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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 28.02.2003
Aktenzeichen: 4 U 10/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 I
BGB § 831 I S. 1
BGB § 847 I
1. Es stellt einen groben Behandlungsfehler dar, wenn ein pädiatrischer Facharzt als Leiter des neonatologischen Abholdienstes einer Kinderklinik sich objektiv aufdrängende, hoch charakteristische und hoch verdächtige Symptome für einen Spannungspneumothorax bei einem Neugeborenen übersieht und es unterlässt, zeitnah indizierte diagnostische bzw. therapeutische Maßnahmen (hier Probepunktion und anschließende beidseitige Pleurapunktion) durchzuführen.

2. Der wahrscheinlich aufgrund des groben Behandlungsfehlers entstandene Dauerschaden (extrapyramidale Cerebralparese in Form einer Tetraparese mit mutlifocaler Epilepsie) verbunden mit einer lebenslangen schweren körperlichen und geistigen Behinderung rechtfertigt die Zumessung eines Schmerzensgeldkapitals in Höhe von 325.000,-- €.


Tatbestand:

Die Kläger nahm die Beklagten wegen behaupteter Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Geburt des Klägers zu 1. auf Schadenersatz in Anspruch. Unstreitig erlitt der Kläger nach der Geburt eine extrapyramidale Cerebralparese in Form einer Tetraparese (schwerer Hirnschaden) mit der Folge einer dauernden, lebenslangen Behinderung. Die Kläger sind der Ansicht, in der Klinik der Beklagten zu 1. seien sowohl subpartual (unter der Geburt) als auch postnatal (unmittelbar nach der Geburt) Behandlungsfehler gemacht worden, die den Dauerschaden verursacht hätten.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagten zu 1. und 3. zur Zahlung von 700.000,00 DM Schmerzensgeld und Feststellung einer materiellen und immateriellen Schadensersatzverpflichtung verurteilt. Streitgegenstand im zweiten Rechtszug war nur noch die Frage, ob ein pädiatrischer Behandlungsfehler vorlag, der für den eingetretenen Dauerschaden ursächlich geworden ist. Die Berufung hatte im Ergebnis nur hinsichtlich der Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes teilweise Erfolg. Das OLG hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 325.000 € zugesprochen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Beklagten zu 1. und 3. zutreffend gem. §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 S. 1, 847 Abs. 1 BGB zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Kläger zu 1. verurteilt und die Haftung für gegenwärtige und künftige materielle sowie etwaige weitere, heute noch nicht vorhersehbare immaterielle Schäden festgestellt. Hinsichtlich der materiellen Schäden ergibt sich die Haftung zudem aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung i. V. m. § 278 BGB. Letztere Anspruchsgrundlage gilt auch für den Feststellungsanspruch der Kläger zu 2. und 3.

Es liegt ein schuldhafter, grober Behandlungsfehler vor, der generell geeignet ist, den konkret vorliegenden Dauerschaden (Tetraparese) zu verursachen.

Ein Behandlungsfehler liegt immer dann vor, wenn ein Arzt seine spezifischen Berufspflichten schuldhaft verletzt hat. Dieser Fehler kann auch in einem Unterlassen bestehen, da der Arzt mit der übernommenen Behandlungsaufgabe sowohl vertraglich als auch deliktisch eine Garantenstellung erlangt (vgl. Frahm/Nixdorf, a. a. O., Rn. 63). Zu Recht hat das Landgericht den Behandlungsfehler darin gesehen, dass der Beklagte zu 3. nicht allerspätestens kurz nach 14.50 Uhr (unmittelbar nach der Umintubierung) eine Punktion des Thorax vorgenommen hat. Der Beklagte zu 3. hat den beim Kläger zu 1. aufgetretenen Spannungspneumothorax entweder nicht zweifelsfrei erkannt oder aber es unterlassen, zeitnah die indizierte therapeutische Behandlung einzuleiten. Erst nach dem Eintreffen des Chefarztes Dr. Z. (15.25 Uhr) wurde die richtige Maßnahme (beidseitige Pleurapunktion) durchgeführt. Dabei stellt die Thoraxpunktion sowohl ein diagnostisches (Probepunktion zwecks Verifizierung der Verdachtsdiagnose Spannungspneumothorax) als auch gleichzeitig ein therapeutische Mittel dar.

