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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 28.10.2002
Aktenzeichen: 1 Ss 304/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 331 Abs. 1
Eine vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption am 20. August 1997 zwischen einem Amtsträger und einem Vorteilsgeber vereinbarte Vorteilsannahme zugunsten eines Dritten bleibt auch nach neuem Recht straflos, wenn der später angenommene Vorteil nach Umfang und Zeitdauer seiner Gewährung von vorneherein genau festgelegt war.
Geschäftsnummer: 1 Ss 304/02

Im Namen des Volkes Urteil

In der Strafsache

wegen Vorteilsannahme

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart in der Sitzung vom 28. Oktober 2002, an der teilgenommen haben

Vors. Richter am OLG

- als Vorsitzender -

Richter am OLG

Richter am LG

- als beisitzende Richter -

Staatsanwältin - GL -

- als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft -

Rechtsanwalt

- als Verteidiger -

Justizsekretärin

- als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle -

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16. April 2002 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er habe als vom Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart entsandter Aufsichtsrat der Stuttgarter Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mit beschränkter Haftung (SW) von der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) für die Jahre 1998 und 1999 Jahresfreifahrtscheine für seine Ehefrau entgegengenommen und damit jeweils ein Vergehen der Vorteilsannahme begangen.

Das Amtsgericht Stuttgart hatte den Angeklagten wegen zwei Vergehen der Vorteilsannahme zu der Gesamtstrafe von 30 Tagessätzen zu je 200,00 DM, insgesamt also zu 6000,00 DM Geldstrafe verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat ihn das Landgericht Stuttgart mit dem jetzt von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteil vom 16. April 2002 aus Rechtsgründen freigesprochen.

Es hat festgestellt:

Der Angeklagte war in der Wahlperiode 1994 bis 1999 Mitglied des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart. In dieser Funktion wurde er 1994 in den Aufsichtsrat der SW gewählt; mit dem Ende dieser Wahlperiode schied er 1999 aus dem Aufsichtsrat aus. Gegenstand der SVV ist u.a. der öffentliche Nahverkehr; Alleingesellschafter ist die Landeshauptstadt Stuttgart, Vorstandsvorsitzender deren Oberbürgermeister. Der beruflich als Rechtsanwalt (Fachgebiete Verwaltungsrecht und Strafrecht) tätige Angeklagte erhielt für seine Tätigkeit als Aufsichtsrat vierteljährlich 500,00 DM Aufwandsentschädigung, Sitzungsgeld von ... 200,00 DM pro Sitzung sowie Aufwendungsersatz bei Reisen des Aufsichtsrats.

Jedenfalls bis einschließlich 1999 bestand bei der SSB die seit 1976 praktizierte Übung, auch den Aufsichtsräten der SVV Jahresfreifahrtscheine zu gewähren, die zu kostenlosen Fahrten mit den SSB - eigenen Verkehrsmitteln berechtigten. Erklärtes Ziel dieser sogenannten Marketingmaßnahme zugunsten der Aufsichtsräte war es, diese Entscheidungsträger an die Materie Öffentlicher Personennahverkehr heranzuführen, sie praktisch mit diesem Thema zu konfrontieren und so ihr Verständnis für den Öffentlichen Personennahverkehr zu fördern. Während den Gemeinderäten üblicherweise jeweils ein solcher Jahresfreifahrtschein zur Verfügung gestellt wurde, bot die SW ihren Aufsichtsräten zwei kostenlose Fahrtausweise - für den Aufsichtsrat und für dessen Ehefrau - an. Dies geschah in der Weise, dass die Zeugin W. vom Vorstandsbüro der SSB die neugewählten Mitglieder anschrieb, ihnen mitteilte, dass sie zu Freifahrten berechtigt seien und sie zur Vorlage von Passbildern aufforderte, damit für den jeweiligen Mandatsträger und dessen Ehefrau als "Freikarten" bezeichnete Lichtbildausweise hergestellt werden könnten. Diese "Freikarten" schickte sie dann nebst der Jahreswertmarke für das betreffende Jahr an den beziehungsweise die Berechtigten. Den Inhabern dieser Freikarten sandte sie regelmäßig und "automatisch", ohne dass es dazu deren Mitwirkung bedurft hätte, bis zum Ende ihres Mandats gegen Jahresende die Wertmarken für das nächste Jahr zu. Dies entsprach dem Willen des Vorstands der SSB.

