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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 28.11.2002
Aktenzeichen: 7 U 17/99
Rechtsgebiete: RVO, BGB, StVG, PflVG


Vorschriften:

RVO § 636
RVO § 637
RVO § 640
BGB § 831 I
BGB § 823 I
StVG § 7
PflVG § 3
Scheidet bei einem Unfall die Fortbewegungsfunktion des Autokrans völlig aus, kommt § 7 StVG nicht zur Anwendung.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

7 U 17/99

Verkündet am: 28. November 2002

Tatbestand:

Die Klägerin war gesetzlicher Unfallversicherer für I. , der durch einen Arbeitsunfall am 03. Mai 1994 tödlich verunglückte.

Am jenem Tag war der Beklagte zu 1. als Kranführer damit befasst, ein 13 Tonnen schweres Förderband in einer Kiesgrube zu installieren. Der Beklagte zu 1. ist angestellt bei der Beklagten zu 2., die Eigentümerin und Halterin des dabei verwendeten Autokrans ist. Der bei der Klägerin Versicherte, der tödlich verunglückte I. , war im Unfallzeitpunkt Mitarbeiter der Firma K.-Förderanlagen. Diese Firma hatte die Beklagte zu 2. mit der Durchführung von Kranarbeiten beauftragt. Dem Auftrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bundesfachgruppe Schwertransporte und Kranarbeiten (BSK) zugrunde. Diese lauten in Ziffer IV 2. Absatz: "Der Auftraggeber darf nach Auftragserteilung ohne unsere Zustimmung dem Personal keine Weisung geben, die von der vereinbarten Art und Weise der Durchführung des Auftrags und seinem vereinbarten Umfang abweichen."

Die Beklagte zu 3. ist Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 2. für deren Autokran. Bei Durchführung der erforderlichen Hebearbeiten in der Kiesgrube war der Autokran derart aufgebockt, dass seine Räder keinen Bodenkontakt mehr hatten.

Der Beklagte zu 1. ist 1982 als Kranfahrer bei der Beklagten zu 2. angelernt worden und seit dieser Zeit dort als Kranfahrer tätig. Eine Ausbildung zum Anschläger bzw. eine Einführung in den Aufgabenbereich als Anschläger ist dem Beklagten zu 1. nicht zuteil geworden.

Der Einsatz des Beklagten zu 1. in der Kiesgrube dauerte einige Tage. Der Beklagte zu 1. hatte dabei den Autokran zu bedienen. Die Anschlagarbeiten nahm ein Arbeitsteam der K.-Förderanlagen wahr. Die Anschlagmittel hatte der Beklagte zu 1. mitgebracht. Es handelte sich u.a. um Ketten und sog. Endlosnylonseile. Der Beklagte zu 1. hätte nach seiner Bekundung vor dem Senat am liebsten Ketten verwendet. Unter anderem wegen der Gefahr der Beschädigung der Verzinkung des Förderbandes hatte der Bauleiter jedoch angeordnet, vier Chemiefaserbänder in Endlosrundschlingenausführungen zu nehmen.

Dem Beklagten zu 1. war bekannt, dass die den Anschlägern von ihm überlassenen Chemiefaserbänder in der Ummantelung mehrfach durch Einschnitte beschädigt waren. Er hatte bereits neue Bänder bestellt.

Am Unfalltag musste das Förderband mit dem Kran angehoben werden, damit die von einem kleineren Kran gehaltene Stütze des Förderbandes montiert werden konnte. Während das Förderband an den Anschlagmitteln hing, wollte der Mitarbeiter I. der Firma K.-Förderanlagen darunter befindliche Sauerstoffflaschen zur Seite ziehen, wobei er gerade in diesem Moment vom abstürzenden Förderband tödlich verletzt wurde. Der tödlich Verletzte trug keinen Schutzhelm; er hinterließ eine Ehefrau mit fünf Kindern. Der Beklagte zu 1. wurde wegen fahrlässiger Tötung strafrechtlich verurteilt.

Die Klägerin begehrte Ersatz von an die Hinterbliebenen gezahlten Renten in Höhe von 557,22 DM.