Der Beklagte zu 3. hat zwar im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat erklärt, er persönlich habe nach Umintubierung und dreimalig durchgeführter Diaphanoskopie die Verdachtsdiagnose Spannungspneumothorax ausgeschlossen. Ihm sei zwar die Probepunktion des Thorax als diagnostisches Mittel theoretisch bekannt gewesen, er habe dieses Mittel jedoch mangels entsprechender Verdachtsdiagnose nicht eingesetzt.

Diese Ausführungen können den Beklagten zu 3. nicht entlasten. Grundsätzlich schuldet der Arzt die beruflich gebotene Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) und damit die Einhaltung der Regeln ärztlicher Kunst. Dabei gilt kein individueller, sondern ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiver Sorgfaltsmaßstab (BGH, VersR 1991, 469). Danach hätte der Beklagte zu 3. die sich objektiv aufdrängende Verdachtsdiagnose "Spannungspneumothorax" nicht übersehen dürfen, zumal es sich hier nicht um einen Diagnoseirrtum, sondern um das Nichtabklären einer sich aufdrängenden Verdachtsdiagnose handelte.

Entgegen den Ausführungen der Berufung waren nämlich die Symptome für einen Spannungspneumothorax zumindest kurz nach 14.50 Uhr so deutlich, dass sie von einem pädiatrischen Facharzt, der dazu noch den neonatologischen Abholdienst leitete, nicht hätten übersehen werden dürfen. Der Sachverständige Prof. Dr. S spricht in diesem Zusammenhang von "hoch charakteristischen und hoch verdächtigen, untrüglichen Anzeichen", die auf einen Spannungspneumothorax hindeuteten. Im Rahmen seiner ergänzenden Anhörung vor dem Senat am 05. Februar 2003 hat er diese Symptome nochmals wie folgt zusammengefasst: "In allen Arztberichten ist von einem leisen Atemgeräusch die Rede, zunehmender Sauerstoffsättigungsabfall, geringe Thoraxbewegungen und selbst nach durchgeführtem Tubuswechsel verblieb eine respiratorische Insuffizienz".

Der Umstand, dass ein Spannungspneumothorax bei Neugeborenen unter optimalen Reanimations- und Beatmungsbedingungen selten geworden ist und möglicherweise in der Praxis kaum noch vorkommt, entlastet den Beklagten zu 3. nicht. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat dies bereits berücksichtigt und ausgeführt, dass es trotz Seltenheit dieses Befundes in der heutigen Pädiatriepraxis zum "medizinischen Standard" gehöre, bei Verdacht auf Spannungspneumothorax - wie in der hier zugrunde liegenden Situation - eine sofortige Thoraxpunktion durchzuführen. Dies hat der Sachverständige durch verschiedene Lehrbuchdarstellungen (u. a. das wahrscheinlich meist gebräuchliche kleine Taschenbuch über die Neugeborenen-Intensivpflege von M. Oblade, 5. Aufl., Springer Verlag 1995, S. 204) belegt. Alle von dem Sachverständigen zitierten vier medizinischen Lehrbücher schlagen bei Verdacht auf einen Spannungspneumothorax in der Neugeborenenphase die sofortige Pleurapunktion als absolut lebensnotwendige und sofort indizierte Maßnahme vor.

Die von dem Beklagten zu 3. mehrfach durchgeführte Diaphanoskopie stellt - bei Negativergebnis - keine ausreichende Maßnahme zum Abklären einer Verdachtsdiagnose Spannungspneumothorax dar.

