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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 25.03.2002
Aktenzeichen: 1 W 12/02
Rechtsgebiete: ZPO, GKG


Vorschriften:

ZPO §§ 91 ff.
ZPO § 355
ZPO § 397
ZPO § 397 Abs. 1
ZPO § 402
ZPO § 406 Abs. 1
ZPO § 406 Abs. 2
ZPO § 406 Abs. 3
ZPO § 411 Abs. 4
ZPO § 485 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 485 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 492 Abs. 1
ZPO § 485 Abs. 2
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 2
GKG § 49
1. Im selbständigen Beweisverfahren ist gegen die Ablehnung eines Antrags auf mündliche Erläuterung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens die sofortige Beschwerde zulässig.

2. Einem Antrag auf mündliche Erläuterung des schriftlichen Sachverständigengutachtens muss gefolgt werden. Das gilt auch, wenn das selbständige Beweisverfahren eine Arzthaftungssache betrifft.

3. Nur zur Vorbereitung der mündlichen Erläuterung, nicht an ihrer Stelle kann das Gericht eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen einholen.


Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Zivilsenat - Beschluß

Geschäftsnummer: 1 W 12/02

In Sachen

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

der Vorsitzenden Richterin am OLG des Richters am OLG und der Richterin am OLG

am 25. März 2002

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird Nr. 3 des Beschlusses des Landgerichts Stuttgart vom 01. März 2002 - 15 OH 6/00 - aufgehoben.

2. Soweit mit der sofortigen Beschwerde die Ablösung des Sachverständigen begehrt wird und der Sachverständige abgelehnt wird, wird sie verworfen. Im übrigen wird sie zurückgewiesen.

Beschwerdewert: bis 1.200,00 €.

Wert für Gebühr nach KV Nr. 1957: bis 600,00 €.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg.

I.

Im selbständigen Beweisverfahren holte das Landgericht auf Antrag der Beschwerdeführerin ein schriftliches Sachverständigengutachten ein. Sie beantragte mit Schriftsatz vom 25.01.2002, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung zu laden. Das Landgericht ordnete mit Beschluss vom 01.03.2002 eine ergänzende schriftliche Begutachtung zu einzelnen Fragen an und wies die weitergehenden Anträge der Beschwerdeführerin zurück. Die Beschwerdeführerin legte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein, mit der sie beantragte, den Sachverständigen von seinem Amt zu entbinden sowie einen neuen Sachverständigen zu bestellen, sie lehnte ihn ab und rügte vorsorglich und hilfsweise, dass dem Antrag auf Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung nicht statt gegeben worden sei.

II.

Die Beschwerde ist teilweise zulässig und teilweise begründet.

1. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig, soweit es sich gegen die Ablehnung des Antrags auf mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen und gegen die Anordnung einer schriftlichen Ergänzung wendet. Die Beschwerdeführerin hat die mündliche Erläuterung des Sachverständigengutachtens beantragt. Dabei handelt es sich um einen das Verfahren betreffenden Antrag, zu dem jede Partei nach § 411 Abs. 4 ZPO, der gemäß § 492 Abs. 1 ZPO auch im selbständigen Beweisverfahren gilt, berechtigt ist. § 355 ZPO steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Diese Vorschrift, nach der eine Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet ist, nicht zulässig ist, ist im selbständigen Beweisverfahren nicht anwendbar. § 492 Abs. 1 ZPO nimmt nur auf die für die Aufnahme der einzelnen Beweismittel geltenden Vorschriften Bezug, nicht auf die allgemeinen Vorschriften über die Anordnung und Durchführung der Beweisaufnahme im Rechtsstreit. Auch nach ihrem Sinn und Zweck, die Einwendungen gegen Umfang und Ergebnis der Beweisaufnahme der Anfechtung der abschließenden Entscheidung vorzubehalten und die Verzögerung durch einen Zwischenstreit zu vermeiden, kann die Vorschrift im selbständigen Beweisverfahren nicht angewendet werden, weil es eine abschließende Entscheidung nicht gibt (OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 141).

