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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 16.01.2003
Aktenzeichen: 2 W 139/02
Rechtsgebiete: WEG, ZPO


Vorschriften:

WEG § 23
ZPO § 270 Abs. 3 a. F.
Zu den Voraussetzungen einer rechtzeitigen Beschlussanfechtung in Wohnungseigentumssachen.
Tatbestand:

Die Beteiligten zu 1. - 3. sind Miteigentümer der Wohnungseigentumsanlage F. Die Beteiligte zu 4. ist die Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft.

Am 13. Mai 2000 beschloss die Wohnungseigentümerversammlung zu TOP 5 und 6, die Abrechnung der Beteiligten für 4. für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1999 zu genehmigen sowie der Beteiligten zu 4. und dem Verwaltungsbeirat Entlastung zu erteilen. Die Beteiligten zu 1. und 2. haben mit Telefax ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 13. Juni 2000 beantragt, diese Beschlüsse für ungültig zu erklären. Mit Beschluss vom 20. Juni 2000 hat das Amtsgericht den Geschäftswert vorläufig auf 900.000 DM festgesetzt und "die Vornahme weiterer Amtshandlungen" von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses abhängig gemacht. Dieser Beschluss und die Antragsschrift sind den Beteiligten zu 3. und 4. zunächst nicht zugestellt worden. Mit Verfügung vom 20. Juni 2000 - abgesandt am 27. Juni 2000 - hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 1. und 2. aufgegeben, einen Kostenvorschuss in Höhe von 4.380 DM einzuzahlen. Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2000 - beim Amtsgericht eingegangen am 24. Juli 2000 - haben die Beteiligten zu 1. und 2. beantragt, den Geschäftswert festzusetzen. Daraufhin hat das Amtsgericht ihnen am 29. August 2000 eine Abschrift des Beschlusses vom 20. Juni 2000 zustellen lassen, die allerdings einen Schreibfehler enthielt. Der Geschäftwert war darin mit 9.000.000 DM angegeben. Mit Schriftsatz vom 1. September 2000 - beim Amtsgericht eingegangen am 5. September 2000 - haben die Beteiligten zu 1. und 2. sofortige Beschwerde gegen den Geschäftswertbeschluss eingelegt. Diese sofortige Beschwerde haben sie trotz Hinweises des Amtsgerichts vom 6. September 2000 auf den besagten Schreibfehler mit Schriftsatz vom 20. September 2000 - beim Amtsgericht eingegangen am 21. September 2000 - ausdrücklich aufrecht erhalten. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. und 2. gegen den Geschäftswertbeschluss mit Beschluss vom 24. Oktober 2000 - den Beteiligten zu 1. und 2. zugestellt am 6. November 2000 - zurückgewiesen. Mit Verfügung vom 14. November 2000 - abgesandt am 20. November 2000 - hat das Amtsgericht die Beteiligten zu 1. und 2. an die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses erinnert. Mit Verfügung vom 21. Dezember 2000 - abgesandt am 2. Januar 2001 - hat es den Beteiligten zu 1. und 2. für die Einzahlung des Kostenvorschusses eine Frist bis zum 31. Januar 2001 gesetzt und folgenden Hinweis erteilt: "Geht bis zu diesem Datum der Kostenvorschuss nicht ein, wird das Gericht den Antrag als unzulässig abweisen." Die Beteiligten zu 1. und 2. haben am 24. Januar 2001 einen Scheck in Höhe des angeforderten Vorschusses beim Amtsgericht eingereicht. Am 7. März 2001 hat das Amtsgericht die Zustellung der Antragsschrift vom 13. Juni 2000 verfügt. Die Zustellung ist am 15. März 2001 erfolgt. Mit Beschluss vom 22. März 2002 hat das Amtsgericht die Anträge der Beteiligten zu 1. und 2. als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. und 2. hat das Landgericht mit Beschluss des Einzelrichters vom 25. Juni 2002 zurückgewiesen. Amts- und Landgericht haben angenommen, dass die Anträge auf Ungültigerklärung der Beschlüsse zu TOP 5 und 6 der Eigentümerversammlung vom 13. Mai 2000 nicht fristgerecht gestellt worden seien. Die Antragsschrift vom 13. Juni 2000 sei zwar innerhalb der Monatsfrist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG beim Amtgericht eingegangen. Eine fristgerechte Beschlussanfechtung hätte jedoch nur vorgelegen, wenn die Antragsschrift demnächst im Sinne des § 270 Abs. 3 ZPO a. F. (jetzt § 167 ZPO) zugestellt worden wäre. Daran fehle es jedoch, weil die Beteiligten zu 1. und 2. die Zustellung durch eine mehrmonatige Nichtzahlung des Gerichtskostenvorschusses verzögert hätten. Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. Und 2. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Amtsgericht.

