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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 06.10.2008
Aktenzeichen: 5 U 117/08
Rechtsgebiete: AktG, ZPO


Vorschriften:

AktG § 247
ZPO § 3
1. Die Festsetzung des Streitwertes für die Anfechtung von Wahlhandlungen zu Vertreterversammlung einer Genossenschaft beruht auf der analogen Anwendung von § 247 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 3 ZPO. Der Grundgedanke dieser Vorschrift gilt auch im Genossenschaftsrecht, weil es bei der Frage der Anfechtbarkeit von Beschlüssen durchweg um Rechtsprobleme mit wirtschaftlichen Auswirkungen geht und deshalb die Begrenzung des Streitwerts durch den meist verhältnismäßig niedrigen Geschäftsanteil (unter Einbeziehung der Haftungssumme) des klagenden Genossen im Vergleich zu den wirtschaftlichen Auswirkungen bei der beklagten Genossenschaft nicht angemessen wäre.

2. Die aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sind im Rahmen der Ermessensausübung nach § 247 Abs. 1 S. 1 AktG unerheblich.

3. Die Methode, wie die beteiligten Interessen der Parteien zueinander ins Verhältnis zu setzen sind (Mittelwert und/oder sog. "Quadratwurzelformel") ist streitig. Nach Auffassung des Senats ist die Gewichtung der Interessen Bestandteil der Ermessensausübung und lässt sich nicht mit Rechtsformeln verallgemeinern. Dies gilt insbesondere im Genossenschaftsbereich, wo ohnehin nur die analoge Anwendung von § 247 Abs.1 AktG in Betracht kommt.


5 W 51/08 5 U 117/08

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Einzelrichter am 6. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 9. September 2008 wird der Streitwertbeschluss des Einzelrichters der 18. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 15. August 2008 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Streitwert wird auf 15.000,-- ? festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Streitwertbeschwerde der Klägerin ist gem. § 68 Abs. 1 GKG zulässig. Die Beschwerdefrist ist eingehalten.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Die Klägerin ist bereits mit Verfügung des Amtsgerichts Norderstedt vom 1.04.2008 (Bl. 62 GA) auf die Bemessung des Streitwerts analog § 247 AktG hingewiesen worden.

Die Streitwertbeschwerde ist teilweise im tenorierten Umfang begründet.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf der analogen Anwendung von § 247 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 3 ZPO (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt vom 14.09.1998, Jur.Büro 1999, 310 - 311; OLG Bamberg, Jur.Büro 1980, 759). Während sich im Zivilprozess grundsätzlich der Streitwert nach dem Interesse des Klägers am streitigen Rechtsverhältnis richtet (vgl. Zöller - Herget, ZPO, 26. Auflage, § 3 RN. 2 m. w. N.), sind bei der Bemessung des Streitwertes nach § 247 Abs. 1 S. 1 AktG die Interessen beider Parteien zu berücksichtigen. Dies dient dem Interessenausgleich zwischen Kläger und beklagter Gesellschaft. Während das Interesse des Klägers, wenn er nur eine Kleinstbeteiligung hält, verschwindend geringe Ausmaße annehmen kann, steht für die Gesellschaft viel mehr auf Spiel, zumal sie die Interessen aller Gesellschafter repräsentiert, denen an der Aufrechterhaltung des Beschlusses (bzw. der Wirksamkeit einer Wahlhandlung) gelegen ist (vgl. Schwab in Schmidt / Lutter, AktG, 2008, § 247 RN. 2 m. w. N.). Der Grundgedanke dieser Vorschrift muss deshalb auch im Genossenschaftsrecht gelten, weil es bei der Frage der Anfechtbarkeit von Beschlüssen durchweg um Rechtsprobleme mit wirtschaftlichen Auswirkungen geht und deshalb die Begrenzung des Streitwerts durch den meist verhältnismäßig niedrigen Geschäftsanteil (unter Einbeziehung der Haftungssumme) des klagenden Genossen im Vergleich zu den wirtschaftlichen Auswirkungen bei der beklagten Genossenschaft nicht angemessen wäre (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt vom 14.09.1998, a. a. O.).