Die Punktion des Thorax war - sowohl als diagnostisches als auch als therapeutisches Mittel - unter Berücksichtigung von Chancen und Risiken verhältnismäßig. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat sie im Rahmen seiner ergänzenden Ausführungen im Senatstermin als "kleinen Eingriff" bezeichnet. Die Nebenwirkungen einer Punktion hält der Sachverständige für gering, das Risiko einer Entzündung "gehe praktisch gegen Null" (so die Ausführungen des Sachverständigen im Termin vor dem Landgericht Lübeck am 15. November 2000). Die Probepunktion des Thorax als diagnostisches Mittel nähme minimale Zeit in Anspruch, mit Vorbereitungszeit lediglich vielleicht ein bis zwei Minuten. Eine Infektionsgefahr würde nur dann bestehen, wenn man den Schlauch länger liegen ließe, das sei aber bei einer Probepunktion nicht der Fall.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kausalität zwischen festgestelltem Behandlungsfehler (s. Ziff. 1.) und Gesundheitsschaden (hier schwere Cerebralparese mit multifocaler Epilepsie) kann offenbleiben, ob der Hirnschaden subpartual, d.h. bereits in der Geburtsphase oder aber erst postnatal auf einen pädiatrischen Behandlungsfehler zurückgeführt werden kann.

Zu Recht hat das Landgericht insoweit (für die haftungsbegründende Kausalität) die Beweislast umgekehrt und sie den Beklagten auferlegt, weil hier von einem groben Behandlungsfehler des Beklagten zu 3. auszugehen ist.

Steht ein grober Behandlungsfehler des Arztes fest, der geeignet ist, einen Schaden derart herbeizuführen, wie er tatsächlich entstanden ist und der konkret die Kausalitätsfeststellung erschwert, so trifft den Arzt die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit im Einzelfall. Ein grober bzw. schwerer Behandlungsfehler stellt nach der Rechtsprechung (BGH VersR 1992, 1263 m. w. N.) auf ein Fehlverhalten ab, das nicht aus in der Person des behandelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt aus dieser Sicht schlechterdings nicht passieren darf und sein Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstieß. Insoweit schließt sich der Senat voll umfänglich den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (Urteil S. 21 bis 23) an. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, dass ausweislich des gynäkologischen Geburtsberichts der Ärzte Dr. U und G vom 05. Juni 1996 (Bl. 16 GA) der Beklagte zu 3. ausdrücklich durch den Leitenden Oberarzt der Anästhesie, Dr. S, auf die Verdachtsdiagnose eines Pneumothorax mit dem Vorschlag einer röntgenologischen Untersuchung hingewiesen wurde. Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung der sich aufdrängenden Symptome und untrüglichen Anzeichen für einen Pneumothorax erscheint es schlechterdings unverständlich, weshalb der Beklagte zu 3. - wie er selbst im Termin am 05. Februar 2003 erklärt hat - für sich persönlich die Diagnose eines Spannungspneumothorax ausgeschlossen hat. Der Sachverständige hat dabei auch berücksichtigt, dass die Diagnose Spannungspneumothorax bei Neugeborenen heute in der Praxis nur noch selten vorkommt und es jungen Ärzten deshalb häufig an Erfahrung mangelt. Nach Anhörung des Beklagten zu 3. und nach nochmaligem Vorhalt der Definition eines groben Behandlungsfehlers hat der Sachverständige Professor Dr. S jedoch im Rahmen seiner ergänzenden Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, er bleibe schlechthin - auch unter Berücksichtigung aller Einwände aus der Berufungsbegründung - dabei, dass dieser Fehler (unterlassene Probepunktion des Thorax) nicht hätte passieren dürfen.

Die Beweislastumkehr entfällt nur dann, wenn es "gänzlich unwahrscheinlich" (BGH NJW 1995, 1611) bzw. "äußerst unwahrscheinlich" (Frahm/Nixdorf, a. a. O., Rn. 119) ist, dass der (grobe) Fehler zum Schadenseintritt beigetragen hat.

In seinem mündlichen Ergänzungsgutachten vom 15. November 2000 hat Prof. Dr. Schulte darauf hingewiesen, dass er es sogar für "sehr wahrscheinlich" halte, dass sich der neurologische Zustand des Klägers zu 1. bezogen auf die jetzt vorhandenen Dauerschäden durch die unterlassene sofortige Pleurapunktion verschlechtert hätte, während er es lediglich für "wahrscheinlich" halte, dass der Hirnschaden bereits während der Geburtsphase aufgrund mangelhafter Sauerstoffversorgung eingetreten sei. Eine exakte Abgrenzung ist hier nicht möglich. Dies geht mithin zulasten der Beklagten zu 1. und 3., die zur Kausalität die Beweislast tragen. Dabei genügt Mitursächlichkeit, um dem Schädiger den gesamten Schaden zuzurechnen, wenn nicht feststeht, dass sie nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat (vgl. Frahm/Nixdorf, a. a. O., Rn. 120).

