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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 13.02.2008
Aktenzeichen: 2 W 6/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 2 Satz 2
1. Die Anordnung einer Betreuung ist bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen erforderlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten nicht ebenso gut besorgt werden können, wie durch einen Betreuer. Das ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte nicht willens oder in der Lage ist, die Vollmacht zum Wohle des Betroffenen einzusetzen.

2. Die Anordnung einer Kontrollbetreuung scheidet aus, wenn anzunehmen ist, dass der Betreuer nicht willens ist, mit dem Kontrollbetreuer zu kooperieren.


2 W 6/08

Beschluss

In der Betreuungssache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weiteren Beschwerden der Betroffenen und der Beteiligten zu 1. vom 2.01.2008 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 10.12.2007 durch die Richter ______ am 13.02.2008 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Am 6.06.2006 hatte die Betroffen, die an einer Demenz leidet, einen Unfall, infolge dessen sie einen - zunächst unerkannten - Oberschenkelhalsbruch davontrug. Am 7.06.2006 erklärte die Betroffene schriftlich, dass die Beteiligte zu 1. - ihre einzige Tochter - ihre Betreuerin sein soll und für sie in allen gesundheitlichen und finanziellen Fragen für sie entscheiden solle. Am 13.06.2006 errichtete die Betroffene eine notarielle Vorsorgevollmacht, in der sie u. a. die Beteiligte zu 1. bevollmächtigte, sie in allen gesetzlich zulässigen Fällen gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten. Ca. eine Woche nach dem Unfall - die Betroffene befand sich inzwischen im Krankenhaus - wurde der Oberschenkelhalsbruch festgestellt. Mit dieser Diagnose konfrontiert, sahen sich weder die Betroffene noch die Beteiligte zu 1. in der Lage, der indizierten Operation zuzustimmen. Nach Anhörung der Betroffenen und der Beteiligten zu 1. sowie Einholung von Gutachten der Sachverständigen Dr. L und Dr. M bestellte das Amtsgericht den Beteiligten zu 2. durch einstweilige Anordnung vom 16.06.2006 zum vorläufigen Betreuer mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung ohne Entscheidung über geschlossene Unterbringung und Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen. Der Beteiligte zu 2. erteilte die Einwilligung in die Operation, die erfolgreich ausgeführt wurde.

Durch Beschluss vom 19.09.2006 hat das Amtsgericht nach Anhörung der Betroffenen und der Beteiligten zu 1. sowie Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Dr. S den Beteiligten zu 2. hinsichtlich der schon bestimmten Aufgabenkreise zum endgültigen Berufsbetreuer und die Beteiligte zu 1. zur Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge und Behördenangelegenheiten einschließlich Pflegeversicherung bestellt. Auf die Beschwerden der Betroffenen und der Beteiligten zu 1. hat das Landgericht nach erneuter Anhörung und Einholung eines weiteren Gutachtens des Sachverständigen Dr. B vom 17.09.2007 den Beschluss des Amtsgerichts insoweit geändert, als es die Betreuung durch die Beteiligte zu 1. aufgehoben hat. Der Beteiligte zu 2. ist Berufsbetreuer mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung zum Zwecke der notwendigen ärztlichen Untersuchung und Heilbehandlungen geblieben. Gegen den Beschluss des Landgerichts, auf den zur weiteren Sachdarstellung verwiesen wird (Bl. 120 bis 128 d. A.), richten sich die weiteren Beschwerden der Betroffenen und der Beteiligten zu 1.

II.

Die nach §§ 27, 29 FGG zulässigen weiteren Beschwerden sind unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 546 ZPO).