Das Landgericht gab der Klage im beantragten Umfang statt. Hinsichtlich des Beklagten zu 1. hat es einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB aus fahrlässigem Verhalten hergeleitet, hinsichtlich des Beklagten zu 2. einen Schadensersatzanspruch aus § 531 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Beklagte zu 3. hafte aus den §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG.

Dagegen richtete sich die Berufung der Beklagten, mit der sie u.a. letztlich geltend machen:

Der Beklagte zu 1. sei privilegiert, da er im Betrieb des Auftraggebers der Beklagten zu 2. integriert gewesen sei. Grob fahrlässiges Verhalten nach § 640 RVO käme nicht in Betracht. Der Beklagte zu 1. sei nicht Verrichtungsgehilfe der Beklagten zu 2. gewesen. Die Beklagte zu 3. hafte nicht nach den §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG, da die Funktion des Mobilkrans als Arbeitsmaschine im Vordergrund gestanden habe.

Die Berufung führte zur vollständigen Klagabweisung.

Gründe:

Der Klägerin steht ein Anspruch gegen keinen der Beklagten zu.

Der Beklagte zu 1. kann das Haftungsprivileg der §§ 637, 636, 640 RVO in Anspruch nehmen und haftet der Klägerin nur bei grober Fahrlässigkeit; er hat jedoch dem tödlich verunglückten I. gegenüber nicht grob fahrlässig gehandelt.

Die genannten Normen finden Anwendung; der Versicherungsfall hat vor Inkrafttreten des 1.-9. Kapitels des SGB VII - gesetzliche Unfallversicherung - stattgefunden (§ 212 SGB VII) und aus den Folgevorschriften ergibt sich nichts anderes.

Der tödlich verunglückte I. arbeitete bei der Firma K.-Förderanlagen (dem Unfallbetrieb). Seine sowie die Arbeiten des Beklagten zu 1. dienten allein den Interessen der Firma K.-Förderanlagen. I. und der Beklagte zu 1. sind zum fraglichen Zeitpunkt als Arbeitnehmer in demselben Betrieb, der Firma K.-Förderanlagen tätig geworden.

Der Beklagte zu 1. war, solange er sich als Kranführer an den Montagearbeiten beteiligte, in den Betrieb der Firma K.-Förderanlagen eingegliedert. Er unterlag nämlich den Weisungen dieser Firma (als Unfallbetrieb). Der zwischen der Firma K.-Förderanlagen und der Beklagten zu 2. geschlossene "Auftrag" stellt sich rechtlich als kombinierter Miet- und Dienstverschaffungsvertrag dar. Die Tätigkeit des Beklagten zu 1. ist für die Zeit der Überlassung des Autokranes nebst Kranführer als sog. echtes Leiharbeitsverhältnis zu qualifizieren. Der Beklagte zu 1. unterstand während dieser Zeit allein den Weisungen der Firma K.-Förderanlagen. Das auf die Firma K.-Förderanlagen übergegangene Weisungsrecht war zwar beschränkt auf die Durchführung und den Umfang des Auftrages; in diesem Umfang ist der Beklagte zu 1. vorliegend aber auch nur tätig geworden und Weisungen der Firma K.-Förderanlagen haben diesen Rahmen nicht überschritten (vgl. auch OLG Koblenz, VersR 85, 205 f., KG VersR 1994, 117 ff., OLG Nürnberg, VersR 1994, 878 f., OLG Düsseldorf, VersR 1995, 319 f.).

