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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 09.12.2003
Aktenzeichen: 6 U 27/03
Rechtsgebiete: BGB, HGB, AMG, ZPO


Vorschriften:

BGB a.F. § 433 II
BGB a.F. § 459 ff.
HGB § 346
AMG § 30
ZPO § 543
1. Die zivilrechtliche Haftung für Sachmängel bleibt beim Handel mit Arzneimitteln davon unberührt, dass die arzneimittelrechtliche Zulassung eines im Verkehr befindlichen Arzneimittels widerrufen wird.

2. Zu den Voraussetzungen eines Handelsbrauches im Arzneimittelhandel, der von der zivilrechtlichen Haftung für Sachmängel abweicht.

3. Der Charakter eines Rechtsstreits als "Musterprozess" begründet allein nicht die Zulassung der Revision.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil Im Namen des Volkes

Verkündet am: 9. Dezember 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 3. Dezember 2003 eingegangenen Schriftsätze für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13. Mai 2003 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen III des Landgerichts Lübeck geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 62.582,57 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11. November 2002 abzüglich am 14. November 2003 gezahlter 21.979,31 € zu zahlen.

Wegen des weiter gehenden Zinsanspruches werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte nach einem Streitwert von bis zu 65.000,00 € bis zum 03. Dezember 2003, für die Zeit danach nach einem Streitwert in Höhe von 40.306,26 €.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter eines Arzneimittellieferanten von der Beklagten, einer Arzneimittelgroßhändlerin, Bezahlung für die Lieferung von Arzneimitteln.

Die Beklagte beruft sich demgegenüber auf die Mangelhaftigkeit der Lieferung und einen behaupteten Handelsbrauch über das Erlöschen des Kaufpreisanspruchs sowie eine Verpflichtung des Lieferanten zur Rücknahme von Arzneimitteln, für diese die arzneimittelrechtliche Zulassung widerrufen worden ist. Hintergrund des Rechtsstreits ist, dass für die im Mai 2001 veräußerten und gelieferten Arzneimittel bereits im April 2000 die arzneimittelrechtliche Zulassung widerrufen worden war, gleichwohl der Sofortvollzug dieses Widerrufs erst durch Bescheid vom 6. Juni 2001 angeordnet worden war. Die Beklagte wusste bei Abschluss der Kaufverträge von dem Widerruf der Zulassung. Allerdings hatte die Klägerin der Beklagten seinerzeit ein Anwaltsschreiben vom 20. April 2000 zugänglich gemacht, laut dessen insbesondere in Ansehung der aufschiebenden Wirkung der Klagerhebung gegen den Widerrufsbescheid für die Produkte "die Verkehrsfähigkeit ... bis auf weiteres gesichert sei."

Das Landgericht hat in dem erwähnten Schreiben eine Zusicherung der Verkehrsfähigkeit ersehen und im Übrigen einen Handelsbrauch zur Rücknahme derartiger Medikamente gegen Gutschrift des Kaufpreises angenommen und deshalb die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte im Wesentlichen Erfolg.

Gründe:

I.

Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Zu ergänzen ist, dass der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 11. April 2000 über den Widerruf der Zulassung in Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 11. April 2001 durch Bescheid vom 6. Juni 2001 für sofort vollziehbar erklärt worden ist (Bl. 88 d. A.).

Die Berufung wird auf folgende Punkte gestützt:

- Das Landgericht habe rechtsirrig eine Zusicherung der Gemeinschuldnerin für die Verkehrsfähigkeit der Arzneimittel angenommen.

- Ferner habe das Landgericht rechtsirrig angenommen, der Rückruf der Medikamente gegen Vergütung (gemeint ist: Gutschrift des Kaufpreises) sei in der pharmazeutischen Industrie allgemeiner Handelsbrauch; dies habe der Kläger in der ersten Instanz bestritten.

- Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagte Medikamente für einen Kaufpreis von 22.384,46 € unstreitig weiterveräußert habe, ohne dass diese zurückgegeben worden seien, sodass der Kaufpreis für diese Medikamente auf jeden Fall zu zahlen sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 13.05. 2003 verkündeten Urteils des Landgerichts Lübeck, Az.: 13 O 176/02, zu verurteilen, an den Kläger 62.582,57 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz aus 11.031,63 € seit 03.07. 2001 zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz aus 11.031,63 € seit 15.07. 2001 zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz aus 22.982,57 € seit 28.07. 2001 sowie Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz aus 17.536,74 € seit 23.05. 2001 zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 01. Dezember 2003 hat der Kläger einen Zahlungseingang der Beklagten in Höhe von 21.979,31 € mitgeteilt, ohne insoweit ausdrücklich den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

Die Beklagte versteht den Schriftsatz als konkludente Erledigungserklärung, schließt sich der Erklärung an, beantragt,

dem Kläger insoweit die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen und im übrigen die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen regen die Parteien die Zulassung der Revision an, u.a., weil der Fall als Musterverfahren für zahlreiche Fälle des Klägers mit vergleichbarem Sachverhalt grundsätzliche Bedeutung habe.

II.

Die Berufung ist hinsichtlich des Hauptanspruchs in voller Höhe abzüglich gezahlter 21.979,31 €, hinsichtlich der Zinsen nur in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit aus §§ 284, 288 Abs. 1 BGB begründet.

1.

Der Kläger hatte einen Anspruch auf Zahlung von 62.582,57 € aus § 433 Abs. 2 BGB.

a) Zwischen den Parteien sind am 22. März, 3. Mai, 15. Mai und 28. Mai 2001 jeweils Kaufverträge über die in den entsprechenden Rechnungen (Bl. 6 - 9) enthaltenen Arzneimittel zustande gekommen. Die Gemeinschuldnerin hat der Beklagten die Arzneimittel übergeben und ihr das Eigentum übertragen.

aa) Ein Anspruch in Höhe von 22.454,45 € ergibt sich ohne weiteres bereits aus dem unstreitigen Sachverhalt, und zwar aus folgenden Gründen:

Arzneimittel mit einem Wert (Kaufpreis) in Höhe von 22.384,46 € hat die Beklagte weiterveräußert, ohne dass die Käufer diese zurückgegeben oder sonstige Ansprüche bei der Beklagten angemeldet hätten. Diese Tatsache war bereits in erster Instanz unstreitig, und die Beklagte hat bezogen auf jene Arzneimittel am 11. November 2003 einen Betrag in Höhe von 21.979,31 € an den Kläger per Online-Verfahren überwiesen, der dem Kläger spätestens am 14. November 2003 gutgebracht worden ist.

Zwar nimmt die Beklagte von dem Betrag in Höhe von 22.384,46 € einen Abzug wegen der Kosten für die Entsorgung der Medikamente in Höhe von 405,15 € vor; dieser Abzug ist jedoch zum einen unsubstantiiert, zum anderen rechtlich nicht begründet. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat lediglich eine eigene Rechnung an den Kläger über die Kosten für die Entsorgung vorgelegt, die offensichtlich ein Dritter vorgenommen hat, ohne dass die insoweit entstandenen Kosten mitgeteilt werden.

Außerdem hat die Gemeinschuldnerin unstreitig die Rücknahmebereitschaft gegen Vergütung erklärt, womit unstreitig jedenfalls die Übersendungskosten erfasst werden sollten, um selbst die Vernichtung vorzunehmen. Insofern ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Beklagte gemeint hat, diese Aufgabe selbst in Auftrag geben und dafür dem Kläger Kosten in Rechnung stellen zu müssen.

