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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 01.09.2009
Aktenzeichen: 2 W 100/09
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1
BGB § 1896 Abs. 1a
BGB § 1896 Abs. 2
BGB § 1906
1. Die Einrichtung einer Betreuung kommt nur in Betracht, soweit davon auszugehen ist, dass der Betreuer in seinen Aufgabenkreisen auch tatsächlich tätig werden und dem Betroffenen Hilfen zukommen lassen kann; für die Bestellung eines Betreuers ist dann kein Raum, wenn sich der angestrebte Zweck durch die vorgesehene Maßnahme nicht erreichen lässt.

2. Eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge kann nur eingerichtet werden, wenn der Betroffene entweder freiwillig die benötigte Hilfe des Betreuers zumindest teilweise annehmen würde oder bei vollständig fehlender Bereitschaft, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, eine Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung nach § 1906 BGB in Betracht kommt.

3. Mit dem Ziel einer (Zwangs-) Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung kann eine Betreuung für die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung nur dann angeordnet werden, wenn die Behandlung bei einer vorläufigen Einschätzung Erfolg versprechend und nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unumgänglich erscheint, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung des Betroffenen abzuwenden.


2 W 100/09

Beschluss

In dem Betreuungsverfahren

betreffend die am (...) 1951 geborene (...)

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weitere Beschwerde der Betroffenen vom 17. Juni 2009 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 15. Juni 2009 durch die Richter (...) und die Richterin (...) am 1. September 2009 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit die Betroffene sich mit ihrer Beschwerde gegen die Einrichtung einer Betreuung für die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung wendet.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die weitere Beschwerde zurückgewiesen.

Das Verfahren der weiteren Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

I.

Bei der Betroffenen besteht seit dem Jahre 2005 eine Trennungsproblematik, nachdem ihr Ehemann, mit dem sie seit 1974 verheiratet war, aus dem bis dahin gemeinsam bewohnten Haus in (...) ausgezogen war und die Scheidung anstrebte. In der Folge hat sich bei der Betroffenen eine paranoide Persönlichkeitsstörung entwickelt.

Sie lebt noch in dem Haus in (...), das ihr gemeinsam mit ihrem mittlerweile geschiedenen Ehemann gehört. Über regelmäßige Einkünfte verfügt sie nicht, sondern betätigt sich nur gelegentlich im Rahmen ihrer Selbständigkeit, die unter anderem Botengänge sowie Tätigkeiten als Lebensberaterin beinhaltet. Sozialleistungen bezieht sie nicht. In den Wintermonaten hält die Betroffene sich zeitweise in Österreich auf, wo sie in einer Skischule als Aushilfskraft Gäste bewirtet und Kinder beaufsichtigt.

Da die Betroffene keine Tilgungsleistungen auf die zur Finanzierung der Immobilie aufgenommenen Kredite erbringt und auch ihr geschiedener Ehemann nicht zur Zahlung in der Lage ist, steht das Hausgrundstück zur Zwangsversteigerung an. Haus und Grundstück befinden sich in einem vernachlässigten Zustand. Strom und Telefon sind bereits abgeschaltet, und die Stadtwerke haben angekündigt, die Wasserversorgung einzustellen. Die Betroffene hat bereits teilweise ihr Mobiliar verkauft, um zu Geld zu kommen. Auch verfügt sie nicht mehr über Krankenversicherungsschutz.

In der Vergangenheit ist die Betroffene seit 2005 vielfach polizeilich mit Verschwörungsideen in Erscheinung getreten und auch damit aufgefallen, dass sie in Flugblättern namentlich genannte Personen und Firmen mit der Scientology Organisation in Verbindung gebracht hat (vgl. dazu die Stellungnahme der Polizeistation ... vom 16. August 2008, Bl. 15 ff. d. A.). Sie bezichtigt insbesondere ihren geschiedenen Ehemann sowie dessen im familiengerichtlichen Verfahren tätigen Prozessbevollmächtigten der Zugehörigkeit zu dieser Organisation, die ihren Ehemann auch zu der Trennung veranlasst habe (Bericht der Verfahrenspflegerin vom 18. August 2008, Bl. 7 f. d. A.).

