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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 16.11.2004
Aktenzeichen: 8 UF 101/04
Rechtsgebiete: BGB, SGB III


Vorschriften:

BGB § 1578 Abs. 1 S. 1
SGB III § 190
SGB III § 194 Abs. 1 Nr. 2
Bezieht ein Unterhaltsschuldner wegen der Einkünfte des neues Ehegatten gekürzte Arbeitslosenhilfe nach §§ 190, 194 I Nr. 2 SGB III, so mit im Verhältnis zum geschiedenen Ehegatten weiter auf die ungekürzte Arbeitslosenhilfe abzustellen.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil Im Namen des Volkes

8 UF 101/04

Verkündet am: 16. Nov. 2004

hat der 1. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 2. November 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Norderstedt vom 6. April 2004 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der von den Parteien am 4. März 2003 geschlossene Vergleich (18 UF 245/02 OLG Celle) wird dahin abgeändert, dass der Kläger ab August 2003 nur noch verpflichtet ist, monatlichen nachehelichen Unterhalt von 299 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten tragen der Kläger zu 6/7 und die Beklagte zu 1/7.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Ihre im Jahre 1970 geschlossene Ehe wurde im Jahre 1999 geschieden. Der Kläger ist wieder verheiratet. Die Beklagte bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, der Kläger ist seit Juli 2003 arbeitslos.

Am 4. März 2003 schlossen die Parteien vor dem OLG Celle (18 UF 245/02) einen Vergleich, in welchem sich der Kläger zur Zahlung nachehelichen Unterhalts von monatlich 380 € ab April 2003 verpflichtete. Zur Ermittlung dieses Betrages nahmen die Parteien unter Ziffer 3 auf:

"3. Grundlage für den laufenden Unterhalt ist das derzeitige Arbeitslosengeld des Beklagten in Höhe von monatlich 1356,58 € sowie ein monatlicher Betrag in Höhe von rund 333 €, der aus der bis einschließlich Oktober 2006 umgelegten als noch vorhanden angesehenen Abfindung aus September 2001 sich rechnerisch ergibt.

Bei der Klägerin ist die Rente mit 920,83 € eingesetzt. Der Unterhaltsanspruch berechnet sich mit der Hälfte der Differenz der beiderseitigen Einkünfte."

Ende Juli 2003 lief das Arbeitslosengeld des Klägers aus. Dieser bezieht seither eine wöchentliche Arbeitslosenhilfe von 152,11 €. Die sich rechnerisch ergebende ungekürzte Arbeitslosenhilfe von wöchentlich 275,80 € ist im Hinblick auf Einkünfte der jetzigen Ehefrau von monatlich 1848,21 €, die nach §§ 190, 194 Abs. 1 Nr. 2 SGB III berücksichtigt worden sind, um 123,69 € gekürzt worden.

Seit Juli 2003 wird der Beklagten eine Rente von monatlich 930,44 € ausgezahlt.

Der Kläger hat die Herabsetzung des Unterhalts ab August 2003 auf 32,04 € monatlich beantragt und dazu vorgetragen, es sei lediglich die tatsächlich bezogene Arbeitslosenhilfe für die Unterhaltsberechnung heranzuziehen, weil sonst die jetzige Ehefrau mittelbar zum Unterhalt der Beklagten herangezogen würde. Bei Abschluss des Vergleiches sei bekannt gewesen, dass der Kläger nur eine gekürzte Arbeitslosenhilfe erhalten werde. Einkünfte aus Haushaltsführung seien ihm nicht zuzurechnen, weil die Eheleute die anfallenden Arbeiten je zur Hälfte erledigten.

Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger müsse sich im Umfang der Kürzung seiner Arbeitslosenhilfe ersparte Aufwendungen wegen des Zusammenlebens und Zusammenwirtschaftens in einer Wohnung anrechnen lassen. Außerdem habe sich der Kläger nicht ausreichend um eine neue Arbeitsstelle bemüht.

