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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 16.02.2005
Aktenzeichen: 2 W 26/05
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896
FGG § 69 f Abs. 1 Nr. 1
Die Bestellung eines vorläufigen Betreuers setzt nach § 69 f Abs. 1 Nr. 1 FGG voraus, dass mit der Aufschub der Anordnung der Betreuung Gefahr verbunden ist, d. h., es muss für den Betroffenen eine Gefahr bestehen, deren Abwendung hinsichtlich der bestimmten Aufgabenkreise keinen Aufschub duldet.
2 W 26/05

Beschluss

In der Betreuungssache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weitere Beschwerde der Betroffenen vom 4.02.2005 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 25.01.2005 am 16.02.2005 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Betroffenen wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

Gründe:

Nach Erstattung eines mündlichen Gutachtens durch die behandelnde Stationsärztin im Kreiskrankenhaus R. Dr. A. sowie Anhörung der Betroffenen und ihres Sohnes B. hat das Amtsgericht am 29.12.2004 die Beteiligte durch einstweilige Anordnung bis zum 28.06.2005 zur vorläufigen Betreuerin der Betroffenen bestellt mit den Aufgabenkreisen der Vermögenssorge, Vertretung vor Ämtern und Behörden, Wohnungsangelegenheiten, Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitssorge, des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Entscheidung über die Unterbringung. Ferner hat es die vorläufige Unterbringung der Betroffenen bis zum 8.02.2005 genehmigt. Das Landgericht hat die hiergegen gerichteten Beschwerden der Betroffenen zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss, auf den zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 49 bis 52 d.A.), hat die Betroffene weitere Beschwerde eingelegt, soweit es um die vorläufige Betreuerbestellung geht.

Die nach §§ 27, 29, 20 und 21 FGG zulässige weitere Beschwerde ist mit der tenorierten Folge begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 546 ZPO).

Das Landgericht hat ausgeführt: Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung nach § 1896 BGB gegeben seien. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen leide die Betroffene an einer paranoiden Schizophrenie und habe keine Krankheitseinsicht. Die Art der Betroffenen zu leben sei nicht Folge einer freien Willensbildung, sondern ihrer Erkrankung. Sie sei auf Grund dessen zur Zeit nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in den genannten Aufgabenkreisen selbst zu regeln. Ohne Unterbringung würde sie die zur Behandlung notwendigen Medikamente nicht einnehmen. Nach den Angaben der Beteiligten sei die von der Betroffenen bewohnte Wohnung verwahrlost, es habe in der Wohnung keinen Strom gegeben und Post sei ungeöffnet liegen geblieben. Es bestehe auch kein Anlass, die Beteiligte zu entlassen und - wie von der Betroffenen vorgeschlagen - ihre Eltern zu Betreuern zu bestellen. Diese seien auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters (.....................), der eingeschränkten körperlichen Beweglichkeit des Vaters und des Umfangs der zu regelnden Aufgaben als Betreuer nicht geeignet. Im Telefonat der Berichterstatterin mit dem Vater schienen Umfang und Bedeutung der Betreuung nicht erfasst worden zu sein.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht vollen Umfangs stand.

Allerdings sprechen entgegen der Auffassung der Betroffenen nach dem Sachverständigengutachten im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 1986 Abs. 1 und 2 BGB dringende Gründe dafür, dass sie seit längerem an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt ist und infolgedessen derzeit ihren Willen nicht frei bestimmen kann. Die Sachverständige hat ihre Auffassung in einem jedenfalls für das einstweilige Verfahren ausreichenden Maße (vgl. hierzu Keidel/Kayser, FGG, 15. Aufl., § 69 f Rn. 9) auch begründet. Sie hat darauf hingewiesen, dass die Betroffene offensichtlich unter Angstzuständen leide und sich von den Zeugen Jehovas und Göttern verfolgt fühle. Zweifel an der Sachkunde der Sachverständigen bestehen nicht. Von der Einholung einer weiteren ärztlichen Stellungnahme durfte das Landgericht deshalb ohne Verstoß gegen § 12 FGG absehen. Indessen setzt die Bestellung eines vorläufigen Betreuers nach § 69 f Abs. 1 Nr. 1 FGG voraus, dass mit dem Aufschub der Anordnung der Betreuung Gefahr verbunden ist, d. h., es muss für die Betroffene eine Gefahr bestehen, deren Abwendung hinsichtlich der bestimmten Aufgabenkreise keinen Aufschub duldet (BayObLG FamRZ 2001, 935; Keidel/Kayser, § 69 f Rn. 5). Hierzu finden sich im Beschluss des Amtsgerichts und in der angefochtenen Entscheidung keine Feststellungen, wobei zum Teil auch schon die Erforderlichkeit im Sinne des §1896 Abs. 2 BGB einer weiteren Begründung bedarf.

