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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: 2 W 186/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2
Die Abschiebehaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung darf als Beugehaft mit repressivem Charakter weder angeordnet noch aufrechterhalten werden.
2 W 186/07

Beschluss

In dem Abschiebungshaftverfahren

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 14.08.2007 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 07.08.2007 am 17.09.2007 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Reinbek vom 05.07.2007 werden aufgehoben.

Der Antrag des Beteiligten wird zurückgewiesen.

Die sofortige Freilassung des Betroffenen wird angeordnet.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Eine Erstattung der außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen wird nicht angeordnet.

Gründe:

Der Betroffene ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste im Frühjahr 2007 mit Hilfe eines Schleusers in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach Angaben des Betroffenen behielt der Schleuser dessen Pass ein. Der Betroffene nahm eine entgeltliche Arbeit als Küchenhilfe in einer Gaststätte in G. auf, wo er am 04.07.2007 bei einer Kontrolle durch das Hauptzollamt K. (Schwarzarbeit) ohne Identitätspapiere angetroffen und in Gewahrsam genommen wurde.

Am 05.07.2007 hat der Beteiligte bei dem Amtsgericht beantragt, den Betroffenen in Abschiebungshaft zu nehmen. In dem Antrag wies der Beteiligte darauf hin, dass Passersatzbeschaffung und Abschiebung nach Auskunft des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten innerhalb von 3 Monaten möglich seien.

Nach Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 05.07.2007 angeordnet, den Betroffenen bis zum 04.10.2007 in Abschiebungshaft zu nehmen.

Am 19.07.2007 hat der Betroffene gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht mit Beschluss vom 07.08.2007 zurückgewiesen hat. Gegen diesen, dem Bevollmächtigten des Betroffenen am 08.08.2007 zugestellten Beschluss hat der Betroffene am 14.08.2007 sofortige weitere Beschwerde eingelegt.

In der Beschwerdebegründung vom 16.08.2007 und 20.08.2007 hat der Bevollmächtigte des Betroffenen unter anderem beanstandet, die Haft sei unzulässig, weil aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten habe, eine Abschiebung innerhalb dreier Monate nicht möglich sei. Dem Beteiligten und dem Landesamt sei bekannt, dass bei der ghanaischen Botschaft lange Zeiten gelten würden. Nach den dort üblichen Maßstäben sei die Erteilung eines Passersatzpapiers bis zum 05.10.2007 ausgeschlossen. Darüber hinaus sei noch nicht einmal ersichtlich, ob ein Vorführungstermin bei der Botschaft überhaupt schon stattgefunden hätte.

In seiner Stellungnahme vom 23.08.2007 hat der Beteiligte mitgeteilt, der Betroffene sei am 22.08.2007 der Botschaft von Ghana vorgeführt worden. Der Vertreter der Botschaft habe bestätigt, dass der Betroffene ghanaischer Staatsangehöriger sei. Es sei jedoch noch kein Passersatzpapier ausgestellt worden. Der Stellungnahme war ein Telefonvermerk vom 23.08.2007 beigefügt, in dem es heißt:

"Herr T. erklärte NICHT, dass er freiwillig ausreisen möchte

Bei Vorlage eines Schreibens des RA wird PEP ausgestellt.

--> Inhalt des Schreibens:

--> keine Möglichkeit um in BDR zu bleiben

--> möchte freiwillig ausreisen"

Der Bevollmächtigte des Betroffenen hat den Telefonvermerk in seiner Stellungnahme vom 03.09.2007 dahingehend gedeutet, dass es ohne die von der Botschaft geforderte Erklärung des Betroffenen kein Passersatzpapier und somit auch keine Abschiebung geben werde. Damit sei dem Beteiligten die Möglichkeit der Abschiebung des Betroffenen genommen. Ohne Abschiebung sei die Abschiebungshaft unzulässig, die Haft habe vorliegend nicht mehr die Funktion der Sicherung der Abschiebung, sondern bezwecke die Erzwingung der Abgabe einer Erklärung. Es handele sich um eine nach herrschender Rechtsprechung unzulässige Beugehaft.

Mit Schreiben vom 11.09.2007 hat der Beteiligte daraufhin lediglich mitgeteilt, es sei nicht zu erwarten, dass die Passbeschaffung bis zum Ende der angeordneten Abschiebungshaft am 04.10.2007 abgeschlossen sein werde. Deshalb sei beabsichtigt, bei dem Amtsgericht Rendsburg die Verlängerung der Abschiebungshaft zu beantragen.

