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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 04.10.2007
Aktenzeichen: 2 VollzWs 392/07 (212/07)
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 2
StVollzG § 11
StVollzG § 115 Abs. 5
StVollzG § 116
1. Auch bei fehlender Auseinandersetzung des Gefangenen mit der abgeurteilten Straftat dürfen Vollzugslockerungen nur aufgrund konkreter Flucht- oder Missbrauchsbefürchtungen verweigert werden, nicht aufgrund eines angenommenen allgemeinen Risikos. Allerdings verbleibt den Strafvollzugsbehörden bei der Beurteilung der Gefahrenlage ein ermessensähnlicher Beurteilungsspielraum.

2. Da der Gefangene zur Mitarbeit an der Erreichung des Vollzugszieles nicht verpflichtet ist, darf innerhalb des Beurteilungsspielraums die mangelnde Tataufarbeitung nur insoweit berücksichtigt werden, als diese die prognostische Beurteilung von Flucht- oder Missbrauchsgefahr erschwert.

3. Die Ausgestaltung der Vollzugslockerungen steht in pflichtgemäßem Auswahl- und Entscheidungsermessen. Ist eine Ausführung aus wichtigem (familiären) Anlass beanstandungsfrei erfolgt, ist keineswegs als nächste Stufe zwingend ein unbegleiteter Ausgang zu gewähren.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht II. Strafsenat Beschluss

2 Vollz Ws 392/07 (212/07)

in der Strafvollzugssache

Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Neumünster gegen den Beschluss der 3. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 02. August 2007, in dem unter Zurückweisung des weitergehenden Antrages des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung vom 17. Juli 2007 die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Ministeriums für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein vom 5. Juli 2007 dazu verpflichtet worden ist, dem Antragsteller binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung einen Ausgang innerhalb des Gebietes der Stadt Neumünster für eine Dauer von 90 Minuten zu gewähren, hat der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts am 04. Oktober 2007 beschlossen:

Tenor:

1) Der Beschluss der 3. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 02. August 2007 wird insoweit aufgehoben, als er die Antragsgegnerin zur Gewährung eines Ausgangs innerhalb des Gebietes der Stadt N. für eine Dauer von 90 Minuten verpflichtet hat.

2) Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2007 sowie der Beschwerdebescheid des Ministeriums für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein vom 5. Juli 2007 werden aufgehoben.

3) Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über den Antrag des Antragstellers auf einen unbegleiteten Ausgang von 90 Minuten innerhalb der Stadtgrenzen von N. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

4) Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragstellers tragen nach einem Wert bis zu € 1.000,00

a) im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer die Parteien jeweils zur Hälfte,

b) im Verfahren der Rechtsbeschwerde der Antragsteller.

Gründe:

I.

Der Antragsteller verbüßt u.a. wegen schwerem sexuellen Missbrauchs seiner Tochter H. in Tateinheit mit Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren (Strafende: 17. Juni 2008). Er hatte in der Hauptverhandlung bestritten, die ihm vorgeworfenen Taten begangen zu haben und hat sich auch im Strafvollzug auf diesen Standpunkt gestellt. Therapieversuche waren deshalb nicht erfolgreich.

Auf seinen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB hat der Sachverständige Prof. Dr. S. für die 3. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel ein Gutachten vom 08. Januar 2007 zum Fortbestehen der durch die Tat zutage getretenen Gefährlichkeit erstattet. Dort heißt es u.a. (S. 15 f unten, Bl. 81 f d.A.):

"Die allgemeine Sozialprognose des V. ist an sich günstig, weil man davon ausgehen kann, dass er nach seiner Haftentlassung in die Familie und auf seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Die Prognose speziell in Bezug auf die abgeurteilten Sexualstraftaten ist schwieriger einzuschätzen, weil das Motivationsgefüge des Täters infolge seines Leugnungsverhaltens nicht sicher zu beurteilen ist. Die familiäre Situation, aus der heraus es bis zu den abgeurteilten Straftaten gekommen ist, besteht allerdings insoweit nicht mehr, als die Tochter Andrea nur noch besuchsweise nach Hause kommt und die Tochter H. nicht mehr minderjährig ist. Für die Betätigung pädophiler Neigungen, wenn diese bestanden haben sollten, gibt es somit in der Familie keine Gelegenheit mehr.