Soweit die Berufung die Höhe des vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldes beanstandet, ist dies teilweise berechtigt.

Für die Höhe des Schmerzensgeldes bilden in erster Linie Größe, Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentliche Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung (Ausgleichsfunktion). Hierbei sind Dauerschäden, psychische Beeinträchtigungen, soziale Belastungen sowie das Alter des Verletzten zu berücksichtigen. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (vgl. grundlegende Entscheidung des BGH, Großer Senat für Zivilsachen, VersR 1955, 615). Im Bereich ärztlichen Handelns hat allerdings die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes grundsätzlich nur nachrangige Bedeutung. Das gilt hier sowohl für den Umstand, dass ein schwerer Behandlungsfehler vorliegt als auch es bis heute hin (6 1/2 Jahre nach dem Vorfall) noch nicht zu einer Schadensregulierung gekommen ist.

Der Sachverständige Professor Dr. S hat bei dem Kläger zu 1. eine "extrapyramidale Cerebralparese in Form einer Tetraparese mit multifocaler Epilepsie" diagnostiziert. Unbestritten liegt hier ein Dauerschaden vor. Dies wird durch den neuroradiologischen Gutachter Prof. Dr. Z bestätigt, der den "Schweregrad der morphologisch nachweisbaren Läsionen mit deutlicher Beteiligung der Stammganglien, des parietalen Marklagers, der zentral-motorischen Hirnrinde und der mesialen Temporallappenstrukturen als erheblich" bezeichnet. Der heute sechs Jahre alte Kläger zu 1. ist ein Pflegefall. Er muss rund um die Uhr betreut werden und besucht seit Sommer letzten Jahres eine Schule für körperlich und geistig behinderte Kinder in Oldenburg. Er kann nicht sprechen, jedenfalls nicht verbal kommunizieren. Er kann sich aber durch Laute mit seinen Eltern verständigen. Ca. zwei bis drei Mal pro Jahr hat er - nach den Angaben seiner Eltern - cerebrale Anfälle von ca. zwei Minuten Dauer. Der Kläger zu 1. kann sich auch heute noch nicht selbständig fortbewegen, er kann weder laufen, stehen, sitzen noch krabbeln. Er ist auf den Rollstuhl angewiesen und muss gefüttert werden. Zu emotionalen Empfindungen (Lachen, Fröhlichsein, Weinen und Traurigsein) ist er in der Lage. Zwei Mal pro Woche findet eine Sprachtherapie in der Schule statt. Darüber hinaus nimmt der Kläger zu 1. am therapeutischen Reiten (ein Mal pro Woche) teil. Er ist auf eine Rundumbetreuung Tag und Nacht angewiesen, selbst nachts ist er nicht in der Lage, sich im Bett von einer Seite auf die andere zu drehen (wie seine Mutter im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung im Senatstermin glaubhaft erklärt hat). Er ist derzeit auf ambulante Therapien (wie z.B. Sprachtherapie und therapeutisches Reiten) angewiesen. Der Kläger zu 1. wird - nach Ansicht des Sachverständigen Professor Dr. S - lebenslang auf fremde Hilfe angewiesen sein.

Andererseits - und auch darauf hat der Sachverständige hingewiesen (S. 10 seines schriftlichen Gutachtens vom 29. Mai 2000) - ist derzeit nicht ausgeschlossen, dass insbesondere psychointellektuelle Leistungen später relativ günstig zu der schweren motorischen Behinderung kontrastieren. Darüber wird ein endgültiges und sicheres Urteil in der Regel erst im mittleren oder späteren Schulalter möglich sein. Es ist derzeit auch noch nicht ganz sicher abschätzbar, inwieweit auch die Epilepsie zu einer erheblich zusätzlichen Minderung der Lebensqualität führen wird. Die Ausbildung des Klumpfußes hat - so der Sachverständige Prof. Dr. Schulte - mit dem perinatalen Behandlungsfehler bzw. der Sauerstoffunterversorgung nichts zu tun, sodass dies bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben muss.