Die vom Landgericht vorgenommene Streitwertbemessung (89.616,00 ?) wird der Gesamtabwägung unter Berücksichtigung sowohl der Interessen der beklagten Genossenschaft an der Wirksamkeit der beanstandeten Wahlen (zur Vertreterversammlung am 12.11.2007) als auch den Interessen der Klägerin an der Feststellung der Unwirksamkeit dieser Wahlen nicht ausreichend gerecht.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit einer Wahl zur Vertreterversammlung. Diese Wahl fand am 12.11.2007 in den sog. Diskretionsbereichen der Filialräume der Beklagten statt. Die Amtszeit der neu gewählten Vertreter begann erst im Juni 2008 (vgl. das Musterschreiben der Wahlbenachrichtigung der Beklagten vom 13.11.2007, Anlage K15, Bl. 67 GA), so dass es bis jetzt offenbar noch keine Beschlüsse der neu gewählten Vertreterversammlung gibt, die ggfs. (im Falle der Feststellung der Nichtigkeit der Wahl) revidiert werden müssten. Der wirtschaftliche Nachteil auf Seiten der beklagten Genossenschaft läge mithin allenfalls in dem Risiko einer Wiederholung der Wahlen mit dem damit verbundenen organisatorischen Aufwand (u.a. Bekanntmachung und Veröffentlichung eines neuen Wahltermins; erneute Durchführung der Wahlen, einschließlich Druck von Stimmzetteln und Versand von Briefwahlunterlagen). Die Mitglieder des Wahlausschusses sind ehrenamtlich tätig.

Dieser Fall ist deshalb nicht mit dem Sachverhalt aus dem Streitwertbeschluss des LG Kiel vom 12.10.2006 (AZ: 2 O 300/06) vergleichbar. Dort ging es zwar auch um die Feststellung der Nichtigkeit einer Wahl zur Vertreterversammlung, diese lag jedoch bereits 3 Jahre zurück, sodass die Nichtigkeit dieser Wahl für die beklagte Genossenschaft und ihre Mitglieder mit erheblichen wirtschaftlich Konsequenzen verbunden gewesen wäre.

Hier geht es um die Wirksamkeit einer Wahl zur Vertreterversammlung nach § 43 a GenG. Die Vertreterversammlung ist eine besondere Form der Generalversammlung und damit ein Organ der genossenschaftlichen Selbstverwaltung. Es geht hier nicht um Wahlen zum Vorstand oder Aufsichtsrat der Genossenschaft (mit Auswirkungen auf die aktive und aktuelle Geschäftspolitik der Bank), sondern lediglich um Wahlen zur Vertreterversammlung mit einer nur beschränkten Zuständigkeit nach §§ 43 a, 48 GenG. Es ist deshalb nicht angemessen, dass wirtschaftliche Interesse auf Seiten der Beklagten mit 1 % des bilanzierten Eigenkapitals (in Höhe von 17.823.257,- ?) zu beziffern (LG Dortmund vom 26.09.1966, Die Aktiengesellschaft 1968, 390, 392, ist nicht vergleichbar: Dort handelte es sich bei der Beklagten um eine der größten und bedeutendsten Deutschen Aktiengesellschaften; vgl. Schwab in Schmidt / Lutter, AktG a. a. O. § 247 RN.7). Hier dürfte nur das wirtschaftliche Interesse der beklagten Genossenschaft an der Vermeidung einer Wiederholung der Wahl zur Vertreterversammlung maßgebend sein.

Andererseits kommt es auch nicht allein auf den Wert des Geschäftsguthabens bzw. die Haftsumme an. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Klägerin einerseits (Genossenschaftsanteile in Höhe von nominal 1.000 ? mit Anspruch auf Gewinnbeteilung nach § 43 der Satzung unter Ausschluss einer Vermögensbeteiligung beim Ausscheiden aus der Genossenschaft nach § 10 Abs. 2 der Satzung) und der wirtschaftlichen Interessen der Beklagten andererseits entspricht die Festsetzung des Streitwerts auf 15.000,-- ? dem billigen Ermessen (entsprechend § 247 Abs. 1 S. 1 AktG i.V.m. § 3 ZPO). Die aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sind im Rahmen der Ermessensausübung nach § 247 Abs. 1 S. 1 AktG unerheblich (vgl. Schwab in Schmidt / Lutter AktG, a. a. O. RN. 4 m. w. N.). Einen Antrag auf Streitwertspaltung (analog § 247 Abs. 2 AktG) hat die Klägerin nicht gestellt.

Die Methode, wie die beteiligten Interessen der Parteien zueinander ins Verhältnis zu setzen sind (Mittelwert und/oder sog. "Quadratwurzelformel") ist streitig (vgl. Schwab in Schmidt / Lutter AktG a. a. O. § 247 RN. 7 m. w. N.). Nach Auffassung des Senats ist die Gewichtung der Interessen Bestandteil der Ermessensausübung und lässt sich nicht mit Rechtsformeln verallgemeinern. Dies gilt insbesondere im Genossenschaftsbereich, wo ohnehin nur die analoge Anwendung von § 247 Abs.1 AktG in Betracht kommt.

Nach alledem ist die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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