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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 03.02.2005
Aktenzeichen: 2 W 15/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1899
Beide Eltern müssen nach § 1899 BGB nicht automatisch zu Betreuern bestellt werden, wenn ein behindertes Kinds volljährig wird und beide Eltern geeignet und bereit sind, die Betreuung zu übernehmen.
2 W 15/05

Beschluss

In dem Betreuungsverfahren

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2. vom 20./21. Dezember 2004 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 7. Dezember 2004 am 3. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Bei der im Jahre 1981 geborenen Betroffenen liegt aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens eine geistige Behinderung wenigstens vom Grade einer Oligophrenie II oder Imbezillität vor. Infolgedessen ist sie nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Deshalb richtete das Amtsgericht nach dem Erreichen ihres 18. Lebensjahres eine unfassende Betreuung für sie ein und bestellte ihre Eltern - die Beteiligten - zu jeweils allein vertretungsberechtigten Betreuern. Laut Beschluss war bis zum 27. Juli 2004 über die Fortdauer oder Aufhebung der Betreuung zu entscheiden. Mit Beschluss vom 4. November 2004 hat das Amtsgericht die Betreuung verlängert und nur noch den Beteiligten zu 1. zum Betreuer bestellt. In dem Beschluss heißt es unter anderem: "Die Mutter [...] wird als Betreuerin entlassen." Gegen ihre "Entlassung" hat die Beteiligte zu 2. Beschwerde eingelegt - mit dem Ziel, weiterhin neben dem Beteiligten zu 1. als Betreuerin bestellt zu werden. Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 7. Dezember 2004 zurückgewiesen. Es hat unter anderem ausgeführt:

Nach § 1899 BGB könne das Vormundschaftsgericht mehrere Betreuer bestellen, wenn die Angelegenheiten des Betreuten hierdurch besser besorgt werden könnten. Das sei hier nicht der Fall. Die Lebenssituation der Betroffenen habe sich seit der Anordnung der Betreuung und der Bestellung beider Eltern zu Betreuern geändert. Die Betroffene wohne nicht mehr bei ihren Eltern. Sie lebe seit Oktober 1999 in einer Einrichtung der Lebenshilfe und werde dort umfassend betreut und versorgt. Tagsüber arbeite sie in einer Werkstatt für Behinderte. Es gehe hier nicht um eine persönliche Betreuung, sondern um die rechtliche Betreuung. Dafür reiche unter den gegebenen Umständen eine Person aus. Die Berufstätigkeit der Beteiligten rechtfertige keine andere Entscheidung. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beteiligte zu 1. beruflich so sehr in Anspruch genommen werde, dass er sich nicht hinreichend um die rechtliche Betreuung kümmern könne. Wenn sich das in Zukunft ändern sollte, werde allenfalls in Betracht kommen, die Beteiligte zu 2. anstelle des Beteiligten zu 1. allein zur Betreuerin zu bestellen. Die Erwägungen des OLG Zweibrücken in seinem Beschluss vom 28. September 2001 (NJW-RR 2002, 292) rechtfertigten keine andere Beurteilung. Das OLG Zweibrücken führe unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung lediglich aus, dass die Vorschrift des § 1899 BGB in erster Linie dann zum Tragen komme, wenn ein behindertes Kind volljährig werde und die Eltern geeignet und bereit seien, die Sorgeaufgabe gemeinschaftlich weiterzuführen. Dies möge zwar das Motiv des Gesetzgebers für die Schaffung des § 1899 BGB gewesen sein. Das bedeute jedoch nicht, dass in einem solchen Fall automatisch beide Eltern zu Betreuern zu bestellen seien. Es sei vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die gesetzliche Voraussetzung einer besseren Besorgung der rechtlichen Angelegenheiten gegeben sei. Das aber sei hier aus den genannten Gründen nicht der Fall.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungen der Vorinstanzen wird auf die Beschlüsse vom 4. November 2004 (B. 47 f d.A.) und 7. Dezember 2004 (Bl. 54- 56 d.A.) Bezug genommen. Gegen den Beschluss des Landgerichts hat die Beteiligte zu 2. formgerecht weitere Beschwerde eingelegt.

II.

Die weitere Beschwerde ist gemäß §§ 69 g Abs. 1, 27, 29 FGG zulässig. Statthaftes Rechtsmittel ist gemäß §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 2, 4 FGG die nicht fristgebundene weitere Beschwerde, weil die Beschwerde der Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss des Amtsgerichts nach § 69 g FGG ebenfalls nicht fristgebunden war. Bei der vom Amtsgericht ausgesprochenen "Entlassung" der Beteiligten zu 2. als Betreuerin handelt es sich der Sache nach nicht um eine Entlassung im Sinne der §§ 69 g Abs. 4 Nr. 3 FGG, 1908 b BGB, sondern um eine Negativauswahl. Bei einer Betreuungsverlängerung wird die vorangegangene Betreuerbestellung insgesamt abgelöst und durch eine neue Einheitsentscheidung über die Bestellung und die Auswahl eines Betreuers ersetzt. Bei dieser Einheitsentscheidung sind deshalb die Vorschriften für die Neubestellung und nicht die für die Entlassung eines Betreuers anzuwenden (Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2003 - 2 W 186/03 - OLGR 2004, 429).

