Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 02.02.2006
Aktenzeichen: 2 W 12/06
Rechtsgebiete: BGB, VBVG


Vorschriften:

BGB § 1908i
BGB § 1792
BGB § 1799
VBVG § 5 Abs. 2
Für die Bemessung der Betreuervergütung eines nachträglich bestellten Gegenbetreuers ist die erstmalige Begründung des Betreuerverhältnisses durch Bestellung des Betreuers maßgeblich (Ergänzung zum Senatsbeschluss vom 25.01.2006 - 2 W 240/05).
2 W 12/06

Beschluss

In der Betreuungssache (Vergütung)

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3. vom 03.01.2005 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 22.12.2005 am 02.02.2006 beschlossen:

Tenor:

Die Entscheidung des Landgerichts wird geändert.

Dem Beteiligten zu 2. wird unter Wiederherstellung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 8.11.2005 für den Abrechnungszeitraum vom 01.07.2005 bis 30.09.2005 eine Betreuervergütung in Höhe von 264,00 € bewilligt.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 2. begehrt die Festsetzung einer Betreuervergütung nach seiner Bestellung zum Gegenbetreuer zum Stundenansatz gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 VBVG. .

Der Betroffene leidet an Multipler Sklerose. Das Amtsgericht bestellte durch Beschluss vom 27.06.2001 die Beteiligte zu 1. - Schwester des Betroffenen - zu seiner ehrenamtlichen Betreuerin mit den Aufgabenkreisen: Vermögens- sorge, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vertretung gegenüber Behörden usw. sowie Entgegennahme und Öffnen der Post mit Ausnahme der Privatpost. Es zeigte sich alsbald, dass die Beteiligte zu 1. nicht willens oder in der Lage war, ordnungsgemäß Rechnung zu legen. Nachdem es bereits im vorangegangenen Rechnungslegungszeitraum zu nicht lösbaren Schwierig-keiten gekommen war, beanstandete das Amtsgericht für die Zeit vom 1.07.2003 bis 30.06.2004 erneut, dass die Rechnungslegung nicht überprüfbar sei. Insbesondere lägen keine Nachweise für Barabhebungen, außergewöhnliche Ausgaben und Kontoauszüge vor. Eine Verschuldung des Betroffenen sei nicht verhindert oder wenigstens gemindert worden. Ferner verfüge er nunmehr über Vermögenswerte, die bislang gar nicht bekannt gewesen seien. Durch Beschluss vom 29.03.2005 bestellte das Amtsgericht den Beteiligten zu 2. für den Aufgabenkreis "Vermögenssorge" zum berufsmäßigen Gegenbetreuer, damit sicher gestellt werde, dass die Interessen des Betroffenen in finanzieller Hinsicht gewahrt würden.

Der Beteiligte zu 2. hat unter dem 4.10.2005 die Festsetzung einer Vergütung gegen die Landeskasse für den Zeitraum vom 01.07. bis 30.09.2005 in Höhe von insgesamt 462,00 € beantragt. Dabei legt er einen Stundensatz von 44,00 Euro und einen monatlichen pauschalen Stundenansatz von 3,5 (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 VBVG) zugrunde. Das Amtgericht hat ihm nur 264,00 € bewilligt. Es hat die Auffassung vertreten, dass bei der Berechnung des Stundenansatzes auf die erstmalige Betreuerbestellung abzustellen sei, so dass dieser nur zwei Stunden pro Monat betrage (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 VBVG). Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2. hat das Landgericht die Entscheidung des Landgerichts geändert und die Vergütung antragsgemäß auf 462,00 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die zugelassene sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach §§ 27 Abs. 1, 29, 20, 22 Abs. 1, 56g Abs. 5 Satz 2, 69e FGG zulässig. Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2. ist der Beteiligte zu 3. als Behörde - Vertreter des Landes Schleswig-Holstein - berechtigt, das Rechtsmittel ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts einzulegen (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 FGG). Sie ist auch begründet, denn die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 2 FGG; 546 ZPO).

Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: In der Entscheidung vom 11.11.2005 - 3 T 483/05 - habe die Kammer die Auffassung vertreten, dass jedenfalls in den Fällen, in denen ein ehrenamtlicher Betreuer wegen fehlender Eignung nachträglich durch einen Berufsbetreuer abgelöst werde, die Bestellung des Berufsbetreuers als erstmalige Bestellung anzusehen sei, weil in derartigen Fällen in der Regel ein Sachverhalt vorliege, welcher der Ersteinrichtung der Betreuung entspreche. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass der Berufsbetreuer u.a. die Vergangenheit aufzuarbeiten habe. Nicht anders liege es hier. Der Gegenbetreuer sei bestellt worden, weil die Rechnungslegung der Betreuerin ab August 2003 zahlreiche Lücken aufweise. Es müssten Kontoauszüge vermutlich anhand von Mikrofilmen neu erstellt und zahlreiche Zahlungsvorgänge rekonstruiert werden. Daran habe der Gegenbetreuer mitzuwirken und die Angaben der Betreuerin zu kontrollieren. Insofern liege eine der Erstbestellung vergleichbare Situation vor.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Für die Bemessung der Betreuervergütung ist nach Auffassung des Senats die erstmalige Begründung des Betreuungsverhältnisses auch in den Fällen maßgebend, in denen der zunächst tätige ehrenamtliche Betreuer wegen mangelnder Eignung nach § 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB entlassen und stattdessen ein Berufsbetreuer (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 25.01.2006 - 2 W 240/05 - 3 T 553/05 LG Kiel) oder - wie vorliegend - nachträglich ein Gegenbetreuer nach §§ 1908i, 1792, 1799 BGB bestellt worden ist. Im letztgenannten Fall handelt es sich zwar um die Bestellung eines weiteren Betreuers für einen neuen Aufgabenkreis, dies jedoch im Rahmen der bestehenden Betreuung. Die Überzeugung des Senats folgt - wie schon im genannten Beschluss vom 25.01.2006 dargelegt - auch für den vorliegenden Fall aus dem Wortlaut des § 5 VBVG (1.), einer historischen Auslegung dieser Vorschrift (2.), ihrer systematischen Stellung (3.) und schließlich aus ihrem Sinn und Zweck (4.).

1. Nach § 5 Abs. 2 VBVG ist der dem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand bei einem mittellosen Betreuten, der sich nicht in einem Heim aufhält, in den ersten drei Monaten der Betreuung mit viereinhalb (Nr. 1) im vierten bis sechsten Monat mit dreieinhalb (Nr. 2), im siebten bis zwölften Monat mit drei (Nr. 3) und danach mit zwei (Nr. 4) Stunden im Monat anzusetzen. Ausdrücklich stellt die Vorschrift für die Vergütungsstufen auf die Dauer der Betreuung, nicht hingegen auf die Dauer der Tätigkeit des anspruchsstellenden Betreuers ab. Schon diese Formulierung legt es nahe, die gestaffelten Stundensätze an dem Zeitpunkt der Einrichtung der Betreuung orientieren. Das ist hier Mitte 2001.

2. Auch die historische Auslegung spricht dafür, die Höhe der Vergütung des nach Ablösung des ehrenamtlichen Betreuers eingesetzten Berufsbetreuers oder des nachträglich eingesetzten Gegenbetreuers nach dem Beginn der (erstmaligen) Betreuung zu bemessen. Die Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrats zum Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz (2. BtÄndG) sieht im Falle eines Betreuerwechsels keine Ausnahme von dem Pauschalierungsmodell vor. So heißt es dort:

"Der mit einem Betreuerwechsel regelmäßig einhergehende Mehrbedarf ist in den vom ISG (= Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik [Anm. d. Senats]) erhobenen Zahlen enthalten. - Maßgebend für die Anwendung der Pauschalen ist daher die erstmalige Bestellung eines Betreuers. Dies soll auch dann gelten, wenn es sich hierbei um einen ehrenamtlichen Betreuer handelt und später ein Berufsbetreuer bestellt wird. Geschieht dies z.B. im 3. Jahr einer Betreuung, kann der Berufsbetreuer nur die Pauschalen für den Zeitraum ab dem 2. Jahr beanspruchen." (BT-Drs. 15/2494, S. 34).

