraus folgt lediglich, dass die Antragsgegnerin mit dem Abschluss der Restschuldversicherung, den sie ihrer "Versicherungsnehmerin" überlassen hat, nach Ablauf von zwei Jahren ein deutlich erhöhtes Versicherungsrisiko übernommen hat, und zwar im Rechtssinne in Kenntnis desselben.

Dies war indes für den verstorbenen Ehemann der Antragstellerin, der aufgrund der gescheiterten Risikolebensversicherung aus dem Jahre 2000 genau wusste, dass er normalen Risikolebensversicherungsschutz nur gegen eine deutlich höhere Prämie erlangen konnte, nur vorteilhaft.

Ohne die Restschuldversicherung hätte er den Aufstockungskredit vom 27. Mai 2004 mutmaßlich überhaupt nicht erhalten. Dass er das Darlehen zurückzahlen musste, versteht sich von selbst und war auch dem verstorbenen Ehemann klar. Dass dieser den Kredit in der Erwartung geschlossen hat, innerhalb der nächsten zwei Jahre zu versterben, ist abwegig.

Folglich lag das Risiko der gewählten Kreditabsicherung ausschließlich bei der kreditgewährenden Deutschen Bank, der das Gesundheitsrisiko ihres Kreditnehmers voll bewusst war.

3. Damit, dass der verstorbene Ehemann den Umfang des am 27. Mai 2004 beantragten Restschuldversicherungsschutzes nicht richtig verstanden habe, kann die Antragstellerin nicht gehört werden. Auf den Umfang des Versicherungsschutzes ist bereits im Antrag deutlich hingewiesen worden. Zudem hat der Verstorbene mit seiner Unterschrift bezeugt, mit der Ausfertigung des Vertrages auch die "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Restschuldversicherung" erhalten zu haben.

Ebenso wenig kann sich die Antragstellerin auf mangelhafte Aufklärung durch die Mitarbeiter der Bank bei Abschluss der Restschuldversicherung über deren Umfang berufen. Es kann nämlich bei den hier gegebenen Umständen ausgeschlossen werden, dass sich der Verstorbene auch bei vollständiger Aufklärung über alle versicherungstechnischen Einzelheiten anders verhalten hätte, zumal die Antragstellerin selbst vorträgt, der Versicherungsschutz sei nicht in erster Linie von ihrem Ehemann verlangt worden, sondern diesem von der Bank "aufgedrängt worden".

4. Gegen die Wirksamkeit von § 10 der AVB der Antragsgegnerin zu der Restschuldversicherung bestehen aus den Gründen des Urteils des Oberlandesgerichts Dresden vom 30. Juni 2005 (VersR 2006, 61 ff.) keine Bedenken.

Dies gilt jedenfalls für Fälle der vorliegenden Art mit einer Kreditlaufzeit von mehr als 60 Monaten, bei denen uneingeschränkter Versicherungsschutz für deutlich mehr als die Hälfte der Kreditlaufzeit besteht.

a) Bedenken gegen die Wirksamkeit der streitigen Klausel wegen Verstoßes gegen § 34 a S. 1 VVG könnten sich nämlich nur dann ergeben, wenn bei einer abstrakten Gesamtwürdigung ohne Rücksicht auf den vorliegenden Einzelfall sich ergäbe, dass eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild der §§ 16 ff. VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers vorliegt. Das ist nicht der Fall, auch wenn man wie im vorliegenden Falle auf die Sicht des Versicherten und eine allseitige Kenntnis von einer bestehenden Gesundheitslage abstellt, die bei einem Versterben des Versicherten binnen 24 Monaten seit Beginn des Versicherungsschutzes mit großer Wahrscheinlichkeit zum Leistungsausschluss führen kann.

Gerade in einem solchen Falle überwiegen die Vorteile zugunsten des Versicherten deutlich gegenüber der normalen Situation einer vorherigen Risikoprüfung durch den Versicherer gem. § 16 ff. VVG. Die Wirkung des hier maßgeblichen § 10 AVB steht nämlich der Vereinbarung einer Wartezeit für das Risiko eines Versterbens aufgrund des allseits bekannten Herzleidens und der Hypertonie gleich, wenn eine normale Risikolebensversicherung abgeschlossen wäre. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Versicherer auf eine solche zeitlich begrenzte Freizeichnung von dem bekannten Gesundheitsrisiko einlässt und danach das volle Risiko übernimmt, ist schon für sich genommen gering. Bei der Restschuldversicherung erlangt der gesundheitlich vorgeschädigte Versicherte eine solche Rechtsposition hingegen ohne jede Risikoprüfung.

Der Vorteil für den Versicherten mit gesundheitlichen Vorschäden ist auch gegeben, wenn in die Gesamtbetrachtung die Prämien für eine hypothetische Risikolebensversicherung mit Wartezeit im Vergleich zu der verlangten Prämie für die Restschuldversicherung unter Berücksichtigung des jeweils erlangten Versicherungsschutzes einbezogen werden.

Die Prämie für die Restschuldversicherung mit einer Ausgangsversicherungssumme von 27.850,00 € betrug einmalig 2.809,80 €, wie sich aus dem Antrag auf Abschluss dieser Versicherung vom 27. Mai 2004 ergibt. Bezogen auf die Laufzeit des Kredits von sieben Jahren war folglich jährlich eine Restschuldversicherungsprämie von rd. 400,00 € zu zahlen.