Auf Vorladungen der Gerichtsvollzieherin reagiert die Betroffene trotz Androhung eines Haftbefehls nicht (Bl. 2 d. A.).

Mit Schreiben an das Amtsgericht Pinneberg hat der geschiedene Ehemann der Betroffenen im Hinblick auf das zwischen ihm und der Betroffenen geführte familiengerichtliche Verfahren am 30. Juli 2008 die Einrichtung einer Betreuung angeregt.

Das Amtsgericht hat daraufhin ein Gutachten des Sachverständigen Dr. M. eingeholt, das dieser am 2. September 2009 vorgelegt hat (Bl. 23 ff. d. A.). Der Sachverständige hat bei der Betroffenen eine Persönlichkeitsstörung festgestellt, wobei u. a. auch neurotische und paranoide Erkrankungsmerkmale vorhanden seien. Hinweise auf eine Psychose im engeren Sinne seien zwar gegenwärtig nicht zu finden, es komme aber auch eine beginnende Psychose in Betracht. Der Sachverständige Dr. M. hält die Einrichtung einer Betreuung für die Bereiche Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen, Haus- und Wohnungsangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung und Postangelegenheiten für erforderlich (Bl. 26 d. A.).

Das Amtsgericht hat die Betroffene, die die Einrichtung einer Betreuung ablehnt, persönlich angehört (Anhörungsprotokoll vom 8. Oktober 2008, Bl. 31 f. d. A.). Sodann hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 3. November 2008 eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Sozialleistungsträgern und Versicherungen, Regelung des Post- und Fernmeldeverkehrs, Aufenthaltsbestimmung sowie Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte als Betreuerin bestellt (Bl. 41 d. A.). Durch Beschluss vom 18. November 2008 hat das Amtsgericht die Betreuung um den Aufgabenkreis der Vertretung in dem familiengerichtlichen Verfahren (...) vor dem Amtsgericht Pinneberg erweitert (Bl. 42R d. A.).

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18. November 2008 hat die Betroffene gegen den Beschluss vom 4. November 2008 Beschwerde eingelegt und gerügt, dass das eingeholte Gutachten keine geeignete Grundlage für eine so einschneidende Maßnahme wie die Einrichtung einer Betreuung sei.

Das Landgericht hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. um Erstattung eines weiteren Sachverständigengutachtens gebeten, in dem diese auch zu der Frage des Vorliegens eines freien Willens im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB Stellung nehmen sollte. Nachdem die Sachverständige die Betroffene nach deren längerer Abwesenheit (wegen eines Aufenthaltes in Österreich) hat untersuchen können, hat sie ihr Gutachten am 20. Mai 2009 vorgelegt (Bl. 120 ff. d. A.). Die Sachverständige Dr. H. hat ebenfalls eine paranoide Persönlichkeitsstörung bei der Betroffenen festgestellt, wobei nicht ohne längerfristige psychiatrische Würdigung festzustellen sei, ob ursächlich eine psychotische Störung bestehe. Die Betroffene könne Informationen zwar verstehen, verarbeite diese aber mehr in ihrer paranoiden Sichtweise als rational. Deshalb klafften objektive und subjektive Bewertung derart auseinander, dass es nicht zu einer Einsicht komme, die eine adäquate Entscheidung zur Folge habe (Bl. 125 d. A.). Die Sachverständige hat - mit leicht abweichenden Formulierungen - eine Betreuung für diejenigen Aufgabenkreise empfohlen, die bereits Gegenstand des Beschlusses vom 4. November 2008 waren (Bl. 126 d. A.).

Die Beteiligten haben mit Verfügung vom 29. Mai 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Gutachten erhalten. Die Betreuerin hat am 10. Juni 2009 Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass die Betroffene stark abgemagert sei und sich in einer desolaten wirtschaftlichen Lage befinde (Bl. 134 d. A.). Der Bevollmächtigte der Betroffenen hat seine Stellungnahme am 12. Juni 2009 beim Amtsgericht eingereicht (Bl. 149 d. A.), so dass sie dem Landgericht bei dessen Entscheidung nicht vorgelegen hat. Die Betroffene lässt in dem Schriftsatz vortragen, dass die Feststellungen der Sachverständigen unzutreffend seien und dass sie selbst eine fachärztliche Stellungnahme einholen werde.

