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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 08.05.2007
Aktenzeichen: 2 VollzWs 78/07 (37/07)
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 109
StVollzG § 113
StVollzG § 116
StVollzG § 121
1. Verfolgt der Antragsteller eines nach Nichtbescheidung seiner gegen die Vollzugsbehörde gerichteten Beschwerde nach den §§ 109 ff. StVollzG eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens erkennbar ein sachliches Anliegen, so ist sein Begehren nicht allein dadurch erledigt, dass er im Verlaufe des Verfahrens durch die Aufsichtsbehörde - verspätet - abschlägig beschieden worden ist. Anders liegt es nur, wenn der Antragsteller sein Begehren von vornherein oder nachträglich entsprechend beschränkt hatte.

2. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, wenn die Aufsichtsbehörde nicht binnen drei Monaten über die eingelegte Beschwerde eines Gefangenen entschieden hat. Allerdings gilt § 113 Abs. 2 Satz 1 StVollzG entsprechend auch für das Verfahren der Aufsichtsbehörde, so dass die Strafvollstreckungskammer das Verfahren für eine zu bestimmende Frist aussetzen kann.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

II. Strafsenat

Beschluss

2 VollzWs 78/07 (37/07)

in der Strafvollzugssache des

zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof,

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 5 a des Landgerichts Lübeck vom 5. Januar 2007, durch den die Erledigung des Antrags des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung festgestellt worden ist, hat der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung des Ministeriums für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein am 8. Mai 2007 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an die Strafvollstreckungskammer 5 a des Landgerichts Lübeck zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 600 ,-€ festgesetzt (§§ 60, 52 Abs. 1 GKG).

Gründe:

Der Antragsteller ist rechtskräftig zu einer langjährigen Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Zur Zeit verbüßt er in der Anstalt des Antragsgegners die Freiheitsstrafe.

Im Sommer 2006 hat er beim Antragsgegner beantragt, von der allgemeinen Postkontrolle ausgenommen zu werden. Dies hat der Antragsgegner abgelehnt. Der Antragsteller hat daraufhin das - landesrechtlich vorgeschriebene - Vorschaltbeschwerdeverfahren eingeleitet. Nachdem er bis Oktober 2006 keinen Beschwerdebescheid des zuständigen Justizministeriums erhalten hatte, hat er Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei der Strafvollstreckungskammer des zuständigen Landgerichts gestellt. Diese hat den Antragsteller darauf hingewiesen, dass das vorgeschriebene Beschwerdeverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Hierauf hat der Antragsteller mit der Auffassung reagiert, es sei ihm nicht zuzumuten, die Untätigkeit der Aufsichtsbehörde länger hinzunehmen; daher sei auch ohne Durchführung des grundsätzlich vorgeschriebenen Beschwerdeverfahrens die Anrufung der Strafvollstreckungskammer zulässig.

In dieser Eingabe des Antragstellers hat die Strafvollstreckungskammer eine Umstellung seines Antrages im Sinne einer "Untätigkeitsklage" gesehen. Am 27. November 2006 hat die Aufsichtsbehörde den - zurückweisenden - Beschwerdebescheid erlassen, der dem Antragsgegner am 5. Dezember 2006 zugestellt worden ist.

Danach hat die Strafvollstreckungskammer - ohne dem Antragsteller ausdrücklich erneut Gelegenheit zur Stellungnahme zur veränderten prozessualen Situation zu geben - durch den angefochtenen Beschluss vom 5. Januar 2007 die Erledigung des Verfahrens ausgesprochen und zugleich dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, der Antragsteller habe lediglich ein Verfahren wegen "Untätigkeit" der Behörde geführt, welches sich erledigt habe, nachdem er den vermissten Bescheid der Aufsichtsbehörde erhalten habe. Zur Begründung der Kostenentscheidung hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, der Antragsteller müsse die Kosten des Verfahrens tragen, weil er, wenn keine Erledigung eingetreten wäre, das Verfahren in der Hauptsache verloren hätte, da der Antragsgegner ihn zu Recht der allgemeinen Postkontrolle unterworfen habe.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller form- und fristrecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet.

Sein Rechtsmittel erweist sich als - vorläufig - erfolgreich. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Verpflichtung der Strafvollstreckungskammer, erneut über den Antrag des Antragstellers zu befinden.

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist zulässig im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG. Die angefochtene Entscheidung wirft mehrere allgemein zu beantwortende Rechtsfragen auf, die von den Besonderheiten dieses Einzelfalles getrennt werden können und auch in anderen vergleichbaren Fällen Bedeutung erlangen können. Zu diesen Rechtsfragen hat der Senat bisher nicht Stellung genommen. Es ist daher aus Gründen der Sicherung eine einheitlichen Rechtsprechung geboten, die angefochtene Entscheidung zur Nachprüfung zu stellen.

