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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: 2 W 109/06
Rechtsgebiete: GBO


Vorschriften:

GBO § 35 Abs. 1 Satz 2
Im Fall der Vorlegung von Urkunden im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GBO kann das Grundbuchamt nur dann den Nachweis der Erbfolge durch einen Erbschein verlangen, wenn es die Erbfolge durch die vorgelegte Urkunde nicht für nachgewiesen hält. Voraussetzung ist jedoch, das nach erschöpfender rechtlicher Würdigung konkrete Zweifel bleiben, die nur durch weitere Ermittlungen geklärt werden können.
2 W 109/06

Beschluss

In der Grundbuchsache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weitere Beschwerde der Beteiligten vom 26.06.2006 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 16.06.2006 durch die Richter ................. am 19.07.2006 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss und die Zwischenverfügung des Amtsgerichts Pinneberg vom 05.05.2006 bzw. 30.03.2006 werden aufgehoben.

Das Amtsgericht - Grundbuchamt - wird angewiesen, die Eintragung der Beteiligten in Abteilung I des Grundbuchs von ....nicht von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zu machen.

Gründe:

Die am 2.01.2006 verstorbene und noch im Grundbuch als Eigentümerin des eingangs bezeichneten Grundstücks eingetragene N. hinterließ drei inzwischen eröffnete letztwillige Verfügungen:

1. handschriftliches gemeinsames Testament mit dem (am 08.04.1964 sodann verstorbenen) Ehemann W. N. vom 01.10.1963:

"Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein. Den Sohn E. P. (...) der unterzeichneten Frau N. geb. R. setzen wir zum Alleinigen Nacherben auf dasjenige ein, was von der Erbschaft bei dem Tode des Überlebenden von uns übrig sein wird".

2. Notarielles Einzeltestament vom 14.09.2000:

"Wir haben am 1.10.1963 privatschriftlich in Hamburg ein gemeinsames Testament errichtet, in dem mein Sohn E. P.zum Schlusserben eingesetzt worden war. Dies geschah seinerzeit aber lediglich im Hinblick auf die Verhältnisse in der damals existierenden DDR. Der Überlebende sollte nicht gehindert sein, seinerseits anders von Todes wegen zu verfügen.

Dies vorausgeschickt, setze ich zu meiner Alleinerbin ein Frau . L.(...)."

3. handschriftliches Einzeltestament vom 25.11.2000:

"Über so viel Charakterlosigkeit meines lieblosen Sohnes E., möchte ich das Ihm kein Pflichtteil zu steht".

Die Beteiligte hat am 22.03.2006 unter Beifügung der genannten letztwilligen Verfügungen beim Amtsgericht - Grundbuchamt - beantragt, sie als Eigentümerin des eingangs bezeichneten Grundstücks in das Grundbuch einzutragen. Das Amtsgericht hat der Beteiligten aufgegeben, einen Erbschein einzureichen, weil aufgrund der vorliegenden Testamente die Erbfolge durch das Grundbuchamt nicht zweifelsfrei bestimmt werden könne. Nachdem die Beteiligte dies ablehnte, hat das Amtsgericht den Eintragungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Das Landgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zurückgewiesen. Gegen den Beschluss des Landgerichts richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten.

Die gemäß §§ 78, 80 GBO zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg, weil die Entscheidung des Landgerichts auf einer Rechtsverletzung beruht (§§ 78 GBO, 546 ZPO).

Das Landgericht hat ausgeführt, das Grundbuchamt sei berechtigt, einen Erbschein zu verlangen. Es sei nicht eindeutig, ob das notarielle Testament angesichts des vorausgegangenen gemeinschaftlichen Testaments überhaupt wirksam sei. Im Falle der Unwirksamkeit läge keine öffentliche Urkunde vor, auf die der Eintragungsantrag zu stützen wäre. Das Grundbuchamt habe zwar eine Auslegungspflicht, nicht aber die Verpflichtung, weitere tatsächliche Ermittlungen über den Willen des Erblassers anzustellen. Diese wären hier aber erforderlich, da das Testament nichts Eindeutiges über die Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügung aussage.

