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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 06.08.2002
Aktenzeichen: 12 U 76/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, EGZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 543 Abs. 2 n. F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BGB § 123 Abs. 1
BGB § 142 Abs. 1
BGB § 242
EGZPO § 26 Nr. 7
1. Ein Rechtsanwalt muss eine erkennbar nicht vermögende Partei schon vor Erteilung eines außergerichtlichen Mandats darauf hinweisen, dass er zur Übernahme eines eventuellen künftigen Prozessmandats nur bei Abschluss einer Honorarvereinbarung bereit ist.

Diese Verpflichtung beinhaltet den Hinweis, dass das deutlich über den gesetzlichen Gebühren und Auslagen liegende zu vereinbarende Honorar in jedem Fall von der Partei selbst zu tragen ist, weil es weder von der Rechtsschutzversicherung übernommen wird noch im Falle des Obsiegens vom Gegner zu erstatten ist.

2. Es besteht ein Anscheinsbeweis dafür, dass ein mittelloser, rechtsschutzversicherter Mandant einen Rechtsanwalt gefunden hätte, der ein Prozessmandat zu den sich aus der BRAGO ergebenden Honorarbedingungen übernommen hätte; dies gilt jedenfalls auch in zumindest einfacher gelagerten Arzthaftungsfällen.

3. Ein Rechtsanwalt kann von einer erkennbar nicht leistungsfähigen Partei für die Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung eine gesonderte Vergütung jedenfalls dann nicht beanspruchen, wenn er zuvor weder auf diesen Umstand noch auf die Möglichkeit zur Einholung der Deckungszusage durch die Partei selbst hingewiesen hat.


Oberlandesgericht Stuttgart - 12. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 12 U 76/02

Verkündet am 6. August 2002

In Sachen

wegen Rechtsanwaltshonorar

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2002 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am OLG Oleschkewitz, des Richters am OLG Fischer, des Richters am LG Dr. Groß

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 16. April 2002 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 18.509,78 €.

- Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO. -

Gründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.

I. Dem Kläger steht aus der mit der Beklagten getroffenen Honorarvereinbarung ein Anspruch auf Zahlung von 34.915,77 DM nicht zu.

Es kann dahinstehen, ob der auf der streitgegenständlichen Honorarvereinbarung beruhende Anspruch des Klägers schon an einer wirksamen Anfechtung der Beklagten wegen widerrechtlicher Drohung nach §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB scheitert, wovon das Landgericht ausgegangen ist. Der Geltendmachung des vereinbarten Anwaltshonorars steht jedenfalls ein Schadensersatzanspruch der Beklagten aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen unterlassener Aufklärung über die Gebührenhöhe zu, der dem Honoraranspruch des Klägers gemäß § 242 BGB - dolo agit - entgegengehalten werden kann.

1. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (NJW 1998, 3486) schuldet ein Rechtsanwalt grundsätzlich keinen Hinweis auf die Gebührenhöhe, weil ein Mandant bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts regelmäßig damit rechnen muss, zur Zahlung der gesetzlichen anwaltlichen Vergütung verpflichtet zu sein. Ob danach ein Rechtsanwalt generell schon dann zur Aufklärung über die Gebührenhöhe verpflichtet ist, wenn er sich - wie vorliegend - ein über der gesetzlichen Vergütung liegendes Honorars versprechen lässt, bedarf keiner Entscheidung, denn hier liegen die höchstrichterlich anerkannten Voraussetzungen vor, unter denen ein Rechtsanwalt ausnahmsweise über die Höhe der gesetzlichen Vergütung belehren muss. Eine solche Belehrungspflicht kann sich nach Treu und Glauben aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, § 242 BGB. Im Rahmen der hierfür vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind neben dem Schwierigkeitsgrad, dem Umfang der anwaltlichen Aufgabe und weiterer Gesichtspunkte auch die Vermögensverhältnisse des Mandanten sowie dessen Erfahrung im Umgang mit Rechtsanwälten von Belang. Entscheidend ist, ob ein Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalls ein entsprechendes gebührenrechtliches Aufklärungsbedürfnis seines Mandanten erkennen konnte und musste (BGH a.a.O., NJW 1985, 2642, 2643).