Gründe:

Amts- und Landgericht sind zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beteiligten zu 1. und 2. die Beschlüsse zu TOP 5 und 6 der Eigentümerversammlung vom 13. Mai 2000 nicht fristgerecht angefochten haben.

Dabei kann offen bleiben, ob die Zustellung der Antragsschrift in Beschlussanfechtungsverfahren (§ 23 Abs. 4, 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG) von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses abhängig gemacht werden darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KostO), ob die Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG erst mit der Zustellung des Anfechtungsantrages gewahrt wird und ob § 270 Abs. 3 ZPO a. F. in Fällen der verzögerten Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses entsprechende Anwendung findet. Denn im vorliegenden Fall wäre die einmonatige Anfechtungsfrist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG auch dann als gewahrt anzusehen, wenn diese Fragen zu bejahen wären. In diesem Falle wäre eine fristgerechte Anfechtung jedenfalls deshalb gegeben, weil die Beteiligten zu 1. und 2. ihre Beschlussanfechtungsanträge nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Amtsgerichts innerhalb der Monatsfrist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG beim Amtsgericht eingereicht haben und die Zustellung der Anträge demnächst im Sinne des § 270 Abs. 3 ZPO a. F. erfolgt ist. Das Merkmal "demnächst" ist erfüllt, wenn die Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen Frist vorgenommen worden ist; auch längere Fristen können angemessen sein, wenn die Verzögerung auf Versäumnisse des Gerichts und nicht auf eine vorwerfbare Nachlässigkeit der Beteiligten oder ihrer Prozessbevollmächtigten zurückzuführen ist (vgl. BGH NJW 1991, 1745; 1992, 1820). Der Senat hat sich bereits in seinem - den Beteiligten bekannten - Beschluss vom 10. Oktober 2001 (2 W 53/2001 - MDR 2002, 449) grundlegend mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen in Wohnungseigentumsverfahren angenommen werden kann, dass eine eingetretene Verzögerung bei der Zustellung der Antragsschrift auf einer vorwerfbaren Nachlässigkeit eines nicht anwaltlich Beteiligten beruht. Danach gebieten es die Besonderheiten des Wohnungseigentumsverfahrens, dass das Gericht anwaltlich nicht vertretene Beteiligte ausdrücklich auf nicht ohne weiteres erkennbare rechtliche Gesichtspunkte hinweist, die zur Versäumung von Ausschlussfristen führen können. Wenn der erforderliche Hinweis unterbleibt, ist in der Regel davon auszugehen, dass dadurch bedingte Zustellungsverzögerungen auf diesem Versäumnis des Gerichts beruhen und nicht auf einer vorwerfbaren Nachlässigkeit der Beteiligten. Eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze auf anwaltlich vertretene Beteiligte ist nach Überzeugung des Senats jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art geboten. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist noch nicht hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG als eingehalten anzusehen ist. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 17. September 1998 (NJW 1998, 3648) lediglich ausgeführt, die Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG werde mit der Einreichung des Beschlussanfechtungsantrags bei Gericht gewahrt, sofern dieser bestimmt sei und die Zustellung demnächst erfolge. Gegenstand jener Entscheidung waren indessen nicht die Fragen, ob die Zustellung der Antragsschrift in Beschlussanfechtungsverfahren von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses abhängig gemacht werden darf und ob die verzögerte Einzahlung des Vorschusses in solchen Fällen die Annahme einer nicht demnächst erfolgten Zustellung rechtfertigt. Diese Fragen sind in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt; sie werden in den bisher veröffentlichten Entscheidungen überwiegend verneint (vgl. dazu grundsätzlich BayObLG ZMR 2001, 294; Pfälz. OLG Zweibrücken, FGPrax 2002, 246 - jeweils m.w.N.). Dabei wird - soweit ersichtlich - jedenfalls einhellig die Auffassung vertreten, dass die Annahme einer Fristversäumung und die Zurückweisung des Beschlussanfechtungsantrags als unzulässig jedenfalls dann nicht in Betracht kommen, wenn der Antragsteller zuvor nicht auf diese Möglichkeiten hingewiesen worden ist. Bei dieser Sach- und Rechtslage darf grundsätzlich auch ein anwaltlich vertretener Beteiligter erwarten, dass er vom Gericht deutlich darauf hingewiesen wird, wenn es die Zustellung eines Beschlussanfechtungsantrags von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses abhängig machen will, und welche Rechtsfolgen eine verzögerte Einzahlung des Vorschusses unter Umständen nach sich ziehen kann. Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Beteiligten zu 1. und 2. erst mit Verfügung vom 21. Dezember 2000 darauf hingewiesen, dass es den Beschlussanfechtungsantrag verwerfen werde, sofern der angeforderte Gerichtskostenvorschuss nicht bis zum 31. Januar 2001 eingezahlt werde. Diese Frist haben die Beteiligten zu 1. und 2. eingehalten. Sie haben am 24. Januar 2001 einen Scheck in Höhe des angeforderten Gerichtskostenvorschusses eingereicht. Die Einlösung des Schecks war zur Fristwahrung nicht erforderlich (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., § 270 Rn. 8; BGH WM 1985, 36). Die nach dem Hinweis des Amtsgerichts vom 21. Dezember 2000 innerhalb der gesetzten Frist erfolgte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses rechtfertigt die Annahme, dass die Beteiligten zu 1. und 2. den Vorschuss bereits wesentlich früher eingezahlt hätten, wenn das Amtsgericht seinen rechtlichen Hinweis früher erteilt hätte, und das wiederum rechtfertigt nach den eingangs dargestellten Grundsätzen die Annahme, dass die durch die verzögerte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses bedingte Verzögerung der Zustellung des Beschlussanfechtungsantrags der Beteiligten zu 1. und 2. auf das Versäumnis des Gerichts und nicht auf eine vorwerfbare Nachlässigkeit der Beteiligten zu 1. und 2. oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten zurückzuführen ist.