Da die 84 Raten von je 341,98 € auf den Kredit einschließlich Zinsen und Kosten zu zahlen waren, betrug das versicherte Risiko nach Ablauf von 24 Monaten noch 20.518,80 € und verringerte sich jährlich um weitere 4.103,76 € durch Erbringung der Raten.

Hingegen ist aus der konkreten Risikoprüfung der Antragsgegnerin vom November 2000 bekannt, dass sie für eine Risikolebensversicherung ohne Wartezeit bei einer Versicherungssumme von 40.000,00 DM = 20.451,68 € eine Prämie von jährlich 2.032,68 DM = 1.039,29 € verlangt hätte. Selbst wenn man diese Jahresprämie ab dem 25. Monat wegen des fallenden Risikos durch Ratenerbringung jährlich hypothetisch um 20 % kürzte, ergäbe sich für die voll versicherten letzten fünf Jahre der Kreditlaufzeit eine Gesamtprämie von über 3.000,00 €.

Schon dieser überschlägige Vergleich zeigt, dass für einen Versicherten mit den gesundheitlichen Vorbelastungen des Verstorbenen der Abschluss einer Restschuldversicherung im Vergleich mit einer Risikolebensversicherung mit 2jähriger Wartezeit unter Absehung von jeder Risikoprüfung nur vorteilhaft ist. Hinzu kommt, dass die Unsicherheit, ob die Versicherung sich überhaupt bei einer Risikolebensversicherung auf einen Abschluss mit Vereinbarung einer Wartezeit eingelassen hätte, entfiel. Wahrscheinlich ist das ohnehin nicht. Mutmaßlich wäre dem Verstorbenen, hätte er eine Risikolebensversicherung verlangt, ein Angebot zu vergleichbaren Bedingungen wie im Herbst 2000 unterbreitet worden.

b) Überwiegen somit die Vorteile einer Restschuldversicherung für Versicherte mit gesundheitlichen Risiken deutlich gegenüber einem Vertragsabschluss nach dem Modell des gesetzlichen Leitbildes gem. §§ 16 ff. VVG, so könnten Zweifel an einer benachteiligungsfreien Gestaltung des Restschuldversicherungsmodells i. S. von § 34 a S. 1 VVG allenfalls für gesunde Kreditnehmer anzumelden sein. Dass für sie eine Restschuldversicherung im Vergleich mit einer Risikolebensversicherung von der Prämienhöhe her nachteiliger ist, liegt auf der Hand. Sie müssen mit ihren Prämien die "schlechten" Risiken, die wie im Falle des Verstorbenen ohne individuelle Risikoprüfung unter Versicherungsschutz genommen werden, mittragen. Dies ist indes keine nachteilige Abweichung von den Vorschriften der §§ 16 ff. VVG i. S. von § 34 a S. 1 VVG. Diese Vorschrift schützt den Versicherungsnehmer nicht gegen ein prämienmäßig ungünstiges Versicherungsmodell. Die Vorschrift schützt nur dagegen, dass der erlangte Versicherungsschutz in der Mehrzahl der Fälle von den gesetzlichen Vorschriften zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 34 a Rdnr. 1). Das ist, wie dargelegt, bei einer Restschuldversicherung auch für gesunde Versicherungsnehmer nicht der Fall, weil für sie § 10 AVB keine Bedeutung hat. Ihr Versicherungsschutz ist umfassend.

5. Das erstmalige Bestreiten der Antragstellerin in der sofortigen Beschwerde, dass ihr Ehemann überhaupt aufgrund der bekannten Erkrankung verstorben sei, verhilft dem Prozesskostenhilfegesuch nicht zu der nach § 114 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage.

Richtig ist allerdings, dass es Sache der Antragsgegnerin ist, den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tod des Ehemanns am 16. Oktober 2004 und der zuvor bestehenden Grunderkrankung darzulegen und zu beweisen. § 10 AVB der Antragsgegnerin ist nämlich ein Risikoausschluss, dessen Voraussetzungen immer der Versicherer darzulegen und zu beweisen hat.

Die Antragsgegnerin ist indes ihrer Darlegungslast mit der Behauptung gerecht geworden, der Versicherte sei an Herzversagen verstorben. Träfe dies zu, wäre auch der ursächliche Zusammenhang mit einem Zustand nach Herzinfarkt und fortbestehender Hypertonie bewiesen.

Für die Richtigkeit der Behauptung der Antragsgegnerin spricht bereits der ärztliche Todesfallbericht der Ärzte Dr. B. und Dr. P. vom 05. November 2004. Danach ist der Versicherte noch während des Einsatzes des Notarztes verstorben. Das spricht für einen Herztod.

Die Antragsgegnerin hat sich zudem auf das Zeugnis des Hausarztes Dr. S. berufen. Im Streitfalle stünden auch die Mitglieder der Besatzung des Notarztwagens für eine Zeugenvernehmung zur Verfügung.

Nach Lage der Dinge hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin den ihr obliegenden Beweis auch erbringen könnte, wenn denn überhaupt noch Zweifel an einem Herztod gerechtfertigt wären.

Bei einer solchen eindeutigen Sachlage kann von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage keine Rede mehr sein.

6. Die mit Verfügung vom 23. Januar 2006 geäußerten Bedenken, ob sich die Antragsgegnerin eine erhöhte Prämie auch für die Restschuldversicherung hat versprechen lassen, sind durch deren Schriftsatz vom 27. Februar 2006 ausgeräumt worden. Die Antragstellerin ist den dortigen Darlegungen zur rein abstrakten, nicht auf den Einzelfall bezogenen Prämienberechnung auch nicht mehr entgegengetreten.

Ende der Entscheidung

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