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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 24/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 268 b
StPO § 114 Abs. 2
StPO § 120 Abs. 1 Satz 1
Ein Haftfortdauerbeschluss nach § 268 b StPO, mit dem auf einen früher ergangenen Haftbefehl Bezug genommen wird, kann nur dann die Grundlage der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne des § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO bilden, wenn sich der Umfang der Tatvorwürfe und der Haftgrund in diesem Haftbefehl durch die Hauptverhandlung oder durch das vorangegangene Verfahren nicht wesentlich verändert haben. Der Haftbefehl ist daher (spätestens) bei der Eröffnung des Hauptverfahrens und/oder mit Urteilsverkündung dem Verfahrensstand anzupassen.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 24/07

vom 25. Januar 2007

in der Strafsache

Tenor:

In dem Verfahren über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts S. vom 21.Dezember 2006, mit dem die Haftfortdauer angeordnet wurde, werden die Akten dem Landgericht S. zur weiteren Veranlassung zurückgegeben .

Gründe:

Der Beschwerdeführer wurde am 21.Dezember 2006 durch das Landgericht S. - Wirtschaftsstrafkammer - wegen Betruges in 23 Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts G. vom 4. September 2003 - 8 KLs 5/03 412 Js 46493/99 (statt 46497/99, insoweit enthält die vorliegende Ausfertigung des Urteils des Landgerichts G. hinsichtlich des Aktenzeichens einen Schreibfehler) unter Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe (4 Jahre 4 Monate) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft rechtzeitig Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Nach dem Urteil verkündete die Kammer den Beschluss nach § 268 b StPO, wonach der Haftbefehl des Amtsgerichts S. vom 27. April 2006 "zum dringenden Tatverdacht im Umfange der heutigen Verurteilung wegen Fluchtgefahr aufrechterhalten und in Vollzug bleibt".

Hiergegen richtet sich die zulässige Beschwerde des Angeklagten.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und in ihrem Vorlageschreiben mitgeteilt, dass der Angeklagte geständig gewesen sei, das Urteil aber noch nicht abgesetzt sei. Der Angeklagte hat die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung beantragt.

Der oben zitierte Haftfortdauerbeschluss vom 21. Dezember 2006 kann in der vorliegenden Form nicht aufrechterhalten werden, weil er der Formvorschrift des § 114 StPO nicht genügt. Der ursprüngliche Haftbefehl des Amtsgerichts S. entspricht nicht mehr dem Stand der Verurteilung. Der Haftbefehl legt dem Angeklagten insgesamt 11 Taten zur Last, die auch Gegenstand der insgesamt 27 den Angeklagten betreffenden Taten der Anklageschrift vom 31. Juli 2006 sind. Drei der angeklagten Taten, darunter auch die Tat Nr. 5 aus dem Haftbefehl, die der Tat Nr. 17 der Anklage entspricht, wurden in der Hauptverhandlung vom 27. November 2006 gem. § 154 Abs.2 StPO eingestellt.

Bei der Abwägung, ob die weitere Untersuchungshaft verhältnismäßig ist, kann nur auf Taten abgestellt werden, die Gegenstand eines wirksamen Haftbefehls sind; andere in demselben Verfahren verhängte Freiheitsstrafen bleiben in diesem Zusammenhang unberücksichtigt. Sie dürfen erst nach einer entsprechenden Erweiterung des Haftbefehls Berücksichtigung finden (OLG Stuttgart, Justiz 1997, 62; BGH StV 1986, 65; Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, Rn. 4 zu § 210).

Nur nicht wesentliche Änderungen des Haftbefehls können durch einen Beschluss vorgenommen werden. Aber auch dieser Beschluss ist wie ein neuer Haftbefehl zu behandeln (Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, Rn. 18 zu § 114 mit weiteren Nachweisen) und insbesondere dem Angeklagten nach § 114 a StPO zu eröffnen. Hier liegen aber wesentliche Änderungen vor, die - dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend - schon bei Anklageerhebung eine Anpassung des Haftbefehls erforderlich machen. Eine Überprüfung der Haftfrage auf der Grundlage eines nicht mehr dem Verfahrensstand entsprechenden Haftbefehls, der weniger als die Hälfte der zwischenzeitlich (nicht rechtskräftig) abgeurteilten Taten aufführt, ist im Beschwerdeverfahren nicht möglich. Der Senat gibt daher die Sache an das Landgericht zurück, damit dieses einen den Anforderungen des § 114 Abs. 2 StPO genügenden erweiterten oder gänzlich neu gefassten Haftbefehl erlassen und dem Angeklagten eröffnen kann. Der Senat sieht sich dazu schon deswegen nicht selbst in der Lage, weil die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen. Insbesondere sind die Strafzumessungserwägungen und die im einzelnen festgesetzten Strafen nicht bekannt. Letzteres ist im Hinblick auf die Frage, ob die weitere Untersuchungshaft im Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht, zwingend erforderlich, wobei auch die Freiheitsstrafen, die andere in demselben Verfahren abgeurteilte Taten betreffen, die nicht Gegenstand des Haftbefehls sind, in diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden müssen (OLG Stuttgart Die Justiz 1997,62). Außerdem übersteigt die neue Gesamtstrafe die frühere Gesamtstrafe aus dem Urteil des Landgerichts G., die bis auf einen Strafrest von 620 Tagen bereits verbüßt ist, lediglich um 2 Jahre 2 Monate, obwohl der Angeklagte wegen 23 hinzu gekommener Betrugstaten verurteilt wurde, von denen lediglich 10 Gegenstand des Haftbefehls waren, so dass es bei der Frage der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit darauf ankommt, wie hoch die einzelnen für diese 10 Taten festgesetzten Strafen ausgefallen sind.

Die Kammer hat daher den Haftbefehl dem neuen Schuldvorwurf anzupassen (OLG Karlsruhe, wistra 1991, 277) und die daraus für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft folgenden maßgeblichen Erwägungen dem Angeklagten zur Gewährung rechtlichen Gehörs bekannt zu geben, so dass diese für ein eventuelles Beschwerdeverfahren zur Verfügung stehen.

Ende der Entscheidung

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