Die weitere Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO). Die Betreuerauswahl der Vorinstanzen ist nicht zu beanstanden. Sie steht insbesondere im Einklang mit den §§ 1897, 1899 BGB.

Der Senat folgt der Auffassung des Landgerichts, das beide Eltern nach § 1899 BGB nicht automatisch zu Betreuern bestellt werden müssen, wenn ein behindertes Kind volljährig wird und beide Eltern geeignet und bereit sind, die Betreuung zu übernehmen. In der Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 11/4528) heißt es dazu wörtlich:

"Eine gemeinsame Betreuung durch die Eltern anstelle einer Betreuung durch einen Elternteil wird vielfach auch im Interesse des Betreuten sinnvoll sein, insbesondere wenn sie sich bei Eintritt der Volljährigkeit eines geistig behinderten Kindes an die bisherige gemeinsame elterliche Sorge anschließt."

Schon aus der Formulierung "vielfach" ergibt sich, dass der Gesetzgeber hier nicht an eine automatisch zu befolgende Regel gedacht hat, sondern die Entscheidung im Einzelfall von den jeweiligen Umständen abhängig machen wollte. Das zeigt sich im Übrigen auch darin, dass der Fall des volljährig werdenden, von beiden Eltern betreuten Kindes in § 1899 BGB keine Sonderregelung erfahren hat. Auch in einem solchen Fall ist daher anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls konkret zu prüfen, ob die Angelegenheiten des Betreuten durch beide Eltern besser besorgt werden können (so auch OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 292).

Das hat das Landgericht im vorliegenden Fall ohne Rechtsfehler verneint. Hier besteht die Besonderheit, dass die Betroffene nach dem Eintritt ihrer Volljährigkeit aus dem Haushalt ihrer Eltern ausgezogen ist und seither in einer Einrichtung der Lebenshilfe umfassend versorgt und betreut wird. Die Beteiligten müssen sich daher schon lange nicht mehr - wie bei einem geschäftsunfähigen minderjährigen Kind - um alle Angelegenheiten der Betroffenen kümmern. Die Betroffene lebt vielmehr grundsätzlich - wie andere erwachsene Betreute auch - ihr eigenes Leben in einer eigenen Umgebung und bedarf der Hilfe eines Betreuers nur bei der rechtlichen Regelung und Sicherstellung ihrer tatsächlichen Betreuung und Versorgung durch Dritte. Im Hinblick darauf erscheint die Betreuung hier zumindest nicht mehr - wie in dem in der Gesetzesbegründung skizzierten Fall - nur als Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Sie hat sich vielmehr in die Richtung einer "normalen" Erwachsenenbetreuung entwickelt, und das rechtfertigt die Annahme, dass die Interessenlage hier auch entsprechend zu beurteilen ist - insbesondere bei der Anwendung des § 1899 BGB.

Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts können die von einem Betreuer zu regelnden Angelegenheiten der Betroffenen von einer Person allein ausreichend besorgt werden. Die Beteiligte zu 2. macht demgegenüber zwar geltend, der Beteiligte zu 1. und sie seien wegen ihrer Berufstätigkeit nur gemeinsam in der Lage, die Betreuung ordnungsgemäß durchzuführen. Das lässt sich jedoch selbst nach den eigenen Berichten der Beteiligten nicht nachvollziehen. Danach besuchen sie die Betroffene zwei - bis dreimal im Monat; die laufenden Angelegenheiten der Betroffenen werden im Wesentlichen von den Mitarbeitern der Lebenshilfe besorgt. Die verbleibenden rechtlichen Angelegenheiten (wie Gespräche mit Ärzten und Verhandlungen mit orthopädischen Firmen, Krankenkassen und Behörden) nehmen - soweit ersichtlich - keinen so großen Raum ein, dass sie nicht ohne Probleme von einem Betreuer erledigt werden könnten. Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Landgerichts nicht zu beanstanden, die rechtlichen Angelegenheiten der Betroffenen könnten nicht besser durch die Beteiligten zu 1. und 2. gemeinsam erledigt werden als durch den Beteiligten zu 1. allein. Sie ist im Hinblick auf die vom Landgericht festgestellten Umstände jedenfalls möglich. Das reicht aus. Mit der Rechtsbeschwerde kann nicht geltend gemacht werden, dass die Tatsachenwürdigung des Landgerichts nicht zwingend sei oder eine andere Würdigung ebenso nahe liege (BGH FGPrax 2000, 130).

Die angefochtene Entscheidung ist entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2. auch nicht etwa deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie das Elternrecht der Beteiligten zu 2. in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise beeinträchtigte. Eltern haben kein verfassungsrechtlich geschütztes Recht, ihre erwachsenen Kinder zu betreuen und für sie "alle rechtlich maßgebenden Dinge zu regeln". Ein entsprechendes elterliches Sorgerecht besteht vielmehr nur für minderjährige Kinder. Bei der Auswahl eines Betreuers sind deshalb auch keine vergleichbaren Elternrechte zu berücksichtigen.

Ende der Entscheidung

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