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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 12.01.2005
Aktenzeichen: 2 W 300/04
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 103 I
BGB § 1903 I
1. Stützt das Beschwerdegericht seine Feststellung, die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes lägen vor, auf den Inhalt eines Telefonats mit dem Betreuer, ohne diesen vor der Entscheidung dem Betroffenen zur Kenntnis zu geben, so verletzt es seine Pflicht, einer Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Beteiligten zugrunde zu legen, zu denen sich dieser vorher äußern konnte. Bei dieser Sachlage ist in aller Regel nicht auszuschließen, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensfehler auch beruht.

2. Soll ein Einwilligungsvorbehalt im Zusammenhang mit der Verursachung sinnloser Gerichtskosten durch den Betroffenen angeordnet werden, ist konkret zu prüfen, ob diese Maßnahme überhaupt geeignet ist, eine erhebliche Vermögensgefahr von ihm abzuwenden.


2 W 300/04

Beschluss

In der Betreuungssache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weitere Beschwerde (Anordnung der Betreuung) und die sofortige weitere Beschwerde (Anordnung des Einwilligungsvorbehalts) der Betroffenen vom 3.12.2004 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 26.11.2004 am 12.01.2005 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Auf die sofortige weitere Beschwerde wird der angefochtene Beschluss, soweit die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts betroffen ist, aufgehoben. Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Die psychisch kranke Betroffene leidet seit längerer Zeit an einem Querulantenwahn, der dazu geführt hat, dass sie in der Vergangenheit zahlreiche sinnlose Prozesse geführt hat. Nach Erstattung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Nervenarztes Dr. A.. am 22.06.2004, Einholung einer Stellungnahme der Betreuungsbehörde und der Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht am 15.07.2004 den Beteiligten zu ihrem Betreuer bestellt mit dem Aufgabenkreis Vertretung in Gerichtsverfahren und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen sowie Einrichtungen. Auf Anregung des Beteiligten hat das Amtsgericht am 19.10.2004 ergänzend für den vorgenannten Aufgabenkreis einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Die Anhörung der Betroffenen hat es nachgeholt. Diese hat gegen beide Beschlüsse Rechtsmittel eingelegt. In einem Vermerk der Berichterstatterin der erkennenden Kammer über ein Telefonat mit dem Beteiligten vom 25.11.2004, dessen Inhalt der Betroffenen nach Aktenlage nicht mitgeteilt worden ist, heißt es:

"Er teilte auf Nachfrage mit, daß aus den letzten 5 Jahren noch Kosten aus ca. 15 Verfahren offen sein könnten. Eine Liste der Landeskasse hat er noch nicht vorliegen. Die Kosten aus der Zivilsache XYZ. vor dem AG Norderstedt seien niedergeschlagen worden. Im übrigen habe es in den letzten 15 Jahren ca. 40 Verfahren gegeben."

Das Landgericht hat die Beschwerden zurückgewiesen. Gegen den Beschluss des Landgerichts, auf den zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 72 bis 74 d.A.) richtet sich die (sofortige) weitere Beschwerde der Betroffenen.

Die Rechtsmittel sind nach §§ 27, 29, 69 g, 20, 21, 22 FGG zulässig.

Hinsichtlich der Betreuerbestellung ist die weitere Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, die keinen Rechtsfehler erkennen lässt, unbegründet. Nach dem auf Grund des Sachverständigengutachtens festgestellten Sachverhalt, an den das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich gebunden ist, liegen die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 und 2 BGB vor.

Hinsichtlich der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts beruht die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 546 ZPO).

Das Landgericht hat insoweit ausgeführt: Auf Grund ihrer Erkrankung habe die Betroffene eine Vielzahl von unzulässigen oder unbegründeten Verfahren vor den verschiedensten Gerichten anhängig gemacht. So habe es nach den Angaben des Betreuers in den letzten 15 Jahren ca. 40 Verfahren, aus den letzten 5 Jahren ca. 15 Verfahren gegeben, aus denen noch Gerichtskosten zu erwarten seien, sofern diese nicht niedergeschlagen würden. Zwar sei die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts nicht im Interesse Dritter, insbesondere zur Arbeitserleichterung des Betreuers oder der Gerichte, zulässig, jedoch laufe die Betroffene - was sich in der Vergangenheit deutlich gezeigt habe - infolge ihrer Erkrankung Gefahr, durch von ihr angestrengte aussichtslose bzw. unbegründete Gerichtsverfahren ständig neue, nicht unbeträchtliche Gerichtskosten zu begründen. Um von ihr diese erheblichen nachteiligen Kostenfolgen abzuwenden, sei der Einwilligungsvorbehalt erforderlich.

