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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 26.02.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 46/08
Rechtsgebiete: StGB, StrVollstrO


Vorschriften:

StGB § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
StGB § 64
StrVollstrO § 44 b Abs. 1 Satz 2
1. Einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung steht die zwischenzeitliche Unterbringung eines Verurteilten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB wegen einer in der Bewährungszeit begangenen Straftat nicht mit der Erwägung entgegen, bereits die Unterbringung begründe eine positive Prognose.

2. Nach erfolgreich abegeschlossener Unterbringung eines Verurteilten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB kommt aber die erneute Aussetzung einer Freiheitsstrafe in Betracht, wenn durch die Unterbringung die gemeinsame Wurzel der Straftat erfolgreich bekämpft worden ist und die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung einer Strafaussetzung vorliegen.

3. Ist trotz erfolgrich abeschlossener Unterbringung die erneute Aussetzung einer Freiheitsstrafe mangels Teilverbüßung nicht zulässig, darf diese im Maßregelvollzug unerwünschte vollzugsreichenfolge nicht dadurch umgangen werden, dass von vorneherein statt des angezeichten Widerufs nach § 56 f Abs. 1 S. 1 StGB die Bewährungszeit nach § 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB verlängert wird.


Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 46/08

vom 26. Februar 2008

in der Strafvollstreckungssache

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Stuttgart vom 6. Februar 2008 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts S. vom 26. März 2007 wurde die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe von vier Jahren neun Monaten aus dem Urteil des Landgerichts K., Strafkammer in Pf., vom 7. Mai 2001 zur Bewährung ausgesetzt und der Verurteilte am darauffolgenden Tag entlassen. Am 25. Mai 2007 kam der Verurteilte in Untersuchungshaft und wurde in diesem Verfahren vom Amtsgericht - Schöffengericht - S. wegen eines am 22. Mai 2007, also bereits 2 Monate nach der vorzeitigen Entlassung zur Bewährung, begangenen gemeinschaftlichen Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch das sofort rechtskräftig gewordene Urteil vom 22. November 2007 zur Freiheitsstrafe von einem Jahr neun Monaten verurteilt, auch wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Nachdem zunächst die Freiheitsstrafe aus diesem Urteil vollstreckt worden war, kam der Verurteilte am 7. Februar 2008 in den Maßregelvollzug im Zentrum für Psychiatrie. Bereits einen Tag zuvor, am 6. Februar 2008, hatte die Strafvollstreckungskammer aufgrund der neuerlichen Verurteilung vom 22. November 2007 die Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich des Restes der Freiheitsstrafe von vier Jahren neun Monaten aus dem Urteil des Landgerichts K., Strafkammer in Pf., vom 7. Mai 2001 sowie hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zwei Monaten wegen Betruges in 29 Fällen aus dem Urteil des Amtsgerichts F. vom 19. Juni 2006 widerrufen. Zum Zeitpunkt dieses Urteils hatte sich der Verurteilte (seit 26. September 2004) aufgrund des Urteils des Landgerichts K., Strafkammer in Pf. vom 7. Mai 2001 in Strafhaft befunden, wobei er seit Mai 2005 eine Therapie zur Überwindung seiner Suchtkrankheit im Justizvollzugskrankenhaus absolviert hatte, nachdem er vor seiner Inhaftierung eine Langzeittherapie nach neun Monaten 21 Tage vor der vorgesehenen Beendigung abgebrochen hatte.

Mit seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss der Strafvollstreckungskammer vom 6. Februar 2008 bringt der Verurteilte vor, dass bei den dem Widerruf zugrundeliegenden Taten jeweils im Urteil die Betäubungsmittelabhängigkeit festgestellt worden sei und auf Grund der jetzt im Urteil des Amtsgerichts S. wegen der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung angeordneten Unterbringung sowie des daraus resultierenden Maßregelvollzugs statt des Widerrufs eine Verlängerung der Bewährungszeit angezeigt sei.

Die zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

II.

1. Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzungen hinsichtlich der beiden Urteile widerrufen. Die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB liegen eindeutig vor. Knapp zwei Monate nach der Entlassung aus dem Strafvollzug hat sich der Verurteilte erneut schwerwiegend (und hinsichtlich des Urteils des Landgerichts K., Strafkammer in Pf. auch einschlägig) strafbar gemacht und dadurch gezeigt, dass sich die der Strafaussetzung zugrundeliegende Erwartung nicht erfüllt hat, wobei er auch hinsichtlich des Urteils des Amtsgerichts F. erst ab seiner Entlassung aus dem Strafvollzug am 27. März 2007 die ausreichende Gelegenheit zur Legalbewährung hatte und es sich insoweit um dieselbe Rückfallgeschwindigkeit handelte.

Dem Widerruf steht nicht entgegen, dass sich der Verurteilte zwischenzeitlich im Maßregelvollzug in einer Entziehungsanstalt befindet. Zwar ist Voraussetzung für die Anordnung nach § 64 StGB (seit 20.07.2007 gem. § 64 S.2 StGB; zuvor aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 16. März 1994, NJW 1995, 1077), dass die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges besteht. Der Verurteilte wird hierbei - nicht selten gegen seinen Willen - einer auf die Behebung nicht zuletzt psychischer Fehlhaltungen gerichteten medizinischen Behandlung unterworfen, deren Erfolg nicht als gewiss gelten kann (BVerfG, NJW 1995, 1078). Nur aus der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann daher noch nicht geschlossen werden, dass das erkennende Gericht hinreichende Anhaltspunkte dafür hatte, dass sich der Behandlungserfolg auch tatsächlich einstellen und der Verurteilte danach keine rauschmittelbedingten oder im Zusammenhang mit Rauschmittel stehenden Straftaten mehr begehen wird, vielmehr hat es lediglich eine entsprechende Aussicht festgestellt. Bereits aus diesem Grund kann allein aus der Unterbringungsanordnung des Amtsgerichts S. nicht der Schluss gezogen werden, dass jetzt - im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerrufsantrag - die Sozialprognose des Verurteilten im Sinne des § 56 StGB günstig ist (so auch OLG Nürnberg, NStZ-RR 2002, 366 im ähnlich gelagerten Fall, dass sowohl in der neuen als auch in der ursprünglichen Verurteilung Freiheitsstrafe und Unterbringung angeordnet wurden), selbst die (hier nicht offensichtliche) Therapiebereitschaft reicht hierfür nicht aus (OLG Hamburg, NStZ-RR 2005, 222).

Einschlägige Rückfalltaten Drogen- oder Alkoholabhängiger stehen nur dann einer günstigen Prognose nicht zwingend entgegen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Einzelfall günstig zu beeinflussen. Dies kann auch die Aufnahme einer stationären Drogenlangzeittherapie sein (OLG Hamm, StV 2001, 414; OLG Düsseldorf, StV 1998, 215), insbesondere dann, wenn die Drogenabhängigkeit noch nicht lange andauert, die Verbüßung von Freiheitsstrafe erstmalig bevorsteht und stationäre Langzeittherapien bislang nicht stattgefunden haben (OLG Düsseldorf aaO; differenzierend KG bei Kotz/Rahlf, NStZ-RR 2002, 135). Im übrigen sind die persönlichen Voraussetzungen für die Aufnahme einer stationären Langzeittherapie bezüglich Therapieeignung und -motivation mit denjenigen für die Anordnung einer Unterbringung nicht vergleichbar.

Derartige neue tatsächliche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich.

2. Die Entscheidung über den Widerruf durfte auch nicht zurückgestellt werden. Denn der Wortlaut des § 56 f Abs.1 Satz 1 Nr.1 StGB sieht einen Aufschub der Widerrufsentscheidung nicht vor, weshalb der Widerruf dann erfolgen muss, wenn und sobald das zuständige Gericht vom Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen überzeugt ist (OLG Hamburg, NStZ-RR 2005, 222).

