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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 16.10.2001
Aktenzeichen: 6 U 34/01
Rechtsgebiete: UWG, BGB, ZPO


Vorschriften:

UWG § 1
UWG § 3
BGB § 119
BGB § 123
BGB § 123 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 713
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
1. Die Geschäftsgrundlage einer Unterlassungserklärung ist regelmäßig die gemeinsame - und nicht zum Vertragsbestandteil erhobene - Vorstellung der Parteien, dass die Wettbewerbswidrigkeit der Werbeanzeigen zumindest möglich und dass ihre Vorstellung von der Wettbewerbswidrigkeit nicht offensichtlich falsch ist.

2. Eine nach Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung eingetretene Änderung der Rechtsprechung liegt außerhalb des Risikobereiches beider Parteien und gewährt allenfalls, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, eine Lösung vom Vertrag nach den - strengeren - Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

6 U 34/01

Verkündet am: 16. Oktober 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2001 durch den Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberverwaltungsgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Kammer für Handelssachen I des Landgerichts Kiel vom 24. Januar 2001, Az: 14 O 125/00, geändert.

Es wird festgestellt, dass die Unterlassungserklärungen der Beklagten vom 16.03.1998 und 03.11.1999 wirksam sind.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer der Beklagten beträgt 30.000 DM.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass zwei von der Beklagten abgegebene Unterlassungserklärungen weiterhin wirksam sind.

Der Kläger ist ein Verband zur Förderung gewerblicher Interessen, die Beklagte versorgt große Teile der K...er Bevölkerung mit Energie.

Im Frühjahr 1998 warb die Beklagte in einem Faltblatt mit dem Titel "Für behagliche Wärme ... die K...er Erdgasversorgung" mit dem Satz:

"Erdgas - eine zeitgemäße und umweltfreundliche Energiequelle"

Im nachfolgenden Text wurde die Herkunft und der Entstehungsprozess des von der Beklagten verwandten Erdgases erläutert.

Mit Schreiben vom 10. März 1998 mahnte der Kläger gegenüber der Beklagten ihr Verhalten unter Berufung auf die Rechtsprechung, insbesondere auf ein Urteil des LG München I vom 19.07.1991 (7 HKO 3691/91), als wettbewerbswidrig ab. Die pauschale und hervorgehobene Verwendung der Bezeichnung "umweltfreundlich" sei im Hinblick auf die diffusen Erwartungen, die der Verkehr mit der Verwendung von Begriffen wie "umweltfreundlich" verbinde, grundsätzlich wettbewerbswidrig. Das Landgericht München habe in dem hier interessierenden Zusammenhang mit der Werbung für Energien zutreffend ausgeführt, dass, solange ein Produkt - wie vorliegend das Erdgas - überhaupt negative Auswirkungen auf die Umwelt habe, es jedenfalls nicht "umweltfreundlich" sei. Der Kläger forderte die Beklagte auf, bis zum 17. März 1998 eine Erklärung zu unterzeichnen, wonach sie es unterlassen werde,

"im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in bezug auf Erdgas mit der Aussage, dass dieses umweltfreundlich sei, zu werben"

und sich verpflichten werde,

"für jeden Einzelfall zukünftiger schuldhafter Zuwiderhandlungen gegen die unter Ziffer 1 aufgeführte Verpflichtung an die Wettbewerbszentrale eine Vertragsstrafe in Höhe von 6.000,- DM zu zahlen".

Am 16. März 1998 unterzeichnete die Beklagte die beigefügte Erklärung.

In der Folgezeit brachte die Beklagte ein weiteres Werbe-Faltblatt unter dem Titel "... Mit Fernwärme bequem heizen. Ihre Service Werke Stadtwerke Kiel AG" heraus, worin es in dem einzigen fettgedruckten Absatz heißt:

"Das Fernwärmenetz der Stadt K wird auch künftig weiter ausgebaut und sorgt dafür, dass mit dieser umweltfreundlichen Energie der Einsatz von Öl im Wärmemarkt immer mehr zurückgedrängt werden kann."

