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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 20.03.2001
Aktenzeichen: 14 U 41/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 1
ZPO § 515 Abs. 3
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711

Entscheidung wurde am 14.09.2001 korrigiert: Titel durch Stichworte ersetzt
1. Eine Beweiserleichterung wegen eines groben Behandlungsfehlers durch eine unterlassene Kernspintomographie scheidet aus, wenn feststeht, dass kein reaktionspflichtiger Befund erhoben worden wäre.

2. In diesem Fall kommt auch keine Beweiserleichterung unter dem Gesichtspunkt einer unterlassenen Befunderhebung in Betracht.


Geschäftsnummer: 14 U 41/99 3 O 1031/98 LG Ravensburg

Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

In Sachen

wegen Forderung

Verkündet am: 20. März 2001

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

der Vors. Richterin am OLG

auf die mündliche Verhandlung vom 13. Februar 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 20. Mai 1999 - 3 O 1031/98 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Streithelferin trägt ihre eigenen Kosten selbst.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 30.000,00 DM abwenden, wenn die Beklagten vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Streitwert und Beschwer des Klägers: 254.000,00 DM.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einer ärztlichen Behandlung.

Der am 14.07.1963 geborene Kläger leidet seit seiner Kindheit an einer neuronalen Muskelatrophie Typ Charcot-Marie-Tooth. Er wurde mehrfach am rechten Vorfuß operiert, 1989 erfolgte eine Plattenosteosynthese des 4. und 5. Mittelfußknochens, 1992 eine Arthrodese des rechten oberen Sprunggelenkes. Im September 1996 trat er beim Baden in der Agäis auf einen unbekannten Gegenstand. Am 24. September 1996 begab er sich wegen Beschwerden im rechten Fuß in das Kreiskrankenhaus Der Beklagte zu 1 ist dort Chefarzt der chirurgischen Abteilung. Der Beklagte zu 2 war bis 31.12.1996, die ausgeschiedene Beklagte zu 3 ist seither Träger des Krankenhauses. Der Beklagte zu 1 stellte am rechten Vorfuß eine offene Wunde mit deutlicher Schwellung, mäßigem Druckschmerz und lokaler Übererwärmung fest. Eine Sondierung zeigte eine Abzesshöhle bis ins Fußgewölbe, aus der sich auf Druck pudride-serös stinkendes Sekret entleerte. Der entnommene Wundabstrich ergab vereinzelte hämolysierende Streptokokken und Staphylococcus aureus. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit war mit 76/106 ebenso erhöht wie der CRP-Wert mit 10,57. Die Röntgenaufnahme ergab eine Osteoporose und eine deutliche Knochendeformität rechts mit Lufteinschlüssen. Der Radiologe sah keinen Anhalt für entzündliche Veränderungen, empfahl aber ein Knochenszintigramm. Der Kläger wurde stationär aufgenommen. In den Folgetagen wurde die Wunde regelmäßig gereinigt und antiseptisch behandelt, außerdem erhielt der Kläger die Antibiotika Clont und Augmentan. Am 29.09.1996 ordnete der Beklagte zu 1 das Absetzen der Antibiose an. Am 30.09.1996 war der CRP-Wert auf 0,78 gefallen, die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit betrug 46/88. Am 01.10.1996 wurde der Kläger mit stabilisierten Wundverhältnissen nach guter Granulation in die hausärztliche Behandlung entlassen. Der Hausarzt stellte am 16.10.1996 noch ein pfenniggroßes Ulcus fest. Bei einer ambulanten Untersuchung durch den Beklagten zu 1 am 18.10.1996 fand sich ein kreisförmiges Ulcus mit 1 cm Durchmesser, das reizlos war, mit weicher Umgebung, etwas blutend bzw. sezernierend. Auf Druck entleerte sich kein Eiter, zur Tiefe hin gab es keinen Kanal. Der Beklagte zu 1 vereinbarte eine Wiedervorstellung nach zwei Wochen. Am 04.11.1996 erschien der Kläger zur ambulanten Untersuchung durch den Beklagten zu 1, verließ die Ambulanz nach einer Wartezeit jedoch ohne Untersuchung.

In der Folge nahm der Hausarzt eine Wundrevision vor. Bei der mikrobiologischen Untersuchung, die der Hausarzt in Auftrag gab, fanden sich am 11.11.1996 massenhaft hämolysierende Streptokokken und Staphylococcus aureus. Die durch den Hausarzt am 12.11.1996 veranlasste Pathologie nach der Wundrevision ergab einen Wundschorf mit anliegendem faserreichem und perikapilär dicht rundzellig-entzündlich infiltriertem unspezifischem Granulationsgewebe. Im polarisierten Licht zeigten sich winzige, fremdgewebliche, doppeltbrechende Einsprengungen. Der Pathologe sah darin ein kunststoffähnliches Material. Die durch den Hausarzt veranlasste Kernspintomographie am 12.11.1996 ergab eine interstitielle Odembildung und die Abbildung einer entzündlichen Formation des Vorfußballens zwischen der II. und III. Phalangen, zentral ausgehend von der Höhe der IV. Phalanx. Zeichen einer Periostitis oder Osteomyelitis waren nicht festzustellen. Empfohlen wurde eine Verlaufskontrolle entsprechend dem klinischen Verlauf.