Nach seiner Wahl in den Gemeinderat und in den Aufsichtsrat der SW im Jahr 1994 sandte der Angeklagte nach dem üblichen Angebot durch die SSB ein Passbild von sich und seiner Ehefrau an die Zeugin W., die ihm im November 1994 zwei "Freikarten" mit Wertmarken für 1994 zukommen ließ. Da bezüglich der Aufsichtsratstätigkeit des Angeklagten bis zum Ende der Wahlperiode 1994/1999 keine Änderungen eintraten, stellte ihm die Zeugin W. "automatisch" für jedes folgende Jahr zwei Wertmarken zur Verfügung, darunter auch für die Jahre 1998 (interner Wert 1.355,40 DM) und 1999 (interner Wert 1.398,60 DM). Auch dem Angeklagten ist es nach Überzeugung der Strafkammer von Anfang an klar gewesen, dass er bis zum Ende seines Mandats als Aufsichtsrat diese Wertmarken erhalten sollte, sofern zwischenzeitlich keine Veränderungen eingetreten sein würden.

II.

Die ausschließlich auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet. Zu Recht ist das Landgericht auf der Grundlage seiner Feststellungen zu der Auffassung gelangt, durch die Entgegennahme der für 1998 und 1999 gewährten Freifahrtscheine für seine Ehefrau habe der Angeklagte einen Vorteil mit Drittbegünstigung im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB n.F. angenommen; er könne jedoch deswegen nicht bestraft werden, weil die zugrundeliegende "Unrechtsvereinbarung" bereits im Jahr 1994 getroffen worden sei, als die Vorteilsannahme für einen Dritten noch nicht unter Strafe gestellt war, und weil die Höhe des Vorteils schon damals genau bestimmt gewesen sei.

1. Nach § 331 Abs. 1 StGB in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 (BGBl. I S. 2038) am 20. August 1997 gültigen Fassung wurde derjenige Amtsträger mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe bestraft, der für sich einen Vorteil dafür annahm, dass er eine (bestimmte) Diensthandlung künftig vornehme. Durch § 331 Abs. 1 StGB in der Fassung des Korruptionsbekämpfungsgesetzes wurde der Tatbestand dahin erweitert, dass der Vorteil nur noch für die Dienstausübung, also für irgendeine dienstliche Tätigkeit des Amtsträgers, von diesem für sich oder einen Dritten angenommen worden sein müsse (vgl. Bauer/ Gmel in LK, StGB, 11. Auflage, Nachtrag § 331 Rdnr. 12); zugleich wurde die Strafdrohung auf 3 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe erhöht. Damit ist auf Vergehen der Vorteilsannahme, die tatbestandlich auch nur partiell vor dem 20. August 1997 begangen wurden, nach § 2 Abs. 1 StGB das alte Recht anzuwenden, weil das neue Recht insoweit nicht milder im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB ist. Bei unteilbarem tatbestandsmäßigem Verhalten, das teils vor und teils nach der Gesetzesänderung liegt, bleibt der Täter nach dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 Abs. 1 StGB) ganz straffrei. Denn weder die nachträgliche Anwendung einer neuen Strafnorm auf bislang straffreies Verhalten noch dessen nachträgliche Einbeziehung in einen bereits bestehenden Straftatbestand ist rechtsstaatlich zulässig (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2001, 654 mit weiteren Nachweisen).

2. Eine wegen der bis zum 19. August 1997 geltenden Gesetzeslage noch straflose Vorteilsannahme in Form der Drittbegünstigung liegt dann vor, wenn die Grundvereinbarung zwischen dem Angeklagten und der SSB aus dem Jahre 1994 den in Teilleistungen zu gewährenden, der Ehefrau des Angeklagten zufließenden Vorteil bereits nach Umfang und Zeitdauer so genau festgelegt hat, dass der Gesamtvorteil bereits als verabredet angesehen werden musste. Das ist nach den Urteilfeststellungen der Fall.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu §§ 331 f. StGB liegt eine Vorteilsannahme in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit vor, wenn die Entlohnung auf eine Grundvereinbarung zurückgeht, die den zu gewährenden Vorteil insgesamt genau festlegt, auch wenn er letztlich in Teilleistungen zu erbringen ist. Anders ist die Rechtslage dann zu beurteilen, wenn die zu gewährende Entlohnung von der zukünftigen Entwicklung abhängt, insbesondere wenn die Vorteilsgewährung "Open - end - Charakter" trägt (vgl. BGHSt 41, 292, 302; BGH NStZ - RR 1998, 269; BGH NStZ - RR 1996, 354).

Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die dem Angeklagten im Jahre 1994 für seine Ehefrau versprochenen Vorteile in Form von jährlichen Freifahrtscheinen trügen "Open - end - Charakter", trifft nach den Urteilsfeststellungen nicht zu. Danach sollte innerhalb der von 1994 bis 1999 dauernden Amtsperiode des Angeklagten als Gemeinderat und Aufsichtsrat der SW gerade nicht jährlich neu entschieden werden, ob dem Angeklagten für seine Ehefrau auch für das Folgejahr ein Freifahrtschein zur Verfügung gestellt werde. Für den genannten Zeitraum war dies vielmehr zwischen der SW und dem Angeklagten von Anfang an beschlossene Sache; die Zusendung der neuen Jahreswertmarke erfolgte "automatisch", d. h. ohne eine erneute Abrede. Die Leistung war auch von Anfang an umfangmäßig bestimmt, da die SW für die Freifahrtscheine den jeweiligen internen Jahreswert verbuchte, auch wenn dieser im Laufe der Jahre aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung leicht anstieg. Auch zeitlich war die Vorteilsannahme nach der Abrede der Beteiligten, die auf den von der SSB beschlossenen Vorgaben beruhte, auf die Zeit des fünfjährigen Mandats des Angeklagten als Gemeinderat und Aufsichtsratsmitglied begrenzt. Der Umfang des Vorteils stand also bereits zum Zeitpunkt der Grundvereinbarung fest.