Das Familiengericht hat den zu zahlenden Unterhalt auf monatlich 303,65 € herabgesetzt und dabei die ungekürzte Arbeitslosenhilfe von monatlich 1195,13 €, die umgelegte Abfindung mit monatlich 333 € und eine eigene Rente der Beklagten von 920,83 € zugrunde gelegt. Die Beklagte müsse die Kürzung der Arbeitslosenhilfe nicht gegen sich gelten lassen, diese betreffe lediglich das Verhältnis des Klägers zu seiner Ehefrau und dem Arbeitsamt.

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen die rechtliche Bewertung des Familiengerichts und trägt dazu vor, es sei schon bei Vergleichsabschluss klar gewesen, dass er nur eine gekürzte Arbeitslosenhilfe erhalten werde. Das Familiengericht operiere rechtsfehlerhaft mit fiktiven Leistungen und übersehe, dass die jetzige Ehefrau nicht verpflichtet sei, die Beklagte mittelbar zu unterhalten. Die neue Ehe dürfe ihm nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2003, 3466 ff.) nicht zum Nachteil ausgelegt werden.

Er beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass der Kläger in Abänderung der Ziffer 2 (nachehelicher Unterhalt) des vor dem Oberlandesgericht Celle am 4. 3. 2003 zum Aktenzeichen 18 UF 245/02 geschlossenen Vergleich lediglich verpflichtet ist, ab dem 1. August 2003 monatlich im Voraus 32,04 € nachehelichen Unterhalt an die Beklagte zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, die Argumentation des Klägers zur Voraussicht einer gekürzten Arbeitslosenhilfe führe zur Unschlüssigkeit der Abänderungsklage, weil dann keine neuen Tatsachen vorlägen. Die Kürzung der Arbeitslosenhilfe erfolge unter dem Gesichtspunkt eines teilweise gedeckten Bedarfs und betreffe damit nur das Verhältnis der beiden Eheleute. Aus der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könne nicht gefolgert werden, dass Nachteile aus der neuen Ehe zulasten der geschiedenen Ehefrau gehen sollten. Aus § 1582 BGB werde vielmehr der Schluss zu ziehen sein, dass die geschiedene Ehefrau solche Nachteile nicht zu tragen habe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist weitgehend unbegründet.

1. Die Abänderung eines Unterhaltsvergleichs erfolgt vorrangig nach den zur Störung der Geschäftsgrundlage entwickelten und nunmehr in § 313 BGB zusammengefassten Grundsätzen durch Anpassung des Vertragswerks an die veränderten Umstände. Im Streitfall lässt sich indes dem Wortlaut der gerichtlichen Vereinbarung vom 4. März 2003 kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, wie die Parteien sich eine Unterhaltsermittlung für den Fall vorgestellt haben oder hätten vorgestellt haben können, dass der Kläger nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes eine mit Rücksicht auf die neue Ehe gekürzte Arbeitslosenhilfe bezieht. Aus den im Vergleich genannten Grundlagen der getroffenen Vereinbarung ist lediglich zu ersehen, dass die Parteien den gesetzlichen Unterhalt konkretisieren, also keine von gesetzlichen oder höchstrichterlichen Vorgaben abweichende Sonderregelung treffen wollten. Der Vergleich ist daher in dem Umfang zu ändern, in welchem der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Beklagten ab August 2003 von der vereinbarten Unterhaltsrente abweicht.

2. Der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Beklagten wird weder im Hinblick auf deren Bedarf (dazu unter a) noch bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Klägers (dazu unter b) von der Kürzung der Arbeitslosenhilfe berührt.

a) Die ehelichen Lebensverhältnisse, die nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB das Maß des Unterhalts bestimmen, richten sich zwar grundsätzlich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung (BGH in ständiger Rechtsprechung, z. B. NJW 1988, 2034 ff.), schreiben aber nicht für alle Zukunft einen unabänderlichen wirtschaftlichen Rahmen fest, sondern lassen aus nachehelicher Solidarität Raum für eine Teilhabe an verbesserten Verhältnissen und ein Mittragen von Verschlechterungen der wirtschaftlichen Situation, soweit beides auch bei Fortbestand der Ehe deren wirtschaftliche Basis betroffen hätte. Unverschuldete Arbeitslosigkeit eines Unterhaltsschuldners und dessen schließlich auf Arbeitslosenhilfe gesunkene Einkünfte beeinflussen danach bereits das Maß des Unterhalts, jedoch nur insoweit, als ein Ehebezug vorliegt. Die Kürzung der Arbeitslosenhilfe nach §§ 190, 194 Abs. 1 Nr. 2 SGB III wegen der Einkünfte des neuen Ehegatten beruhen dagegen auf einem Umstand, den der Kläger durch eigene Entscheidung ohne jeglichen Bezug zu den ehelichen Verhältnissen der Parteien herbeigeführt hat und der deshalb auch in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen den Bedarf der Beklagten nicht beeinflusst. Dieser ist vielmehr nach der ungekürzten Arbeitslosenhilfe zu ermitteln.

