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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 25.04.2001
Aktenzeichen: 2 W 27/01
Rechtsgebiete: ZPO, FGG, FEVG, GG


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 567
FGG § 14
FEVG § 13
GG Art. 19 IV
Gegen die Pkh-Versagung in der FGG-Beschwerdeinstanz ist keine Beschwerde zulässig.

SchlHOLG, 2 ZS, Beschluss vom 25. April 2001, - 2 W 27/01 -


Beschluß

2 W 27/01 2 W 28/01

7 T 17/01 LG Lübeck 100 XIV 1/99 AG Lübeck

In der Freiheitsentziehungssache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die Beschwerde und die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen vom 20. Februar 2001 gegen den Beschluß der 7. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 24. Januar 2001 durch die Richter, und am 25. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Prozeßkostenhilfe versagenden Beschluß wird verworfen.

Im übrigen werden der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Amtsgerichtes vom 22. Dezember 2000 aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Am Nachmittag des 14. März 1998 fand in Lübeck eine angemeldete Demonstration des "Bündnisses Rechts für Lübeck" statt. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit Gegnern der Demonstration.

Die Betroffene wurde am 14. März 1998 zwischen 13.15 Uhr und 13.50 Uhr im Kundgebungsbereich der Demonstration in Polizeigewahrsam genommen und anschließend zwischen 18.45 Uhr und 19.15 Uhr wieder entlassen. Eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme wurde nicht herbeigeführt.

Die Betroffene hat zunächst vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht Klage mit dem Antrag erhoben festzustellen, daß ihre Ingewahrsamnahme rechtswidrig war. Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat sich durch - unangefochten gebliebenen - Beschluß vom 29. Juni 1999 (Bl. 40 - 42 d. A.) für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Betroffenen mit Beschluß vom 22. Dezember 2000 als unzulässig zurückgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der amtsgerichtlichen Entscheidung wird auf den Beschluß vom 22. Dezember 2000 (Bl. 166 - 170 d. A.) Bezug genommen. Gegen diesen Beschluß hat die Betroffene form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat außerdem beantragt, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde und den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe mit Beschluß vom 24. Januar 2001 zurückgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, der Feststellungsantrag der Betroffenen sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Betroffene sei durch die Ingewahrsamnahme nicht mehr beschwert. Eine derartige Beschwer ergebe sich insbesondere nicht aus einem möglichen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen. Nach Art. 19 Abs. 4 GG komme auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung durch die Fachgerichte nur unter bestimmen Voraussetzungen in Betracht. Diese lägen hier jedoch nicht vor. So verbiete die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (2 BvR 126/91 vom 26. Juni 1997; NJW 1999, 3773) insbesondere, ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel ineffektiv zu machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" zu lassen. Hiervon müsse sich das Rechtsmittelgericht bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall für ein nach der Prozeßordnung statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse bestehe. Das Gesetz sehe jedoch Rechtsmittel gegen die Ingewahrsamnahme erst dann vor, wenn diese richterlich bestätigt worden sei. Vor diesem Zeitpunkt habe der Gesetzgeber die Beeinträchtigung als so geringfügig angesehen, daß sie von jedem Bürger hingenommen werden müsse. Etwas anderes könne in Einzelfällen allenfalls dann gelten, wenn die richterliche Bestätigung offensichtlich nur deshalb nicht beantragt worden sei, um dem Betroffenen den jeweiligen Rechtsschutz zu versagen. Hierfür seien im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Eine über das abstrakte Feststellungsinteresse hinausgehende Beschwer sei von der Betroffenen nicht dargelegt worden. Wenn die Betroffene beabsichtigen sollte, Schadensersatzansprüche gegen das beteiligte Land geltend zu machen, seien derartige Ansprüche im Interesse einer endgültigen Klärung des Streitstoffes in einem Prozeß im Rahmen einer Leistungsklage geltend zu machen. Die Möglichkeit einer Feststellungsklage trete dem gegenüber als subsidiär zurück, zumal der anspruchsbegründende Sachverhalt abgeschlossen sei, der Leistungsantrag mithin beziffert werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten der landgerichtlichen Entscheidung wird auf den Beschluß vom 24. Januar 2001 (Bl. 178 - 180 d. A.) Bezug genommen. Die Betroffene hat gegen die Prozeßkostenhilfe versagende Entscheidung des Landgerichtes Beschwerde und im übrigen form- und fristgerecht sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluß vom 24. Januar 2001 eingelegt.