Im Normaldruck heißt es in der nächsten Spalte u.a. : "Als Brennstoff dienen im Gemeinschaftskraftwerk Steinkohle, in den Spitzenlastwerken werden Gas bzw. Öl eingesetzt".

Nach Kenntnis des Klägers von dieser Werbung forderte er die Beklagte mit Schreiben vom 28.10.1999 unter Hinweis darauf, dass die Beklagte abermals mit ihrer "umweltfreundlichen Energie" werbe, zur Zahlung der Vertragsstrafe in Höhe von 6.000,- DM sowie zur Unterzeichnung einer weiteren Unterlassungserklärung auf. Die Unterzeichnung der Unterlassungserklärung durch die Beklagte erfolgte am 3. November 1999. Darin verpflichtete sich die Beklagte,

"es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken in Bezug auf Erdgas mit der Aussage, dass dieses umweltfreundlich sei, zu werben,"

und insbesondere die im Fettdruck verwandte beanstandete Formulierung nicht mehr zu benutzen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 8.000,- DM. Den vom Kläger geltend gemachten Vertragsstrafenanspruch erfüllte die Beklagte unter Hinweis darauf, dass sie nicht für Erdgas, sondern für Fernwärme geworben habe, nicht. Mittlerweile ließ der Kläger seinen Vertragsstrafenanspruch wegen fehlender Subsumierbarkeit der zweiten Werbeaussage unter die erste Unterlassungserklärung fallen. Mit Schreiben vom 14. Februar 2000 erklärte die Beklagte die Anfechtung der beiden von ihr abgegebenen Unterlassungserklärungen wegen Irrtums und arglistiger Täuschung. Als Begründung führte sie zwei Urteile des OLG Stuttgart vom 12.03.1993 - AZ: 2 U 250/92 - und 18.02.1994 - Az.: 2 U 204/93 - an, aus denen sich ergebe, dass es an der vom Kläger behaupteten Wettbewerbswidrigkeit der beanstandeten Werbeanzeigen fehle. Sie berief sich zudem auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Auf den Inhalt des Schreibens vom 14. Februar 2000 (Blatt 22 - 24 der Akte) wird Bezug genommen.

Der Kläger hat gemeint, die Anfechtungserklärung der Beklagten gehe ins Leere. Auch lägen die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht vor. Seine Rechtsauffassung über die Wettbewerbswidrigkeit der Werbeanzeigen sei zutreffend.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Unterlassungserklärungen der Beklagten vom 16. März 1998 und 03. November 1999 nicht wirksam angefochten wurden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, dass sie sich bei der Abgabe der Erklärungen im Irrtum befunden habe, da sie davon ausgegangen sei, dass die Rechtsansicht des Klägers zutreffend sei. Dies sei jedoch nach der herrschenden Rechtsprechung nicht der Fall.

Durch Urteil vom 24. Januar 2001 hat das Landgericht Kiel (14 O 125/00) die Klage abgewiesen. Zwar hat es das Vorliegen einer wirksamen Anfechtung der Beklagten wegen Fehlen eines Anfechtungsgrundes verneint. Es hat allerdings die Unwirksamkeit der Unterlassungserklärungen aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage bejaht. Diesbezüglich hatte das Landgericht den negativen Feststellungsantrag des Klägers dahingehend ausgelegt, dass er die Überprüfung jeder von der Beklagten behaupteten Unwirksamkeit der Unterlassungserklärungen begehre, insbesondere eine mögliche Unwirksamkeit wegen des von der Beklagten in ihrem Schreiben vom 14. Februar 2000 behaupteten Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Geschäftsgrundlage sei die gemeinsame - und nicht zur ausdrücklichen Vertragsgrundlage der Unterlassungserklärungen erhobene - Vorstellung der Parteien von der Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten gewesen. Diese Vorstellung sei unzutreffend gewesen, da ein Wettbewerbsverstoß zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe. Weder habe ein Verstoß gegen §1 UWG noch gegen § 3 UWG vorgelegen, insbesondere habe eine Irreführung der Verbraucher nicht stattgefunden. Der Verbraucher sei über das Vorliegen von Umweltbelastungen durch Erdgas hinreichend informiert. Maßstab sei der - seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 13. Januar 2000 heranzuziehende - durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher. Dieser wisse, dass Erdgas keine ausschließlich positiven Auswirkungen auf die Umwelt habe. Der Eindruck absoluter Umweltverträglichkeit werde in der Werbung der Beklagten nicht erweckt. Einer weiteren Aufklärung durch die beanstandete Werbung habe es daher nicht bedurft. Die weitere Bindung der Beklagten an die Unterlassungserklärungen sei ihr auch nicht zuzumuten, weshalb die Beklagte zu der mit Schreiben vom 14. Februar 2000 erklärten Kündigung berechtigt gewesen sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung des Klägers.