2. Ein solches erkennbares Aufklärungsbedürfnis war vorliegend gegeben. Die Beklagte hat schon bei der ersten Unterredung mit dem Kläger auf ihre schwierigen finanziellen Verhältnisse hingewiesen und deutlich gemacht, dass sie noch nicht einmal in der Lage sei, 2.000 DM für ein vorbereitendes ärztliches Gutachten zu bezahlen, das der Kläger im Falle einer Mandatsübernahme einholen wollte. Sie hat den Kläger insoweit vielmehr auf ihre Rechtsschutzversicherung verwiesen. Dem Kläger war nach seinen eigenen Angaben darüber hinaus ebenfalls bekannt, dass die Beklagte Sozialhilfe beantragt hatte und auch von ihrem Ehemann keine finanzielle Unterstützung erwarten konnte, weil dieser ein Spieler sei, der dauernd Schulden habe. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Zuge des Verlustes ihres Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 80.000 DM erhalten hatte. Dieser Betrag stand der Beklagten nach ihren Angaben - für deren Unrichtigkeit Anhaltspunkte weder dargelegt noch ersichtlich sind - zum Zeitpunkt der Erteilung des Mandats nicht mehr zur Verfügung, weil er für die Renovierung des durch ein Erdbeben beschädigten Hauses der Beklagten in der Türkei verwendet worden war. Davon hat die Beklagte den Kläger bei ihrem ersten Zusammentreffen in Kenntnis gesetzt.

Damit musste der Kläger, auch wenn er die Angaben über die Verwendung der Abfindung in Zweifel gezogen haben mag, schon vor Übernahme des Mandats davon ausgehen, dass die Beklagte nicht in der Lage ist, von der Rechtsschutzversicherung nicht abgedeckte Kosten selbst zu tragen. In dieser Situation hätte der Kläger die Beklagte - selbst wenn zu diesem Zeitpunkt weder der künftige Streitwert noch die Höhe der späteren Honorarvereinbarung absehbar war - nicht nur darauf hinweisen müssen, dass er zur Übernahme eines möglichen künftigen Prozessmandats nur bei Abschluss einer Honorarvereinbarung bereit ist. Er hätte die Beklagte vor allem auch auf den für sie entscheidenden Gesichtspunkt hinweisen müssen, dass weder die Rechtsschutzversicherung noch - im Falle eines Obsiegens - der Gegner das vom Kläger beanspruchte Honorar tragen bzw. erstatten würde, weil die vereinbarte Vergütung neben den gesetzlichen Gebühren und Auslagen gezahlt werden musste. Schließlich hätte der Kläger - gegebenenfalls auf eine entsprechende Frage der Beklagten - ferner darauf hinweisen müssen, dass es Rechtsanwälte gibt, die auch in Arzthaftungssachen zu den gesetzlichen Gebühren und Auslagen tätig werden. Dies hat er nicht getan.

Hierbei kann dahinstehen, ob der Kläger die Beklagte schon im ersten Gespräch darauf hingewiesen hat, dass später vermutlich eine Honorarvereinbarung abgeschlossen werden müsse. Denn ein solcher Hinweis wäre unzureichend gewesen. Der Kläger hat nicht mit Sicherheit sagen können, dass er die Beklagte darüber unterrichtet habe, dass das zu vereinbarende Honorar weder von der Rechtsschutzversicherung getragen noch im Falle eines Obsiegens vom Gegner erstattet werden wird. Vor allem aber hat der Kläger der Beklagten weder deutlich gemacht, dass das zu vereinbarende Honorar die gesetzlichen Gebühren und Auslagen um ein Vielfaches - hier um mehr als das Dreifache - übersteigen kann, noch hat er sie darauf hingewiesen, dass andere Rechtsanwälte zu den Sätzen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung tätig werden.

