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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 26.02.2001
Aktenzeichen: VA (Not) 10/00
Rechtsgebiete: GG, BNotO, AVNot Schl.-H.


Vorschriften:

GG Art. 3
GG Art. 6
BNot0 § 6 Abs. 2
BNot0 § 6 Abs. 3
AVNot Schl.-H. § 5
AVNot Schl.-H. § 6
Die behördliche Mitteilung an den Mitbewerber einer ausgeschriebenen Notarstelle, seine Bestellung sei in Aussicht genommen, stellt einen begünstigenden Verwaltungsakt dar.

SchlHOLG, Senat für Notarsachen, Beschluss vom 26. Januar 2001, - VA (Not) 10/00 - n.rkr.


Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb drei Notarstellen im Bezirk des Amtsgerichts X. aus. Um diese drei Stellen bewarben sich fünf Rechtsanwälte, darunter der Antragsteller und die weitere Beteiligte. Der Antragsgegner ermittelte für den Antragsteller 70,95 Punkte und für die anderen Bewerber 117,70 Punkte, 75,20 Punkte sowie 68,00 Punkte. Für die weitere Beteiligte wurden 76,70 Punkte ermittelt, zugleich aber wurde aber festgestellt, daß diese die Regelwartezeit nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO nicht erfüllt habe. Tatsächlich war die weitere Beteiligte zu diesem Zeitpunkt erst 4 Jahre, 10 Monate und 20 Tage zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Die weitere Beteiligte hatte schon in ihrem Antrag mitgeteilt, sie habe im Dezember 1987 ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Schwangerschaft zurückgegeben. 1988 und 1993 seien ihre Kinder geboren worden, die sie von Geburt an betreut habe, seit 1994 alleinerziehend. Eine Tätigkeit als Rechtsanwältin habe sie erst Mitte 1995 wieder aufnehmen können. Zuvor sei ihr dies wegen mangelnder Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder nicht möglich gewesen.

Der Antragsgegner hat zwischenzeitlich mit Urkunde vom 23. Juni 2000 die beiden Rechtsanwälte zum Notar bestellt, für die 117,70 bzw. 75,20 Punkte ermittelt worden waren. Die dritte Notarstelle ist noch nicht besetzt.

Mit Erlaß vom 3. Mai 2000 teilte der Antragsgegner der weiteren Beteiligten mit, ihrer Bewerbung um eine der drei ausgeschriebenen Notarstellen könne nicht entsprochen werden. Sie habe die Mindestzeit nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO nicht erfüllt. Eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf diese Regelwartezeit könne aus Rechtsgründen nicht erfolgen. Mit Erlaß vom gleichen Tage teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, daß seine Bestellung zum Notar in Aussicht genommen sei. Er - der Antragsgegner - habe den Bewerbern, die bei der Besetzung der ausgeschriebenen Stellen nicht berücksichtigt werden sollten, einen rechtsmittelfähigen Bescheid zugestellt. Vor weiteren Schritten würde zunächst die Rechtsmittelfrist abgewartet.

In den folgenden Tagen kündigte die weitere Beteiligte gegenüber dem Antragsgegner an, sie sähe sich gezwungen, fristwahrend einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid vom 3. Mai 2000 zu stellen, falls dieser nicht vor Eintritt der Bestandskraft aufgehoben werde. Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller und der weiteren Beteiligten daraufhin mit, er habe den Erlaß vom 3. Mai 2000, mit dem die Bewerbung der weiteren Beteiligten um die Notarstelle abgelehnt worden sei, aufgehoben und sei in eine erneute Prüfung der Bewerbung eingetreten.