Der Kläger vertritt die Ansicht, das Gericht habe dem Antrag schon deshalb entsprechen müssen, weil keine wirksame Anfechtung vorgelegen habe. Soweit das Landgericht seine Abweisung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage stütze, habe es die Vorstellung der Parteien bei der Unterzeichnung der Unterlassungserklärungen und damit den Inhalt der Geschäftsgrundlage nicht hinreichend genau bestimmt. Die Rechtsauffassung des Klägers sei im übrigen auch nicht falsch gewesen, vielmehr sei das Verhalten der Beklagten sowohl zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Unterlassungserklärungen wie auch heute noch wettbewerbswidrig. Auch die Zugrundelegung der Kenntnisse eines verständigen Durchschnittsverbrauchers ändere nichts daran, dass die pauschale Verwendung des Begriffes "umweltfreundlich" eine Irreführungsgefahr i.S.d § 3 UWG darstelle. Im übrigen könne dessen Heranziehung einen späteren Wegfall der Geschäftsgrundlage für die Unterlassungserklärungen aus den Jahren 1998 und 1999 nicht begründen. Hierfür müsste das Verhalten der Beklagten nachträglich als Folge einer Gesetzesänderung oder als Folge einer eindeutig und zweifelsfrei anderen Beurteilung der Rechtslage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung rechtmäßig geworden sein. Diesen Punkt habe das Landgericht fälschlicherweise überhaupt nicht problematisiert.

Eine Anpassung oder Auflösung der Unterlassungserklärungen scheitere im übrigen daran, dass der Beklagten ein Festhalten an den Unterlassungserklärungen weiterhin zumutbar sei und die Beklagte die Erklärungen überdies bislang nicht gekündigt habe.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und festzustellen, dass die Unterlassungserklärungen der Beklagten vom 16. März 1998 und 3. November 1999 nicht wirksam angefochten worden sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufungsbeklagte verteidigt das Urteil im wesentlichen mit den darin enthaltenen Argumenten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift vom 9. April 2001 (Blatt 90 ff der Akte) und der Berufungserwiderungsschrift vom 30. Juli 2001 (Blatt 134 ff der Akte).

Der Senat hat darauf hingewiesen, dass er den Antrag des Klägers dahin auslegt, dass der Kläger festgestellt wissen will, dass die Unterlassungserklärungen der Beklagten vom 16. März 1998 und 03. November 1999 wirksam sind. Dem hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zugestimmt.

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 543 Absatz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg.

Die Feststellungsklage ist zulässig - insoweit wird auf den Abschnitt II der Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen - und begründet.

Die von der Beklagten am 16. März 1998 und 3. November 1999 abgegebenen Unterlassungserklärungen sind weiterhin wirksam.