Die Beteiligten zu 1. und 2. haben ihr Anfechtungsrecht auch nicht verwirkt (zur Verwirkung vgl. grundsätzlich KG NJW-RR 1998, 370; BayObLG, ZMR 2001, 294). Voraussetzung dafür wäre, dass sie das Verfahren erheblich verzögert hätten und dass eine Fortsetzung des Verfahrens im Hinblick auf ihr Verhalten für die Beteiligten zu 3. und 4. als eine mit Treu und Glauben unvereinbarte Härte erschiene (zu diesen Kriterien vgl. grundsätzlich Palandt/Heinrichs, 62. Aufl., § 242 Rn. 87 ff). Daran fehlt es jedoch. Der Zeitraum zwischen dem Eingang der Antragsschrift und deren Zustellung war mit etwa 9 Monaten nicht so lang, dass schon allein deshalb die Annahme einer unzumutbaren Härte für die Beteiligten zu 3. und 4. gerechtfertigt wäre, zumal den Beteiligten zu 1. und 2. ein wesentlicher Teil dieser Verzögerung nach Treu und Glauben ohnehin nicht zum Nachteil gereichen kann. Das gilt insbesondere für die Bearbeitungszeiträume des Amtsgerichts (insgesamt mehr als 3 Monate), weil die Beteiligten zu 1. und 2. darauf keinerlei Einfluss hatten, und für die durch ihre Streitwertbeschwerde bedingte Verzögerung (etwa 2 Monate), weil sie damit schützenswerte eigene Interessen verfolgt haben. Im Übrigen beruhte es aus den bereits genannten Gründen ohnehin auf einem Versäumnis des Amtsgerichts, dass die Beteiligten zu 1. und 2. den Gerichtskostenvorschuss verzögert eingezahlt haben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass den Beteiligten zu 3. und 4. infolge der verzögerten Zustellung der Antragsschrift unzumutbare Nachteile entstanden wären. Bei dieser Sachlage ist die Annahme einer Verwirkung nicht gerechtfertigt.

Da bisher weder Amts- noch Landgericht in eine sachliche Prüfung der angefochtenen Eigentümerbeschlüsse eingetreten sind und die Beteiligten zu 3. und 4. auch noch nicht zur Sache Stellung genommen haben, erscheint es geboten, die Sache unter Aufhebung beider Entscheidungen der Vorinstanzen zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Erst- und Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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