Diese Auslegung erfährt auch durch die folgende Passage der Entwurfsbegründung ihre Bestätigung:

"Die Pauschalen der Absätze 1 und 2 stehen von Beginn des Betreuungsverfahrens (Hervorh. d. d. Senat) an fest und sind vom tatsächlichen Aufwand im konkreten Fall unabhängig. Von den zahlenmäßig geringen Sonderfällen des §§ 1908m BGB-E abgesehen, gibt es keine Ausnahmetatbestände. Denn jeder Ausnahmetatbestand würde zu Streitigkeiten über seinen Anwendungsbereich und ggf. eine analoge Anwendung führen." (BT-Drs. 15 / 2494, S. 33).

3. Die systematische Stellung der Vorschrift über die Vergütungssätze im VBVG steht einer solchen Sichtweise nicht entgegen. Allerdings soll nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung aufgrund der Tatsache, dass sich das gesamte VBVG auf berufliche Betreuungen bezieht, bei einem Betreuerwechsel die vorherige ehrenamtliche Betreuungszeit bei dem vierstufigen Zeitraster nicht mitzuzählen sein (vgl. Deinert, Internetbetreuungslexikon, www.betreuungslexikon.de/pauschale.htm). Das kann jedoch vom gedanklichen Ansatz her nicht überzeugen. Ansprüche auf Vergütung entstehen ausschließlich bei berufsmäßig geführten Betreuungen; ehrenamtliche Betreuungen erfolgen - wie die §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 1 BGB klarstellen - stets unentgeltlich. Daraus ergibt sich aber nicht zwingend, dass auch für die Bemessung der Betreuervergütung allein die Zeiträume der Berufsbetreuung zugrunde zu legen sind. Das gilt umso mehr, als das Gesetz die beruflich geführte Betreuung gegenüber der ehrenamtlichen Tätigkeit als Ausnahme ansieht (vgl. §§ 1897 Abs. 6, 1908i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 1 BGB).

4. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in § 5 VBVG ist es geboten, die Vergütungszeiträume auch im Falle eines Betreuerwechsels, der Bestellung eines weiteren Betreuers oder in vergleichbaren Situationen nach der erstmaligen Einrichtung der Betreuung zu bemessen. Die mit dem 2. BtÄndG eingeführten "harten" Pauschalen sollen das Abrechungssystem vereinfachen und sowohl den Betreuer als auch das für die Festsetzung der Vergütung zuständige Vormundschaftsgericht von der Erfassung der im Einzelfall aufgewendeten Zeit entbinden (BT-Drs. 15/2494, S. 31). Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber von einer Differenzierung zwischen leichten und schwierigen Konstellationen verzichtet und Ausnahmen von dem in § 5 VBVG niedergelegten Pauschalierungssystem nicht vorgesehen (BT-Drs. 15/2494, S. 33). Streitigkeiten über die Höhe der Betreuervergütung im Einzelfall sollen dadurch vermieden werden. Zum Ausgleich liegt den Pauschalen des § 5 VBVG eine Mischkalkulation zwischen aufwändigen und weniger aufwändigen Fällen innerhalb der Fallgruppen zugrunde (BT-Drs. 15/2494, S. 33). Zwar ist nicht zu verkennen, dass mit einem Betreuerwechsel oder mit der Bestellung eines weiteren Betreuers im Rahmen einer bestehenden Betreuung anfangs mehr oder weniger Mehrarbeit für den neuen Berufsbetreuer verbunden ist. Andererseits würde das vereinfachte Abrechnungssystem unzulässig unterlaufen, wenn nunmehr wiederum eine Einzelfallprüfung eröffnet würde, in der gewichtet werden müsste, ob erstens die Konstellation als solche und zweitens der damit im konkreten Fall einhergehende Aufwand für eine mehr oder weniger umfangreiche und mehr oder weniger schwierige Ein- und Aufarbeitung den jeweils höchsten Stundenansatz des § 5 VBVG rechtfertigt.

Nach allem war die angefochtene Entscheidung unter Wiederherstellung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 8.11.2005, auf den wegen der Einzelheiten der Berechnung der Vergütung Bezug genommen wird (Bl. 14/15 der Vergütungsakten), zu ändern.

Ende der Entscheidung

Zurück