Durch Beschluss vom 15. Juni 2009 hat das Landgericht die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen vom 17. Juni 2009. Die Sache sei nicht entscheidungsreif; es sei zumindest die von der Betroffenen angekündigte fachärztliche Stellungnahme abzuwarten. Am 10. Juli 2009 hat die Betroffene beim Amtsgericht die als "Gutachten" bezeichnete Stellungnahme einer Frau W. eingereicht, die die Auffassung äußert, es gebe keinen Grund, der Betroffenen eine Betreuerin "vorzusetzen" (Bl. 180 d. A.).

Bereits am 3. Juni 2009 hatte die Betreuerin beim Amtsgericht beantragt, die geschlossene Unterbringung der Betroffenen zu genehmigen, da diese nicht krankheitseinsichtig sei und die Gefahr einer Chronifizierung bestehe. Auch sei eine Suizidgefahr nicht auszuschließen, nachdem die Scheidung rechtskräftig sei (Bl. 151 d. A.). Der vom Amtsgericht daraufhin beauftragte Sachverständige Dr. M. legte am 23. Juni 2009 sein Gutachten (Bl. 159 ff. d. A.) vor, wonach eine geschlossene Unterbringung derzeit weder im Hinblick auf eine Suizidalität noch zwecks Heilbehandlung erforderlich sei. Der leichtgradig reduzierte Allgemein- und Ernährungszustand der Betroffenen sei jedoch kontrollbedürftig, und bei weiterer Befundverschlechterung könne eine Unterbringung erforderlich werden (Bl. 162 d. A.). Der Antrag vom 3. Juni 2009 hat dem Landgericht bei seiner Entscheidung ebenfalls nicht vorgelegen. Der weitere Verlauf des Unterbringungsverfahrens - nach einer Anfrage des Amtsgerichts an die Betreuerin, ob der Antrag aufrechterhalten werde (Bl. 159R d. A.) - ist aus der dem Senat vorliegenden Akte nicht ersichtlich.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere formgerecht eingelegt worden. Sie ist jedoch überwiegend unbegründet.

1.

Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Bei der Betroffenen bestehe eine paranoide Persönlichkeitsstörung. Aufgrund dieser psychischen Erkrankung bedürfe die Betroffene der Unterstützung in sämtlichen der Betreuerin zugewiesenen Aufgabenkreisen, und zwar unter anderem im Hinblick auf ihren aktuellen Gesundheitszustand, die drohende Zwangsversteigerung, das Scheidungsverfahren, den fehlenden Krankenversicherungsschutz, die drohende Unterbrechung der Wasserversorgung und den fehlenden Telefonanschluss. Sie könne die Folgen ihres Handelns nicht überblicken. Es bestünden keine Alternativen zu einer Betreuung.

2.

Diese Ausführungen halten im Wesentlichen einer rechtlichen Überprüfung stand, nämlich soweit das Landgericht die grundsätzlichen Voraussetzungen einer Betreuung bejaht hat und die Betreuung die Aufgabenkreise der Vermögenssorge, der Vertretung gegenüber Behörden, Sozialleistungsträgern und Versicherungen, der Regelung des Post- und Fernmeldeverkehrs, der Wohnungsangelegenheiten sowie der Vertretung im familiengerichtlichen Verfahren umfasst. Dagegen beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO), soweit die Beschwerde gegen die Einrichtung der Betreuung für die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung zurückgewiesen worden ist.

a.

Die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung nach § 1896 BGB sind erfüllt.

Nach § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB setzt die Bestellung eines Betreuers voraus, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Gemäß § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Nach § 1896 Abs. 2 S. 1, 2 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit dies erforderlich ist und die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten nicht ebenso gut besorgt werden können.

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit, nämlich einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, leidet. Die nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen Dr. M. und Dr. H. stehen im Einklang mit den auch durch die Betreuerin, die Verfahrenspflegerin, den geschiedenen Ehemann der Betroffenen sowie Beamte der Polizeistation Quickborn geschilderten Verhaltensweisen der Betroffenen. Aufgrund der Erkrankung ist die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen in Teilbereichen bereits erheblich beeinträchtigt. Weiter hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Betroffene betreuungsbedürftig, nämlich krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Die Situation der Betroffenen ist in finanzieller, gesundheitlicher und persönlicher Hinsicht sehr schlecht, da sie sich im Alltag nicht ausreichend und angemessen versorgen kann und die Folgen ihres Handelns nicht überblickt.

