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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 25.07.2000
Aktenzeichen: 10 U 36/2000
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253
Ist der Lärmpegel in einer 1-Zimmer-Wohnung wegen eines Baumangels doppelt so hoch wie zulässig, so steht dem Bauherrn gegen den Bauunternehmer für die Dauer der Beeinträchtigung eine angemessene Nutzungswertentschädigung zu.
Oberlandesgericht Stuttgart im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 10 U 36/2000 19 O 668/97 LG Stuttgart

verkündet am: 25. Juli 2000

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Reinhardt) Justizangestellte

In Sachen

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2000 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am OLG Treuer,

Richter am OLG Ditten und

Richter am OLG Riess

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. Januar 2000 wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der Beklagten aus dem notariellen Kaufvertrag des Notars F St mit Amtssitz in Waiblingen, Urkundenrolle-Nr. 292/91, vom 14. März 1991, gegen den Kläger keine Kaufpreisansprüche mehr zustehen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert I. Instanz DM 9.849,35

Streitwert II. Instanz und Beschwer der Beklagten DM 6.849,35

Tatbestand:

Die Beklagte berühmt sich aus dem im Urteil genannten notariellen Kaufvertrag über die Errichtung einer neuen Wohnung eines Restkaufpreisanspruches von DM 9.849,35. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Beklagten keine Kaufpreisansprüche mehr gegen ihn zustehen.

In erster Instanz hatte er mit diesem Antrag nur insoweit Erfolg, als festgestellt wurde, dass der Beklagten gegen den Kläger keine Ansprüche mehr über den Betrag von DM 6.849,35 hinaus zustünden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung mit der Begründung, ihm stünde eine Minderung zu, weil die zugesagte Grundfläche der Dachgeschoßwohnung 6 qm zu gering gewesen sei. Dagegen könne die Mehrung an Wohnfläche von 1,5 qm nicht gegenberechnet werden. Ihm stünden auch Minderungsbeträge dafür zu, dass die vier Balkonfenster statt vertraglich vereinbarter 82 cm nur 62 cm breit seien. Unerheblich sei, dass trotzdem die Mindestanforderungen der Landesbauordnung bezüglich der Fenstergröße um 100 % übertroffen sei. Außerdem verlangt er Minderung, da die Balkonabtrennung ab Brüstungshöhe in Plexiglas ausgeführt sei anstatt im Mauerwerk wie sonst im Haus. Letztendlich macht er entgangenen Nutzungswert von DM 75,-- pro Monat auf die Dauer von acht Jahren geltend, also 10 % des monatlichen Wohnwertes von DM 750,--, insgesamt DM 7.200,--. Der um 10 dB zu geringe Schallschutz rechtfertige einen solchen Nutzungswertersatz, da die Straße, auf der täglich fast 40.000 Fahrzeuge am Haus vorbeifahren, nur 2,5 m vom Haus entfernt vorbeiführt. Dies stelle eine erhebliche Beeinträchtigung dar, die auch zu einer entsprechenden Minderung bei angenommener Vermietung durch ihn geführt hätte.

Die Beklagte hält das landgerichtliche Urteil für richtig und weist insbesondere darauf hin, dass es sich bei der Geltendmachung des Nutzungswertersatzes um die Geltendmachung eines immateriellen Schadens handele. Nach § 253 BGB könne ein solcher nur dann verlangt werden, wenn es dafür eine spezielle Vorschrift gebe.

Im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

I.

1. Grundfläche:

Der Sachverständige E hat den Minderwert der Mindergrundfläche von 6 qm mit DM 7.200,-- errechnet. Zu Recht hat das Landgericht aber die Mehrung der Wohnfläche nach DIN 283 von 1,5 qm zu je DM 4.811,32 qm, d.h. also DM 7.216,98, diesem Minderwert gegengerechnet. Wer für einen bestimmten Mangel einen Minderwert geltend macht, muss sich den Mehrwert gegenrechnen lassen, der sich aus anderen Gründe an dem gerügten Werkteil ergibt. Gerade im vorliegenden Fall wird dies deutlich, wenn man bedenkt, dass eine höhere Grundfläche nicht zu einer höheren vermietbaren Wohnfläche i.S.d. Mietrechtes führt und auch typischerweise Wohnungen nach der Wohnfläche nach der DIN 283 oder der 2. Berechnungsverordnung verkauft werden und dabei die Frage der Grundfläche in Dachgeschossen ohne Beachtung bleibt. Der Kläger hat also eine wertvollere Wohnung erhalten als zugesagt, obwohl die Grundfläche nicht die vereinbarte Größe hat.

