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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 06.04.2004
Aktenzeichen: 8 UF 254/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1570
BGB § 1572 Nr. 1
BGB § 1573 I
BGB § 1573 II
BGB § 1573 IV
Zum Verhältnis von Unterhalt wegen Krankheit und Aufstockungsunterhalt, wenn nicht hinreichend substantiiert dazu vorgetragen worden ist, dass im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden konnte.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

8 UF 254/03

In der Familiensache (nachehelicher Unterhalt)

hat der 1. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Lübeck vom 22. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Parteien waren miteinander verheiratet. Aus ihrer am 16. August 1968 geschlossenen Ehe ist die Tochter A., geboren am 19. März 1970, hervorgegangen. Die Ehe ist am 15. August 1986 geschieden worden (57 F 103/85 AG Lübeck). Zum Zeitpunkt der Ehescheidung war die am 25. Februar 1942 geborene Klägerin arbeitslos gemeldet nachdem sie im Zeitraum von 1978 bis 1982 versicherungspflichtig gearbeitet hatte. Sie hat die gemeinsame Tochter bis zu deren Volljährigkeit betreut. Nach Ehescheidung zahlte der Beklagte an die Klägerin Ehegatten- und Kindesunterhalt von monatlich 778 DM.

Die Klägerin arbeitete von Oktober 1989 bis Januar 1990 halbtags bei der Kurverwaltung T.. In ein festes Arbeitsverhältnis ist sie wegen vorhandener gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht übernommen worden. Von Februar 1990 bis Mai 1991 war sie bei der Firma M. Kaufhaus GmbH ganztags als Vertretung für eine im Erziehungsurlaub befindliche Kollegin erwerbstätig. Im Sommer 1990 stelle der Beklagte seine Unterhaltszahlungen an die Klägerin ein. Ab Februar 1993 arbeitete die Klägerin halbtags beim Bestattungsinstitut S.. Dieses Arbeitsverhältnis wurde zum 31. Dezember 2001 gekündigt. Danach bezog die Klägerin Arbeitslosengeld, im Jahre 2003 zusätzlich im versicherungsfreien Bereich Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit bei dem Beerdigungsinstitut J.. Ab 1. Mai 2004 bezieht sie eine Altersrente für Frauen von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.

Der Beklagte ist seit den 70er Jahren bei dem Reinigungsunternehmen B. in Lübeck beschäftigt und war dort zuletzt Prokurist. Im Jahre 2001 erhielt er wegen verschiedener Verstöße gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag insgesamt fünf Abmahnungen. Aufgrund eines Abänderungsvertrages hat er seine Tätigkeit ab August 2002 auf die Hälfte reduziert.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin von dem Beklagten nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 419,10 € ab Januar 2002 verlangt. Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Das Familiengericht hat ihn verurteilt, ab Januar 2002 monatlich 419 € und ab 1. August 2002 monatlich 331 € zu zahlen. Die weitergehende Klage ist abgewiesen worden. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit seiner Berufung macht der Beklagte geltend, für einen Unterhaltsanspruch bestehe keine Anspruchsgrundlage. Die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die sie an einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert hätten, würden bestritten. Es sei davon auszugehen, dass ihr Unterhalt durch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit nachhaltig gesichert sei. Es sei eine zeitliche Begrenzung gemäß § 1573 Abs. 5 BGB vorzunehmen. Die Klägerin habe Unterhaltsansprüche verwirkt, weil sie im Jahre 1990 Einkommen verschwiegen habe.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Berufung. Sie trägt vor, dass sie derzeit nur einen Teilbetrag verlange und dass ihre krankheitsbedingt eingeschränkte Erwerbsfähigkeit bereits im Zeitpunkt der Scheidung angelegt gewesen sei. Sie habe in jedem Falle einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt, in Zukunft auch auf Altersunterhalt. Seit 1990 habe sie von dem Beklagten keinen Unterhalt mehr bekommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien im Termin vom 6. April 2004 gehört.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Familiengericht hat ihn im Ergebnis zu Recht zur Zahlung nachehelichen Unterhalts an die Klägerin verurteilt.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Unterhaltsanspruch nach § 1573 Abs. 1 BGB (Basisunterhalt) und nach § 1573 Abs. 2 BGB (Aufstockungsunterhalt).