3. Die Beklagte hat dargetan, dass ihr Schaden in der durch die Honorarvereinbarung eingegangenen Verpflichtung besteht, die neben den gesetzlichen Gebühren und Auslagen hätte erfüllt werden müssen. Sie hat ferner ausgeführt, dass sie die Honorarvereinbarung bei gehöriger Aufklärung nicht unterschrieben und dem Kläger das Mandat nicht erteilt hätte, vielmehr statt des Klägers einen anderen Rechtsanwalt gesucht und auch gefunden hätte, der bereit gewesen wäre, das Mandat zu den gesetzlichen Gebühren zu übernehmen. Dieser Vortrag genügt den an die Darlegung der Kausalität und des Schadens zu stellenden Anforderungen.

Nachdem ein Tätigwerden von Rechtsanwälten zu den in der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung niedergelegten Bedingungen als der vom Gesetzgeber vorgesehene Regelfall anzusehen ist, kann sich die Beklagte für diese Behauptung auf einen Anscheinsbeweis berufen. Mit seinem allgemein gehaltenen Vortrag, ein Anwalt mit hinreichender Erfahrung in Arzthaftungsfällen wisse, welche Arbeit auf ihn zukomme und könne deswegen nicht ohne Honorarvereinbarung tätig werden, hat der Kläger diesen Anscheinsbeweis nicht zu erschüttern vermocht. Die Richtigkeit des Anscheinsbeweises wird dadurch bestätigt, dass die Beklagte nach der späteren Kündigung des dem Kläger erteilten Mandats tatsächlich einen Rechtsanwalt gefunden hat, der das Prozessmandat zu den gesetzlichen Gebühren und Auslagen weitergeführt hat.

Hinzu kommt, dass aufgrund der dem Kläger bei Mandatserteilung von der Beklagten übergebenen Stellungnahme der Gutachterkommission für Fragen ärztlicher Haftpflicht bereits absehbar war, dass dem behandelnden Arzt bei der Operation der Hallux-Valgus-Bildung am linken Fuß der Beklagten ein ärztlicher Behandlungsfehler wohl nicht unterlaufen ist. Deswegen hat der Kläger im Folgenden eine Schadensersatzpflicht des die Beklagte ambulant operierenden Arztes auch nicht mit einem Behandlungsfehler begründet. Er hat die Pflichtwidrigkeit vielmehr auf eine unzureichende Aufklärung über die Erfolgsaussichten eines solchen operativen Eingriffes gestützt. Damit war für den Kläger schon bei Mandatserteilung erkennbar, dass die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf sehr komplexe medizinische Zusammenhänge hinauslaufen wird, sondern auf bloße Aufklärungsdefizite gestützt werden kann. Daher stellte sich der vorliegende Fall als ein jedenfalls nicht überdurchschnittlich schwieriger Arzthaftungsfall dar, weswegen nicht davon ausgegangen werden kann, dass Rechtsanwälte solche Fälle in der Regel nur bei Abschluss von Honorarvereinbarungen zu übernehmen bereit sind.

4. Dem Schadensersatzanspruch steht nicht entgegen, dass die Beklagte den Eintritt des im Abschluss der streitgegenständlichen Honorarvereinbarung bestehenden Schadens ganz oder teilweise hätte verhindern können, indem sie dem Kläger kein Prozessmandat erteilt hätte.