3. Dem Widerruf steht auch nicht entgegen, dass dies vorliegend dazu führt, dass der Verurteilte nach möglicherweise erfolgreicher Unterbringung Freiheitsstrafe zu verbüßen haben wird. Zwar sieht § 67 StGB das Prinzip des sogenannten Vikariierens, d. h. des Vollzugs der Maßregel vor der Strafe, sowie die anschließende Anrechnung der Maßregel auf die Freiheitsstrafe dann vor, wenn beides in einem Urteil angeordnet wurde (und nicht ausnahmsweise eine Anordnung gem. § 67 Abs.2 StGB vorliegt). Bei Anordnung von Freiheitsstrafe und Unterbringung in verschiedenen Urteilen schließt § 44 b Abs. 1 Satz 2 StrVollstrO jedoch eine Anrechung aus.

Bei erfolgreichem Maßregelvollzug wird aber die erneute Aussetzung des widerrufenen Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts K., Strafkammer in Pf., vom 7. Mai 2001 in Betracht zu ziehen sein, sofern durch die Unterbringung die gemeinsame Wurzel der Straftaten des Verurteilten - die bestehende Drogenabhängigkeit - zielführend bekämpft worden ist. Verläuft der Maßregelvollzug nämlich so erfolgreich, dass er eine günstige Prognose rechtfertigt, so bleibt dies auch auf den in der anderen Strafsache bestehenden Strafrest nicht ohne Auswirkungen, da die Prognose schwerlich teilbar ist und auf entsprechenden Antrag gleichzeitig mit der Entscheidung für die Aussetzung des weiteren Maßregelvollzugs und des durch Anrechung des noch nicht verbüßten Strafrestes aus dem Urteil des Amtsgerichts S. auch über die - erneute - Aussetzung des früher widerrufenen Strafrestes einheitlich zu entscheiden sein wird (OLG Stuttgart, NStZ 1989, 344).

Hinsichtlich der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts F. vom 19. Juni 2006 ist allerdings auch bei günstigem Verlauf des Maßregelvollzuges eine (Teil-)Verbüßung (zumindest der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB) unumgänglich. Dies hat zur Folge, dass im Maßregelvollzug erzielte Erfolge durch den späteren Strafvollzug beeinträchtigt werden könnten. Dem Maßregelrecht liegt die in § 67 StGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Vorstellung zugrunde, dass die möglichst optimale Wirkung erzielt und grundsätzlich dem Maßregelvollzug der Vorrang eingeräumt sowie durch die Freiheitsentziehung während der Maßregel dem Strafzweck Genüge getan wird und durch die (nach Verbüßung der Hälfte mögliche) Aussetzung am ehesten die Resozialisierung erreicht werden kann. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 67 StGB die Aussetzungsmöglichkeit im Vergleich zu § 57 StGB aus spezialpräventiven Erwägungen erweitert, obwohl sich insoweit Bedenken ergeben, als der gefährliche Täter, der neben der Strafe der Maßregel unterworfen wird, bei den Voraussetzungen für eine Strafaussetzung günstiger gestellt ist als der nur zu Freiheitsstrafe verurteilte Täter (Stree in Schönke/Schöder, StGB, 27. Auflage § 67 Rn. 4). Andererseits ist in § 44 b Abs. 1 Satz 2 StrVollstrO eine Anrechung bei Freiheitsstrafe und Unterbringung aus verschiedenen Urteilen ausgeschlossen (eine ursprünglich vorgesehene gesetzliche Änderung, vgl. BR-Drs. 370/84, ist unterblieben, Stree a.a.O. § 67 Rn. 1). Dies darf nicht dadurch umgangen werden, dass durch eine Verlängerung der Bewährungszeit trotz des Vorliegens der Voraussetzungen für den Widerruf gem. § 56 f Abs.1 Satz 1 Nr.1 StGB die Vollstreckung von Freiheitsstrafe nach erfolgreicher Unterbringung vermieden und dadurch die sonst im Maßregelrecht erwünschte Vollzugsreihenfolge erreicht wird. Unbilligkeiten aus der fehlenden Anrechnungsregelung für eine Freiheitsstrafe aus einer anderen Verurteilung in § 44 b Abs. 1 Satz 2 StrVollstrO können vielmehr nur auf dem Gnadenweg ausgeglichen werden (Lackner/Kühl, StGB, 26. Auflage, § 67 Rn. 1; Münchener Kommentar zum StGB/Maier § 67 Rn. 12).

Hiernach war die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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