Für eine mögliche Gefährdung anderer Kinder außerhalb der Familie gibt es nach den bisher zur Verfügung stehenden Erkenntnissen keinen hinreichenden Anhalt. Auch die Gefahr eines gewaltsamen sexuellen Übergriffs auf einer der beiden inzwischen erwachsenen Töchter erscheint eher gering, weil es dazu bei fortschreitendem Lebensalter der Opfer auch früher nicht gekommen ist.

...Das Leugnungsverhalten des V hat aber für die prognostische Beurteilung insoweit Folgen, als es keinen Einblick in das Motivationsgefüge des Täters ermöglicht. Damit bleibt die deliktspezifische Legalprognose in einer größeren Unsicherheit, als dies im Falle eines Geständnisses und einer klaren Analyse der Motivationszusammenhänge der Fall wäre. Insgesamt wird man sagen können, dass das Risiko weiterer einschlägiger Straftaten - andere sind ohnehin unwahrscheinlich - eher gering ist. Wie gering es tatsächlich ist, wird man allerdings erst beurteilen können, wenn die Zuverlässigkeit des V. und die Belastbarkeit der Familienangehörigen durch Vollzugslockerungen erprobt worden ist.

...Über eine Ausführung hinaus müsste das bisher nicht hinreichend sicher abzuschätzende Risiko durch weitere Vollzugslockerungen wie Ausgänge zu Besuchen der Familie begrenzt werden. Aus sachverständiger Sicht sind stufenweise gewährte Vollzugslockerungen bereits nach gegenwärtigem Stand verantwortbar. Es ist nicht zu erwarten, dass der V. sie missbrauchen könnte, um sich dem weiteren Vollzug der Freiheitsstrafe zu entziehen. Auch das Risiko eines Missbrauchs zu erneuten Straftaten ist aus den dargelegten Gründen vergleichsweise gering."

Der Senat hat in seinem Beschluss vom 29. März 2007 - 2 Ws 109/07 (65/07) - die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den eine vorzeitige bedingte Entlassung ablehnenden Beschluss der 3. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel als unbegründet verworfen und zur Begründung darauf hingewiesen, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen aufgrund der mangelnden Mitarbeit des Antragstellers ein Restrisiko verbleibe. Weiterhin hat der Senat ausgeführt:

"... Nach Auffassung des Senats sollte aber in nächster Zeit dem Verurteilten - schon im Hinblick auf die selbst bei einer Vollverbüßung bereits für 2008 anstehende Entlassung - mit den Mitteln des Vollzuges die Gelegenheit gegeben werden, sich nach und nach in Alltagssituationen zu bewähren. Der Umfang des verbleibenden Restrisikos, das sich nach den Feststellungen des Sachverständigen in erster Linie auf Familienangehörige des Verurteilten bezieht, lässt es vertretbar und auch im Hinblick auf das Ziel des Strafvollzuges wünschenswert erscheinen, dem Verurteilten nunmehr - abgestuft - Vollzugslockerungen zuzubilligen. Diese Lockerungen müssten zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen direkten Kontakt zu Familienangehörigen beinhalten, sondern könnten sich zunächst etwa auf Ausführungen und Ausgänge am Ort der Justizvollzugsanstalt beschränken ..."

Der zum 1. März 2007 von der Antragsgegnerin fortgeschriebene Vollzugsplan für den Antragsteller sieht zweckgebundene Ausführungen zur Entlassungsvorbereitung vor, mit Ausnahme solcher in das familiäre Umfeld.

Der Antragsteller hat am 22. April 2007 über seinen Verteidiger den Antrag auf einen Ausgang innerhalb der Stadtgrenzen von N. für den 27. April 2007 zwischen 16.30 Uhr - 18.00 Uhr, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt gestellt. Die gegen die Zurückweisung des Antrags durch die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10. Mai 2007 eingelegte Beschwerde wies das Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa mit Bescheid vom 5. Juli 2007 zurück.

Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller am 27. Juli 2007 aus Anlass der Beerdigung seiner Mutter eine Ausführung in ständiger Begleitung von zwei Vollzugsbediensteten aus sozialen Gründen.