Nicht zulässig ist die Beschwerde, soweit die Beschwerdeführerin eine Ablösung des Sachverständigen erreichen will und ihn ablehnt. Darüber hat das Landgericht im angefochtenen Beschluss vom 01. März 2002 nicht entschieden. Die Beschwerdeführerin hat erst mit der Beschwerde die Ablösung des Sachverständigen beantragt und ihn abgelehnt. Insoweit ist sie durch den angefochtenen Beschluss schon nicht beschwert. Soweit der Vorlagebeschluss des Landgerichts sich mit der Auswechslung des Sachverständigen und seiner Ablehnung befasst, liegt darin noch keine Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit des Ablehnungsantrags. Der Vorlagebeschluss befasst sich nur damit, ob die Beschwerde insoweit statthaft ist. Über den Antrag auf Ablösung oder Ablehnung des Sachverständigen hat das Landgericht noch zu entscheiden. Das gibt der Beschwerdeführerin Gelegenheit darzulegen, ob sie eine Ablösung des Sachverständigen und eine weitere Begutachtung begehrt, die im Ermessen des Landgerichts liegt und nicht mit der Beschwerde angegriffen werden kann (OLG Köln NJW-RR 2000, 729), oder den Sachverständigen ablehnt, was nur wegen Besorgnis der Befangenheit, § 406 Abs. 1 ZPO, und unter den Voraussetzungen des § 406 Abs. 2 und 3 ZPO möglich ist.

2. Die Beschwerde hat im zulässigen Umfang teilweise Erfolg. Das Landgericht durfte eine ergänzende schriftliche Begutachtung anordnen, aber nicht den Antrag auf mündliche Erläuterung zurückweisen.

a) Das Landgericht durfte den Antrag auf mündliche Erläuterung des Sachverständigengutachtens nicht zurückweisen. Nach § 485 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, den Zustand einer Person oder die Ursache eines Personenschadens festzustellen. Die Beweisaufnahme erfolgt nach § 492 Abs. 1 ZPO nach den für die Aufnahme des betreffenden Beweismittels überhaupt geltenden Vorschriften. Danach ist zwingend einem Antrag auf mündliche Erläuterung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu entsprechen. Die Partei hat einen prozessualen Anspruch auf mündliche Befragung des Sachverständigen nach §§ 397, 402 ZPO, auch wenn das Gericht aufgrund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen die Frage für ausreichend geklärt erachtet (BGH VersR 2002, 120; VersR 1998, 342 und VersR 1997, 509). Beschränkungen des Antragsrechts ergeben sich nur aus den Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs und der Prozessverschleppung, für die hier nichts ersichtlich ist. Das gilt auch im selbständigen Beweisverfahren, obwohl nach § 485 Abs. 2 ZPO nur die schriftliche Begutachtung vorgesehen ist. (OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 141; OLGR München 1994, 106; OLGR Köln 1997, 69). § 492 Abs. 1 ZPO verweist auf die allgemeinen Vorschriften für die Aufnahme des betreffenden Beweises, wozu §§ 402, 397 ZPO gehören. Außerdem gehört es zur Gewährung des rechtlichen Gehörs, dass den Parteien die Möglichkeit eingeräumt wird, einem Sachverständigen nach Vorliegen des schriftlichen Gutachtens Fragen zu stellen, ihm Bedenken vorzutragen oder ihn um nähere Erläuterung von Zweifelspunkten zu bitten.

b) Damit ist allerdings nur die Abweisung des Antrags der Beschwerdeführerin "im übrigen" unter Nr. 3 des Beschlusses vom 01.03.2002 aufzuheben, nicht jedoch die Anordnung einer ergänzenden schriftlichen Begutachtung. Das Gericht ist nicht gehindert, zunächst eine schriftliche Erläuterung des Sachverständigen einzuholen und dann zu klären, ob der Antrag auf mündliche Anhörung aufrecht erhalten wird. Da die ergänzende schriftliche Begutachtung nur der Vorbereitung der mündlichen Befragung dient, hat der Senat auch nicht darüber zu befinden, ob diese Verfahrensweise überhaupt gegenüber der mündlichen Anhörung des Sachverständigen von Vorteil ist. Auch über den Umfang einer ergänzenden schriftlichen Begutachtung hat der Senat aus diesem Grund nicht zu befinden. Die Fragen lagen im Ermessen des Landgerichts, das die ergänzende schriftliche Begutachtung zur Vorbereitung der mündlichen Anhörung anordnet. Die weiteren Fragen können der mündlichen Erläuterung des Gutachtens vorbehalten werden.

c) Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die gestellten Fragen nicht unzulässig sind. Zwar zielt die Frage 2 b) ihrem Wortlaut nach darauf ab, ob der Sachverständige von einer vaginalen Geburt abrät. Die Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren dient nach § 485 Abs. 2 ZPO der Feststellung des Zustandes einer Person oder der Ursache eines Personenschadens, nicht einem medizinischen Rat. Die Frage ist aber unschwer im Zusammenhang mit Frage 2 a) dahin zu verstehen, dass die Beschwerdeführerin geklärt haben will, ob der Dammriss III. Grades oder die nachfolgend notwendig gewordenen Behandlungen dazu geführt haben, dass sie nach allgemeinem ärztlichen Rat nicht mehr vaginal gebären soll.