Mit Erlaß vom 23. Oktober 2000 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Bestellung zum Notar ab. Zugleich hob er den Erlaß vom 3. Mai 2000, mit dem dem Antragsteller in Aussicht gestellt war, ihn zum Notar zu ernennen, auf. Zur Begründung führte der Antragsgegner an, der Antragsteller stehe in Bezug auf die dritte noch freie Notarstelle in Konkurrenz mit der weiteren Beteiligten, wobei das Gesetz hier ein Auswahlverfahren nach § 6 Abs. 3 BNotO i. V.m. den §§ 6 ff der AVNot vorsehe. Die weitere Beteiligte habe in Anwendung dieser Vorschriften einen höherenPunktwert erreicht. Allerdings erfülle sie die Zugangsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO nicht ganz, weil sie zum Ablauf des Zeitpunkts der Bewerbungsfrist lediglich 4 Jahre, 10 Monate und 20 Tage zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei. Die Vorschrift ziehe aber hinsichtlich der genannten Frist keine absolute Grenze, sondern lasse in Ausnahmefällen auch eine Unterschreitung vor. Bei der hiernach vorzunehmenden Ermessensausübung gehe es nun nicht um die Frage, ob zugunsten der weiteren Beteiligten Kindererziehungszeiten anzurechnen seien. Zu entscheiden sei vielmehr, ob wegen der Gründe, die zur Fristunterschreitung geführt hätten, ein Ausnahmetatbestand im Sinne von § 6 Abs. 2 BNotO anzuerkennen sei. Diese Rechtsfrage sei zu bejahen. Denn die Rechtsanwältin erfülle die Jahresfrist nur deshalb nicht, weil sie ihrem an ihrem früheren Wohnort gerade eingeschulten Sohn habe ermöglichen wollen, das erste Schuljahr dort abzuschließen. Dieser Grund sei im Hinblick auf Art. 6 GG ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, daß die 5-Jahresfrist nur relativ geringfügig verfehlt worden sei. Art. 6 GG verpflichte aber den Staat, dafür Sorge zu tragen, daß aus der Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben keine beruflichen Nachteile erwüchsen. Dieser verfassungsrechtliche Aspekt sei mit dem durch § 6 BNotO geschützten Rechtsgut, das Amt der Notarin bzw. des Notars im Interesse der Rechtspflege nur an qualifizierte Bewerber zu vergeben, abzuwägen. Für diesen Abwägungsprozeß sei auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle in Nds. Rechtspfleger 2000, 11 f hinzuweisen.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei dem Senat für Notarsachen mit dem Ziel eingereicht, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn zum Notar zu bestellen. Der Antrag hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

....Der angefochtene Bescheid verletzt den Antragsteller in seinen Rechten, weil er rechtswidrig ist.

Der angegriffene Bescheid vom 22. Oktober 2000 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner mit diesem Bescheid den vorausgegangenen, an den Antragsteller gerichteten und ihn begünstigenden Bescheid vom 3. Mai 2000 ohne Rechtsgrundlage aufgehoben hat. Mit diesem Bescheid hatte der Antragsgegner dem Antragsteller als Ergebnis der Auswahlentscheidung um die offene Notarstelle mitgeteilt, daß er die Bestellung des Antragstellers zum Notar in Aussicht genommen habe. Dem entsprach der am gleichen Tag an die weitere Beteiligte erlassene Bescheid, worin der weiteren Beteiligten eröffnet wurde, ihrer Bewerbung um eine der ausgeschriebenen Notarstellen könne nicht entsprochen werden. Der Antragsgegner hätte den den Antragsteller begünstigenden Bescheid nicht aufheben dürfen, weil er rechtmäßig war und die Voraussetzungen für einen ausnahmsweisen Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes - als solcher stellt sich auch der an den Antragsteller gerichtete Erlaß vom 3. Mai 2000 dar - nicht vorlagen.