3. Vergeblich versucht die Beschwerdeführerin, aus den bei allen auf eine gewisse Zeit angelegten Teilleistungsverhältnissen naturgemäß bestehenden Unwägbarkeiten einen "Open - end - Charakter" der Vorteilsgewährung abzuleiten. Es ist selbstverständlich, dass sich das für fünf Jahre festgelegte Gemeinde- und Aufsichtsratsmandat des Angeklagten (§ 30 Abs. 1 bw GO) im Falle seines Rücktritts als Aufsichtsrat oder als Gemeinderat, im Falle einer krankheitsbedingten Amtsunfähigkeit oder bei Wegzug aus der Stadt Stuttgart unvorhergesehen verkürzen konnte und dass damit auch die "Bezugsberechtigung" des Angeklagten für die Freifahrtscheine seiner Ehefrau entfallen würde. Gerade diese leistungsbeendenden Unwägbarkeiten hatte die Zeugin W. in einer Liste ständig zu erfassen und darauf beruhende Änderungen der "Bezugsberechtigung", die auf dem vorgegebenen Leistungsschema der SSB beruhten, von deren Vorstandsvorsitzenden genehmigen zu lassen. Die Beschwerdeführerin wird den Feststellungen des Landgerichts nicht gerecht, wenn sie meint, die SSB habe für jedes Jahr neu entschieden, ob eine Jahreswertmarke übersandt werde; denn neue Entscheidungen wurden vom Vorstandsvorsitzenden der SSB nur bei Veränderungen getroffen (UA S. 5,8). Für den Fall der Wiederwahl des Angeklagten wäre allerdings eine neue Grundvereinbarung erforderlich geworden; hierzu kam es jedoch nicht mehr, weil der Angeklagte im Februar 2000 die (abgelaufenen) Jahresfreikarten seiner Ehefrau an die SSB zurücksandte.

Die Möglichkeit, dass die Vorstände von SSB und SW bei der jährlichen Genehmigung der "Listen für die Jahreswertmarken" für die laufenden "Marketingmaßnahmen" neue Zuwendungskriterien aufstellten und so die "Bezugsberechtigung" des Angeklagten entfallen ließen, bezeichnet die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht als "zumindest theoretisch". Hierfür bietet das Urteil keine tatsächlichen Anhaltspunkte.

Der Sinn und Zweck des Straftatbestandes der Vorteilsannahme fordert keine andere Auslegung. Die Bestechungstatbestände der §§ 331 f. StGB schützen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sachgerechtigkeit und "Nicht - Käuflichkeit" dienstlichen Handelns, also in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (vgl. BGH NJW 2002, 2801; Tröndle/ Fischer, StGB, 50. Auflage, § 331 Rdnr. 14). Dieses Vertrauen wird empfindlich gestört, gleichgültig, ob der Amtsträger den Gesamtvorteil in Form einer Drittbegünstigung aufgrund einer einzigen Grundvereinbarung in Teilleistungen annimmt oder ob er diesen vereinbarten Gesamtvorteil aufgrund eines unvorhergesehenen Wegfalls seiner "Berechtigung" nicht in vollem Umfang erhält.

Das von der Generalstaatsanwaltschaft herangezogene Beispiel des Zustands- oder Dauerdelikts ist bei der Vorteilsannahme nicht tauglich. Es trifft zwar zu, dass bei solchen Delikten der Teil der Tat, der nach Inkrafttreten eines neuen, strafbegründenden Gesetzes begangen wird, als Straftat erfasst wird (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 50. Auflage, § 2 Rdnr. 3; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 2 Rdnr. 15). Das ändert jedoch nichts daran, dass bei der Vorteilsannahme die Grundvereinbarung und die Annahme des Vorteils als zwei Akte des selben Delikts zeitlich auseinanderfallen können. Ist - wie hier bei der Vorteilsannahme mit Drittbegünstigung - die Grundvereinbarung zum Zeitpunkt ihres Abschlusses noch straflos gewesen, so bleibt auch die nach ihrer Pönalisierung erfolgte Annahme von zuvor vereinbarten Vorteilen ohne strafrechtliche Folgen.

Ende der Entscheidung

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