Zunächst ist das Verfahren des Landgerichts zur Feststellung des Sachverhalts fehlerhaft. Es hat gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es den Inhalt des Telefonats vom 25.11.2004, auf den es seine Entscheidung "zu Lasten" der Betroffenen gestützt hat, ihr zuvor nicht mitgeteilt hat. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt - auch im Rechtsmittelverfahren - u.a. die Pflicht des Gerichts, keine Tatsachen und Beweisergebnisse zu verwerten, zu denen die Beteiligten vorher keine Stellung nehmen konnten (vgl. Senatsbeschluss vom 22.04.2004, SchlHA 2004, 345; Keidel/Schmidt, FGG, 15. Aufl., § 12 Rn. 147, 164, 173). Der Verfahrensverstoß ist für das Ergebnis ursächlich, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses auf dem Gehörsverstoß beruht (vgl. Keidel/Schmidt § 12 Rn. 174 m.w.Nw.). Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts ist nur zulässig, soweit er zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist (§ 1903 Abs. 1 BGB). Eine Gefahr für die Person der Betroffenen ist hier nicht ersichtlich. Wegen der Vermögensgefährdung halten sich die telefonischen Angaben des Betreuers im Ungewissen. So "könnten" aus ca. 15 Verfahren der letzten 5 Jahre noch Kosten offen sein. Zur Höhe von in Rechnung gestellten, gezahlten und noch offenen Gerichtskosten - Anwaltskosten werden nicht erwähnt - insbesondere auch im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Lebensverhältnisse durch diese Kosten fehlen konkrete Angaben. Eine Liste der Landeskasse, die der Beteiligte in Aussicht gestellt hatte, lag ihm nicht vor, die Kosten aus einem der letzten Verfahren wurden niedergeschlagen. Möglicherweise hätten Angaben der Betroffenen hierzu zu einem anderen Ergebnis geführt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass diese krankheitsbedingt nicht zu sachdienlichen Angaben in der Lage sei, weil sie - wie der Sachverständige ausgeführt hat - "außer Stande sei, an einem Prozessgeschehen teilzunehmen, ihre Interessen zu vertreten und prozessuale Sachverhalte zu erfassen." Eine ausreichend sinnvolle und vernünftige Verständigung sei mit ihr insoweit nicht möglich. Ist dem so, so hätte ihr zur Wahrnehmung ihrer Rechte angesichts der Bedeutung des Eingriffs ein Verfahrenspfleger bestellt werden müssen (§ 67 FGG).

Weiterhin unterliegt die angefochtene Entscheidung materiellrechtlichen Bedenken. Es fehlen Ausführungen dazu, ob und inwieweit der Einwilligungsvorbehalt vorliegend geeignet ist, eine eventuelle erhebliche Vermögensgefahr durch die Verursachung von Gerichtskosten abzuwenden (Eignung ohne nähere Begründung grundsätzlich bejaht von BayObLG FamRZ 1998, 454). Es ist zweifelhaft, ob sich die Betroffene in Zukunft schon durch einen Einwilligungsvorbehalt als solchen von einer eigenständigen Rechtsverfolgung abhalten lässt. Ist zu erwarten, dass sie sich weiterhin an Gerichte wendet, bietet der Einwilligungsvorbehalt zwar den Vorteil, dass die Prozessunfähigkeit nicht in jedem Einzelfall nachgewiesen werden muss (BGH EzFamR BGB § 1902 Nr. 3). Er verhindert indessen nicht, dass von der Betroffenen bei Gericht eingereichte Anträge und Rechtsmittel grundsätzlich kostenpflichtig als unzulässig zurückgewiesen oder verworfen werden müssen. Es besteht andererseits auch nicht die Gefahr, dass die Betroffene ohne einen Einwilligungsvorbehalt in einem Rechtsstreit, den der Beteiligte für sie führt, dessen Prozesshandlungen unterläuft. In diesem Fall ist sie nach § 53 ZPO von vornherein als prozessunfähig anzusehen (vgl. zu allem Senatsbeschluss vom 5.08.2003 - 2 W 95/03). Soweit der Aufgabenkreis auch die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und Einrichtungen betrifft, ist bisher nicht ersichtlich, dass das bisherige Verhalten der Betroffenen die Gefahr einer erheblichen Vermögensgefährdung ergeben hat oder - ohne Einwilligungsvorbehalt - erwarten lässt.

Die nach allem erforderliche Aufklärung des Sachverhalts muss dem Landgericht vorbehalten bleiben.

Ende der Entscheidung

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