Die Kammer konnte nach § 69g Abs. 5 S. 3 FGG ihre entsprechenden Feststellungen ohne erneute Anhörung der Betroffenen treffen und hat ihr insoweit bestehendes Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt unter Bezugnahme auf die protokollierte Anhörung durch das Amtsgericht und die von der Sachverständigen durchgeführte Exploration.

Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts beruhen auch nicht deshalb auf einem Verfahrensfehler, weil die Kammer die von der Betroffenen mit ihrem am 12. Juni 2009 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz angekündigte weitere fachärztliche Stellungnahme nicht abgewartet hat. Zwar hätte dieser Schriftsatz das Landgericht vor dessen Entscheidung noch erreichen können, wenn er sofort weitergeleitet worden wäre. Dennoch liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht vor. Der Schriftsatz enthält bereits keine inhaltlichen Ausführungen, die es bei rechtzeitiger Kenntnisnahme durch die Kammer als geboten hätten erscheinen lassen, eine weitere ärztliche Stellungnahme einzuholen bzw. abzuwarten. Im Übrigen hat die Betroffene selbst erst am 10. Juli 2009 die Stellungnahme der Frau W. eingereicht, bei der es sich ersichtlich nicht um ein fachärztliches Gutachten handelt und die auch sonst keinen Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung gegeben hätte.

Der Einrichtung der Betreuung steht auch nicht nach § 1896 Abs. 1a BGB der freie Wille der Betroffenen, die eine Betreuung ablehnt, entgegen. Von einem freien Willen ist dann auszugehen, wenn der Betroffene einsichtsfähig ist - also im Grundsatz die für und wider die Einrichtung einer Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte erkennen und gegeneinander abwägen kann - und auch die Fähigkeit besitzt, nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. nur Palandt-Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Auflage, § 1896 Rn. 4; Bienwald in: Staudinger, 2006, § 1896 BGB Rn. 73). Damit das Gericht entsprechende tatsächliche Feststellungen treffen kann, muss das einzuholende Sachverständigengutachten auch dazu Stellung nehmen, ob der freie Wille des Betroffenen ausgeschlossen ist (Senat, SchlHA 2007, S. 384 f.). Nach diesem Maßstab hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise anhand der Ausführungen der Sachverständigen Dr. H. seine tatsächlichen Feststellungen getroffen und diese rechtlich zutreffend dahingehend gewürdigt, dass ein freier Wille im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB nicht besteht. Die Betroffene kann krankheitsbedingt die Vor- und Nachteile einer Betreuung nicht erkennen und abwägen, da sie Informationen nicht rational, sondern in ihrer paranoiden Sichtweise verarbeitet.

b.

Für den Umfang der einzurichtenden Betreuung ist jedoch zwischen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf zu unterscheiden. Erstere bezieht sich auf die Unfähigkeit der Betroffenen zur Besorgung ihrer Angelegenheiten, letzterer auf den Kreis der konkret zu besorgenden Angelegenheiten (vgl. OLGR Zweibrücken 2005, S. 249 ff.).

Für die Aufgabenkreise, die die Betreuung vorliegend umfasst, ist überwiegend der Betreuungsbedarf rechtsfehlerfrei festgestellt, so dass der Senat in der Sache selbst entscheiden und die weitere Beschwerde zurückweisen kann (1). Hinsichtlich der Aufgabenkreise der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung bedarf es dagegen weiterer tatsächlicher Feststellungen (2).

(1)

Die Einrichtung einer Betreuung ist nach den fehlerfreien Feststellungen des Landgerichts erforderlich für die Aufgabenkreise der Vermögenssorge, der Vertretung gegenüber Behörden, Sozialleistungsträgern und Versicherungen, der Wohnungsangelegenheiten, der Regelung des Post- und Fernmeldeverkehrs sowie der Vertretung im familiengerichtlichen Verfahren. In den genannten Aufgabenbereichen besteht konkreter Handlungsbedarf, und die Betreuerin ist auch trotz der ablehnenden Haltung der Betroffenen in der Lage, dieser die erforderlichen Hilfen zukommen zu lassen und die Betreuung sinnvoll zu führen:

Im Bereich der Vermögenssorge ist insbesondere die Schuldenregulierung in Angriff zu nehmen und der Versuch zu unternehmen, die gegenüber einem freihändigen Verkauf der Immobilie unwirtschaftliche Zwangsversteigerung abzuwenden.