In Bezug auf die Wohnungsangelegenheiten ist nicht ersichtlich, dass die Betroffene derzeit in irgendeiner Weise überhaupt gefährdet ist. Ihr ist im Hause ihres Sohnes B.. ein (offenbar dingliches) Wohnrecht eingeräumt, das dieser nicht in Frage stellt. Zwar war die Wohnung verwahrlost und gab es keinen Strom. Es ist jedoch nicht aufgeklärt, ob diese Umstände zu einer Lebens- oder Gesundheitsgefährdung der Betroffenen geführt haben oder geeignet sind zu führen. Ohne diese wird es nicht Aufgabe der Beteiligten sein, die Wohnung aufräumen zu lassen. Nach den Angaben des genannten Sohnes hat sich die Betroffene ersatzweise mit Flaschengas beholfen, um Essen zuzubereiten. Hinsichtlich der Vermögenssorge und der Vertretung vor Ämtern und Behörden wird nicht deutlich, welche Angelegenheiten derzeit unaufschiebbar zu regeln sind. Nach dem letzten Stand bezieht die Betroffene Sozialhilfe und ist krankenversichert, wofür sie anscheinend selbst gesorgt hat. Da sie - soweit ersichtlich - im übrigen einkommens- und vermögenslos ist, erscheint eine Schuldenregulierung nicht sonderlich dringlich, wobei es bisher an jeglichen Feststellungen über Bestand und Höhe von Schulden oder sonstige regulierungsbedürftige Schuldverhältnisse (z.B. Mietverhältnisse über Gewerberaum) der Betroffenen fehlt. Insoweit könnte allerdings der Umstand eine Rolle spielen, dass sie letzthin an mehreren Autos Reifen beschädigt hat und von den Geschädigten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden dürfte. Es liegen ferner keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Betroffene (weiter ?) in bedenklicher Weise verschulden wird. In Bezug auf Maßnahmen nach § 1906 BGB (Aufenthaltsbestimmung und Unterbringung) ist bisher ungeklärt, ob eine unmittelbar bevorstehende Gefahr besteht, dass die Betroffene sich auf Grund ihrer psychischen Krankheit selbst töten oder sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen wird (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Insoweit ist wegen der zerstochenen Reifen und der von den Verwandten und künftigen Verschwägerten der Betroffenen geäußerten Ängste klarzustellen, dass eine Gefährdung anderer Personen oder fremder Sachen als solche zur Erfüllung dieses Tatbestandes nicht ausreicht. Diese wird nur vom PsychKG erfasst. Eine Eigengefährdung kommt insoweit nur in Betracht, wenn aus gegen Dritte gerichteten Handlungen der Betroffenen eine sie selbst gefährdende Verteidigung zu erwarten ist. Hinsichtlich der Heilbehandlung (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB), die allerdings - wenn erforderlich - angesichts der krankheitsbedingten Uneinsichtigkeit der Betroffenen in ihre Erkrankung voraussichtlich nur im Rahmen einer Unterbringung möglich sein wird, fragt sich, welche gesundheitlichen Schäden der Betroffenen ohne Unterbringung drohen.

Sollte es im weiteren Verfahren bei der vorläufigen Betreuerbestellung bleiben, lässt die Auswahl der Beteiligten im Verhältnis zum bisherigen Vorschlag der Betroffenen (Eltern bzw. Vater der Betroffenen) aus den vom Landgericht ausgeführten Gründen keinen Ermessensfehler erkennen (§ 1897 BGB; vgl. BayObLG a.a.O.). Das Landgericht wird sich jedoch mit dem neuen Vorschlag der Betroffenen (C.) aus-einanderzusetzen haben (§ 1897 Abs. 4 BGB).

Da eine weitere Aufklärung - etwa durch eine ergänzende Anhörung der Beteiligten und eine ergänzende ärztliche Stellungnahme - erforderlich ist, war die Sache zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe beruht auf §§ 14 FGG; 114, 121 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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