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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 14.09.2004
Aktenzeichen: 16 W 97/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 45
ZPO § 348
ZPO § 348 a
ZPO § 526
1. Auch nach Inkrafttreten des ZPO-Reformgesetzes entscheidet gemäß § 45 I ZPO über gegen Einzelrichter gerichtete Befangenheitsgesuche bei Kollegialgerichten der vollbesetzte Spruchkörper (Kammer/Senat), welcher der Einzelrichter als Mitglied angehört.

2. Die §§ 348, 348 a, 526 ZPO sind im Befangenheitsverfahren nicht anwendbar. Die Entscheidung durch den Vertreter des Einzelrichters ist daher in jedem Falle verfahrensfehlerhaft.


Beschluss

16 W 97/04

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 14. Juli 2004 gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 01. Juli 2004 am 14. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gemäß § 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO.

1. Die angefochtene Entscheidung ist verfahrensfehlerfrei ergangen. Zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Beklagten vom 18. Mai 2004 gegen den Richter am Landgericht X. als Einzelrichter hat zu Recht die vollbesetzte 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck entschieden.

Der Senat folgt in ständiger Rechtsprechung der herrschenden Meinung, dass zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen einen zur Alleinentscheidung berufenen Einzelrichter des Landgerichts gemäß § 45 Abs. 1 ZPO die vollbesetzte Kammer zuständig ist, der der Einzelrichter als Mitglied angehört.

Die vom Beklagten in der sofortigen Beschwerde hiergegen vorgebrachten Rechtsauffassungen sind nicht geeignet, den Senat zu einer Änderung seiner ständigen Rechtsprechung zu veranlassen.

Nach § 75 GVG, der durch das Zivilprozessreformgesetz nicht geändert worden ist, sind bei den Landgerichten die Zivilkammern, soweit nicht nach den Vorschriften der Prozessgesetze anstelle der Kammer der Einzelrichter zu entscheiden hat, mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden besetzt. Aus dieser Vorschrift folgt, dass jeder bei einem Landgericht in Zivilsachen tätige Richter einer Zivilkammer angehört. Der einschränkende Soweit-Satz bezieht sich lediglich auf die schon seit der Vereinfachungsnovelle aus dem Jahre 1976 geltenden Regelungen, wonach aufgrund der entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung zu entscheiden ist, ob die Kammer in voller Besetzung oder durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter entscheidet. In jedem Falle aber entscheidet die Zivilkammer, nicht etwa das Landgericht als solches durch einen Einzelrichter.

Die §§ 348, 348 a ZPO n.F. haben zu keiner grundsätzlichen Änderung des Verhältnisses zwischen der Zivilkammer als solcher und den im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Einzelrichtern geführt. Es ist lediglich der Zuständigkeitsbereich für Einzelrichtersache erheblich ausgeweitet worden. Diese Vorschriften besagen für das Verfahren bei Ablehnungsgesuchen entgegen der Ansicht der sofortigen Beschwerde nichts, da die Frage, wer für die Entscheidung über Ablehnungsgesuche zuständig ist, ausschließlich in § 45 ZPO geregelt ist. Deshalb liegen alle Ausführungen über die Befugnisse des Einzelrichters nach § 348, 348 a ZPO neben der Sache. Jetzt wie früher ist der Einzelrichter "die Kammer" auch für alle Nebenverfahren, für die Abweichendes nicht geregelt ist. Das Befangenheitsverfahren ist aber in § 45 ZPO gesondert geregelt. Folglich sind die dortigen Zuständigkeitsvorschriften aus sich heraus auszulegen. Die Besonderheit des Nebenverfahrens "Befangenheitssache" ist dadurch gekennzeichnet, dass der Einzelrichter selbst, der abgelehnt worden ist, unbestrittenermaßen nicht selbst entscheiden kann, es sei denn, es läge ein wegen Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO analog unzulässiges Ablehnungsgesuch vor.