Die Vertretung gegenüber Behörden, Sozialleistungsträgern und Versicherungen ist erforderlich, um für die einkommenslose Betroffene etwa Sozialleistungen zu beantragen, den Krankenversicherungsschutz wiederherzustellen und die Betroffene ggf. auch im Hinblick auf ihr bereits strafrechtlich relevantes rufschädigendes Verhalten (vgl. Bl. 16 d. A.) zu vertreten.

Im Bereich der Wohnungsangelegenheiten ist für eine Verbesserung der häuslichen Situation (Strom-/ Wasserversorgung usw.) zu sorgen. Wenn die Betroffene - was absehbar ist - aufgrund einer Zwangsversteigerung oder eines unumgänglichen freihändigen Verkaufs aus ihrem Haus ausziehen muss, ist ggf. für eine neue Wohnung zu sorgen und die Obdachlosigkeit abzuwenden.

Damit die Betreuerin trotz der ablehnenden Haltung der Betroffenen alle erforderlichen Informationen erhält, bedarf es der Erledigung auch der Postangelegenheiten. Des Weiteren ist für einen Telefonanschluss zu sorgen.

Schließlich hat das Rechtsmittel der Betroffenen keinen Erfolg, soweit die Betreuung durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 18. November 2008 um den Aufgabenkreis der Vertretung im familiengerichtlichen Verfahren (...) erweitert worden ist. Die Erstbeschwerde richtet sich zwar nach ihrem Wortlaut nur gegen den Beschluss vom 4. November 2008. Die Betroffene will sich aber ersichtlich gegen sämtliche Betreuungsmaßnahmen wenden. Das Landgericht geht daher zu Recht davon aus, dass das Rechtsmittel sich auch auf die Erweiterung der Betreuung beziehen soll, die am 18. November 2009, also am selben Tag wie die Einlegung des Rechtsmittels, erfolgt ist. Gerade im familiengerichtlichen Verfahren bedarf die Betroffene jedoch einer gesetzlichen Vertretung durch die Betreuerin. Da die Erkrankung der Betroffenen sich aus der Trennungsproblematik heraus entwickelt hat und die Betroffene in dem familiengerichtlichen Verfahren zuvor in keiner Weise mitgewirkt hat, besteht hier Handlungsbedarf.

Dabei bedarf es auch keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen zum Sachstand des famililengerichtlichen Verfahrens. Zwar ergibt sich aus den Unterlagen, die bei der Entscheidung vom 15. Juni 2009 nur dem Amtsgericht, nicht aber dem Landgericht vorgelegen haben, dass die Ehe der Betroffenen mittlerweile rechtskräftig geschieden ist (Schreiben des Bevollmächtigten des geschiedenen Ehemannes vom 3. Juni 2009, Bl. 146 f. d. A.). Ob noch Scheidungsfolgesachen, Kostenanträge usw. anhängig sind, ist derzeit nicht ersichtlich. Gleichwohl besteht kein Anlass zu weiterer Aufklärung. Sobald das familiengerichtliche Verfahren mit allen Folgesachen und Nebenentscheidungen abgeschlossen ist, wird die Betreuung in diesem Aufgabenkreis gegenstandslos und belastet die Betroffene nicht. Das Amtsgericht kann dann - deklaratorisch - die Betreuung aufheben.

(2)

Hinsichtlich der Aufgabenkreise der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung fehlt es jedoch an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zur Erforderlichkeit der Betreuung. Insoweit hat der Senat die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil es weiterer Ermittlungen bedarf (vgl. Meyer-Holz in: Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Auflage, § 27 Rn. 58). Da es sich bei der Entscheidung über den Betreuungsbedarf in einzelnen Aufgabenkreisen aber um einen abtrennbaren Teil der Entscheidung handelt, ist nur eine Teilaufhebung und -zurückverweisung unter Zurückweisung der weiteren Beschwerde im Übrigen geboten (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Juli 1996, 3Z BR 159/96 - bei Juris; vgl. auch BayObLG, ZMR 2003, S. 854 f. zur Teilaufhebung im Wohnungseigentumsverfahren).