Das Verhalten des Beklagten zu 1. im Zusammenhang mit dem tödlichen Unfall ist weder vorsätzlich noch grob fahrlässig. Der Sachverständige Dipl.-Ing. H. hat dem Senat in seinem schriftlichen Gutachten und seiner persönlichen Anhörung, die zu keinen anderen Erkenntnissen oder Bewertungen geführt hat, sowohl das objektive Unfallgeschehen als auch die Berufsbilder von Kranführern und Anschlägern überzeugend näher gebracht. Danach hat sich aufgrund der umfänglichen Untersuchungen des Sachverständigen herausgestellt, dass - anders als noch im Strafverfahren angenommen - die scharfe Durchtrennung der Anschlagmittel Absturzursache gewesen ist. Anschlagwinkel und Zugbelastung stehen eindeutig nicht im Vordergrund. Für die richtige Auswahl der Anschlagmittel und das richtige Anschlagen ist aber nicht der Kranführer, sondern sind die Anschläger verantwortlich, die Arbeitnehmer der Firma K.-Förderanlagen waren. Zwar überschneiden sich die Aufgaben eines Kranführers mit denen eines Anschlägers und ein Kranführer hat eine gewisse Überwachungs- und Kontrollpflicht bezüglich der Anschlagmethoden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass ein Kranführer dann, wenn die Last bereits am Ausleger hängt, nicht mehr die Möglichkeit hat, die Anschlagpunkte oder die Anordnung der Anschlagmittel im Gefahrenbereich, hier der scharfen Kanten der Unfallstreben direkt bzw. nochmals zu überprüfen, da er, sobald die Last am Haken hängt, das Kranführerhaus nicht mehr verlassen darf. Deshalb war nach Überzeugung des Senats das zeitlich verzögerte Einreißen der Chemiefaserendlosbänder (Endlosnylonseile) an den Kanten bzw. die sich daraus realisierende Gefahr entfernungsbedingt vom Beklagten zu 1. nicht zu erkennen. Ursächlich für den Unfall war nicht der Zustand der Chemiefaserendlosbänder bei Übergabe durch den Beklagten zu 1. an die Anschläger, sondern der Umstand, dass diese keinen zusätzlichen Kantenschutz beim Anschlagen verwendeten. Das folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen, der dies überzeugend und ausdrücklich als Unfallursache ausgeschlossen hat. Ein grob fahrlässiges Verhalten, d.h. eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in einem besonders schweren Maß ist beim Beklagten zu 1. bei seiner Tätigkeit am Unfalltag deshalb nicht zu erkennen.

Auch die Beklagte zu 2. haftet der Klägerin gegenüber nicht. Ein Anspruch aus § 831 Abs. 1 i.V. mit § 823 Abs. 1 BGB scheitert schon daran, dass der Beklagte zu 1. nicht Verrichtungsgehilfe des Beklagten zu 2. war, sondern der Firma K.-Förderanlagen. Verrichtungsgehilfe i.S. des § 831 Abs. 1 BGB ist nämlich, wer von den Weisungen seines Geschäftsherren abhängig ist, was der Fall ist, wenn der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann (BGH NJW 1966, 1807). Wie bereits oben ausgeführt, handelt es sich hier um einen kombinierten Miet- und Dienstverschaffungsvertrag, bei dem der Beklagte zu 1. in dem Betrieb der K.-Förderanlagen eingegliedert war (siehe auch OLG Koblenz, VersR 1985, 106 f.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 382 f.; BGH NJW-RR 1995, 659 ff.).

Für ein Auswahlverschulden der Beklagten zu 2) gibt es keine Anhaltspunkte.

Auch die Beklagte zu 3. haftet der Klägerin gegenüber nicht. Ein Anspruch aus den §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG kommt nicht in Frage. Bei dem Autokran handelt es sich um eine selbstfahrende Arbeitsmaschine. Bei den Arbeiten traten die Fahrzeugeigenschaften als Verkehrsmittel gegenüber der Verwendung als Arbeitsmaschine aber gänzlich zurück. Der Kran war nämlich ordnungsgemäß in Waage auf ausgefahrenem Schiebeholm auf ausreichend tragendem Untergrund aufgebaut. Die Abstützzylinder waren auf Holzbohlen soweit ausgefahren, dass die Achsenlast und die Räder keinen Bodenkontakt hatten. Auch bei wegen des weiten Schutzzweckes der Vorschrift gebotener weiter Auslegung des Merkmals "bei dem Betrieb" spielt hier die Fortbewegungsfunktion des Autokrans überhaupt keine Rolle mehr, es handelt sich um einen reinen Arbeitseinsatz einer Arbeitsmaschine (siehe auch BGH NJW 1975, 1886 ff.; BGH NJW 1988, 3019 ff.).

Ende der Entscheidung

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