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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 05.04.2001
Aktenzeichen: 1 U 2/01
Rechtsgebiete: BGB, HaftPflG, VwVfG, 26. BlmSchV


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
BGB § 906
HaftPflG § 2
VwVfG § 74
VwVfG § 75
26. BlmSchV § 3
Leitsatz:

1. Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff auf Schutzmaßnahmen gegen elektromagnetische Felder besteht nach der Elektrifzierung einer Eisenbahnstrecke nicht, wenn für die Elektrifizierung ein Planfeststellungsbeschluß erlassen und rechtsbeständig geworden ist.

2. Der Schadensersatzanspruch nach § 2 HaftPflG setzt eine Substanzbeeinträchtigung voraus. Für reine Nutzungsbeeinträchtigungen - hier Bildverzerrungen auf Computermonitoren durch elektromagnetische Felder - besteht keine Haftung.


Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 1 U 2/01 2 O 2852198 LG Heilbronn

Verkündet am: 5.4.2001

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - Klante - Justizobersekretärin

In Sachen

wegen Ford.

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

der Vorsitzenden Richterin am OLG Rabbow-Geiß der Richterin am OLG Dr. Sulzberger-Schmitt und des Richters am OLG Dr. Drescher

auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 29. September 2000 - 2 O 2852/98 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Klägers: 47.992,00 DM

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb von der Deutschen Bundesbahn ein Grundstück an einer nichtelektrifzierten Bahnstrecke und richtete dort einen Grafikbetrieb ein. Aufgrund eines rechtsbeständigen Planfeststellungsbeschlusses wurde die Strecke 1995 elektrifiziert. Das elektromagnetische Feld der Oberleitung führt auf den Computermonitoren, die der Kläger in seinem Betrieb benutzt, zu Bildverzerrungen. Mit der Klage verlangt er die Kosten für den Austausch der gewöhnlichen Computermonitore gegen TFT-Computermonitore, die für elektromagnetische Felder unempfindlich sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

- gemäß § 543 Abs. 1 ZPO ohne Tatbestand -

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten für störungsfreie Computermonitore.

1. Schadensersatzansprüche nach § 823 BGB hat der Kläger nicht. Die Eigentumsbeeinträchtigung, die in der Wirkung der elektromagnetischen Felder auf die Computermonitore des Klägers liegt, ist nicht rechtswidrig, weil der Kläger zu ihrer Duldung verpflichtet ist. Nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG sind Ansprüche der von einem Vorhaben Betroffenem auf Beseitigung oder Änderung der Anlage oder auf Unterlassung der Benutzung ausgeschlossen, wenn ein Planfeststellungsbeschluß rechtsbeständig ist. Damit muß der Betroffene die Anlage dulden und eine Eigentumsbeeinträchtigung durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch ist nicht rechtswidrig (Soergel-Zeuner, BGB, 12. Aufl. § 823 Rn. 36; Kopp/Ramsauer VwVfG 7. Aufl. § 75 Rn. 10). Das Eisenbahn-Bundesamt hat für die Elektrifizierung der Strecke am 26.08.1994 einen Planfeststellungsbeschluß erlassen, der rechtsbeständig wurde. Zu den Beeinträchtigungen an den Computermonitoren des Klägers kommt es durch den Strom für die Oberleitung und damit durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Schienenwegs.

2. Ansprüche nach §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der 26. BlmschV bestehen nicht. Die 26. BlmSchV ist Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB (Jarass, BlmSchG 4. Aufl. § 23 Rn. 34) nur für Gesundheitsschäden und nicht für Eigentumsbeeinträchtigungen. Sie regelt nur die Einwirkung elektromagnetischer Felder auf Personen, nicht auf Sachen (BVerwG NVWZ 2000, 68). Die darin festgelegten Grenzwerte sind auch nicht überschritten. Die Belastung auf dem Grundstück des Klägers beträgt 2 uT (2000 nanoT). Für elektromagnetische Einwirkungen liegen die Grenzwerte im Anhang 2 zu § 3 der 26. BlmSchV bei 300 uT.

3. Auch Schadensersatzansprüche nach dem Haftpflichtgesetz bestehen nicht.

a) Der Anspruch nach § 1 HaftPflG setzt einen Unfall voraus. Dauerbeeinträchtigungen durch Immissionen fallen nicht darunter (Filthaut, HaftPflG, 5. Aufl., § 1 HaftPflG Rn. 126a).

b) Auch ein Anspruch nach § 2 HaftPflG (Wirkungshaftung) besteht nicht. Einen Unfall setzt § 2 HaftPflG nicht voraus, so daß Immissionen unter § 2 HaftPflG fallen können (Filthaut, § 2 Rn. 48). Die Einwirkung von elektromagnetischen Feldern ist eine Wirkung der Elektrizität, die § 2 HaftPflG voraussetzt. Die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Monitore ist aber keine Beschädigung einer Sache, wie sie § 2 Abs. 1 HaftPflG verlangt, weil die Sachsubstanz nicht beeinträchtigt wird (RGZ 133, 342 zur Vorgängervorschrift von § 1 HaftPflG, § 25 des preußischen Gesetzes über Eisenbahnunternehmen vom 03.11.1838). Soweit ein Sachschaden darin gesehen wird, daß eine Sache ihrem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen wird (Filthaut, HaftPflG, 5. Aufl. § 1 Rn. 132), wird der Unterschied zu einer Eigentumsverletzung verwischt (Geiget-Rixecker, Der Haftpflichtprozeß, 22. Aufl. Kap. 2 Rn. 9).