Auf den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung verpflichtete die 3. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 02. August 2007 - unter Abweisung des weitergehenden Antrages auf weitergehende Vollzugslockerungen nach positivem Verlauf des Ausgangs - dazu, dem Antragsteller binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung einen Ausgang innerhalb des Gebietes der Stadt N. für die Dauer von 90 Minuten zu gewähren.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin vom 30. August 2007, mit der sie beantragt,

den Beschluss der 3. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückzuverweisen.

Der Antragsteller ist dem entgegengetreten. Den Beteiligten - darunter auch dem nach § 111 Abs. 2 StVollzG im Rechtsbeschwerdeverfahren beteiligten Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein - ist rechtliches Gehör gewährt worden.

II.

1) Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 116 Abs. 1 StVollzG.

Die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Zwar betrifft die angefochtene Entscheidung einen Einzelfall. Die zugrunde liegende Problemstellung kann aber von diesem Einzelfall gelöst werden und wirft die weitere Strafgefangene betreffende Frage auf, unter welchen Voraussetzungen von der Strafvollstreckungskammer bei der Entscheidung über Vollzugslockerungen nach § 11 StVollzG eine Ermessenreduzierung auf Null angenommen werden kann.

Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere nach § 118 StVollzG form- und fristgerecht eingelegt worden.

2) Die Rechtsbeschwerde ist begründet, die Sachrüge der Antragsgegnerin hat Erfolg. Sie führt in dem beantragten Umfang zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Aufhebung der zugrunde liegenden Bescheide sowie zum Ausspruch der Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu bescheiden, § 119 Abs. 4 i.V.m. § 115 Abs. 4 S. 2 StVollzG.

a) Die von dem Antragsteller in Gestalt eines unbegleiteten Ausgangs angestrebte Lockerung des Vollzuges nach § 11 Abs. 1 StVollzG darf - nach Zustimmung des Gefangenen - nur angeordnet werden, wenn eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG nicht besteht. Unbeschadet des - insbesondere am Vollzugsziel zu orientierenden - Entscheidungsermessens nach § 11 Abs. 1 StVollzG eröffnet daher der Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsbefürchtung den Strafvollzugsbehörden zusätzlich einen ermessenähnlichen Beurteilungsspielraum. Der Gefangene hat deshalb keinen Rechtsanspruch auf Vollzugslockerungen, sondern nur das Recht auf einen fehlerfreien Bescheid. Auch die gerichtliche Kontrolle der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Flucht- oder Missbrauchsbefürchtung richtet sich nach dem in § 115 Abs. 5 StVollzG für die Ermessensausübung enthaltenen Kontrollmaßstab (vgl. BGH NJW 1982, 1057, 1059).

Hiernach prüft das Gericht, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Das Gericht hat hierbei zu untersuchen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (vgl. BGH, aaO). Ist die Sache nicht spruchreif, weil die Vollzugsbehörde den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat, ist der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Vollzugsbehörde zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 115 Abs. 4 StVollzG). Eine eigene Entscheidung in der Sache an Stelle der Vollzugsbehörde trifft das Gericht nur im Fall einer Reduzierung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums auf Null, also nur dann, wenn nur noch eine Entscheidung rechtlich vertretbar ist (vgl. Senat, SchlHA 1999, 202 f; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1998, 91 f; HansOLG Hamburg NStZ 1990, 606 f; Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2005, § 115, Rdnr. 24). Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass der Sachverhalt vollständig ermittelt worden ist (vgl. OLG Frankfurt, aaO).

b) Diese Voraussetzungen hat die Strafvollstreckungskammer grundsätzlich nicht verkannt.

Zu Recht hat sie darauf abgestellt, dass das Vorliegen von Flucht- oder Missbrauchsbefürchtungen im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG aufgrund konkreter Tatsachen bezogen auf die konkrete Lockerungsmaßnahme festgestellt werden muss (vgl. auch Feest, AK-StVollzG-Lesting, 5. Aufl., § 11, Rn. 35), also nicht etwa auf allgemeine Risikobetrachtungen abgestellt werden darf (Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 11, Rn. 14). Insoweit verhält sich schon die Fragestellung grundlegend anders als im Rahmen der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Sozial- und Gefährlichkeitsprognose.