Für den Bereich der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung geht das Landgericht zwar aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen und der Verfahrenspflegerin zutreffend davon aus, dass die Behandlung der Betroffenen in einer geeigneten stationären Einrichtung aus ärztlicher Sicht erforderlich ist, um ihre psychische Erkrankung erfolgreich behandeln zu können. Allein darauf zielt offensichtlich auch die Betreuerbestellung für den Bereich der Aufenthaltsbestimmung ab, da in diesem Aufgabenkreis außer einer stationären ärztlichen Behandlung gegen den Willen der Betroffenen derzeit keine in Betracht kommenden Maßnahmen ersichtlich sind (vgl. auch die Stellungnahme der Verfahrenspflegerin, die eine Betreuung für den Bereich der Aufenthaltsbestimmung im Hinblick auf eine nicht freiwillige Heilbehandlung für erforderlich hält, Bl. 8 d. A.).

Die Einrichtung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge (soweit die Betroffene sich zumindest in Teilbereichen freiwillig einer Heilbehandlung unterzieht) bzw. in Verbindung mit dem Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung (soweit eine Behandlung nur stationär gegen den Willen der Betroffenen erfolgen kann) kommt aber nur dann in Betracht, wenn die Betreuerin in diesen Bereichen auch tatsächlich tätig werden und der Betroffenen Hilfen zukommen lassen kann. Für die Bestellung eines Betreuers ist dann kein Raum, wenn sich der angestrebte Zweck durch die vorgesehene Maßnahme nicht erreichen lässt, weil die Bestellung eines Betreuers keinen Erfolg verspricht (BayObLG, FamRZ 2001, S. 1244 f.).

(a)

Möglichkeiten, für die Betroffene im Bereich der Gesundheitssorge auf freiwilliger Basis etwas zu erreichen, sind bisher nicht ersichtlich. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Betroffene keinerlei Krankheitseinsicht hat und jegliche ärztliche Behandlung ablehnt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. H. (Bl. 125 d. A.), sondern auch aus der Anhörung durch das Amtsgericht (Bl. 31 d. A.) und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. M. (Bl. 26 d. A.). Es sind bisher auch keine Teilbereiche ersichtlich - etwa hinsichtlich körperlicher Leiden, die in keinem Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung stehen - in denen die Betroffene die Hilfe der Betreuerin benötigt und annehmen würde. Auch aus den bisherigen Stellungnahmen der Betreuerin gegenüber dem Betreuungsgericht ist nicht zu entnehmen, dass hier irgendwelche Hilfen, die von der Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen abhängen, als möglich erscheinen. Der fehlende Krankenversicherungsschutz allein rechtfertigt keine Betreuerbestellung für den Bereich der Gesundheitssorge, da insoweit ausreichende Handlungsmöglichkeiten über den Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden, Sozialleistungsträgern und Versicherungen bestehen.

(b)

Auch soweit die Betreuung für den Bereich der Gesundheitssorge - in Verbindung mit dem Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung - eine Behandlung der Betroffenen gegen ihren Willen im Rahmen einer Unterbringung ermöglichen soll, liegen keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen vor. Die Anordnung einer Betreuung für diese Aufgabenkreise, die auf eine Unterbringung eines mangels Krankheitseinsicht ansonsten nicht behandelbaren Betroffenen abzielt, ist nämlich nur erforderlich, wenn eine (Zwangs-) Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung nach § 1906 BGB überhaupt in Betracht kommt (Senat, SchlHA 2006, S. 137 f.; SchlHA 2008, S. 359 f.). Dies wiederum ist nur der Fall, wenn die Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung bei einer vorläufigen Einschätzung Erfolg versprechend und nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unumgänglich erscheint, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung abzuwenden (Senat, a. a. O.).