1. Anfechtung

Die Beklagte hat die Unterlassungserklärungen nicht wirksam angefochten. Hierfür fehlt es an einem neben der Anfechtungserklärung erforderlichen Anfechtungsgrund i.S.d. §§ 119, 123 BGB. Die Beklagte befand sich weder über den Inhalt der von ihr abgegebenen Erklärung noch über ihren Erklärungswert im Irrtum. Soweit die Beklagte sich darauf berufen hat, bei Unterzeichnung der Erklärungen über die Wettbewerbswidrigkeit der beanstandeten Werbeanzeigen geirrt zu haben, liegt hierin allenfalls ein Irrtum im Beweggrund für die Abgabe der Unterlassungserklärungen. Hierbei handelt es sich jedoch um einen rechtlich unbeachtlichen Motivirrtum (Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Auflage, § 119 Rn. 29). Eine arglistige Täuschung des Klägers über die Wettbewerbswidrigkeit der Werbeanzeigen i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB liegt bereits wegen fehlenden Täuschungsvorsatzes des Klägers nicht vor. Der Kläger ist nach wie der Ansicht, dass es sich um wettbewerbswidrige Anzeigen handele.

2. Kündigung aus wichtigem Grund

Die Unterlassungserklärungen der Beklagten sind nicht aufgrund einer Kündigung aus wichtigem Grund unwirksam.

Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob in dem Schreiben der Beklagten vom 14. Februar 2000 neben der Anfechtungserklärung gleichermaßen eine Kündigungserklärung enthalten war. Denn jedenfalls stand der Beklagten ein Kündigungsgrund nicht zur Seite.

Zwar begründet ein vertraglicher Unterlassungsanspruch ein Dauerschuldverhältnis und kann daher - wie jedes Dauerschuldverhältnis - auch ohne eine entsprechende Vereinbarung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden (BGH, Urteil vom 26.09.1996 - I ZR 265/95, NJW 1997, 1702, 1703; Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rn. 295). Voraussetzung für eine solche außerordentliche Kündigung ist, dass dem Schuldner die (weitere) Erfüllung des Vertrages unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann (st. Rechtsprechung: BGH, Urt. v. 30. 01.1964, - VII ZR 5/63, BGHZ 41, 104, 108; BGH, Urt. v. 10. 5. 1984 - I ZR 94/82, GRUR 1984, 754, 756; Urt. v. 02.02.1989 - IX ZR 182/87, NJW 1989, 1482, 1483; Urt. v. 02.05.1991 - I ZR 184/89, GRUR 1992, 1 12, 114). Jedoch kann sich das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund im Unterschied zu einer Vertragsauflösung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur auf Gründe stützen, die im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen (BGH, Urt. v. 26.09.1996 - I ZR 265/95, NJW 1997, 1702, 1704; Urt. v. 27.03.1991 -- IV ZR 130/90, NJW 1991, 1828, 1829; Urt. v. 29.11.1995 -- XII ZR 230/94, NJW 1996, 714; Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 241 Rdnr. 9). Denn anders als eine Lösung vom Vertrag nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage handelt es sich bei dem Kündigungsrecht aus wichtigem Grund um einen jedem Vertrag innewohnenden Auflösungsgrund, der dem Umstand Rechnung trägt, dass sich bei einem auf Dauer angelegten Vertragsverhältnis im Laufe der Zeit unvorhergesehene Umstände einstellen können, die die Parteien - wären sie ihnen bekannt gewesen - bei Vertragsschluss berücksichtigt hätten (BGH, Urt. v. 26.9.1996 -I ZR 265/95, NJW 1997, 1702, 1704). Die Vereinbarung eines einseitigen Kündigungsrechtes wird regelmäßig nur bei einer aus der Risikosphäre der anderen Partei stammenden Änderung des Vertragsverhältnisses in Frage kommen.

Eine aus der Risikosphäre des Klägers stammende nachträgliche Veränderung der Vertragsgrundlage ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Einzige nach Unterzeichnung der Unterlassungserklärungen eingetretene Veränderung der Vertragsumstände war die vom Europäischen Gerichtshof im Januar 2000 eingeführte Änderung des Maßstabs für die Beurteilung der Frage, wann eine Werbeaussage als wettbewerbswidrig anzusehen ist; es ist nunmehr auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen (EuGH, 13.1.2000, Rs C-220/98, NJW 2000, 1173 = LM H. 7 / 2000 § 1 UWG Nr. 810a = WRP 2000, 289). Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine dem Kläger zurechenbare Veränderung der den Unterlassungserklärungen zugrunde liegenden Umstände. Die Änderung der Rechtsprechung liegt vielmehr außerhalb des Risikobereiches beider Parteien. Anstelle eines einseitigen Kündigungsrechtes gewährt sie allenfalls eine Lösung vom Vertrag nach den - strengeren - Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage.