II.

Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Prozeßkostenhilfe versagenden Beschluß des Landgerichts ist entsprechend § 567 Abs. 3 Satz 1 ZPO unzulässig (vgl. BayObLG NJW-RR 1992, 828; OLG Bremen FamRZ 1992, 583; OLG Karlsruhe FamRZ 1995, 1012, 1013; OLG Düsseldorf RPfleger 1994, 171; OLG Schleswig, SchlHA 1974, 103; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., § 14 Rn. 34; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 8. Aufl., § 14 Rn. 7). Im Prozeßkostenhilfeverfahren soll keine weitergehende Instanz eröffnet werden als in der Sache selbst. In der Sache selbst ist indessen nur die Rechtsbeschwerde zulässig, bei der das übergeordnete Gericht auf die Rechtskontrolle beschränkt ist. Bei Zulassung der Beschwerde gegen den die Prozeßkostenhilfe versagenden Beschluß wäre dagegen eine weitere Tatsacheninstanz eröffnet, weil in die Überprüfung der Erfolgsaussicht (§§ 14 FGG, 114 ZPO) regelmäßig auch die Frage einbezogen werden müßte, von welchem Sachverhalt auszugehen ist.

Die sofortige weitere Beschwerde ist dagegen gemäß § 27 Abs. 1, 29 FGG, 3, 7 FEVG zulässig. Sie ist auch begründet, weil die Entscheidung des Landgerichtes auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).

Der Feststellungsantrag der Betroffenen ist gemäß §§ 204 Abs. 6, 181 Abs. 4 LVwG, 13 Abs. 2 FEVG zulässig.

§ 13 Abs. 2 FGG ist im vorliegenden Fall anwendbar. Die Verweisung auf das FEVG in den §§ 204 Abs. 6, 181 Abs. 4 LVwG ist dahin auszulegen, daß sie auch das Verfahren nach § 13 Abs. 2 FEVG umfaßt und nicht nur das Verfahren nach § 13 Abs. 1 FEVG.

Die Vorschrift des § 13 Abs. 2 FEVG beruht auf folgenden Überlegungen (vgl. dazu Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 2. Aufl., § 13 FEVG Rn. 16 und 19; BVerwG DVBl 1981, 1105, 1106): Nach § 13 Abs. 1 FEVG sollen die ordentlichen Gerichte im Wege des präventiven Rechtsschutzes über die Frage entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine polizeiliche Freiheitsentziehungsmaßnahme zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Dieses Verfahren hat nicht die Nachprüfung einer bereits getroffenen Freiheitsentziehungsmaßnahme der Verwaltung zum Gegenstand. § 13 Abs. 2 FEVG bezweckt dem gegenüber die richterliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer freiheitsentziehenden Verwaltungsmaßnahme und betrifft damit vor allem den - durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten - Rechtsschutz bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Gegen entsprechende Maßnahmen könnte der Betroffene eigentlich den Verwaltungsrechtsweg beschreiten. Dies könnte jedoch in Einzelfällen zu einem Nebeneinander von Verfahren vor den Verwaltungsgerichten und den ordentlichen Gerichten führen. Deshalb soll die Anfechtung im Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen sein und über alle Einwendungen gegen die Verwaltungsmaßnahme allein in dem Verfahren nach dem FEVG entschieden werden. Dieses Verfahren muß die Verwaltungsbehörde gemäß § 13 Abs. 1 FEVG unverzüglich herbeiführen. Der dafür zuständige Richter muß sich daher im Regelfall mit der Sache befassen. Es entspricht indessen einer sinnvollen Ordnung der Rechtswege, daß über einen einheitlichen Lebenssachverhalt möglichst nur in einem Rechtsweg entschieden wird.

Diese prozeßökonomischen Gründe gelten auch im Falle eines Polizeigewahrsams nach § 204 LVwG. Deshalb kann die Verweisung in § 204 Abs. 6 LVwG in Verbindung mit § 181 Abs. 4 LVwG sinnvollerweise nur so ausgelegt werden, daß sie auch das Verfahren nach § 13 Abs. 2 FEVG umfassen soll. Gegenstand eines Verfahrens in diesem Sinne kann grundsätzlich auch die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten behördlichen Freiheitsentziehung sein (vgl. Saage/Göppinger aaO., 3. Aufl., § 13 FEVG Rn. 3 und 2. Aufl., § 13 FEVG Rn. 18 und 23; BVerwG aaO., 1107).