b) Die (Teil-)Versorgung des Klägers durch den von seinem jetzigen Ehegatten nach §§ 1360, 1360a BGB zu leistenden Unterhalt erhöht seine Leistungsfähigkeit, weil sein Selbstbehalt weitgehend gedeckt ist (vgl. für den Fall des Kindesunterhalts BGH NJW 2002, 1646 ff., wo der BGH ausführt, dass der Unterhaltsanspruch eines wieder verheirateten Unterhaltsschuldners gegen seinen neuen Ehepartner nicht erst im Rahmen einer erweiterten Leistungspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen sei, sondern schon bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Rahmen des § 1603 Abs. 1 BGB und dass sich die Wiederverheiratung durchaus zum Vorteil eines erstehelichen Kindes auswirken könne; für den Fall des Elternunterhalts BGH NJW 2004, 674 ff. und 677 ff.). Die Berechnung des Arbeitsamts Buchholz, das den Kürzungsbetrag nach einem Einkommen der neuen Ehefrau von monatlich 1848,21 € netto ermittelt hat, ist vom Kläger nicht beanstandet worden, so dass von Einkünften seiner jetzigen Frau in dieser Höhe auszugehen ist und damit fest steht, dass er seinen Bedarf nicht nur aus eigenem Einkommen decken muss, sondern auch wirtschaftliche Unterstützung von seiner jetzigen Ehefrau beanspruchen darf. Diese wird entgegen der Auffassung des Klägers damit nicht zu Unterhaltsleistungen an die Beklagte herangezogen, denn über den nach §§ 1360, 1360a BGB hinausgehenden Unterhalt muss sie den Kläger nicht unterstützen. Ein möglicher eheinterner Ausgleich des Betrages, den der Kläger an die Beklagte zahlt, durch die zweite Ehefrau würde eine freiwillige Leistung an den Kläger, nicht aber an die Beklagte darstellen (vgl. dazu BGH NJW 2004, 674 ff. (676)).

c) Die Bemessung des Unterhalts nach der ungekürzten Arbeitslosenhilfe führt entgegen der Einschätzung des Klägers nicht zu unbilligen Ergebnissen, wie ein Vergleich mit jenen Fällen zeigt, in denen der Kläger ohne Wiederverheiratung oder bei Einkommenslosigkeit seiner jetzigen Ehefrau in Anspruch genommen würde: In beiden gedachten Fällen wäre seine wirtschaftliche Situation deutlich schlechter, als sie es tatsächlich ist, gleichwohl müsste er nach einer ungekürzten Arbeitslosenhilfe Unterhalt zahlen. Zu bedenken ist schließlich auch, dass die unter sozialhilferechtlichen Erwägungen erfolgte Kürzung der Arbeitslosenhilfe in erheblichem Umfang durch den Steuervorteil der zweiten Ehefrau, den diese durch die Verheiratung erlangt, ausgeglichen wird.

3. Die Höhe des Unterhaltsanspruches der Beklagten aus § 1572 BGB ab August 2003 ist gegenüber der Berechnung des Familiengerichts geringfügig zu korrigieren, weil die Beklagte seit Juli 2003 eine Rente von monatlich 930,44 € (nicht bloß 920,83 €) bezieht.

Der Unterhaltsanspruch beträgt ab August 2003 somit nur noch

Arbeitslosenhilfe

 4,33 x 275,80 € =1194,21 €
Abfindung, umgelegt333,00 €
Rente der Beklagten- 930,44 €
 596,77 €
: 2 =298,38 €,
gerundet299,00 €.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 und 2, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.



Ende der Entscheidung

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