3. Fehlen oder Fortfall der Geschäftsgrundlage

Die Unterlassungserklärungen der Beklagten sind nicht wegen Fehlens oder Fortfalls der Geschäftsgrundlage unwirksam.

Es kann auch hier dahingestellt bleiben, ob in dem Schreiben der Beklagten vom 14. Februar 2000 neben der Anfechtungserklärung gleichermaßen eine Kündigungserklärung enthalten war. Eine solche wäre auch bei Fehlen / Wegfall der Geschäftsgrundlage erforderlich, um eine künftige Bindung der Beklagten an ihre Unterlassungserklärungen zu beseitigen (BGH Urt. v. 26.09.1996 - I ZR 265/95, WRP 1997, 312, 314).

Die Voraussetzungen für eine Unwirksamkeit der Unterlassungserklärungen nach den Regeln über das anfängliche Fehlen oder den späteren Wegfall der Geschäftsgrundlage liegen im Ergebnis nicht vor. Denn die hierfür notwendige eindeutige Wettbewerbsmäßigkeit der Werbeanzeigen der Beklagten ist nicht gegeben.

Eine nur mögliche Wettbewerbsmäßigkeit der Werbeanzeigen der Beklagten reicht für die Anwendung der Regelungen über das Fehlen bzw. den Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegend nicht aus. Geschäftsgrundlage der Unterlassungserklärungen der Beklagten ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht die gemeinsame Vorstellung der Parteien, dass die Werbeanzeigen eindeutig gegen die Regelungen des UWG verstoßen. Vielmehr ist Geschäftsgrundlage der Unterlassungserklärungen die gemeinsame - und nicht zum Vertragsbestandteil erhobene - Vorstellung der Parteien, dass die Wettbewerbswidrigkeit der Werbeanzeigen zumindest möglich und dass ihre Vorstellung von der Wettbewerbswidrigkeit nicht offensichtlich falsch ist. Sinn und Zweck von Unterlassungserklärungen ist es gerade, im Verhältnis der Parteien Rechtssicherheit zu schaffen und eine Wiederholungsgefahr zu beseitigen, ohne dass in jedem Fall des Verstoßes nicht nur - gegebenenfalls mit Hilfe des Gerichts - geprüft werden müsste, ob eine Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung vorliegt, sondern auch, ob diese überhaupt wirksam ist.

Dazu hat der Bundesgerichtshof im Urteil vom 26.09.1996- I ZR 194/95-(BGHZ 133, 331 = WRP 1997, 318, 320 = NJW 1997, 1706, 1707 = GRUR 1997, 386) ausgeführt:

... der Unterlassungsvertrag schafft eine abstrakte Unterlassungsverpflichtung, die in ihrem Bestand nicht davon abhängig ist, daß das fragliche Verhalten auch mit Hilfe eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs unterbunden werden könnte. Gerade in Fällen, in denen die Rechtslage unklar ist, dient der Unterlassungsvertrag einer kostengünstigen Streitbeilegung; dem Wesen eines solchen Vertrages widerspräche es, wenn der Schuldner seine vertragliche Unterlassungspflicht jederzeit mit dem Argument ausräumen könnte, das nach dem Vertrag untersagte Verhalten sei in Wirklichkeit nicht wettbewerbswidrig.

Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann nicht dazu benutzt werden, von einer Unterwerfung wieder loszukommen, die man inzwischen aufgrund besserer Rechtskenntnis bereut eingegangen zu sein (OLG Hamm, Urt. v. 23.05.1995 - 4 U 25/95, juris Nr.: KORE402429600).

a) Fehlen der Geschäftsgrundlage

Ein Fehlen der Geschäftsgrundlage muss verneint werden.