Wenn bei dieser Sachlage § 45 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch das Gericht für zuständig erklärt, dem der Abgelehnte angehört, gebietet schon die naheliegende Wortauslegung, hierunter bei Kollegialgerichten die Kammern oder die Senate zu verstehen, denen der Einzelrichter angehört. Es gibt nämlich bei Land- und Oberlandesgerichten keine freischwebenden Einzelrichter, sondern jeder Richter gehört einer Kammer oder einem Senat an. Es entscheidet auch niemals "das Landgericht" oder "das Oberlandesgericht", sondern jeweils ein Spruchkörper entweder durch drei Richter oder durch den kraft Gesetztes oder Übertragung zuständigen Einzelrichter. Auch der Einzelrichter bleibt bei funktionaler Alleinzuständigkeit Mitglied seines Spruchkörpers. Hingegen ist der nach dem jeweiligen Geschäftsverteilungsplan des Kollegiums zuständige Vertreter des Einzelrichters in dessen Einzelrichtersachen schon dem Wortsinn nach nicht "das Gericht, dem der Abgelehnte angehört", sondern er tritt im Verhinderungsfalle an die Stelle des Einzelrichters.

Schon all das spricht gegen die Auslegungsbemühungen, die die Beschwerde für zutreffend hält.

Entscheidend ist, dass bis zur ZPO-Reform auch nach dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvorschriften des § 45 kein Zweifel an der Zuständigkeit der vollbesetzten Kammer auch für Befangenheitsgesuche gegen ein Mitglied in seiner Eigenschaft als alleinentscheidender Einzelrichter bestehen konnte, weil auch über Ablehnungsgesuche gegen Amtsrichter die zuständige Kammer des Landgerichts entschied, § 45 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. Wenn der Gesetzgeber diese Zuständigkeit bei Befangenheitsgesuchen gegen Amtsrichter durch § 45 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. abgeändert hat, ohne den Einzelrichter bei Kollegialgerichten zu erwähnen, folgt hieraus, dass er an der bestehenden Rechtslage hinsichtlich der Zuständigkeit der Kollegien für Befangenheitsgesuche gegen eines seiner Mitglieder nichts hat ändern wollen.

Schließlich ist auch unerheblich, ob es rechtspolitisch vertretbar erscheint, Entscheidungen über die Ablehnung eines Einzelrichters dem Einzelrichter - gemeint ist in Wahrheit: dem Vertreter des Einzelrichters - in denjenigen Fällen zu übertragen, in denen die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art ausweist oder die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (Fölsch, SchlHAnz 2004, 137, 140). Das zu entscheiden wäre Sache des Gesetzgebers. Rechtspolitisch wünschenswert wäre eine solche Regelung nicht, weil für die Frage, ob ein Befangenheitsgrund im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO vorliegt, die Qualität der jeweiligen Rechtssache völlig unmaßgeblich ist.

Es steht der Justiz aber gut an, Befangenheitsgesuche wegen der Bedeutung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter mit der herrschenden Meinung durch das vollbesetzte Kollegialgericht und nicht nur durch einen Vertreterkollegen entscheiden zu lassen. Das dient dem Ansehen der Justiz, weil eine solche Zuständigkeitsregelung auch bei Einzelrichtersachen das überragende Interesse der Justiz selbst an der Unparteilichkeit aller Richter als der Grundlage jeder rechtsstaatlichen Rechtspflege hervorhebt. Der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 45 Abs. 2 ZPO bei Amtsrichtern zur Beschleunigung der Verfahren nunmehr eine andere Regelung getroffen hat, rechtfertigt auch ohne Rücksicht auf den zutreffenden Umkehrschluss keine Abweichung von der herkömmlichen Auslegung des § 45 Abs. 1 ZPO bei Kollegialgerichten. Dort stellt sich mangels der Notwendigkeit der Aktenverschickung nämlich kein Beschleunigungsproblem.

2. Die sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet, weil das Ablehnungsgesuch des Beklagten aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die sich der Senat in vollem Umfange zu Eigen macht, unbegründet ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Einer Festsetzung des Beschwerdewerts bedarf es nicht, weil die vorliegende sofortige Beschwerde nach dem 01. Juli 2004 eingelegt worden ist, so dass das Gerichtskostengesetz in der seit diesem Zeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden ist, § 72 Nr. 1 GKG n.F. Befangenheitsbeschwerden sind im Kostenverzeichnis zum GKG nicht besonders aufgeführt, so dass für die Beschwerdeentscheidung die Festgebühr nach Nr. 1811 der Anlage 1 zum GKG n.F. anfällt.



Ende der Entscheidung

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