Das Landgericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Bestellung des Beteiligten zu 2. zum Berufsbetreuer nach § 1896 BGB seien gegeben. Auf Grund der Sachverständigengutachten sei davon auszugehen, dass die Betroffene an einer altersbedingten Demenz mittelgradiger Ausprägung leide und infolgedessen zumindest teilweise ihre Angelegenheiten nicht besorgen könne. Auch sei sie zur Bildung eines eigenen Willens nicht mehr in der Lage. Die Betreuerbestellung sei nicht nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB wegen der Vollmachten der Betroffenen an die Beteiligte zu 1. vom 7. und 13.06.2006 entbehrlich. Zwar sei zu unterstellen, dass diese Vollmachten wirksam seien, weil der Sachverständige Dr. B. nicht mit der erforderlichen Sicherheit habe feststellen können, dass die Betroffene zur Zeit der Erteilung dieser Vollmachten geschäftsunfähig gewesen sei. Gleichwohl seien diese Vollmachten für den Bereich der Gesundheitssorge unbeachtlich, weil konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Beteiligte zu 1. insoweit mit sachlichen Entscheidungen überfordert sei. So habe sie die Diagnose eines Oberschenkelhalsbruchs der Betroffenen trotz ausführlicher und überzeugender Aufklärung durch die behandelnden Ärzte in Abrede gestellt und die Betroffene trotz der Fraktur sogar zum Aufstehen bewegen wollen, um die Richtigkeit ihrer eigenen Laiendiagnose zu belegen. Offensichtlich lasse die Beteiligte zu 1. nur ihre eigene Meinung gelten und mißachte diejenige von ärztlichen Fachleuten. Auch ihre in diesem Zusammenhang geäußerte Auffassung, die erforderliche Operation könne von den Ärzten "verpfuscht" werden, zeige eine so stark von Mißtrauen gegenüber Ärzten geprägte Grundeinstellung, dass ein gedeihliches Zusammenwirken mit diesen nicht zu erwarten sei. Angesichts der Verweigerungshaltung der Beteiligten zu 1. bestehe auch künftig die Gefahr, dass dringend erforderliche Untersuchungen und Behandlungen der Betroffenen verzögert oder verhindert würden mit der Folge erheblicher Gefährdung von deren Gesundheit und Leben. Die Gesundheitssorge könne zum Wohl der Betroffenen nur von einem Berufsbetreuer - wie dem Beteiligten zu 2. - wahrgenommen werden, der sich gegenüber der Beteiligten zu 1. durchsetzen könne und die nötige professionelle Distanz zu den gesundheitlichen Angelegenheiten der Betroffenen habe. Da diese nun dauerhaft bei der Beteiligten zu 1. lebe, könne das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Betreuers auf Krisenfälle beschränkt werden zum Zwecke notwendig werdender ärztlicher Untersuchungen und Heilbehandlungen. Die Bestellung der Beteiligten zu 1. zur ehrenamtlichen Betreuerin für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge sei aufzuheben, weil diese ebenso gut auf Grund der als wirksam anzusehenden Vollmachten wahrgenommen werden könne.

Diese Ausführungen sind, soweit der Beschluss des Landgerichts angefochten worden ist, frei von Rechtsfehlern. Danach leidet die Betroffene zweifelsfrei an einer psychischen Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB, die zur Folge hat, dass sie in ihrem Willen nicht frei und gehindert ist, einen Teil ihrer Angelegenheiten ausreichend zu besorgen. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde auch nicht. Ferner hat das Landgericht auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhalts - insbesondere auf der Grundlage der Niederschriften des Amtsgerichts über die Anhörungen und ärztlichen Gutachten vom 15.06.2006 (Bl. 4a bis 4c d. A.) und 19.09.2006 (Bl. 30 bis 30b d. A.) - nachvollziehbar begründet, dass die Gesundheitssorge durch die Bevollmächtigung der Beteiligten zu 1. nicht ebenso gut im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB besorgt werden kann, wie durch einen Betreuer. Danach ist die Beteiligten zu 1. offenbar wegen ihres besonders geprägten Verhältnisses zu ihrer Mutter nicht in der Lage, in der erforderlichen Kürze der Zeit notwendige Entschlüsse über deren ärztliche Untersuchungen und Behandlungen zu fassen und durchzuführen. Angesichts der eindrucksvollen Schilderung der Verhaltensweise der Beteiligten zu 1. in den genannten Niederschriften ist diese Schlussfolgerung nicht nur möglich, sondern mehr als naheliegend. Einer weiteren Aufklärung dieses Sachverhalts, der ausweislich des Protokolls auch Gegenstand der Anhörung am 19.04.2007 war, durch das Landgericht bedurfte es nicht. Soweit die Beschwerdeführerinnen im Schriftsatz vom 25.01.2008 nunmehr eine abweichende Sachdarstellung geben, ist das Vorbringen neu und deshalb für das Rechtsbeschwerdegericht unbeachtlich. Die Schlussfolgerung wird nicht dadurch entkräftet, dass die Ärzte bei der Aufnahme der Betroffenen im Krankenhaus den Oberschenkelhalsbruch des linken Beines zunächst übersehen hatten, weil der Bruch anfangs noch unverschoben und auf der Röntgenaufnahme nicht zu erkennen war. Der behandelnde Arzt Dr. L hat dann jedoch eindeutig den Bruch festgestellt, weil das Bein deutlich verdreht und in der Länge verkürzt gewesen war und die nachfolgende Computertomographie die Diagnose bestätigt hat. Danach waren Zweifel an der Diagnose und an der gebotenen Operation nicht mehr zu rechtfertigen. Auch nach mehr als angemessener Überlegungsfrist hat sich die Beteiligte zu 1. - ohne dies nachvollziehbar zu begründen - zu einer Entscheidung nicht in der Lage gesehen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Vollmacht einer Betreuung nicht unter allen Umständen vorgeht, sondern nur, soweit sie geeignet ist, die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Bevollmächtigte - wie hier im Einzelnen dargetan - nicht willens oder in der Lage ist, die Vollmacht zum Wohle des Betroffenen einzusetzen (Senat, Beschluss vom 18.07.2007 - 2 W 93/07 - bei Juris; FGPrax 2006, 217, 218 unter Nr. 2 Bst. b); KG NJW-RR 2007, 514 m.w.Nw.). Die Einrichtung lediglich einer Kontrollbetreuung scheidet aus, weil nicht abgewartet werden muss, bis ein Schaden eintritt und nach dem bisherigen Verhalten der Beteiligten zu 1. nicht anzunehmen ist, dass sie kooperativ mit Ärzten und einem Kontrollbetreuer umgeht (vgl. Senat FGPrax a.a.O.; KG a.a.O.). Ein Ermessensfehler von Amts- und Landgericht bei der Auswahl des Betreuers ist nicht ersichtlich. Dem (einzigen) Vorschlag der Betroffenen, die Beteiligte zu 1. zur Betreuerin zu bestellen, war - folgerichtig - nicht zu entsprechen, weil dies ihrem Wohl zuwiderlaufen würde (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB).