Dass die beanstandeten Werbungen jedenfalls bei Unterzeichnung der Unterlassungserklärungen nicht eindeutig wettbewerbsgemäß - und damit im Gegenteil möglicherweise wettbewerbswidrig - waren, folgt bereits daraus, dass man bei Heranziehung der Rechtsprechung des Landgerichts München I vom 19. Juli 1991 (Anlage 1 zur Klage) und des Oberlandesgerichts Stuttgart (Urteil vom 12.3.1993 - 2 U 250/92, WRP 1993, 628 und Urteil vom 18.2.1994 - 2 U 204/93, WRP 1994, 339) zu verschiedenen Ergebnissen käme. Welchem der genannten Urteile zu folgen wäre, braucht vom Senat an dieser Stelle nicht entschieden zu werden.

b) Fortfall der Geschäftsgrundlage

Darüber hinaus kommt aber auch ein späterer Wegfall der Geschäftsgrundlage infolge der Änderung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht in Betracht. Ausreichend für ein Fortbestehen der Geschäftsgrundlage ist bereits die Möglichkeit eines Verstoßes gegen § 3 UWG.

Es kann dabei vorliegend dahinstehen, ob die Änderung der Rechtsprechung zum Verbraucherleitbild eine derartig entscheidende Veränderung der äußeren Umstände darstellen kann, die zur Berufung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage überhaupt berechtigt; namentlich ob die Auflösung (oder Anpassung) des Vertrages zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweislich erscheint (vgl. BGH, Urt. v. 31. 5. 1990 - I ZR 233/88, GRUR 1990, 1005, 1007 - Salome I; Urt. v. 18. 1. 1996 - I ZR 65/94, GRUR 1996, 763, 764 - Salome II). Jedenfalls führt die Anwendung des neuen Maßstabs zum Verbraucherleitbild nicht dazu, dass die Werbeanzeigen der Beklagten eindeutig nicht mehr wettbewerbswidrig sind.

Entgegen der Auffassung der Beklagten dürfte sie mit ihren Werbeanzeigen gegen § 3 UWG verstoßen haben; die Anzeigen begründen die Gefahr der Irreführung der Verbraucher- auch bei Zugrundelegung der Kenntnisse eines verständigen Durchschnittsverbrauchers.

Zwar trifft es zu, dass die Werbebroschüren bei einem "durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher" nicht den Eindruck absoluter Umweltverträglichkeit erwecken. Dies lässt die Irreführungsgefahr der Werbeanzeigen jedoch nicht entfallen. Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es eine absolute Umweltverträglichkeit eines Produktes - ohne jede Restbelastung für die Umwelt - nicht gibt und der Begriff "umweltverträglich" vom Verbraucher auch nicht so verstanden wird (BGH, Urt. v. 05.12.1996 - I ZR 140/94, GRUR 1997, 666, 667 - "Umweltfreundliches Reinigungsmittel", m.w.N, vgl. auch Baumbach/Hefermehl § 1 UWG Rn. 180a).

Die Gefahr der Irreführung von Verbrauchern bei der Verwendung "umweltfreundlicher Werbeaussagen" wird statt dessen darin gesehen, dass die Verbraucher, obwohl sie wissen, dass das umworbene Produkt nur relativ umweltschonend ist, nicht wissen, in Bezug worauf diese Umweltschonung besteht und welche Nachteile gleichwohl mit der Nutzung des Produkts verbunden sind. Der Grund, weshalb an die Werbung mit Umweltschutzbegriffen strenge Anforderungen zu stellen und weitgehende Aufklärungspflichten gebunden sind, liegt darin, dass die Verbraucher die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen in diesem Bereich nicht kennen (BGH, Urt. v. 14.12.1995 - I ZR 213/93, NJW 1996, 1135, 1136 m.w.N; "Umweltfreundliches Bauen", BGH, Urt. v. 5.12.1996 - I ZR 140/94, GRUR 1997, 666, 668 - "Umweltfreundliches Reinigungsmittel"). Gerade der Begriff "umweltfreundlich" hat im Verständnis der Verbraucher keinen eindeutigen und klar umrissenen Begriffsinhalt; es bedarf deshalb grundsätzlich der konkreten Benennung des jeweiligen Umweltvorzugs bei der Verwendung dieses Begriffes, um eine Irreführung des Verbrauchers auszuschließen (BGH NJW 1996, 1135, 1136 - "Umweltfreundliches Bauen" , Urt. v. 14.12.1995 - I ZR 213/93 m.w.N.).