Mit Schriftsatz vom 13.09.2007 hat der Bevollmächtigte des Betroffenen nochmals darauf hingewiesen, dass es sich unter den gegebenen Umständen um eine unzulässige Beugehaft handeln würde.

Mit Verfügung vom 14.09.2007 hat der Senat dem Beteiligten aufgegeben, mitzuteilen, ob das für die Abschiebung des Betroffenen erforderliche Passersatzpapier der Botschaft nur zu erlangen sei, wenn der Betroffene oder sein Verfahrensbevollmächtigter die schriftliche Erklärung abgebe, er wolle freiwillig ausreisen. Ferner hat er dem Beteiligten aufgegeben, mitzuteilen, welche Voraussetzungen bei der Botschaft von Ghana zu erfüllen seien, um das Passersatzpapier zu erlangen, falls die Ausstellung nicht von der vorgenannten Erklärung abhängen würde.

Der Beteiligte hat daraufhin mit Schreiben vom 17.09.2007 mitgeteilt, dass die Botschaft von Ghana ein Passersatzpapier für den Betroffenen nur dann ausstellen werde, wenn der Betroffene oder sein Verfahrensbevollmächtigter schriftlich die Bereitschaft zu einer freiwilligen Ausreise erklärten. Zugleich hat der Beteiligte die Auffassung vertreten, dass die Abschiebungshaft gleichwohl nicht unzulässig sei, da die Passersatzbeschaffung innerhalb von 3 Monaten "grundsätzlich möglich" sei und der Betroffene, der offensichtlich nicht bereit sei, die erforderliche Erklärung gegenüber der Botschaft abzugeben, den Umstand, dass die Abschiebung möglicherweise bis zum 04.10.2007 nicht möglich sei, selbst zu vertreten habe.

Die nach den §§ 7 FEVG, 27, 29, 22 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist in der Sache begründet.

Zwar haben das Amtsgericht und das Landgericht zutreffend das Vorliegen eines Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG bejaht. Gleichwohl ist die zunächst zu Recht angeordnete Abschiebungshaft durch die weitere Entwicklung unzulässig geworden, weshalb der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts auszuheben waren.

Die Anordnung von Abschiebungshaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung nach § 62 Abs. 2 AufenthG setzt neben dem Vorliegen der in Satz 1 aufgezählten Gründe voraus, dass die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung erforderlich und zudem verhältnismäßig ist (OLGR Rostock 2007, 367). Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zu beachten, dass der allein zulässige Zweck der Abschiebungshaft die "Sicherung der Abschiebung" in den gesetzlich vorgesehenen Fällen ist (vgl. BayObLGR 2002, 301 - Volltext JURIS; OLGR Frankfurt 1996, 20; Senat AuAS 1999, 16). Als Beugehaft mit repressivem Charakter darf sie weder angeordnet, noch aufrechterhalten werden (BayObLGR 2002, 301; BayObLGR 2004, 136; OLG Düsseldorf AuAS 1997, 257; OLGR Frankfurt 1996, 20; OLG Hamm NVwZ 1995, 826; Senat AuAS 1999, 16).

Die Anordnung, Aufrechterhaltung bzw. Verlängerung von Sicherungshaft setzt folglich voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen von der Ausländerbehörde tatsächlich betrieben wird (BayObLG, 06.11.1998, 3Z BR 274/98; OLGR Frankfurt 1996, 20; KG FGPrax 1995, 83; Senat AuAS 1999, 16) und die Ausländerbehörde eine Möglichkeit hat, die Abschiebung des Betroffenen auch tatsächlich durchzuführen. Diese Voraussetzung liegt nicht mehr vor, wenn der Betroffene die zur Beschaffung von Heimreisedokumenten erforderliche Mitwirkung verweigert und die Ausländerbehörde keine andere Möglichkeit mehr hat, als sich darauf zu beschränken, abzuwarten, ob der in Haft befindliche Betroffene sein Verhalten ändern und die erforderliche Mitwirkungshandlung nicht doch noch durchführen wird (BayObLG 08.03.1999, 3Z BR 86/99; BayObLGR 2004, 136; OLGR Frankfurt 1996, 20; Senat AuAS 1999, 16). Wenn eine Situation eingetreten ist, in der die Abschiebung des Betroffenen zuletzt nur noch von dessen Belieben abhängt, weil er einerseits die zur Erlangung der Heimreisedokumente erforderliche Erklärung verweigert und andererseits die Ausländerbehörde keine Möglichkeit hat, ohne die Mitwirkung des Betroffenen die Abschiebung weiter durchzuführen, ist die (zulässige) Sicherungshaft zur (unzulässigen) Beugehaft mutiert (BayObLGR 2004, 136).