Über die 22.384,46 € hinaus steht dem Kläger aus der Rechnung vom 22. März 2001 (Bl. 9) ein Betrag in Höhe von 118,00 DM netto = 136,88 DM = 69,99 € brutto zu, denn über diesen Betrag hat die Gemeinschuldnerin der Beklagten nicht die vom Markt zu nehmenden Arzneimittel, sondern Weizenkeimduschgel und -emulsion geliefert.

b) Dem Kläger steht auch der restliche Anspruch in Höhe von 40.128,12 € bezüglich derjenigen Medikamente zu, die bei der Beklagten verblieben waren. Die Beklagte kann dem Kläger weder eine Haftung für einen Sachmangel noch eine Vereinbarung über die Rückabwicklung der Kaufverträge noch einen Handelsbrauch über die Rückabwicklung gegen Gutschrift des Kaufpreises entgegenhalten.

aa) Die Medikamente A. Tropfen und Dragees hatten einen Sachmangel i. S. d. § 459 Abs. 1 S. 1 BGB a. F., da ihnen die Verkehrsfähigkeit infolge Widerrufs der Zulassung fehlte. Seit der Anordnung des Sofortvollzuges des Bescheides vom 11. April 2000 am 6. Juni 2001 ist die Verkehrsfähigkeit entfallen.

Die Verkehrsfähigkeit ist auch nicht dadurch wiederhergestellt worden, dass auf europäischer Ebene das Gericht erster Instanz in einer Entscheidung vom 26. November 2002 (Sammlung 2002 - 11/12, II - 4948) die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 9. März 2000 (- K (2000) 452 -), auf der der Widerruf der Zulassung vom 11. April 2000 beruhte, insoweit für nichtig erklärt hat, wie sie die von den dortigen Klägerinnen vermarkteten Arzneimittel betreffen (a.a.O., II - 5029). Denn zum einen war die Gemeinschuldnerin wegen der von ihr vertriebenen Medikamente A. an dem Verfahren als Klägerin nicht beteiligt, zum anderen ist nicht vorgetragen und nicht ersichtlich, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte seinen Widerruf der Zulassung vom 11. April 2000 und / oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung am 6. Juni 2001 aufgehoben hat.

Es liegt vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH auch kein unerheblicher Fehler i. S. d. § 459 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. vor. Unerheblich ist ein Fehler etwa in den Fällen, in denen er vom Käufer mit nur ganz unerheblichem Aufwand selbst schnell beseitigt werden kann (vgl. Palandt-Putzo, 60. Aufl., Rn. 13 am Ende zu § 459 BGB a. F.). Hier könnte man an ein Vorgehen gegen die Bescheide des Bundesamtes oder an einen Antrag auf Neuzulassung denken. In beiden Fällen müsste jedoch der Kläger tätig werden, denn die Bescheide des Bundesamtes richten sich nicht an die Beklagte, und sie ist auch nicht Herstellerin der Medikamente (vgl. insoweit die Argumentation der Beklagten Bl. 66 und Bl. 78 f.).

bb) Die Arzneimittel waren bereits bei Übergang der Gefahr auf die Beklagte gemäß § 459 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. mangelhaft. Zwar liegt die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Bescheid vom 6. Juni 2001 nach Gefahrübergang, es reicht jedoch aus, dass die Ursache des Sachmangels zur Zeit des Gefahrübergangs gesetzt ist (vgl. Palandt-Putzo, a. a. O., Rn. 6 zu § 459 BGB a. F. m. w. N.). Die Ursache war der Widerruf der Zulassung am 11. April 2000, durch den der Verlust der Verkehrsfähigkeit bei Anordnung der sofortigen Vollziehung bzw. Bestandskraft drohte.

cc) Die damit grundsätzlich gegebene Haftung der Gemeinschuldnerin wegen des Sachmangels ist jedoch wegen Kenntnis der Beklagten bei Abschluss der Kaufverträge gemäß § 460 S. 1 BGB a. F. ausgeschlossen, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat. Die Beklagte wusste aufgrund des Schreibens der Gemeinschuldnerin vom 26. April 2000 (Bl. 34), dem das anwaltliche Schreiben an die Gemeinschuldnerin vom 20. April 2000 (Bl. 35) beigefügt war, seit jener Zeit, dass die Zulassung widerrufen worden war und sich bei Abschluss der Kaufverträge im März bis Mai 2001 die dadurch begründete Gefahr des Verlustes der Verkehrsfähigkeit jederzeit realisieren konnte.