2. Balkonfenster:

Es ist unstreitig, dass die vier Balkonfenster statt der vertraglich vereinbarten 82 cm jeweils nur 62 cm breit sind. Dies stellt einen Mangel dar, da der Kläger das versprochene Werk nicht erhalten hat. Hat er aber ein Minus im Verhältnis zur versprochenen Leistung erhalten, kommt es nicht darauf an, ob auch die erbrachten Leistungen an und für sich den allgemeinen Anforderungen entsprechen oder diese gar übertreffen. Die Mindestminderung, die dem Kläger dafür zusteht, dass er nunmehr vier Fenster in seiner Wohnung hat, die nur 75 % der vereinbarten, schätzt der Senat auf DM 3.200,--. Er geht dabei davon aus, dass der Minderwert eines jeden einzelnen Fensters ca. DM 800,-- ausmacht

3. Balkonabtrennung:

Dem Kläger steht keine Minderung dafür zu, dass die Balkonabtrennung ab Brüstungshöhe in Plexiglas ausgeführt wurde, auch wenn die Balkonabtrennungen im Haus sonst insgesamt aus Mauerwerk bestehen. Weder aus der Baubeschreibung noch aus den Plänen ergibt sich, dass der Kläger Anspruch auf eine Balkonabtrennung aus Mauerwerk hat. Seine Befragung in der letzten mündlichen Verhandlung hat auch ergeben, dass er unter keinen Umständen eine solche Balkonabtrennung aus Mauerwerk wünscht, weil dann nämlich der Lichteintritt in die Balkonfenster zu gering wäre.

4. Nutzungswertentschädigung:

Wegen Baumängeln, die die Beklagte im Moment gerade behebt, weist die Maisonettewohnung des Klägers einen um 10 dB zu geringen Schallschutz auf. Das bedeutet, dass der Schallschutz nur halb so stark ist wie vertraglich vereinbart oder - von der anderen Seite gesehen - der in die Wohnung eindringende Lärm nunmehr seit über acht Jahren Tag und Nacht doppelt so hoch ist wie er bei vertraglich vereinbarter Ausführung gewesen wäre.

Auch die Beklagte bestreitet nicht, dass dem Kläger für den Fall, dass er seine Maisonettewohnung vermietet und wegen des Lärmes eine geringere Miete erhalten hätte, einen entsprechenden Schadensausgleich von ihr verlangen könnte. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass die geltend gemachte Nutzungswertentschädigung ein immaterieller Schaden ist, der nach § 253 BGB nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden kann.

Der BGH hat in der grundlegenden Entscheidung des großen Senates für Zivilsachen vom 09. Juli 1986 - GSZ 1/86 (BGHZ 98, 212 = NJW 1987, 53) die Grundsätze für die Geltendmachung einer solchen Nutzungsentschädigung aufgestellt. Er hat in dieser Entscheidung die Rechtsprechung über die Berechtigung von Nutzungsentschädigung beim Verlust des eigen genutzten Pkw's auf den Verlust der Nutzung eines Eigenheimes oder einer eigenen Wohnung übertragen und dabei darauf hingewiesen, dass gerade auch die Entscheidung, den Wohnbedarf über ein Eigenheim zu decken, vorrangig auf Wirtschaftlichkeitserwägungen beruht und der Markt den zeitweisen Verlust der Wohnung als zeitweise Entwertung der Sache registriert. In der Entscheidung wird auf die Fühlbarkeit des Schadens abgestellt und darauf, dass es sich bei Wohnungen und Eigenheimen um Wirtschaftsgüter von allgemeiner, zentraler Bedeutung für die Lebenshaltung handelt. Zwar endete die Entscheidung mit der Feststellung, dass eine Entschädigungslosigkeit für kurzfristige Gebrauchsbeeinträchtigungen, die der Geschädigte bei wirtschaftlich vernünftiger Betrachtung durch zumutbare Umdispositionen auffangen könne, gerechtfertigt sein mag. Dies sei aber bei zeitweiser völliger Unbewohnbarkeit des Hauses, sofern der Eigentümer es in der Ausfallzeit wirklich bewohnt hätte, mit dem Grundsatz eines vollen Ausgleichs der Vermögensschäden nicht zu vereinbaren. Erweiternd hat der BGH in dieser Entscheidung eine Ersatzfähigkeit wie folgt festgestellt: "Daher muss Ersatz für Verluste des eigenen Gebrauchs in einer gruppenbezogenen Ausformung grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Funktionsstörung sich typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt."