Nach Darstellung des Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerinnen hat er in der hinteren Tasche der Akten einen - auch zur Zeit noch dort befindlichen - Schriftsatz vom 19.04.2007 von deren früheren Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwälten S u.a vorgefunden, den offensichtlich das Landgericht nicht berücksichtigt hat. Dieser Schriftsatz trägt weder Eingangsstempel noch Eingangsvermerk. Sein Datum könnte vermuten lassen, dass er anlässlich des Anhörungstermins am 19.04.2007 zu den Akten gelangte - ein entsprechender Vermerk findet sich allerdings im Protokoll nicht - und künftig übersehen wurde. Dem braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Es kann unterstellt werden, dass das Landgericht durch Nichtbeachtung des Schriftsatzes vom 19.04.2007 gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen hat. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung hierauf auch beruht. Von dem Vorbringen im Schriftsatz werden die getroffenen Feststellungen nicht berührt. Es schließt die Gefahr nicht aus, dass die Beteiligte zu 1. offenbar auf Grund des besonders geprägten Verhältnisse zur Betroffenen im Zusammenhang mit möglichen Entscheidungen über wichtige und dringende Gesundheitsangelegenheiten erneut versagt. Das gilt insbesondere im Hinblick auf ihre Teilnahme am Kurs "Erste Hilfe für Senioren" im März 2007, der "Kümmerung" um einen Herrn E in den Jahren 1988 bis 1992, der Bestellung zur Betreuerin für eine Frau P in der Zeit von 1986 bis 1993 und der Bestätigung ihrer Schule, dass sie sich wegen der Probleme der ihr anvertrauten Schüler und Schülerinnen pflichtbewusst und verlässlich gezeigt habe. Der Senat ist überzeugt, dass die Beteiligte zu 1. liebevoll und auch grundsätzlich zweckmäßig ihre Mutter versorgt, und das aufgezeigte Verhalten möglicherweise einer übergroßen Besorgnis entspringt.

Ob die Vollmachten im Hinblick auf eine Betreuung auch deshalb nachrangig sind, weil es nach dem Gutachten des Sachverständigen B. vom 17.09.2007 unwahrscheinlich ist, das die Betroffene damals geschäftsfähig war und nur nicht auszuschließen ist, dass sie die Vollmachten in einer kürzeren Phase klaren Denkens verfasst hat, mithin ihre Wirksamkeit künftig jederzeit in Zweifel gezogen werden kann (vgl. Senat a.a.O. FGPrax S. 217 unter Nr. 1 m.w.Nw.), kann hier offenbleiben. Die Aufhebung der Betreuung hinsichtlich der Vermögenssorge ist nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochten.

Ende der Entscheidung

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