4. Ansprüche nach § 906 BGB hat der Kläger nicht. Immission im Sinn von § 906 BGB ist auch die elektromagnetische Strahlung (BVerfG NJW 1997, 2509: LG München NJW-RR 1997, 465). Der Anspruch ist aber ausgeschlossen, weil der Kläger nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG aufgrund der rechtskräftigen Planfeststellung die Benutzung der Anlage dulden muß (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 5. Aufl. § 75 Rn. 48; Kopp/Ramsauer VwVfG 7. Aufl. § 75 Rn. 10).

4. Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff auf die Bezahlung von Schutzvorkehrungen besteht nicht. Der Anspruch aus enteignendem Eingriff setzt voraus, daß sich Verkehrsimmissionen von hoher Hand, deren Zuführung nicht untersagt werden kann, als ein unmittelbarer Eingriff in nachbarliches Eigentum darstellen und die Grenze dessen überschreiten, was ein Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muß. Dieser für Verkehrslärm entwickelte Anspruch besteht grundsätzlich in einem Geldausgleich für Schutzeinrichtungen auf dem betroffenen Grundstück (BGH NJW 1988, 900) und setzt, wenn keine Enteignung vorliegt, voraus, daß die zugelassene Nutzung die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und damit das benachbarte Wohnungseigentum schwer und unerträglich trifft. Verkehrsimmissionen einer Straße sind als öffentlich-rechtliche Einwirkungen zu beurteilen, weil sie die unmittelbare Folge der hoheitlichen Eröffnung der vorbeiführenden Straßen für den Kraftverkehr sind (BGH NJW 1988, 900). Zwischen Schienenverkehrswegen und Straßen, elektromagnetischen und akustischen Immissionen bestehen insoweit keine Unterschiede. Zwar wird die Bahn privatrechtlich betrieben. Die Inanspruchnahme des Verkehrsweges geschieht aber durch ein öffentlich-rechtliches Planfeststellungsverfahren nach § 18 AEG in der Fassung des Art. 5 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27.12.1993 (BGBl. I 2378 S. 2401), so daß die Eröffnung des elektrifizierten Schienenverkehrs auf einem hoheitlichen Handeln beruht.

a) Das Grundstücks des Klägers ist nicht schwer und unerträglich betroffen. Dazu müßte zumindest die Schwelle dessen, was nach § 906 BGB entschädigungslos zu dulden wäre, überschritten sein. Nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hätte der Kläger die Beeinträchtigung aber ohne Entschädigung zu dulden. Die Nutzung der Bahnstrecke mit strombetriebenen Schienenfahrzeugen und der Durchleitung von Elektrizität ist eine ortsübliche Benutzung des Bahngrundstücks. Die Beeinträchtigung des Klägers durch elektromagnetische Felder kann durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen der Beklagten nicht verhindert werden. Der Schienenweg besteht schon lange und ist daher die ortsübliche Benutzung des Grundstücks der Beklagten, Die Elektrifizierung und der Betrieb unter elektromagnetischen Stromeinwirkungen ist eine ortsübliche Benutzung des Schienenwegs (so schon RGZ 133, 342,346). Wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen zur Verhinderung der elektromagnetischen Immission sind nicht aufgezeigt. Die Verlegung der gesamten Oberleitung auf die andere Seite der Gleise ist keine wirtschaftlich zumutbare Maßnahme und führte auch nur zu einer Minderung der Immission.

Diese ortsübliche Benutzung ist entschädigungslos zu dulden. Eine Nutzung ist entschädigungslos zu dulden, wenn die Beeinträchtigung die ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks und dessen Ertrag nicht über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.