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Antragsgegners handelt es sich bei Mitteilung an den Antragsteller mit Erlaß vom 3. Mai 2000, seine Bestellung zum Notar sei in Aussicht genommen, nicht um eine unverbindliche Absichtserklärung des Antragsgegners, sondern vielmehr um einen begünstigenden Verwaltungsakt, mit der die zuvor verwaltungsintern getroffene Auswahlentscheidung des Antragsgegners dem Antragsteller gegenüber nach außen hin festgestellt und fixiert worden ist. Dieser Erlaß war das Gegenstück zu dem an die weitere Beteiligte gerichtete und ausdrücklich mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Mitteilung, ihrer Bewerbung könne nicht entsprochen werden. Enthält aber diese Mitteilung an die Beteiligte auch nach Auffassung des Antragsgegners eine belastende Regelung, so entspricht dem, daß der Antragsgegner mit der positiven Mitteilung an den ausgewählten Bewerber seine Auswahlentscheidung auch diesem gegenüber mit feststellender Wirkung nach außen hin fixiert und damit insoweit eine begünstigende Regelung getroffen hat.

Lag deshalb in der Mitteilung an den Antragsteller vom 3. Mai 2000 ein begünstigender Verwaltungsakt, so durfte der Antragsgegner ihn nicht aufheben, weil er rechtmäßig war und die Voraussetzungen für einen ausnahmsweisen Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach den hier entsprechend anzuwendenden Grundsätzen des § 117 Abs. 2 LVwG nicht vorliegen.

Die dem Antragsteller mit Erlaß vom 3. Mai 2000 mitgeteilte positive Auswahlentscheidung war schon deshalb rechtmäßig, weil einerseits der Antragsteller die Voraussetzungen für die Bestellung zum Notar nach § 6 Abs. 1 und 2 Bundesnotarordnung (BNotO) und § 5 der Allgemeinen Verfügung über die Angelegenheiten der Notarinnen und Notare (AVNot, SchlHA 1994, S. 115) erfüllte - dies zieht auch der Antragsgegner nicht in Zweifel - und andererseits die Voraussetzungen für einen Einbezug der weiteren Beteiligten in das Auswahlverfahren zwischen mehreren Bewerbern nach § 6 Abs. 3 BNotO und § 6 AVNot nicht vorlagen. Unter den vier weiteren Bewerbern auf die ausgeschriebenen 3 Notarstellen nahm der Antragsteller aber im Rahmen des Verfahrens nach § 6 Abs. 3 BNotO und § 6 AVNot die dritte Stelle ein, so daß seiner Bewerbung zu entsprechen war.

Zu Unrecht ist der Antragsgegner in dem angegriffenen Bescheid vom 23. Oktober 2000 davon ausgegangen, die weitere Beteiligte sei in eine Auswahlentscheidung mit dem Antragsteller nach § 6 Abs. 3 BNotO einzubeziehen. Tatsächlich durfte der Antragsgegner die weitere Beteiligte nicht in dieses Auswahlverfahren einbeziehen, wie er dies zunächst auch zutreffend mit seinen an die weitere Beteiligte gerichteten ablehnenden Bescheid vom 3. Mai 2000 gesehen hatte. Denn die Beteiligte erfüllte zum Stichtag die Regelvoraussetzung nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO nicht. Ein Ermessen des Antragsgegners, von der Einhaltung dieser Regelvoraussetzung hier abzusehen, ist im vorliegenden Fall nicht eröffnet.

Gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO soll in der Regel als Notar nur bestellt werden, wer bei Ablauf der Bewerbungsfrist mindestens fünf Jahre zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist. Zu diesem Zeitpunkt - dem 31. Juli 1999 - war die weitere Beteiligte lediglich 4 Jahre, 10 Monate und 20 Tage zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, so daß ihr zur Erfüllung der Regelwartezeit noch 1 Monat und 10 Tage fehlten.

Allerdings eröffnet die genannte Vorschrift mit der Formulierung "soll in der Regel" der Landesjustizverwaltung ein gebundenes, begrenztes Ermessen, im Einzelfall von der Einhaltung dieser Regelvoraussetzung abzusehen. Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise dieses Ermessen eröffnet ist, sind hier jedoch nicht gegeben. Der Antragsgegner hat die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens verkannt, als er - wie in dem angegriffenen Bescheid ausgeführt - zugunsten der weiteren Beteiligten von der Einhaltung der Regelwartezeit abgesehen und sie in das Auswahlverfahren nach § 6 Abs. 3 BNotO einbezogen hat.