Die eigentlich nur für den Stückkauf geltende Vorschrift des § 460 BGB a. F. ist auf den hier vorliegenden Fall des Gattungskaufs entsprechend anwendbar, denn die Beklagte hatte Kenntnis der Mängel der gesamten Gattung (vgl. BGH NJW 81, 2640).

dd) Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt in dem Schreiben aus April 2000 nicht (zugleich) die Zusicherung einer Eigenschaft gemäß § 459 Abs. 2 BGB a. F., die noch zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs im März bis Mai 2001 bestand. Das ergibt eine Auslegung des Schreibens, die das Landgericht nicht vorgenommen hat.

Bereits der Wortlaut sagt auch für einen nicht im Arzneimittelhandel tätigen Laien, dass die Erklärung eingeschränkt sein sollte, denn das Schreiben der Anwaltskanzlei vom 20. April 2000 endet mit dem Satz "Dies alles spricht dafür, dass die Verkehrsfähigkeit ... bis auf weiteres gesichert ist." (Unterstreichung durch den Senat). Von einer Zusicherung der Verkehrsfähigkeit über Monate oder gar Jahre hinaus ergibt sich aus dieser Formulierung nichts.

Bereits zuvor heißt es in dem Schreiben "Es besteht daher keine Rechtsgrundlage für eine Rückgabe dieser Arzneimittel." (Unterstreichung durch den Senat). Eine Zusicherung bezieht sich danach allenfalls darauf, dass vorhandene Vorräte noch verkauft werden können (Aufbrauch); demgegenüber enthält das im Übrigen nicht in Zusammenhang mit einem konkreten Kaufvertrag mit der Beklagten stehende Schreiben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Gemeinschuldnerin die Verkehrsfähigkeit im Hinblick später abgeschlossene Kaufverträge hat zusichern und für die zeitlich nicht begrenzte Verkehrsfähigkeit des Medikaments hat einstehen wollen.

Die Gemeinschuldnerin hat auch nicht bei Gefahrübergang im März bis Mai 2001 durch Schweigen bei der Beklagten den Eindruck einer unbegrenzten Verkehrsfähigkeit erweckt bzw. die Beklagte über die Verkehrsfähigkeit getäuscht, wie offenbar das Landgericht meint. Die Sach- und Rechtslage war zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs bis noch zum 6. Juni 2001 unverändert: Die Arzneimittel waren nach wie vor verkehrsfähig. Zwar hatte der Europäische Gerichtshof zuvor am 11. April 2001 die Entscheidung der Kommission bestätigt und die Rechtmäßigkeit des Widerrufs festgestellt. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass die Gemeinschuldnerin diese Entscheidung kannte, war jedenfalls nicht absehbar, ob, wann und wie die Entscheidung im nationalen Bereich umgesetzt werden würde.

ee) Zwischen der Gemeinschuldnerin und der Beklagten ist keine Vereinbarung über die Rückabwicklung der Kaufverträge zustande gekommen.

Die Beklagte geht unzutreffend davon aus, das Schreiben der Gemeinschuldnerin vom 25. Juni 2001 (Bl. 36) enthalte ein entsprechendes Angebot, das von ihr, der Beklagten, durch Fax vom 28. Juni 2001 (Bl. 45) angenommen worden sei. Bereits der Wortlaut des Schreibens vom 25. Juni 2001 gibt für ein derartiges Angebot nichts her. Die Gemeinschuldnerin weist lediglich darauf hin, dass eine Klage beim VG Köln mit dem Ziel, durch eine aufschiebende Wirkung eine Abverkaufsfrist zu erreichen, zurückgewiesen worden sei und die Gemeinschuldnerin beabsichtige, in der laufenden Woche einen Rückruf in den zuständigen Medien zu veröffentlichen. Erst die Beklagte macht in ihrem Schreiben vom 28. Juni 2001 deutlich, dass sie wegen des Verlustes der Verkehrsfähigkeit nunmehr die Ermächtigung zum Bankeinzug widerrufe und die Rechnungen aus dem Mai 2001 nicht mehr bezahlen werde. Auf dieses Ansinnen ist die Gemeinschuldnerin nicht eingegangen.