Nach alledem erachtet der Senat in Fortführung seiner Rechtsprechung zu derartigen Geburtsschadenfällen (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2001, Az. 4 U 11/96 mit Hinweisen auf VersR 1994, 310; SchlHA 1999, 259 und OLG R 1999, 263) für das Schmerzensgeld einen Kapitalbetrag von 325.000,00 € als gerechtfertigt. Für die Aufteilung des Schmerzensgeldes in Kapital und Rente war mangels entsprechenden Antrags kein Raum (BGH, VersR 1998, 1565; Frahm/Nixdorf, a. a. O., Rn. 237). Der zuerkannte Betrag entspricht aber der vom Senat ansonsten vorgenommenen Aufteilung zwischen Schmerzensgeldkapital und Rente verbunden mit einer geringfügigen Anhebung aufgrund der allgemeinen Teuerung. Maßgebend war für die Bemessung des Schmerzensgeldes die Aussage des Sachverständigen Prof. Dr. S, dass bei dem Kläger zu 1. die "geistige Entwicklung viel besser sei, als seine motorische" (vgl. Gutachten vom 29. Mai 2000, S. 7). Der Kläger zu 1. ist zu emotionalen Empfindungen in der Lage. Seine Mutter sagt "er weiß alles", auch mit seinen Eltern kann er sich über Laute verständlich machen. Der Senat konnte sich davon - zu Beginn der Verhandlung - ein eigenes Bild machen. Der Kläger zu 1. war zeitlich und örtlich orientiert und hat mitbekommen, was um ihn herum geschieht. Ein derartiger Kontrast zwischen der schweren motorischen und sprachlichen Behinderung einerseits und der emotionalen, psychointellektuellen Auffassungsgabe andererseits wird erfahrungsgemäß von Kindern mit dem Eintritt in das Jugend- und Erwachsenenalter als besonders schwerwiegend und bedrückend und manchmal als ein kaum noch zu ertragendes Schicksal empfunden.

Das Landgericht hat bereits vergleichend auf eine Entscheidung des OLG München vom 20. Juni 1996 (VersR 1997, 977; Hack/Rings/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 20. Aufl., Nr. 2668) hingewiesen. Dort wurde einem Kleinkind, das wegen groben Fehlverhaltens des Personals eine Tetraparese erlitten hatte, ein Schmerzensgeld von 290.000,00 DM und 500,00 DM monatliche Rente zugesprochen. In dem Fall OLG Köln vom 12. Juni 1995 (NJW RR 1996, 281; Hack/Rings/Böhm, a. a. O., Nr. 2679) wurde ein Schmerzensgeld von 350.000,00 DM und eine monatliche Rente von 650,00 DM zugesprochen. Dort hatte ein Säugling durch fehlerhafte Entbindung hirnorganische Veränderungen sowohl im intellektuellen als auch im physischen und psychischen Bereich mit umfassender Behinderung erlitten.

Die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes orientiert sich damit auch im Hinblick auf die Grundsätze der Gleichheit und Rechtssicherheit an vergleichender Rechtsprechung.

Bei der gebotenen Abwägung aller Gesamtumstände und einer vergleichenden Beurteilung ähnlich gelagerter Fälle erscheint dem Senat das nunmehr zuerkannte Schmerzensgeld als angemessener Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigung des Klägers zu 1. Soweit andere Gerichte (z. B. OLG München vom 20. Februar 2000, Hack/Rings/Böhm, a. a. O., Nr. 2683; OLG Hamm, Vers.R 2002, 1163) in Geburtsschadensfällen höhere Schmerzensgeldbeträge zuerkannt haben, sind diese Fälle hinsichtlich Art und Ausmaß des entstandenen weitergehenden Schadensbildes ( zusätzlich Querschnittslähmungen und/oder Blindheit) nicht mit diesem Fall vergleichbar.

Ende der Entscheidung

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