Von der Einhaltung der Regelwartezeit kann nämlich nur dann abgesehen werden und ist mithin auch nur dann ein Ermessen für die Justizverwaltung überhaupt eröffnet, wenn der Zweck der Vorschrift auch ohne Einhaltung der Wartezeit erreicht wird (BGH DNotZ 1997, 900 f und NJW-RR 1998, 1281). Die allgemeine Wartezeit des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO soll nach der Absicht des Gesetzgebers sicherstellen, daß dem Zugang zum Notarberuf, der nämlich Vertrautheit mit der Praxis der Rechtsbesorgung und deren organisatorische Bewältigung sowie Sicherheit im Umgang mit dem rechtsuchenden Bürger und durch Erfahrung vermitteltes Verständnis für deren Anliegen verlangt, eine hinreichende Zeit praktischer Einführung in die Rechtsbesorgung vorausgeht (BT-Drs. 11/6007, S. 10). Der Gesetzgeber hat sich dabei für einen typisierten Eignungsnachweis durch eine schematisch-starre Zeitregelung entschieden, der für alle Bewerber gleichmäßige Bedingungen schaffen soll, es deshalb aber zugleich mit sich bringt, daß eine Ausnahme von dieser Regelvoraussetzung auf seltene Ausnahmefälle beschränkt bleiben muß (BGH NJW-RR 1998, 1281 und BGH, Beschluß vom 31. Juli 2000, NotZ 4/00, Umdruck S. 5).

Angesichts des genannten Gesetzeszweckes ist anerkannt, daß eine Abkürzung der Regelwartezeit im Wege einer Ermessensentscheidung dann ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn der Bewerber die regelmäßig durch eine fünfjährige anwaltliche Tätigkeit nachzuweisende praktische Erfahrung so offensichtlich in anderer Weise gewonnen hat, daß sich die Verweisung auf die Wartezeit für jeden vernünftigen Betrachter als ein sinnloses Beharren auf Formalien darstellen würde (BGH DNotZ 1997, 900, 901). Ein solcher besonderer Fall liegt hier hinsichtlich der weiteren Beteiligten ersichtlich nicht vor. Das hat der Antragsgegner zutreffend in seinem ursprünglichen ablehnenden Bescheid an die weitere Beteiligte vom 3. Mai 2000 ausgeführt. Der typisierte Maßstab durch eine im Grundsatz schematisch - starre Wartezeitenregelung liegt nicht zuletzt auch im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtspraktikabilität und erfordert dann aber auf der anderen Seite, daß eine Ausnahme nicht allein schon deshalb zugelassen wird, weil an diesen vorgegebenen 5 Jahren - wie hier - nur eine geringe Zeit von ca. 6 Wochen fehlt. Die Eignung der weiteren Beteiligten liegt angesichts außergewöhnlicher Umstände hier trotz dieser geringen Fehlzeit nicht auf der Hand. Dies gilt selbst dann, wenn außer acht gelassen wird, daß auf die tatsächliche Zulassungszeit von 4 Jahren, 10 Monaten und 20 Tage ca. 10 Monate bereits in das Jahr 1987 entfallen, denen dann aber vor der erneuten Zulassung am 11. Juli 1995 ein Unterbrechungszeitraum von immerhin 7 1/2 Jahren folgte.

Vor dem Hintergrund des genannten Gesetzeszweckes, der in besonderem Maße auf die Wahrung der Bedürfnisse der rechtsuchenden Bevölkerung abzielt, ist des weiteren als mögliche, das Ermessen der Justizverwaltung eröffnende Ausnahme von dem Regelfall der Erfüllung der fünfjährigen Wartezeit anerkannt, wenn ohne die Bestellung des Bewerbers eine ausreichende Versorgung der rechtsuchenden Bevölkerung mit notariellen Leistungen nicht sichergestellt wäre (BGH DNotZ 97, 900 f, 905). Dieser Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor, weil sich auch ohne Berücksichtigung der Beigeladenen um die ausgeschriebenen drei Notarstellen vier weitere qualifizierte Bewerber beworben haben.