ff) Schließlich lässt sich auch nicht aus dem Schreiben der Gemeinschuldnerin vom 26. April 2000 in Zusammenhang mit oder aus der Veröffentlichung des Rückrufs der Medikamente durch die Gemeinschuldnerin in der Pharmazeutischen Zeitung vom 28. Juni 2001 (Bl. 37) in Verbindung mit einem Handelsbrauch zugunsten der Beklagten etwas herleiten. Denn die Beklagte hat weder substantiiert eine verpflichtende Regel im Handelsverkehr mit Arzneimitteln dargelegt, wonach der Widerruf einer Arzneimittelzulassung stets zu einem Erlöschen des Kaufpreisanspruchs für betroffene, bereits erworbene Arzneimittel führt, noch schlüssig ausgeführt, dass eine solche Regel auch für den hier vorliegenden Fall gilt, in dem kein Sofortvollzug des Widerrufs angeordnet wird und in Kenntnis dessen noch ein Jahr nach dem Widerruf Arzneimittel erworben werden.

Ein Handelsbrauch i. S. d. § 346 HGB ist eine verpflichtende Regel, die auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen Übung der beteiligten Kreise für vergleichbare Geschäftsvorfälle über einen angemessenen Zeitraum hinweg beruht und der eine einheitliche Auffassung der Beteiligten zu Grunde liegt. Er ist abzugrenzen von der nicht verpflichtenden Regel einer Handelsübung oder einer Verkehrsauffassung (vgl. statt vieler Baumbach/Hopt, 31. Aufl., Rzn. 1 ff., 12 zu § 346 HGB m. w. N.). Wer sich auf einen Handelsbrauch beruft, muss sein Bestehen und seinen Inhalt behaupten und beweisen (a.a.O., Rz. 13).

Die Beklagte trägt zwar vor, es bestehe auf Grund geübter Praxis der Hersteller ein Handelsbrauch, ohne allerdings auf die Kriterien der Gleichmäßigkeit, Einheitlichkeit und des angemessenen Zeitraumes und damit auf die Normqualität ausmachende wesentliche Umstände einzugehen. Insoweit helfen die vorgelegten Schreiben des Bundesverbandes des pharmazeutischen Großhandels vom 12. November und 17. Dezember 2002 (Anl. B 5. Bl. 38 - 44 d. A.) nicht weiter, wonach im Zusammenhang mit Rückrufaktionen die Bestände im pharmazeutischen Großhandel zum Grosso-Preis und bei Abwicklung der Apothekenbestände diese zum Apothekeneinkaufspreis zuzüglich 10 % Handlingsgebühr gutgeschrieben werden. Diese Schreiben aus jüngster Zeit besagen nichts zu einer gleichmäßigen, einheitlichen und länger dauernden Praxis in Abgrenzung zu einer Handelsübung. Selbst wenn man ihnen eine Indizwirkung für einen Handelsbrauch beimessen würde, wird diese durch die ebenfalls von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme Prof. Dr. X. vom Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels vom 05. Mai 2003 (Anl. B 10, Bl. 96 f. d. A.) entkräftet. Abgesehen davon, dass der Bundesverband nicht ohne weiteres aus eigener Sachkenntnis heraus einen Handelsbrauch bestätigt, sondern erst seine Mitgliedsunternehmen befragen mußte, enthält das Schreiben als Ergebnis der Umfrage lediglich die Aussagen, die Bitte um Rückgabe aller im Verkehr befindlicher Ware an den Hersteller sei "häufig, die Rückgewährung des Kaufpreises ist branchenüblich"; die pharmazeutischen Großhändler würden auf eine Erstattung des Kaufpreises im Fall des Verlustes der Verkehrsfähigkeit "vertrauen", und das vom Bundesverband angebotene formalisierte Verfahren zur Durchführung von Arzneimittelrücknahmen werde "von der Mehrzahl der pharmazeutischen Unternehmen regelmäßig benutzt". Prof. X., den die Beklagte als sachverständigen Zeugen für das Bestehen eines Handelsbrauches benannt hat, stellt nur auf die Branchenüblichkeit auf Grund des Verhaltens der Mehrzahl der Großhändler ab und vermeidet in auffälliger Weise Aussagen zur Rechtsverbindlichkeit und den Begriff des Handelsbrauches.