Soweit 2 c) polemische Formulierungen enthält, können diese bei der mündlichen Erläuterung auf ihren sachlichen Kern zurückgeführt werden. Bei der mündlichen Erläuterung des Gutachtens sind Fragen an den Sachverständigen zu stellen. Soweit statt dessen Behauptungen aufgestellt werden, kann die Beschwerdeführerin im Rahmen der Sitzungsleitung durch das Gericht dahin gelenkt werden, die zulässige Frageform zu wählen, § 397 Abs. 1 ZPO. Danach will die Beschwerdeführerin wissen, ob die Hebamme verspätet gerufen wurde. Soweit nach einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts gefragt wird - eine Rechtsfrage, die nicht vom Sachverständigen beantwortet werden kann - will die Klägerin richtig verstanden wissen, ob medizinische Gründe vorlagen, keine Periduralanästhesie zu geben. Außerdem will die Beschwerdeführerin wissen, ob der Verbleib in der Badewanne für eine Stunde den Regeln der Medizin entsprach oder sie dadurch vermeidbare Schmerzen erleiden musste. Soweit als Voraussetzung der Fragen ein Sachverhalt unterstellt werden muss, der nicht unbestritten ist oder sich nicht aus den Behandlungsunterlagen ergibt, macht dies die entsprechende Frage nicht unzulässig, wenn der zu unterstellende Sachverhalt als unterstellt gekennzeichnet ist.

Aus diesem Grund ist mit einer entsprechenden Klarstellung auch Frage 2 d) zulässig.

Frage 2 e) betrifft zwar nicht die behandelnden Ärzte, sondern die Hebamme. Das macht die Frage aber nicht unzulässig, weil im Rahmen der Arbeitsteilung zwischen Arzt und Hebamme der Arzt oder ggf. auch der Klinikträger sich Fehler der Hebamme zurechnen lassen muss und die Geburtsleitung durch die Hebamme ebenfalls durch einen geburtshilflichen Sachverständigen zu beurteilen ist.

Den konkreten Gehalt von Frage 2 f) kann das Landgericht, wenn es den konkreten Gehalt der Frage nicht erkennen kann, durch Nachfrage bei der Beschwerdeführerin klären.

Frage 2 h) ist ein zulässiger Vorhalt an den Sachverständigen, dass es den üblichen Vorgehensweisen entspreche, vor der vaginaloperativen Entbindung eine Episiotomie anzulegen. Damit wird das Argument auf S. 8 des schriftlichen Gutachtens, die Geburt sei schneller verlaufen und habe die Episiotomie überflüssig gemacht, angegriffen. Wenn vor Anlegen der Saugglocke die Episiotomie gemacht werden musste, konnte sie nicht durch die Geburt mit Hilfe der Saugglocke überflüssig werden. Das ist eine zulässige Frage zur Beurteilung der widersprüchlichen Ausführungen des Sachverständigen und keine überflüssige Wiederholung.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Für die Anwendung der §§ 91 ff. ZPO ist kein Raum, wenn in der angefochtenen Entscheidung nicht über Kosten entschieden werden durfte und daher das Beschwerdeverfahren Teil des Hauptverfahrens ist (Braun in: Münchner-Kommentar, 2. Auflage, § 575 ZPO Rn. 13) bzw. die Beschwerdeentscheidung nicht in einem kontradiktorischen Verfahren ergeht (OLG München AnwBl 1994, 426). Da im angefochtenen Beschluss lediglich eine das selbständige Beweisverfahren betreffende Verfahrensfrage geregelt ist, war weder darin eine Kostenentscheidung zu treffen noch handelt es sich bei der Entscheidung zu dieser Frage um ein kontradiktorisches Verfahren. Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten sind außergerichtliche Kosten des selbständigen Beweisverfahrens und von einer dort oder im späteren Hauptsacheverfahren zu treffenden Kostenentscheidung erfasst.

Dass die Beschwerdeführerin nach KV Nr. 1957 zum GKG wegen der teilweisen Verwerfung und teilweisen Zurückweisung der Beschwerde Gerichtsgebühren zu tragen hat, macht eine Kostenentscheidung nicht erforderlich. Diese Kostenfolge ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, § 49 GKG.

Die Gebühr nach KV Nr. 1957 ist bei einem Teilerfolg der Beschwerde nach dem Teil zu schätzen, der dem Misserfolg wertmäßig entspricht (Hartmann, Kostengesetze, 31. Auflage, GKG, KV Nr. 1957 Rn. 10). Der Senat bemisst diesen Teil mit bis zu 600 €.

4. Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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