Schließlich ist ein das Ermessen der Justizverwaltung für ein Absehen von der fünfjährigen Regelwartezeit eröffnender Ausnahmefall auch dann anerkannt, wenn ein außergewöhnliches, besonders gestaltetes schweres Einzelschicksal aus Gerechtigkeitsgründen ein Abweichen von dieser Regelwartezeit erforderlich erscheinen läßt. Für diesen Fall hat die Rechtsprechung jedoch vor dem Hintergrund des Gesetzeszweckes einschränkend ausgeführt, daß dann zusätzlich im Wege einer individuellen Einzelfallprüfung festgestellt werden muß, ob der Bewerber die erforderliche Vertrautheit mit der Praxis der Rechtsbesorgung und Sicherheit im Umgang mit der rechtsuchenden Bevölkerung auf andere Weise erworben hat und also über die notwendige fachliche Eignung verfügt (BGH DNotZ 1997, 900 f und BGH NJW-RR 1998, 1281 sowie Füßer, Anwaltsblatt 2000, 406, 408, dort 1. Sp. 2. Abs.). Im vorliegenden Fall fehlt es - wie der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt hat - bereits an einem außergewöhnlichen Sachverhalt, auch kann hier die Eignung der weiteren Beteiligten nicht anhand anderer Besonderheiten individuell und abweichend von der Erfüllung der Regelwartezeit festgestellt werden.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners erfordert eine verfassungs- bzw. europarechtskonforme Auslegung von § 6 Abs. 2 Ziff. 1 BNotO nicht, das Ermessen der Justizverwaltung zum Absehen von der Regelwartezeit unter Hinwegsetzen über den Gesetzeszweck auch für einen Fall wie den vorliegenden zu eröffnen, wo die Bewerberin mit Rücksicht auf die Belange der von ihr betreuten Kinder erst verzögert in die Berufstätigkeit zurückgekehrt ist und die Regelwartezeit zum Stichtag deshalb nicht vollständig erfüllt hat. Ein Verstoß gegen die Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 1 GG liegt nämlich nicht vor, soweit eine Regelung zwar mittelbar zu einer Ungleichbehandlung führen kann, dies jedoch durch einleuchtende, objektive Sachgründe gerechtfertigt ist, weil es um die Sicherung anderer gleichstehender Belange von verfassungsrechtlichem Rang geht (BVerfGE 78, 128, 130; Jarras/Pieroth, GG, 4. Aufl. 1997, Art. 6 Rn. 11; vgl. auch EuGH NZA 1997, 1221, 1222 unter TZ 19 und 20).

Mit der Wartefrist verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, zum Beruf des Notars im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung nur solche Bewerber zuzulassen, die auch mit der Praxis der Bewältigung von fremden Rechtsangelegenheiten und dem Umgang mit dem rechtsuchenden Bürger vertraut sind. Dem Notar sind im Rahmen der von ihm zu bewerkstelligenden Vertragsgestaltung wesentliche Güter des Rechtsuchenden anvertraut, deren sachgerechte Erledigung durch qualifizierte Amtsinhaber ein wesentliches Element der Rechtsicherheit im Rechtsstaat darstellt. Angesichts der erheblichen Schwierigkeit, die Eignung im Einzelfall konkret-individuell festzustellen, ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber sich entschieden hat, die notwendige Eignung als Voraussetzung für den Zugang zum Notarberuf durch ein typisiertes und zugleich schematisch-starres Element, nämlich die fünfjährige Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sicherzustellen.