Von diesem Grundsatz der umfassenden Aufklärungspflicht hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit zwar vereinzelt Ausnahmen zugelassen, wenn dem Verbraucher das Ausmaß der durch das Produkt entstehenden Schäden bekannt war (BGH, Urt. v. 9.6.1994 - I ZR 116/92, GRUR 1994, 828, 829 - "Unipor-Ziegel", BGH, Urt. v. 5.12.1996 - I ZR 140/94, GRUR 1997, 666, 668 - "Umweltfreundliches Reinigungsmittel"). Die Aufklärungspflicht gilt danach für umweltbezogene Aussagen nicht mehr schlechthin und uneingeschränkt (BGH, Urt. v. 23.5.1996 - I ZR 76/94, NJW 1996, 3419, 3420 - "PVC-frei"). Bei konkreten Kenntnissen der Verbraucher vom Ausmaß der Umweltverträglichkeit des beworbenen Produktes kann sie vielmehr entfallen. Eine nur unbestimmte Vorstellung von der relativen Umweltverträglichkeit des Produktes reicht dafür allerdings nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.1991- 2 U 67/91, NJW-RR 1992, 678, 679; KG, Urt. v. 29.9.1992 - 5 U 5459/90, NJW-RR 1993, 943).

Bezogen auf die streitgegenständlichen Werbeanzeigen bedeutet dies, dass die Beklagte ihre Energiequellen nur dann als umweltfreundlich bewerben darf, wenn sie entweder über die konkreten Umweltvorzüge von Erdgas und Fernwärme aufklärt, oder wenn es als erwiesen angesehen werden kann, dass der verständige Durchschnittsverbraucher über das Ausmaß der Umweltverträglichkeit ausreichend informiert ist. Beide Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Die Beklagte gibt in keiner der Werbeanzeigen einen Grund für die Umweltverträglichkeit ihrer Energien an. Soweit die Beklagte in der ersten Werbeanzeige für Erdgas darauf verweist, dass das Erdgas den Nordseeerdgasfeldern entstamme, klärt sie nicht darüber auf, welcher Art die Umweltvorzüge von Erdgas sein sollen, nur weil es aus der Erde kommt. Vielmehr verschweigt die Beklagte sogar, dass beim Abbau und Transport von Erdgas Methan frei wird, welches für den Ozongehalt der Luft schädlich ist und damit den Treibhauseffekt fördert (vgl. LG München I, Urt. v. 19. Juli 1991, Anlage 1 zur Klage, S. 18; OLG Stuttgart, Urt. v. 12.03.1993 - 2 U 250/92, WRP 1993, 628, 630). Statt dessen beschreibt sie den Entstehungsprozess von Erdgas als Abbauprozess "organischer Substanzen", die mit Hilfe von Mikroorganismen unter Sauerstoffabschluss zu "Kohlen- und Wasserstoff" zersetzt wurden.

In ihrer zweiten Werbeanzeige stellt sie lediglich die Behauptung auf, Fernwärme sei umweltfreundlicher als Öl. Eine Erklärung darüber, weshalb Fernwärme angesichts der Tatsache, dass hier - so der weitere Text der Anzeige - Steinkohle und ebenfalls Öl zur Verbrennung genutzt werden, umweltfreundlicher als Heizöl sein soll, enthält diese Werbung jedoch nicht.