Ebenso ist der Sachverhalt insbesondere durch das Gutachten von Prof. Dr. Schimmelpenning vom 08. Januar 2007 zur Gefährlichkeitsprognose nach § 454 Abs. 2, 3 StPO auch im Hinblick auf die Prognose der Flucht- und Missbrauchsgefahr für Vollzugslockerungen nach § 11 StVollzG hinreichend geklärt. Es ist wegen des Bestreitens der Tat durch den Antragsteller nicht ersichtlich, dass eine erneute Begutachtung zu weiterführenden Erkenntnissen führen wird. Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung ist das Gutachten auch nicht lückenhaft. Die Angabe von psychodiagnostischen Tests und Beobachtungen durch den Gutachter ist entbehrlich, da das Gutachten ersichtlich auf einer Auswertung der Akten (Erkenntnisakte mit Vollstreckungsheft sowie Gefangenpersonalakte) und einer nervenärztlichen Untersuchung durch Befragung des Gefangenen beruht.

Die rechtliche Bewertung der Strafvollstreckungskammer, der ihr zur Entscheidung vorliegende Sachverhalt lasse nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung zu, nämlich die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung eines neunzigminütigen Ausgangs für den Antragsteller in den Stadtgrenzen von N. zu, teilt der Senat hingegen nicht.

Zwar bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, sondern wird - hierauf hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 29. März 2007 - 2 Ws 109/07 (65/07) hingewiesen - es sich vielmehr in Ansehung der in § 2 StVollzG normierten Vollzugsziele empfehlen, dem Antragsteller gerade im Hinblick auf die im Juni 2008 bevorstehende Entlassung - abgestuft - Vollzugslockerungen nach § 11 StVollzG zu bewilligen, wozu bei einer ausreichenden Bewährung des Antragstellers auch der begehrte unbegleitete Ausgang innerhalb der Stadtgrenzen von N. für 90 Minuten gehören kann.

Auch hat die Strafvollstreckungskammer unter Hinweis auf die Feststellungen von Prof. S. zu Recht eine lediglich geringe Flucht- und Missbrauchsgefahr i.S.d. § 11 Abs. 2 StVollzG angenommen und darauf hingewiesen, dass die Leugnung der Tat durch den Antragsteller und seine daraus resultierende mangelnde Bereitschaft zur Mitwirkung an Therapien bei der Prüfung von Vollzugslockerungen nur bei der Prognose der Flucht- und Missbrauchsgefahr eine Rolle spielen darf (vgl. auch OLG Hamm, NStZ 2004, 227 f). Anderes folgt auch nicht daraus, dass nach dem Wortlaut von Nr. 7 Abs. 1 S. 2 der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz bei der Entscheidung über Außenbeschäftigung, Freigang und Ausgang zu berücksichtigen ist, ob der Gefangene durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken. Denn diese Verwaltungsvorschrift ist im Lichte von § 4 Abs. 1 StVollzG auszulegen, der eine Verpflichtung des Strafgefangenen, an der Erreichung der Vollzugsziele mitzuarbeiten, gerade nicht begründet. Auf die fehlende Bereitschaft eines Gefangenen, an der Gestaltung der Behandlung und der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken, darf daher weder direkt mit Disziplinarmaßnahmen noch mittelbar durch Versagung von Vollzugslockerungen reagiert werden (vgl. Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2005, § 4, Rdnr. 4; Feest, AK-StVollzG-Lesting, 5. Aufl. 2006, § 11, Rdnr. 53; a.A.: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl. 2002, § 7, Rdnr. 50).