Die Rechtsbeschwerde ist weiterhin deshalb zulässig, weil die Strafvollstreckungskammer nicht etwa nur eine isolierte Kostenentscheidung im Sinne des § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG getroffen hat. Eine solche isolierte Kostenentscheidung wäre nach überwiegender Auffassung der Rechtsprechung und auch nach Rechtsprechung des Senats nicht nur nicht mit der Rechtsbeschwerde, sondern grundsätzlich nicht anfechtbar.

Im vorliegenden Fall hat aber die Strafvollstreckungskammer durch den angefochtenen Beschluss in erster Linie die Erledigung der Hauptsache festgestellt. Damit hat sie in der Hauptsache zwar keine sachlich-rechtliche, jedoch aber eine Prozessentscheidung gefällt. Auch gegen solche Prozessentscheidungen ist die Rechtsbeschwerde zulässig (Schwindt/Böhm/Jehle-Schuler, StVollzG, 4. Aufl., § 116, Rn. 10).

Insbesondere steht die Annahme der Erledigung des Verfahrens durch die Strafvollstreckungskammer eine mit der Rechtsbeschwerde anfechtbaren Hauptentscheidung gleich (Schwindt/Böhm/Jehle-Schuler, a. a. O., § 121, Rn. 4). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn - wie hier - aus der Rechtsbeschwerdebegründung deutlich wird, dass der Antragsteller eben die Annahme des Eintritts der Erledigung für rechtsfehlerhaft hält.

Tatsächlich hat sich das Verfahren auch nicht erledigt. Die Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer Entscheidung den Begriff der "Untätigkeitsklage" verkannt und zu Unrecht auf das Begehren des Antragstellers angewandt.

Von Beginn an ging es dem Antragsteller um ein sachlich-rechtliches Begehren, nämlich die Aufhebung bestimmter von der Justizvollzugsanstalt angeordneter Postkontrollmaßnahmen. Auf den Hinweis der Strafvollstreckungskammer, er habe verfrüht das Gericht angerufen, weil das vorgeschriebene Beschwerdeverfahren noch nicht abgeschlossen sei, hat der Antragsteller lediglich mit der Mitteilung seiner Rechtsauffassung reagiert, er sei im vorliegenden Fall, weil die Aufsichtsbehörde seit vielen Monaten nicht über seine Beschwerde entschieden habe, dazu berechtigt, das Gericht anzurufen, ohne den Ausgang des Vorschaltverfahrens abzuwarten. Zwar hat der - anwaltlich nicht vertretene - Antragsteller in diesem Zusammenhang auch den Begriff "Untätigkeit der Aufsichtsbehörde" erwähnt. Aus seinen weiteren Ausführungen wird jedoch deutlich, dass er hierdurch nicht etwa das prozessuale Angriffsziel ändern, von seinem ursprünglichen Verpflichtungsantrag ablassen und nunmehr nur noch das Ziel verfolgen wollte, von der Aufsichtsbehörde einen Beschwerdebescheid - welchen Inhalts auch immer - zu erhalten. Vielmehr hat er in diesem Zusammenhang ausdrücklich seinen ursprünglichen Antrag aufrecht erhalten und insoweit zu Recht auf die einschlägige Rechtsprechung - u. a. auch des Senats (ZfStrVo 2004, 123, zitiert in Callies/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 113, Rn. 2) - hingewiesen, wonach ein Strafgefangener nach Ablauf einer angemessenen Frist Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen kann, wenn die Aufsichtsbehörde untätig geblieben ist. Nur für den Fall der Erfüllung des konkreten Hauptsachebegehrens hätte sich aber das Verfahren erledigt (§ 113 Abs. 2 Satz 2 StVollzG).

Bei dieser Sach- und Rechtslage durfte die Strafvollstreckungskammer folglich nicht ohne Weiteres von Erledigung ausgehen, dies auch nicht in der Annahme, dass der Antragsteller das Ziel seines Begehrens geändert hatte. Jedenfalls hätte sich die Strafvollstreckungskammer vor der Entscheidung in der Sache hierüber durch Rückfrage beim Antragsteller ausdrücklich Gewissheit verschaffen müssen, liegt es doch nach der Lebenserfahrung eher fern, dass es einem Antragsteller um nichts anderes geht, als die Behörde zum Tätigwerden und zum Erlass (irgendeines) Bescheides zu veranlassen; lebensnah ist vielmehr die Annahme, dass dann, wenn dieser Bescheid inhaltlich nicht dem Begehren des Antragstellers entspricht, dieser sich hiermit nicht zufrieden geben, sondern sein ursprüngliches Ziel in der Sache weiter verfolgen will.

Nachdem die Strafvollstreckungskammer demnach zu Unrecht die Erledigung der Hauptsache angenommen hat, wird sie sich nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung erneut mit dem Sachantrag des Antragstellers zu beschäftigen haben.