Vor dem Hintergrund dieses Belanges ist es gerechtfertigt, wenn im Einzelfall auch von einer Bewerberin die vollständige Fristerfüllung verlangt wird, obgleich sie durch familiäre Rücksicht an einer früheren (erneuten) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gehindert war, wenn der Gesetzeszweck nicht auf andere Weise sichergestellt ist. Da der Gesetzgeber mit der Wartezeitregelung seinerseits Belange von verfassungsrechtlichem Gewicht verfolgt, ist das Ermessen der Justizverwaltung für ein ausnahmsweises Absehen von der Regelwartezeit nicht bereits dann eröffnet, wenn eine Bewerberin wie hier durch Rücksichtnahme auf ein schulpflichtiges Kind - das nämlich vor dem Umzug an dem für die Ausübung des Anwaltsberufes bereits vorgesehenen Ort noch das begonnene Schuljahr am alten Wohnort abschließen soll - gehindert war, die Regelwartezeit zu erfüllen. Denn darin liegt kein außergewöhnlicher Sachverhalt, bei dem die Abkürzung der Regelwartezeit aus Gerechtigkeitsgründen zwingend erscheint. Aus ihm ergibt sich insbesondere kein Hinweis auf eine auf andere Weise erworbene und individuell feststellbare Eignung zum Notarberuf.

Abweichendes läßt sich auch nicht dem vom Antragsgegner im angegriffenen Bescheid herangezogenen Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 30. August 1999 (Nds.RPfl. 2000, 11f) entnehmen. Dieser Beschluss betraf die örtliche Wartefrist in § 6 Abs. 2 Ziff. 2 BNotO, die von der dortigen Bewerberin in zeitlicher Hinsicht mehr als erfüllt war - vier statt drei Jahre -. Sie konnte wegen einer Kindererziehungszeit lediglich das Erfordernis der ununterbrochenen Zulassung nicht einhalten. Das Oberlandesgericht Celle hat in dieser Kindererziehungszeit zwar einen besonderen Umstand gesehen, jedoch zusätzlich gerade positiv festgestellt, dass jene Bewerberin aus den dortigen Einzelfallumständen trotz der Unterbrechung die Gewähr bot, mit den örtlichen Verhältnissen und organisatorischen Voraussetzungen hinreichend vertraut zu sein, so dass der Zweck der örtlichen Wartezeit anderweitig sichergestellt sei ( zur Notwendigkeit dieser Feststellung auch und gerade bei Vorliegen eines Härtefalles s. auch BGH, Beschluß vom 31. Juli 2000, NotZ 4/00, Umdruck S. 7/8).

War nach alledem das Ermessen für den Antragsgegner nicht eröffnet, hier zugunsten der weiteren Beteiligten von der Erfüllung der fünfjährigen Regelwartezeit abzusehen, so erfüllte die weitere Beteiligte bereits nicht die erforderlichen Voraussetzungen, um in eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren geeigneten Bewerbern nach § 6 Abs. 3 BNotO einbezogen zu werden. Allein rechtmäßig war vielmehr die ursprüngliche Entscheidung des Antragsgegners gemäß seinen Erlassen vom 3. Mai 2000, nämlich die Ablehnung der Bewerbung der weiteren Beteiligten und die beabsichtigte Bestellung des Antragstellers zum Notar.

Der Senat stellt klar, daß der Antragsteller mit seinem Begehren auch dann erfolgreich wäre, wenn mit der vom Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung davon ausgegangen werden müßte, daß seine Mitteilung an den Antragsteller vom 3. Mai 2000 nur eine unverbindliche Absichtserklärung war und kein begünstigender Verwaltungsakt. Denn dann wäre die Ablehnung des Antragstellers wegen der vorrangigen Berücksichtigung der weiteren Beteiligten, wie dies der Antragsgegner dem Antragsteller mit dem angefochtenen Bescheid mitgeteilt hat, ebenfalls rechtswidrig, weil ein Ermessen für den Antragsgegner nicht eröffnet war und er die weitere Beteiligte in die Auswahl zwischen mehreren geeigneten Bewerbern nach § 6 Abs. 3 BNotO nicht einbeziehen durfte. Auch dann war der Antragsgegner vielmehr verpflichtet, den Antragsteller zum Notar zu bestellen...



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