Darf daher der Aspekt der mangelnden Aufarbeitung der Tat nur im Rahmen von § 11 Abs. 2 StVollzG insoweit berücksichtigt werden, als das verbleibendeDunkel der Tatmotivation des Gefangenen die nach § 11 Abs. 2 StVollzG vorzunehmende prognostische Beurteilung von Fluchtgefahr bzw. der Gefahr der Begehung von Straftaten während einer Vollzugslockerung erschwert, so kann dennoch auf der Grundlage schon der vorhandenen Erkenntnisse das Fluchtrisiko als sehr gering und das Risiko einschlägiger Straftaten während eines Ausgangs als gering eingeschätzt werden. Nachdem der Gefangene sich freiwillig zum Strafantritt gestellt und bereits über 3/4 seiner vierjährigen Freiheitsstrafe verbüßt hat, wird die Prognose des Sachverständigen, eine Flucht des Gefangenen sei bei einer Vollzugslockerung nicht zu erwarten, vom Senat geteilt. Bei einer Ausführung und ggf. auch bei einem Ausgang dürfte nach den Einschätzungen des Sachverständigen - an denen zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht - eine Begehung von Straftaten durch den Gefangenen nicht zu erwarten sein. Insoweit hat der Sachverständige nämlich bei dem Gefangenen eine Persönlichkeitsstörung als wahrscheinlich angesehen, auf deren Grundlage es im Rahmen einer familiären Sexualdelinquenz zu pädosexuellen Ersatzhandlungen gekommen ist. Anhaltspunkte für Begehung anderer als einschlägiger Straftaten sowie für eine Gefährdung anderer Kinder außerhalb der Familie gibt es nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht. Es ist auch nicht zu erwarten, dass der Gefangene eine Ausführung bzw. einen Ausgang in den Stadtgrenzen Neumünsters zu einem erneuten sexuellen Übergriff auf seine inzwischen volljährige Tochter H., die in I. lebt, nutzen wird, zumal hierfür bereits die Gelegenheit fehlen dürfte.

Gleichwohl führen diese Ausgangssituation und die beanstandungsfrei verlaufene Ausführung des Gefangenen zur Beerdigung seiner Mutter am 27. Juli 2007 über die von der Strafvollstreckungskammer zu Recht aufgezeigten Einschätzungs- und Abwägungsdefizite im Entscheidungsprozess der Antragsgegnerin - insoweit wird auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich Bezug genommen - hinaus noch nicht zu einer Reduzierung des Beurteilungsspielraums der Antragsgegnerin auf Null dahingehend, dass dem Gefangenen in rechtmäßiger Weise jetzt wenigstens ein unbegleiteter Ausgang gewährt werden müsste.

Insoweit durfte zwar die Strafvollstreckungskammer insbesondere auch die erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides durchgeführte Ausführung bei ihrer Entscheidung berücksichtigen, ist doch bei Verpflichtungsanträgen - um einen solchen handelt es sich - nach zutreffender Ansicht wie im Verwaltungsprozess auf die Sachlage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (AK-StVollzG-Kamann/Volckart, aaO, § 115, Rdnr. 56) abzustellen und nicht mehr auf die Sachlage bei Abfassung des Widerspruchsentscheidung (so: Callies/Müller-Dietz, aaO, § 115, Rdnr. 9). Dennoch muss es der sachnäheren Antragsgegnerin vorbehalten bleiben, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob nach der aus wichtigem Anlass nach § 35 Abs. 1, 3 StVollzG gewährten Ausführung vom 27. Juli 2007 bereits jetzt ein unbegleiteter Ausgang des Antragstellers zu vertreten ist oder zunächst die Zuverlässigkeit des Antragstellers durch einen begleiteten Ausgang ("Begleitgang") oder weitere Ausführungen, ggf. auch in Begleitung nicht uniformierter Vollzugsbediensteter, erprobt werden soll. Keinesfalls ist es zwingend geboten, nach einer Ausführung aus wichtigem Grund - hier der Ausnahmesituation der Beerdigung der Mutter - dem Gefangenen ohne weitere Erprobung einen unbegleiteten Ausgang zu gewähren.

Daher verbleibt es bei dem Ermessens- und - was die nach § 11 Abs. 2 StVollzG zu treffende Risikoprognose betrifft - bei dem Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin, von dem diese bei der erneuten Entscheidung über den Antrag des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats Gebrauch zu machen hat. Die für andere Lockerungen als den unbegleiteten Ausgang erforderliche Zustimmung des Antragstellers könnte dieser über Hilfsanträge erklären. Auch kann für die Antragsgegnerin Anlass dazu bestehen, den Vollzugsplan insoweit zu überarbeiten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 1, 2 StVollzG.

Ende der Entscheidung

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