Dies führt zwar bei einem Betroffenen, dessen Gesundheitszustand sich jeweils nach dem Ende einer Unterbringungsmaßnahme absehbar wieder verschlechtert und erneute Unterbringungsmaßnahmen erfordert, nicht dazu, dass die Voraussetzungen für eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der geschlossenen Unterbringung bereits deshalb entfallen, weil aktuell gerade die Voraussetzungen für eine Unterbringung nicht gegeben sind. Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch nicht. Vielmehr steht nicht fest, ob eine Unterbringung der Betroffenen nach vorläufiger Einschätzung überhaupt in Betracht kommt.

Dies ist nach jetzigem Stand sehr zweifelhaft. Aus den zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit eingeholten Sachverständigengutachten vom 2. September 2008 und vom 20. Mai 2009 ergeben sich noch keine Umstände, die darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 1906 BGB vorliegen. Das Amtsgericht ist zu der Einschätzung gekommen, dass dies nicht der Fall sei (Bl. 33 d. A.). Das Landgericht hat dazu nicht ausdrücklich Feststellungen getroffen.

Der Senat kann als Rechtsbeschwerdegericht auch keine eigenen tatsächlichen Feststellungen treffen, um in der Sache selbst zu entscheiden. Allerdings ergibt sich aus der dem Senat vorliegenden Akte, dass die Betreuerin am 3. Juni 2009 beim Amtsgericht beantragt hat, die geschlossene Unterbringung der Betroffenen im Krankenhaus zu genehmigen, da die Gefahr einer Chronifizierung bestehe und eine Suizidgefahr nicht auszuschließen sei (Bl. 151 d. A.). Dieses Schreiben hat dem Landgericht bei seiner Entscheidung vom 15. Juni 2009 nicht vorgelegen, ebenso wenig das erst am 23. Juni 2009 erstellte Gutachten des Sachverständigen Dr. M. (Bl. 159 ff. d. A.). Die Ausführungen im Gutachten sprechen eher dafür, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung nicht erfüllt sind und auch nicht absehbar ist, ob dies demnächst der Fall sein wird. Allein die Kontrollbedürftigkeit des leichtgradig reduzierten Allgemein- und Ernährungszustandes deutet noch nicht darauf hin, dass eine Unterbringung der Betroffenen aktuell in Betracht kommt. Dabei handelt es sich aber um neue Tatsachen (vgl. dazu Meyer-Holz in: Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Auflage, § 27 Rn. 45), die dem Landgericht bei seiner Entscheidung nicht vorlagen und die der Senat im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht berücksichtigen kann. Im Interesse der Verfahrensökonomie kann das Rechtsbeschwerdegericht zwar in einem sehr engen Rahmen auch neue Tatsachen zugrunde legen, wenn diese nämlich offenkundig sind oder ohne weitere Ermittlungen feststehen, weil sie unstreitig sind oder sich unzweideutig aus den Akten ergeben (Meyer-Holz, a. a. O.). So liegt es hier jedoch nicht. Allein das Gutachten des Sachverständigen Dr. M. lässt es noch nicht als offenkundig erscheinen, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung nicht vorliegen, so dass der Senat bereits selbst in der Sache entscheiden und die Beschlüsse der Vorinstanzen abschließend aufheben kann. Der weitere Verlauf des Unterbringungsverfahrens ist aus der Akte ebenso wenig ersichtlich wie der aktuelle gesundheitliche Zustand der Betroffenen.

(c)

Das Landgericht hat daher Feststellungen dazu zu treffen, ob im Bereich der Gesundheitssorge Hilfsmöglichkeiten auf freiwilliger Basis bestehen oder ob die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung mit den Aufgabenkreisen der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung gegeben sind, weil eine Unterbringung der Betroffenen in Betracht kommt. Soweit das nicht der Fall ist - was sich möglicherweise schon aus den einzuholenden Angaben der Betreuerin zu Hilfsbedarf und Hilfsmöglichkeiten ergeben kann - ist die Betreuerbestellung für die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung aufzuheben.

3.

Das Verfahren der weiteren Beschwerde ist nach § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei. Darüber, ob eine teilweise Erstattung außergerichtlicher Auslagen nach § 13a Abs. 2 S. 1 FGG in Betracht kommt, kann nur das Landgericht im Zusammenhang mit der erneuten Sachenentscheidung befinden.

Ende der Entscheidung

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