Voraussetzung für die Zulässigkeit des auf eine solche Feststellung gerichteten Antrages ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO lediglich, daß der von der behördlichen Maßnahme Betroffene ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (vgl. Saage/Göppinger, aaO., 2. Aufl., § 13 FEVG Rn. 17 ff). Der Grundsatz des Vorranges einer Leistungsklage auf Schadensersatz wegen amtspflichtwidriger Freiheitsentziehung gilt hier nicht (vgl. Saage/Göppinger aaO., 2. Aufl., § 13 FEVG Rn. 22; BVerwG NJW 1957, 922).

Das erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen für die von ihr begehrte Feststellung ist gegeben. Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 3. Februar 1999 (NJW 1999, 3773) und 26. Juni 1997 (RuP 1998, 39) ist ein solches Rechtsschutzinteresse im Hinblick auf die von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Effektivität des Rechtsschutzes in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe zu bejahen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der oder die Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (aaO.) kommt ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz - wie in den Fällen des Art. 104 Abs. 2 und 3 GG - vorbeugend dem Richter vorbehalten hat. Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (aaO.) der vorbeugende Polizeigewahrsam, weil er nur so lange erforderlich ist, wie er zur Unterbindung der Anlaßhandlungen erforderlich und zumutbar ist, und daher in der Regel nur von kurzer Dauer sein kann.

Dabei ist grundsätzlich unerheblich, ob der vorbeugende Polizeigewahrsam richterlich angeordnet worden ist oder nicht (vgl. Saage/Göppinger aaO., 2. Aufl., § 13 FEVG, Rn. 19 und 23). Denn der Anspruch der Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz gegen eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt - wie die Ingewahrsamnahme durch die Polizei - hängt gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nicht davon ab, ob die Behörde im Einzelfall eine gerichtliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung herbeigeführt hat oder - möglicherweise sogar unter Verstoß gegen das Gebot der Unverzüglichkeit - nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob der Grundrechtseingriff im konkreten Fall tiefgreifend war, und das ist zumindest dann zu bejahen, wenn er - wie im vorliegenden Fall - ca. 5 - 6 Stunden angedauert hat. In entsprechenden Fällen bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (aaO.) zur Annahme eines Rechtsschutz- oder Feststellungsinteresses auch nicht noch zusätzlich einer Wiederholungsgefahr oder einer fortwirkenden Beeinträchtigung durch den an sich beendeten Eingriff (vgl. auch Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner-Gerhardt, VwGO, Stand: Januar 2000, § 113 Rn. 91). Ausreichend ist vielmehr grundsätzlich der tiefgreifende Grundrechtseingriff als solcher. Im vorliegenden Fall sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.

Wenn beide Vorinstanzen einen Antrag - wie hier - zu Unrecht als unzulässig behandelt haben, ist in der Regel eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und eine Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht geboten (vgl. auch Keidel/Kuntze/Winkler aaO. § 27 Rn. 66 und 66 c; BayObLG FamRZ 1990, 411, 413; OLG Karlsruhe, FamRZ 1995, 1012). Im vorliegenden Fall sind keine besonderen Umstände gegeben, die ausnahmsweise eine abweichende Entscheidung rechtfertigen würden. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat schon allein deshalb verwehrt, weil weitere Ermittlungen erforderlich sind, die der Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht selbst vornehmen kann.

Die Betroffene ist gemäß §§ 13 Abs. 2, 5 FEVG insbesondere noch mündlich zu hören.

Außerdem ist bislang nicht aufgeklärt worden, ob die Voraussetzungen des § 204 Abs. 1 LVwG für eine Ingewahrsamnahme der Betroffenen tatsächlich vorgelegen haben. Nach dem Vortrag der Betroffenen war dies nicht der Fall, weil danach zum Zeitpunkt ihrer Ingewahrsamnahme weder von ihrer Seite noch von seiten der in ihrem Umkreis befindlichen Menschenmenge Gefahren im Sinne des § 204 Abs. 1 LVwG drohten. Das beteiligte Land ist dem substantiiert entgegengetreten. Die Vorinstanzen haben bislang keine Feststellungen dazu getroffen, von welchem Sachverhalt auszugehen ist. Das bedarf der tatrichterlichen Würdigung, die der Erstbeurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich entzogen ist (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, aaO., § 27 Rn. 42).



Ende der Entscheidung

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