1. Nach § 1573 Abs. 2 kann ein geschiedener Ehegatte, dessen Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zum vollen Unterhalt nicht ausreichen (§ 1578) den Unterschiedsbetrag zwischen den Einkünften und dem vollen Unterhalt verlangen, soweit er nicht bereits einen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 hat. Letzteres ist nicht der Fall. Denn im Zeitpunkt der Scheidung der Parteien war die Klägerin wegen des Alters der gemeinsamen Tochter nicht mehr an einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert. Soweit sie geltend macht, dass schon im Zeitpunkt der Scheidung ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1572 Nr. 1 BGB wegen Krankheit teilweise bestanden habe, reichen ihr Vortrag und die dazu vorgelegten Unterlagen nicht aus. Zwar sind die von ihr geltend gemachten degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule nicht erst in den letzten Jahren aufgetreten, sondern schon im Jahre 1988 Anlass zu einer ärztlichen Untersuchung gewesen. Aus dem von der Klägerin nunmehr vorgelegten Schreiben des Facharztes für Orthopädie Dr. H. vom 4. Februar 2004 ergibt sich überdies, dass bereits im Jahre 1979 eine Erstbehandlung wegen dieser degenerativen Veränderungen stattgefunden hat. Gleichwohl lässt sich daraus nicht schließen, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung aus gesundheitlichen Gründen an einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert war. Dagegen spricht auch der Umstand, dass sie in den Jahren 1990/91 immerhin 15 Monate vollschichtig bei der Firma M. gearbeitet hat. Es ist deswegen davon auszugehen, dass die Klägerin auch in der Folgezeit eine vollschichtige Erwerbstätigkeit hätte ausüben können, so dass bei der Berechnung des Aufstockungsunterhalts, der der Erhaltung des ehelichen Lebensstandards dient, auf ihrer Seite ein Einkommen aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen ist. Da das Einkommen des Beklagten in jedem Falle wesentlich höher ist, besteht der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2, für den es keinen Einsatzzeitpunkt gibt. Das gilt auch dann, wenn man ein Einkommen der Klägerin aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit als nachhaltig gesichert ansehen würde. Denn ausgehend von ihrem Nettoverdienst aus halbschichtiger Erwerbstätigkeit bei der Firma S. in Höhe von zuletzt 779 € monatlich würde sich daraus ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 1300 € bei vollschichtiger Tätigkeit errechnen. Da das Einkommen des Beklagten im Jahre 2002 bis Juli monatlich 2832 € netto betragen hat, errechnet sich bis zu diesem Zeitpunkt ein Quotenunterhalt, der deutlich über dem ausgeurteilten Betrag von 419 € liegt. In der Zeit danach ist der Aufstockungsunterhalt allerdings geringer, wenn man das tatsächlich erzielte Einkommen des Beklagten zugrunde legt, nämlich 1641 € monatlich netto ab August 2002 und 1769 € monatlich ab Januar 2003.