Des Weiteren wirft die Entscheidung die - nach Aufhebung des Beschlusses nicht mehr entscheidungserhebliche, aber abstraktionsfähige - Frage auf, wie in einem Fall der reinen "Untätigkeitsklage" die Kostenentscheidung zu lauten hätte. Nähme man an, dass die Aufsichtsbehörde eine unangemessen lange Zeit nicht über eine Beschwerde eines Gefangenen befunden hätte und nähme man weiter an, dass dieser Gefangene sich ausdrücklich und unmissverständlich lediglich mit dem Ziel an die Strafvollstreckungskammer gewandt hätte, die Aufsichtsbehörde zum Erlass der vermissten Entscheidung zu bewegen und sei nach Erhalt dieser Entscheidung - ohne Rücksicht auf ihren Inhalt - hiermit zufrieden und erkläre das Verfahren damit für beendet, so erschiene es nach Auffassung des Senats verfehlt, den Antragsteller in einem solchen Fall - wie geschehen - mit den Kosten des Verfahrens zu belasten. Dann nämlich hätte der Antragsteller sein von Anfang an auf den bloßen Erlass der verspäteten Beschwerdeentscheidung gerichtetes Ziel durch Anrufung der Strafvollstreckungskammer erreicht. Er hätte damit obsiegt. Folgerichtig hätte in einem solchen Verfahren mit solchem Ausgang der Antragsgegner die Verfahrenskosten zu tragen und dem Antragsteller seinen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Schließlich gibt dieser Fall - allerdings ebenfalls derzeit nicht entscheidungserheblich - Anlass zu einer ergänzenden Bemerkung dazu, wann bei Untätigkeit der Aufsichtsbehörde die Anrufung der Strafvollstreckungskammer ohne Beendigung des Vorschaltverfahrens zulässig ist. Wie eine Reihe anderer Gefangener auch - was dem Senat aus einer Vielzahl von Rechtsbeschwerden bekannt ist - scheint der Antragsteller davon auszugehen, dass die Aufsichtsbehörde stets innerhalb von drei Monaten über eine eingelegte Beschwerde zu befinden habe.

Dies wäre in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Schon bei der unmittelbar in § 113 StVollzG bundeseinheitlich geregelten Situation, dass die Vollzugsbehörde über eine beantragte, aber bisher unterlassene Maßnahme nicht innerhalb von drei Monaten befunden hat, setzt das Gericht ein eingeleitetes Verfahren gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 StVollzG unter gleichzeitiger Fristsetzung aus, um der Vollzugsbehörde eine Sachentscheidung zu ermöglichen. Wie zu verfahren ist, wenn die Vollzugsbehörde - abschlägig - umgehend über eine beantragte Maßnahme entschieden hat, die Aufsichtsbehörde jedoch keine Beschwerdeentscheidung trifft, ist - anders als in § 75 VwGO - in § 113 StVollzG und auch im in Schleswig-Holstein anwendbaren Landesrecht (Vollzugsbeschwerdegesetz i.d.F. vom 9. September 1977, GVOBl. Schl.-H. S. 333) zwar nicht ausdrücklich geregelt. Gleichwohl hat der Senat schon bisher grundsätzlich eine entsprechende Anwendung des § 113 StVollzG befürwortet (ZfStrVo 2004, 123), sich aber bisher nicht darauf festgelegt, dass die Aufsichtsbehörde in jedem Fall innerhalb von drei Monaten über einen Rechtsbehelf eines Gefangenen zu befinden habe. Vielmehr ist in Fortführung dieser Rechtsprechung § 113 StVollzG auch insoweit für die von der Aufsichtsbehörde zu treffende Beschwerdenetscheidung entsprechend anzuwenden, als § 113 Abs. 2 Satz 1 StVollzG eine entsprechende Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens - nunmehr zwecks Einholung der Beschwerdeentscheidung - gestattet.

Allerdings ändert dies nichts daran, dass ein gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung schon dann zulässig ist oder auch bei vorheriger Einlegung wird, wenn nach Ablauf von drei Monaten über die eingelegte Beschwerde des Gefangenen nicht entschieden worden ist. Nur eine derartige - am Modell des § 75 VwGO auch für das landesrechtlich vorgesehene Verwaltungsvorverfahren orientierte - entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 1 StVollzG trägt nämlich dem Umstand Rechnung, dass - was mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar wäre - anderenfalls für den Gefangenen Grund und Angemessenheit eingetretener Verzögerungen und damit die Zulässigkeit seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nicht überschaubar wären (ebenso OLG Karlsruhe NStZ 1987, 344). Das dem Gefangenen verbleibende Risiko besteht darin, dass sein zulässiger Antrag gleichwohl aus sachlichen Gründen mit für ihn nachteiliger Kostenfolge abgewiesen werden kann, sofern nicht - wie oben erwähnt - von Erledigung seines Begehrens ausgegangen werden kann, der Gefangene in der abgewarteten Frist mit einer Bescheidung rechnen durfte und deshalb aus Billigkeitsgründen eine abweichende Kostenverteilung angezeigt ist.

Bei der erneuten Entscheidung wird die Strafvollstreckungskammer auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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