Die Abgrenzung zwischen Handelsbrauch und Handelsübung und die soeben angeführten tatsächlichen Gesichtspunkte waren, auch wenn sie im Schriftsatz der Beklagten vom 03. Dezember 2003, der die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung wiedergibt, nicht aufgeführt sind, ebenfalls Gegenstand der Ausführungen des Senates und des Klägers.

Ein Handelsbrauch müsste sich im übrigen gerade auch auf solche Fälle erstrecken, in denen der Arzneimittelkäufer wie hier bereits seit langem vom Widerruf der Zulassung des Arzneimittels, ohne dass zugleich dessen sofortige Vollziehung angeordnet worden ist, Kenntnis hat und gleichwohl im Vertrauen auf die - nicht zugesicherte - Verkehrsfähigkeit noch ein Jahr nach dieser Kenntnis die Arzneimittel für den Weiterverkauf erwirbt. Auch das ist weder von der Beklagten schlüssig vorgetragen noch aus denjenigen Unterlagen ersichtlich, aus denen die Beklagte u. a. das Bestehen eines Handelsbrauchs herleitet. Insoweit ist nicht einmal eine entsprechende Übung erkennbar.

2.

Die gestaffelte Zinsforderung in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz ist unbegründet, weil Angaben zu einem früheren Verzug der Beklagten gemäß § 286 Abs. 1 S. 2 BGB als durch die Zustellung der Klage am 11. November 2002 fehlen und die Forderungen, die im Jahre 2000 fällig geworden sind, der Regelung des § 288 Abs. 1 BGB n. F. und nicht des § 288 Abs. 2 BGB n. F. unterfallen (vgl. Palandt-Heinrichs, 62. Aufl., Rz. 1 zu § 288 BGB).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 91 a ZPO. Hinsichtlich der von der Beklagten geleisteten Zahlung sieht der Senat im Schriftsatz des Klägers vom 01. Dezember 2003 wie die Beklagte eine Erledigungserklärung der Hauptsache, denn das schriftliche Verfahren ist mit Einverständnis der Parteien nur angeordnet worden, weil der Kläger zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Zahlungseingang nicht feststellen konnte und sich deshalb gehindert sah, eine Erledigungserklärung abzugeben.

Auch soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, hat die Beklagte die Kosten zu tragen, da sie bei Nichtleistung unterlegen wäre.

Der Streitwert richtet sich nach der übereinstimmenden Teilerledigungserklärung nur noch nach dem restlichen Hauptanspruch (Zöller-Herget, 24. Aufl., Rz. 16 zu § 3 ZPO, Stichwort "Erledigung der Hauptsache", m.w.N.).

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, denn der Rechtsstreit hat entgegen der Auffassung beider Parteien keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Tatsache, dass der Kläger dieses Verfahren als "Musterprozess" in Hinblick auf zahlreiche weitere Verträge der Gemeinschuldnerin über dieselben Arzneimittel führt, stellt noch keinen Sachverhalt dar, der das Interesse der Allgemeinheit an einer Entscheidung des Revisionsgerichts begründet (vgl. BGH NJW 2002, 3029, 3030; NJW 2003, 65, 68).

Auch im übrigen wirft das Verfahren keine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage auf, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Soweit ersichtlich gibt es zu der in der Kommentarliteratur zum Arzneimittelgesetz vertretenen Auffassung, dass der zivilrechtliche Fehlerbegriff und die daran anknüpfenden Sachmängelgewährleistungsvorschriften insbesondere von der Regelung in § 30 AMG unberührt bleiben (vgl. Kloesel/Cyran, Anm. 31 zu § 30 AMG, Bl. 54 g, 80. Erg.-Lief.), keine, schon gar keine unterschiedliche Rechtsprechung.



Ende der Entscheidung

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