In seinem Urteil vom 05. März 1993 - V ZR 87/91 (NJW 93, 1793 = ZfBR 93, 183) hat der BGH deshalb auch die Berechtigung einer Nutzungsentschädigung für den Fall bejaht, dass die Störung des Gebrauchs einer selbstgenutzten Wohnung so nachhaltig ist, dass sie objektiv dem Entzug der Nutzung nahe kommt und der Betroffene sich bei vernünftiger Betrachtung eine Ersatzwohnung hätte beschaffen dürfen, nicht dagegen, wenn nur einzelne Räume der Wohnung in Mitleidenschaft gezogen waren.

Dem schließt sich der Senat an. Auch im vorliegenden Fall handelte es sich um eine wesentliche Beeinträchtigung der gesamten Wohnung des Klägers, die aus einem einzigen großen Zimmer besteht, das sich über zwei Stockwerke erstreckt, so dass der Kläger dem doppelten Lärmpegel im Verhältnis zum vereinbarten Zustand der Wohnung nicht dadurch ausweichen konnte, dass er einen stilleren Raum in seiner Wohnung aufsuchte und diesen z.B. als Schlafraum benutzte, um wenigstens in der Nacht nicht durch den intensiven Lärm von der, direkt am Haus vorbeilaufenden Straße gestört zu werden. Der Kläger hat den Grad der Beeinträchtigung sinnfällig gemacht, wenn er angab, dass teilweise beim Vorbeifahren von Lastzügen der Eindruck entstand, als würde der Lastzug unmittelbar durch die Wohnung fahren.

Unter solchen Umständen erfordert die starke Nutzungsbeeinträchtigung auch die Zuerkennung einer Nutzungsentschädigung. Der Senat hält dafür, dass diese für die letzten acht Jahre mindestens den noch offenen Restbetrag von DM 6.849,35 minus Minderwert Balkonfenster von DM 3.200,--, also von DM 3.649,35 ausmacht. Die Beklagte hat deshalb keine Zahlungsansprüche mehr gegen den Kläger.

5. Streitwert:

Zwar hat der BGH in seinem Urteil vom 30. September 1999 - VII ZR 457/98 (NZBau 2000, 26) seine frühere Rechtsprechung (NJW 78, 814) relativiert, wonach stets bei Geltendmachung von Minderwert und Schadenspositionen gegen den Werklohn - bzw. Kaufpreisanspruch von einer Verrechnung und nicht von einer streitwerterhöhenden Aufrechnung auszugehen war. Er hat dies allerdings auf den Fall beschränkt, dass vom Besteller eindeutig auch die Gegenpositionen aufrechnungsweise geltend gemacht werden. So ist es im vorliegenden Fall nicht. Hier hat der Kläger vielmehr nur den restlichen Zahlungsanspruch der Beklagten durch Geltendmachung verschiedener Gegenrechte abwehren wollen, ohne sich aktiver Gegenrechte gegen die Beklagte zu berühmen. Der Kläger hat auch nicht ausdrücklich Aufrechnung geltend gemacht, so dass es dabei verbleibt, dass jeweils der noch offene Restkaufpreis der Streitwert nach § 3 ZPO ist. Dies war in erster Instanz der offene Kaufpreis von DM 9.849,35 und ist in zweiter Instanz der nach dem Urteil des Landgerichts noch offene Kaufpreis von DM 6.849,35.

6. Kosten:

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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