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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 06.09.2005
Aktenzeichen: 16 W 76/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 44
ZPO § 160 Abs. 2
1. Ein Befangenheitsgesuch in der mündlichen Verhandlung ist zu Protokoll zu nehmen (§ 160 Abs. 2 ZPO). Die Partei darf nicht auf eine schriftliche Anbringung verweisen werden.

2. Ein Befangenheitsgesuch muss sofort begründet werden. Sowohl ein angegebner Grund als auch ein das Gesuch auslösender Vorgang in der Verhandlung sind zu Protokoll zu nehmen.

3. Bei einem Befangenheitsgesuch ohne ersichtlichen oder angegebenen Grund besteht eine richterliche Nachfragepflicht nach § 139 I 2 ZPO.

4. Ein in der Verhandlung angegebener Grund kann schriftsätzlich näher ausgeführt werden.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Beschluss

16 W 76/05

In dem Rechtsstreit

wegen Richterablehnung

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 08. Juni 2005 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 07. Juni 2004 am 06. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist gem. § 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO, jedoch unbegründet.

1. Das Befangenheitsgesuch der Beklagten, das in der mündlichen Verhandlung vom 03. Juni 2005 zur Akte gereicht worden ist, ist entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht unzulässig.

Zwar stellt die bloße Erklärung einer Partei, sie lehne den Richter ab, werde die Begründung aber erst nachbringen, kein zulässiges Ablehnungsgesuch dar (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 44 Rdnr. 2 m. w. N.). So liegt der Fall indes vorliegend nicht, mag es auch für das Landgericht bei seiner Entscheidung vom 07. Juni 2005 so erschienen sein. Aus der eidesstattlichen Versicherung des Mitarbeiters der Beklagten H., der an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, aber auch indirekt aus der vom Senat eingeholten dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richterin ergibt sich nämlich, dass der Eindruck eines begründungslosen Befangenheitsgesuchs auf dessen prozessordnungswidriger Behandlung durch die abgelehnte Richterin zurückzuführen ist, in Wahrheit aber nicht zutrifft.

Nach § 160 Abs. 2 ZPO sind die wesentlichen Vorgänge in der Verhandlung in das Protokoll aufzunehmen. Dazu gehört die Tatsache der Anbringung eines Ablehnungsgesuches und die Angabe des Ablehnungsgrundes (Senat OLGR 2002, 307).

Es ist deshalb fehlerhaft, einer Partei die Abgabe ihrer Befangenheitserklärung zu Protokoll zu verweigern und sie zur Einreichung eines schriftlichen Gesuchs zu veranlassen.

Wird aber ein Befangenheitsgesuch gem. § 160 Abs. 2 ZPO zu Protokoll genommen, gehört es zur ordnungsgemäßen Verhandlungsführung, § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO, die Partei nach dem Grund für ihr Gesuch zu befragen, sofern dieser sich nicht für alle Beteiligten ohne weiteres aus dem Gang der Verhandlung ergibt. Ist letzteres der Fall, ist auch der Anlass für das Befangenheitsgesuch nach § 160 Abs. 2 ZPO im Protokoll aufzunehmen. Es ist gängige Praxis der Zivilgerichte, so zu verfahren.

Nur wenn eine Partei ein Befangenheitsgesuch aus nicht ersichtlichem Grunde stellt und auch auf Nachfrage keinen Grund, der im Einzelfall durchaus schriftsätzlich näher begründet werden könnte, angibt, kann ein mangels Individualisierung unwirksames und damit unzulässiges Befangenheitsgesuch vorliegen.

Da der Senat keinen Zweifel daran hat, dass die abgelehnte Richterin sehr wohl gewusst hat, warum sie abgelehnt worden ist, hätte sie sowohl das Ablehnungsgesuch als auch ihre eigene vorangegangene Bemerkung zu Protokoll nehmen müssen. Die Begründung für das Befangenheitsgesuch hätte sich dann ohne weitere Angaben unmittelbar aus dem Zusammenhang des Protokolls ergeben.

Folglich ist wegen der unrichtigen Behandlung des Befangenheitsgesuchs der Beklagten durch die abgelehnte Richterin von dessen Zulässigkeit auszugehen, weil bei prozessordnungsgemäßer Behandlung nicht der Eindruck eines begründungslosen Gesuches entstanden wäre. Der Fehler der abgelehnten Richterin kann nicht zur Verkürzung der prozessualen Rechte der Beklagten führen.

2. Das Befangenheitsgesuch der Beklagten ist indes offensichtlich unbegründet, sodass der Senat davon abgesehen hat, die Sache an das Landgericht gem. § 572 Abs. 3 ZPO zurückzuverweisen.

Keine besonnene und vernünftige Partei in der Lage der Beklagten wird aus einer Bemerkung eines Richters im Rahmen eines Disputs zwischen Gericht und Anwälten über prozessuale Formalien, ihr Anwalt sei dafür bekannt, auf Einhaltung von Formalien zu bestehen, den Schluss ziehen, der Richter stehe ihr, der Partei, nicht mehr mit der gebotenen Unparteilichkeit gegenüber, § 42 Abs. 2 ZPO. Zöge sie gleichwohl diesen Schluss, läge eine nicht schützenswerte und vom Regelungszweck des § 42 ZPO nicht erfasste Überempfindlichkeit vor. Auf die Empfindlichkeit des Anwalts kommt es ohnehin nicht an.

Ebenso wenig kann es einen Befangenheitsgrund darstellen, dass die abgelehnte Richterin von der Befugnis des § 47 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht hat. Ob die dahingehende Ermessensausübung angesichts der Prozesssituation zutreffend war oder nicht, ist eine Verfahrensfrage, die als solche ohnehin kein Befangenheitsgesuch tragen kann.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Festsetzung eines Beschwerdewertes bedarf es nach neuem Kostenrecht wegen der gerichtlichen Festgebühren nicht mehr.



Ende der Entscheidung

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