Dass die Verbraucher mittlerweile aufgrund anderer Medien konkrete Vorstellungen über die Art des Umweltvorzuges von Erdgas bzw. Fernwärme haben, ist nicht ersichtlich. Die Erwartungen der Verbraucher in das Ausmaß der Umweltverträglichkeit von Erdgas und Fernwärme müssten diesbezüglich einheitlich sein, um nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Irreführungsgefahr auszuschließen. Eine einheitliche Kenntnis über die durch die Energien bestehenden Restbelastungen der Umwelt existiert jedoch nicht.

Insbesondere ist nicht jedem Verbraucher bekannt, dass auch bei der Erdgasverbrennung erhebliche Emissionen an Kohlenstoff- und Schwefeldioxid verbleiben, die zwar insgesamt hinter denen des Heizöls zurückbleiben, aber dennoch eine erhebliche Umweltbelastung darstellen (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 12.03.1993 - 2 U 250/92, WRP 1993, 628, 630). Dass sich der Verbraucher hierüber im Klaren ist, ist insbesondere deshalb zweifelhaft, weil die Beklagte selbst in ihrer Werbung die Zusammensetzung von Erdgas verharmlost und lediglich Kohlen- und Wasserstoff als Basisgase erwähnt. Darüber hinaus setzt sie die Behauptung der Umweltverträglichkeit von Erdgas in ihrer ersten Werbeanzeige nicht einmal in Bezug zu Heizöl, wodurch die Irreführungsgefahr der Verbraucher über das Ausmaß der Umweltverträglichkeit von Erdgas noch erhöht wird.

Die Gefahr der Irreführung des Verbrauchers durch die zweite Werbeanzeige besteht vor allem darin, dass in der einzig fettgedruckten Passage des Textes für Fernwärme als umweltfreundlich gegenüber Heizöl geworben wird und erst in der nächsten Spalte - im Normaldruck - klar wird, welcher Energieträger bei Fernwärme überhaupt genutzt wird - nämlich hauptsächlich Steinkohle. Dabei unterlässt es die Beklagte, darüber aufzuklären, dass dieser Energieträger ebenfalls erhebliche Verbrennungsrückstände der gleichen Art wie Heizöl enthält. Die vermutlichen Vorteile der Kraft-Wärme-Kopplung werden nicht dargestellt.

Hinzu kommt, dass das Schaubild, welches auf der gleichen Seite abgebildet ist, den Verbraucher bei flüchtigem Hinsehen auf die Idee bringen könnte, Fernwärme werde mit Erdgasverbrennung hergestellt - so wie es ja auch der Kläger verstanden hat. Denn auf dem Schaubild wird Erdgas mit einem Anteil von 50% der leitungsgebundenen Energien angegeben und daneben Fernwärme mit 35%. Dass Erdgas zwar leitungsgebunden ist, aber nicht zur Fernwärme zählt, erschließt sich dem Betrachter nicht sofort. Da die Werbung eigentlich nur der Fernwärme gilt, könnte man erwarten, das Schaubild bezeichne die bei der Fernwärmeherstellung verwandten Energien. Dass ein solcher Irrtum möglich ist, zeigt jedenfalls das ursprüngliche Verständnis des Klägers von dieser Anzeige. Diese mögliche Gleichsetzung von Fernwärme mit Erdgas macht es erforderlich, bei Anzeigen der vorliegenden Art verstärkt darüber aufzuklären, in welchem Ausmaß bei der Benutzung von Fernwärme Emissionen auftreten und welche umweltbezogenen Vor- und Nachteile mit der Fernwärme verbunden sind.

Besteht danach zumindest die Möglichkeit der Wettbewerbswidrigkeit der Werbeanzeigen wegen Verstoßes gegen § 3 UWG weiterhin fort, so fehlt es an einem Wegfall der den Unterlassungserklärungen zugrunde gelegten Geschäftsgrundlage.

4. Weitere Unwirksamkeitsgründe für die Unterlassungserklärungen kommen nicht in Betracht.

Das Feststellungsbegehren des Klägers ist danach begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Absatz 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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