So liegt der Fall hier.

Da - wie sich jetzt eindeutig aus dem Schreiben des Beteiligten vom 17.09.2007 ergibt - die Botschaft ein Passersatzpapier für den Betroffenen nur dann ausstellt, wenn der Betroffene oder sein Verfahrensbevollmächtigter schriftlich die Bereitschaft des Betroffenen zu einer freiwilligen Ausreise erklären, hängt die Ausstellung der für die Abschiebung erforderlichen Papiere einerseits von dem Belieben des Betroffenen ab. Da der Beteiligte aber andererseits auf konkrete Nachfrage nicht zu erkennen gegeben hat, welche Möglichkeiten er hat, ohne die erforderliche Freiwilligkeitserklärung des Betroffenen Passersatzpapiere für den Betroffenen zu erhalten und eine Abschiebung des Betroffenen durchzuführen, ist die Abschiebungshaft unverhältnismäßig geworden. Denn sie dient nicht mehr dem Zweck, den unmittelbaren Zugriff auf den Betroffenen zum Zeitpunkt der vorgesehenen Abschiebung zu sichern, sondern dazu, den Betroffenen zur Durchführung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen zu veranlassen.

Die Fortdauer der Haft und eine Verlängerung ist unter diesen Umständen - anders als der Beteiligte meint - nicht deshalb zulässig, weil der Betroffene den Umstand, dass die Abschiebung nicht möglich ist, zu vertreten hat. Eine Fortdauer oder Verlängerung der Abschiebungshaft kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Sicherungszweck noch erreicht werden kann, weil sich die Abschiebung des Betroffenen durch dessen obstruktives Verhalten zwar verzögert, nicht aber dauerhaft unmöglich wird und die Ausländerbehörde die Abschiebung noch sinnvoll weiter betreiben kann (vgl. z.B. OLG Hamm NVwZ 1995, 826; BayObLGR 2004, 136; BayObLGR 2002, 301; OLGR München 2005, 300). In einem derartigen Fall kann die Verlängerung der Haft über die Dauer von drei Monaten und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs.3 Satz 2 AufenthG sogar bis zu 18 Monaten in Betracht kommen. Da im vorliegenden Fall nicht ersichtlich ist und der Beteiligte auch auf Nachfrage nichts dazu vorgetragen hat, wie ohne eine Freiwilligkeitserklärung des Betroffenen Passersatzpapiere - ggf. in einem langwierigeren Verfahren - erlangt und die Abschiebung betrieben werden könnte, kommt es auf ein "Vertretenmüssen" des Betroffenen nicht an, denn fehlt es bereits an der Grundvoraussetzung für eine Haftfortdauer.

Der die Haft anordnende Beschluss des Amtsgerichts und der die Beschwerde gegen diesen Beschluss zurückweisende Beschluss des Landgerichts waren infolge dessen aufzuheben und der Antrag des Beteiligten zurückzuweisen.

Da damit die Grundlagen für die Haft des Betroffenen entfallen sind, ist der Betroffene umgehend freizulassen.

Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus den §§ 14 Abs. 1 S. 1 FEVG, 131 KostO.

Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Auslagenerstattung nach § 16 Abs. 1 FEVG liegen nicht vor, da das Verfahren nicht ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Haftantrages am 05.07.2007 durch den Beteiligten nicht vorgelegen hat. Der Antrag des Beteiligten auf Anordnung der Abschiebungshaft war zunächst durchaus begründet. Die Unzulässigkeit der weiteren Haft hat sich erst im Verlauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens ergeben und hat ihren Grund darin, dass die Botschaft von Ghana für das Ausstellen der Passersatzpapiere eine "Freiwilligkeitserklärung" fordert.

Ende der Entscheidung

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