Die fachplanungsrechtliche Erheblichkeitsschwelle und damit die Grenzwerte des BlmSchG bezeichnen das Maß, bis zu dem der Eigentümer Beeinträchtigungen nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entschädigungslos hinnehmen muß. Das enteignungsrechtlich Zumutbare übersteigt dieses Maß aber noch (BGH NJW 1993, 1700). Dabei ist grundsätzlich auf die individuellen Verhältnisse und Umstände des einzelnen Betroffenen abzuheben. Da die Beeinträchtigung ortsüblich ist und sich nur aufgrund der besonderen Empfindlichkeit der Benutzung des Grundstücks des Klägers mit dem Betrieb von Computermonitoren auswirkt, sind ihm aber auch aufwendige Abschirmungsmaßnahmen selbst zuzumuten. Die Zumutbarkeitsschwelle ist darüberhinaus aus der Lage des Grundstücks schon beim Erwerb durch den Kläger und damit durch seine Vorbelastung erhöht. Bei einer ganz besonderen Ortsbeschaffenheit als Voraussetzung für eine bestimmte Nutzung ist es Sache des Betroffenen, sich die Eigenschaft auf Dauer zu sichern (RGZ 133, 342). Der Kläger hat seinen für elektromagnetische Immissionen anfälligen Betrieb an der Bahnlinie und damit in einem von vornherein immissionsbelasteten Bereich errichtet. Zwar stand die Elektrifizierung der Strecke beim Grundstückserwerb noch nicht an. Das erworbene Grundstück war aber schon damals nicht immissionsfrei. Eine weitere Immissionsbelastung durch Fortschritte im Bahnverkehr war und ist lagebedingt jederzeit möglich. Da daher eigene Abschirmungsmaßnahmen zumutbar sind, fehlt die für den Anspruch erforderliche unerträgliche Betroffenheit des Grundstücks des Klägers.

b) Ein Anspruch scheidet aber auch aus, weil der Planfeststelungsbeschluß rechtsbeständig wurde. Wenn ein Planfeststellungsbeschluß rechtsbeständig wird, ist ein Anspruch aus enteignendem Eingriff auf Schutzmaßnahmen oder Entschädigung ausgeschlossen. Das gilt nicht nur, wenn im Planfeststellungsbeschluß der Anspruch auf Schutzmaßnahmen ausdrücklich zurückgewiesen ist (BGH NJW 1999, 1247, 1252), sondern auch, wenn sich der Planfeststellungsbeschluß nicht zu Schutzmaßnahmen verhält (offengelassen bei BGH NJW 1996, 1897). Im Planfeststellungsverfahren wird über Schutzmaßnahmen und Entschädigungsansprüche entschieden, § 74 Abs. 2 VwVfG. Ziel des Planfeststellungsverfahrens ist es, eine Gesamtentscheidung über die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen zu treffen. In diesem Verfahren muß auch dem Eigentumsschutz der Anlieger Rechnung getragen werden. Soweit dies nicht ausreichend geschieht, kann der Betroffene den Planfeststellungsbeschluß angreifen und weitere Schutzmaßnahmen verlangen. Wenn sich nachträglich zuvor nicht erkannte Auswirkungen ergeben, besteht unter den Voraussetzungen von § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 5 VwVfG ein Anspruch auf die nachträgliche Anordnung von Schutzvorkehrungen oder eine Geldentschädigung. Da der Eigentumsschutz bereits im Planfeststellungsverfahren verwirklicht werden muß, besteht kein Bedürfnis für einen weiteren Anspruch aus enteignendem Eingriff. Mit dem Zweck des Planfeststellungsverfahrens, umfassend die Zulässigkeit eines Vorhabens einschließlich etwaiger Folgemaßnahmen zu regeln, ist er nicht vereinbar.

6. Einen Anspruch auf Geldausgleich nach § 906 BGB analog wegen des Betriebs der Schienenstrecke durch die Beklagte hat der Kläger auch nicht. Führt ein unmittelbar dem öffentlichen Interesse dienender nichthoheitlicher gemeinwichtiger Betrieb zu Beeinträchtigungen, die nicht schon nach § 906 BGB zu dulden und ggf. auszugleichen sind, besteht ein Anspruch auf Unterlassung einzelner Maßnahmen und auf Schutzmaßnahmen und, wenn die Beeinträchtigung das nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entschädigungslos zu Duldende übersteigt, ein Ausgleichsanspruch (BGH NJW 2000, 2901). Dies betrifft Fälle, in denen entweder aus tatsächlichen Gründen ein Abwehranspruch nicht geltend gemacht werden konnte oder Gemeinwohlbelange rechtlich zur Duldung verpflichteten (Staudinger-Roth § 906 BGB Rn. 239 und 29). Den Kläger trifft jedoch eine Duldungspflicht für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des elektrifizierten Schienenwegs schon nach § 75 VwVfG. Wenn ein Anspruch auf Schutzmaßnahmen oder Entschädigung im Planfeststellungsverfahren ausgeschlossen worden ist, kann der Betroffene, der zur Duldung im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs verpflichtet ist, keinen Anspruch wegen dieses Gebrauchs gegen den Betreiber mehr geltend machen. Außerdem ist der Anspruch ausgeschlossen, weil die Einwirkung das Grundstück des Klägers nicht über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt, 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog (oben 6. a).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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