Der Kläger hatte bis zur Beendigung des vorprozessualen Mandats einen nicht unerheblichen Aufwand zur Vorbereitung der klageweisen Durchsetzung der Schadensersatzansprüche der Beklagten betrieben. Die Beklagte brachte ihm ferner großes Vertrauen entgegen, was angesichts des vorliegenden Klageentwurfs auch durchaus gerechtfertigt war. Angesichts der mit einem Anwaltswechsel in diesem späten Stadium verbundenen erheblichen Nachteile stellt es kein zur Schadensminderung führendes Mitverschulden dar, dass die Beklagte dem Kläger Prozessmandat erteilt hat, obwohl er die Übernahme des Mandats vom Abschluss der Honorarvereinbarung abhängig gemacht hat. Hätte der Kläger die Beklagte schon vor der Übernahme des Beratungsmandats in gehöriger Weise darauf hingewiesen, dass er ein eventuelles späteres Prozessmandat nur bei Abschluss einer Honorarvereinbarung übernehmen würde, hätte sich die Beklagte von vornherein frei entscheiden können, ob sie den Kläger zu dessen Bedingungen oder einen anderen Rechtsanwalt zu den gesetzlichen Kosten mandiert. Die Beklagte wäre dann nicht gezwungen gewesen, sich zu entscheiden, ob sie dem Kläger trotz der damit verbundenen erheblichen finanziellen Nachteile Prozessmandat erteilt, damit dessen Vorarbeiten nicht verloren sind und kein weiterer Zeitverlust eintritt, den die Mandierung eines neuen Anwalts aufgrund der notwendigen Einarbeitungszeit mit sich gebracht hätte. Die auf einer Störung des Vertrauensverhältnisses beruhende spätere Kündigung des Mandates durch die Beklagte rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der Frage des Mitverschuldens.

5. Weder in der Erteilung des Prozessmandats noch in den späteren Schreiben der Beklagten, in denen sie die Arbeit des Klägers lobt, kann ein Verzicht auf bestehende Schadensersatzansprüche gesehen werden, da ein solcher jedenfalls voraussetzt, dass sich die Beklagte eines derartigen Anspruches bewusst gewesen wäre (Heinrichs in Palandt, BGB 61. Aufl. § 397 Rdn. 4). Dies hat der Kläger nicht dargetan. Auch für eine Verwirkung des Schadensersatzanspruches ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

II. Dem Kläger steht auch der für die Einholung der Deckungszusage geltend gemachte Vergütungsanspruch in Höhe von 1.286,21 DM nicht zu.

Keiner Entscheidung bedarf, ob die Geltendmachung einer zusätzlichen Gebühr für die Einholung einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung regelmäßig schon daran scheitert, dass es sich hierbei um einen zum Rechtsstreit gehörenden, nicht gesondert Vergütungspflichtigen Annex handelt (so OLG München JurBüro 1993, 163). Dem vom Kläger geltend gemachten Vergütungsanspruchs kann die Beklagte vorliegend jedenfalls einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss entgegenhalten, § 242 BGB.

Der Kläger war angesichts der ihm bekannten Mittellosigkeit verpflichtet, die Beklagte auch ohne ausdrückliche Nachfrage darauf hinzuweisen, dass die Einholung der Deckungszusage seiner Auffassung nach gesondert zu vergüten ist. Der Senat ist der Ansicht, der Kläger hätte der Beklagten unter den hier vorliegenden Gegebenheiten sogar auf die Möglichkeit hinweisen müssen, zur Vermeidung dieser Kosten selbst um Deckung bei der Rechtsschutzversicherung nachzusuchen. Dies gilt vor allem angesichts des Umstands, dass es hierfür keiner besonderen juristischen Kenntnisse bedarf. Die Beklagte hat insoweit auch deutlich gemacht, dass sie sich bei einem entsprechenden Hinweis selbst an ihre Rechtsschutzversicherung gewandt hätte.

III. Die Berufung des Klägers war danach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, § 543 Abs. 2 ZPO n. F. i. V. m. § 26 Nr. 7 EGZPO. Der Senat hat die Frage, ob der Kläger im vorliegenden Fall ausnahmsweise dazu verpflichtet war, die Beklagte auf die Honorarvereinbarung und deren Konsequenzen sowie auf die kostenrechtlichen Folgen der Einholung einer Deckungszusage hinzuweisen, unter Anwendung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsätze über die Hinweispflicht eines Rechtsanwalts bezüglich der Gebührenpflichtigkeit seines Handelns beantwortet. Weitere Rechtsfragen von einer über den vorliegenden Einzelfall hinausgehenden Bedeutung stellen sich nicht.

Ende der Entscheidung

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