2. Da der Klägerin gegen den Beklagten aber auch ein Anspruch auf Basisunterhalt gemäß § 1573 Abs. 1 BGB zusteht, kann sie in jedem Falle die ausgeurteilten Beträge von ihm verlangen. Nach dieser Vorschrift kann ein geschiedener Ehegatte, der keinen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 BGB hat, gleichwohl Unterhalt verlangen, solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag. Diese Voraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Wie bereits ausgeführt hat die Klägerin keine Unterhaltsansprüche nach den §§ 1570 ff. BGB. Die Klägerin hat nach der Scheidung der Ehe der Parteien zunächst keine Erwerbstätigkeit gefunden, so dass der Beklagte an sie nachehelichen Unterhalt gezahlt hat. Nachdem sie zunächst bei der Stadt Lübeck eine halbschichtige Tätigkeit aufgenommen hat, die sie nach kurzer Zeit aus gesundheitlichen Gründen beenden musste, hat sie lediglich für einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr eine vollschichtige Tätigkeit bei der Firma M. gefunden. Diese Tätigkeit musste sie aus Gründen beenden, die ihr nicht vorzuwerfen sind. Eine nachhaltige Unterhaltssicherung aufgrund dieser Tätigkeit gemäß § 1573 Abs. 4 BGB ist schon deswegen nicht eingetreten, weil die Tätigkeit befristet war. Lediglich aufgrund der danach ausgeübten langjährigen halbschichtigen Tätigkeit bei der Firma S. kann eine nachhaltige Unterhaltssicherung in diesem Umfange angenommen werden, dagegen keine nachhaltige Sicherung aufgrund der Zurechnung fiktiven Einkommens aus einer vollschichtigen Tätigkeit. Zur Zurechnung eines solchen Einkommens bestand auch deswegen kein Anlass, weil die Klägerin den Beklagten für die Zeit ab 1990 nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen hat, obwohl ihr durchgängig ein Anspruch gemäß § 1573 Abs. 2 BGB in einer die ausgeurteilten Beträge übersteigenden Höhe zugestanden hätte. Unter diesen Umständen kann der Beklagte ihr nicht den Vorwurf machen, sie habe sich im Rahmen ihrer Erwerbsobliegenheit nicht um eine Vollzeittätigkeit bemüht, zumal da sein Einkommen inzwischen auch wegen pflichtwidrigen Verhaltens auf das Niveau einer halbschichtigen Tätigkeit reduziert worden ist. Wegen dieser besonderen Fallkonstellation ist die Klägerin deswegen nicht gehindert, nach Wegfall ihres Arbeitsplatzes von dem Beklagten nunmehr Basisunterhalt gemäß § 1573 Abs. 1 BGB zu verlangen. Da ihr Einkommen inzwischen deutlich niedriger ist als das zuletzt bei der Firma S. erzielte Einkommen aus einer halbschichtigen Tätigkeit ist ihr im Wege der Differenzmethode zu ermittelnder Unterhalt in jedem Falle so hoch wie die ausgeurteilten Beträge, auch wenn man für die Zeit ab August 2002 das reduzierte Einkommen des Beklagten zugrunde legt.

3. Eine zeitliche Befristung der Unterhaltsansprüche der Klägerin nach § 1573 BGB gemäß Abs. 4 dieser Vorschrift kommt wegen der Dauer der Ehe und der Betreuung der gemeinsamen Tochter durch die Klägerin nicht in Betracht. Schon bei einer Ehedauer von mehr als 10 Jahren ist die zeitliche Begrenzung eine Ausnahme (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 63. Auflage, § 1573 Rdnr. 33). Im vorliegenden Falle hat die Ehe der Parteien bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages 17 Jahre gedauert, rechnet man Kinderbetreuungszeiten hinzu sind es etwa 20 Jahre.

4. Für die Zeit ab Rentenbezug hat die Klägerin gegen den Beklagten auch einen Anspruch auf Altersunterhalt gemäß § 1571 Nr. 3 BGB, weil nunmehr eine Erwerbstätigkeit aus Altersgründen nicht mehr in Betracht kommt und somit die Anspruchsvoraussetzungen des § 1573 BGB entfallen sind.

5. Unterhaltsansprüche der Klägerin sind nicht gemäß § 1579 Nr. 4 verwirkt. Unstreitig ist, dass sie ihre Einkünfte bei der Firma M. dem Beklagten zunächst nicht offenbart hat. Selbst wenn man dies Verhalten als mutwilliges Hinwegsetzen über schwerwiegende Vermögensinteressen des Beklagten ansehen würde, ist zu bedenken, dass die Klägerin damals nur eine vorübergehende Beschäftigung gefunden hatte und dass seitdem ein langer Zeitraum verstrichen ist, in dem der Beklagte überhaupt keinen Unterhalt an sie zahlen musste, obwohl ein Anspruch der Klägerin bestand. Eine Inanspruchnahme des Beklagten ist dann nicht als grob unbillig anzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO ist nicht geboten, weil es sich um die Entscheidung eines besonders gelagerten Einzelfalls handelt.

Ende der Entscheidung

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