Diese Entscheidung ist mit einem Rechtsfehler behaftet. Das Landgericht hat den sich aus den Akten ergebenden Sachverhalt zur Frage der Wirksamkeit des notariellen Testaments nicht erschöpfend gewürdigt (§ 25 FGG; Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 15. Aufl. , § 27 Rn. 40) und zudem gesetzliche Auslegungsregeln und naheliegende Erfahrungssätze unberücksichtigt gelassen (Keidel/Kuntze/Winkler a.a.O. § 27 Rn. 21, 30). Da der Sachverhalt zur Beurteilung der Frage ausreicht, ist das Rechtsbeschwerdegericht befugt, unter Absehen von einer Zurückverweisung über die Sache selbst zu entscheiden. Dies führt zu einem entgegengesetzten Ergebnis.

Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GBO kann der Nachweis der Erbfolge anstelle durch Erbschein auch durch Vorlage einer in einer öffentlichen Urkunde enthaltenen letztwilligen Verfügung und die Niederschrift über ihre Eröffnung geführt werden. In diesem Fall kann das Grundbuchamt nur dann die Vorlegung eines Erbscheins verlangen, wenn es die Erbfolge durch diese Urkunde nicht für nachgewiesen hält. Voraussetzung ist jedoch, dass nach erschöpfender rechtlicher Würdigung konkrete Zweifel bleiben, die nur durch weitere Ermittlungen geklärt werden können (OLG Stuttgart, Rechtspfleger 1992, 154).

Im Rahmen der zuvor vom Grundbuchamt vorzunehmenden Auslegung und Würdigung der notariell beurkundeten letztwilligen Verfügung ist es nicht erforderlich, dass alle etwaigen Bedenken gegen ihre Wirksamkeit in derselben Form ausgeräumt werden müssen (Demharter, GBO, 23. Aufl., § 35 Rn. 36, 39 und 40; BayObLG, Rechtspfleger 1974, 434, 435; 1987, 266, 267; OLG Oldenburg, Rechtspfleger 1975, 313, 314). Für den Fall, dass sich die Bedenken aus dem Vorhandensein früherer oder späterer privatschriftlicher Testamente ergeben, ist es Aufgabe des Grundbuchamts, den Inhalt dieser Testamente selbst zu würdigen, um auf solche Weise festzustellen, ob die Bedenken begründet sind oder nicht. Das gilt selbst dann, wenn rechtlich schwierige Fragen beurteilt werden müssen. (Demharter, a.a.O. Rn. 42). Gesetzliche Auslegungsregeln hat das Grundbuchamt zu berücksichtigen, wenn auch das Nachlassgericht voraussichtlich darauf zurückgreifen muss (OLG Stuttgart, Rechtspfleger 1992, 154 m.w.N.; Demharter, a.a.O.) Seine Pflicht zur eigenen Testamentsauslegung entfällt nur dann, wenn für die Auslegung tatsächliche Umstände wesentlich sind, die erst ermittelt werden müssten. Dafür ist im Eintragungsverfahren kein Raum.

Vorliegend hat das Landgericht Zweifel an der Wirksamkeit der Erbeinsetzung der Beteiligten aufgrund des früheren gemeinschaftlichen Testaments vom 1.10.1963 geäußert und weitere Ermittlungen für geboten gehalten. Aus seiner Entscheidung geht allerdings nicht hervor, weshalb die Zweifel nicht durch die gebotene Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments überwunden werden können und welchen konkreten Ermittlungsansätzen noch nachgegangen werden müsse.

Die Auslegung eines Testaments hat die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers zum Ziel, ohne dass am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist (§ 133 BGB). Zur Erforschung dieses Willens sind in der Tat auch außerhalb der Testamentsurkunde bestehende Nebenumstände heranzuziehen, zu denen insbesondere auch der Inhalt weiterer letztwilliger Verfügungen gehört. Nicht jede derartige Nachforschungstätigkeit ist dem Grundbuchamt verwehrt. Insbesondere die Auslegung weiterer vorhandener Testamente und die Auswertung der Nachlassakten ist dem Grundbuchamt vielmehr ohne weiteres zumutbar und geboten (BayObLG Rechtspfleger 1974, 434).

Dementsprechend hat das Grundbuchamt im vorliegenden Fall zur Klärung der Frage, ob die von der Erblasserin widerrufene Erbeinsetzung ihres aus einer anderen Ehe stammenden Sohnes wechselbezüglich zu ihrer eigenen Erbeinsetzung durch ihren zweiten Ehemann ist, zu Recht auch tatsächlich das spätere notarielle Testament herangezogen. In diesem behauptet die Erblasserin, die Erbeinsetzung ihres Sohnes habe nach dem Wunsch der Ehegatten den Überlebenden nicht binden sollen.

Gestützt wird die Darstellung der Erblasserin, die Schlusserbeneinsetzung sei nicht wechselbezüglich gewesen, auch durch die im Gemeinschaftstestament enthaltene Formulierung, der Nacherbe solle nur dasjenige erhalten, "was von der Erbschaft bei dem Tode des Überlebenden von uns übrig sein" werde, welche als Indiz für eine fortbestehende Verfügungsfreiheit - auch durch späteres Einzeltestament - herangezogen werden kann.

Das Grundbuchamt meint aber, die spätere Äußerung der Erblasserin belege noch nicht, dass dies tatsächlich auch dem Willen des anderen, vorverstorbenen Ehegatten entsprochen habe und hält es deshalb für angezeigt, "durch weitere Ermittlungen zu den tatsächlichen Verhältnissen der Erblasser deren Willen festzustellen". Weder dem Beschluss des Amtsgerichts noch den Ausführungen des Landgerichts lässt sich aber entnehmen, welche konkreten "tatsächliche Ermittlungen", zu denen das Grundbuchamt nicht befugt sei, noch erforderlich sein sollen. Diese Angabe wäre aber erforderlich gewesen, da bloße abstrakte Zweifel den Verweis auf das Erbscheinsverfahren des Nachlassgerichts nicht rechtfertigen (vgl. Senat, Beschl. V. 15.07.1999 - 2 W 113/99 in FGPrax 1999, 206).

Nach dem vorliegenden Sachverhalt kommen weitere tatsächliche Ermittlungen durch das Nachlassgericht ersichtlich nicht in Betracht. Die Testierenden können darüber, was sie gewollt haben, nicht mehr angehört werden. Das gemeinschaftliche Testament ist nicht notariell beurkundet worden; es ist auch nicht anzunehmen, dass heute noch lebende Bekannte des vor fast 43 Jahren verstorbenen Herrn N. noch Angaben zu dessen Vorstellungen bei der Abfassung der letztwilligen Verfügung machen können. Der Sohn der Erblasserin hat im Jahr 1963 in der damaligen DDR gelebt und kann daher zu der Abfassung des in Hamburg errichteten Testaments nicht hinzugezogen worden sein.

Da unter den vorliegenden Umständen kein Ansatzpunkt für konkrete Aufklärungsmaßnahmen zur Verfügung steht, ist hier auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB zurückzugreifen, die andernfalls auch durch das Nachlassgericht angewendet werden müsste (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O. m.w.N.). Diese besagt, dass im Zweifelsfall der Überlebende durch das Testament zwar an die Einsetzung von Verwandten des anderen Ehegatten gebunden sein soll, nicht aber an die Einsetzung von Personen, mit denen nur er verwandt ist (Palandt, BGB, 64. Aufl. § 2270 Rn. 7). Aus dieser Auslegungsregel ergibt sich somit die Zulässigkeit des von der Erblasserin erklärten Widerrufs der Erbeinsetzung ihres Sohnes und damit auch die Wirksamkeit des notariell beurkundeten Testaments.

Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten sind deshalb die Beschlüsse des Landgerichts und des Grundbuchamtes und die zugrundeliegende Zwischenverfügung aufzuheben (§§ 562, 563 Abs. 3 ZPO analog). Eine Anhörung des Sohns der Erblasserin ist unterblieben, da für seine Beteiligung im vorliegenden Grundbuchverfahren anders als in einem Nachlassverfahren keine gesetzliche Grundlage besteht.

Ende der Entscheidung

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