Der Hausarzt vermerkte am 15.11.1996, dass die Wunde deutlich besser aussehe und legte zwei bis drei Leukasekegel ein. Am 02.12.1996 notierte er, dass die Wunde langsam zuwachse, die Tiefe abnehme und die Entzündungszeichen lokal rückläufig seien. Am 04.12.1996 sah er keine Änderung.

Am 09.12.1996 wurde der Kläger wieder ambulant vom Beklagten zu 1 untersucht. Ob der Kläger den Laborbericht vom 11.11.1996 mitbrachte, ist zwischen den Parteien streitig. Der Beklagte zu 1 war darüber informiert, dass die Kernspintomographie eine Abszesshöhle mit einem Fremdkörper ergeben hatte. Er stellte in Höhe der Kleinzehe einen erbsgroßen, blutig sezernierenden Defekt fest, der etwa 3 cm in Richtung auf die 2. Zehe in die Tiefe reichte. Die Wundhöhle war mit derbem Narbengewebe ausgekleidet. Mit dem scharfen Löffel konnte der Beklagte zu 1 nur wenig nekrotisches Gewebe fördern. Die Umgebung der Wunde war reizlos und nicht druckschmerzhaft. Der Beklagte empfahl eine Fortsetzung der granulationsfördernden Maßnahmen mit täglichen Verbandswechseln und hielt fest, dass eine operative Revision erforderlich sei, wenn es in absehbarer Zeit zu keiner Abheilung des Ulcus komme oder wieder eitriger Verhalt auftrete.

Am 14.01.1997 wurde der Kläger erneut stationär in das Kreiskrankenhaus aufgenommen. Bei der Untersuchung wurden ein etwa 0,5 cm tiefes Ulcus am rechten Vorfuß mit zwei sondierten Gängen Richtung Großzehe und IV. Zehe, eine Rötung der IV. Zehe, eine schmierig belegte Zehe und eine mäßig sezernierende, kreisförmige Fistelöffnung festgestellt. Der CRP-Wert betrug 3,5, die Blutkörperchensenkung 70/120, die Leukozytenzahl 10.300, die Körpertemperatur 37,2°. Der Kläger erhielt ein Antibiotikum. Am 15.01.1997 nahm der Beklagte zu 1 eine Spaltung des Abszesses mit einer partiellen Excision vor. Zur Tiefe fand sich ein grobstrukturiertes, ödematöses und zum Teil bindegewebig umgewandeltes Fettgewebe in mehreren Fistelgängen in die Tiefe zur Großzehe sowie innen- und außenseitig der 4. Zehe. Es entleerte sich Synovialflüssigkeit. Das mikrobiologische Untersuchungsergebnis ergab Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa und Proteus mirabilis. Ab dem 16.01.1997 erhielt der Kläger Penicillin. Die Körpertemperatur stieg auf 37.7° und fiel zum 21.01.1997 wieder auf unter 37°. Der CRP-Wert war mit 24,54 ebenso wie die Blutkörpersenkungsgeschwindigkeit mit 120/120 erhöht. Am 22.01.1997 nahm der Beklagte zu 1 eine operative Revision der Wunde vor, weil die Wundhöhle mit superinfiziertem Hämatom ausgefüllt war und Zeichen der fortgeleiteten Entzündung mit Rötung des medialen Fußrandes und des Fußrückens über dem 4. und 5. Zehenstrahl festzustellen waren. An der Fußsohle fand sich matschiges, nicht mehr durchblutetes Fettgewebe, das möglichst radikal excidiert wurde, ebenso am medialen Fußrand der Großzehe. Unter weiterer antibiotischer Medikation sank der CRP-Wert und die Leukozytenzahl, ebenso die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit. Am 12.02.1997 wurde der Kläger mit zufriedenstellender Sekundärheilung in die hausärztliche Betreuung entlassen.

Am 28.05.1997 stellte sich der Kläger in der dermatologischen Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses vor, wo er vom 16. - 23.06.1997 stationär aufgenommen wurde. Sei einer Skelettszintigraphie am 18.06.1997 zeigte sich im Bereich des rechten oberen Sprunggelenkes sowie des Mittelfußes und des Metatarsale IV eine deutliche Mehrspeicherung. Diese wurde dahin beurteilt, dass sie für eine ausgedehnte Osteomyelitis sprechen könnte. In einer Röntgenaufnahme vom 20.06.1997 wurden eine mäßige Demineralisierung und arthrotische Veränderungen festgestellt. Es waren keine sicheren osteolytischen Herdbefunde abgrenzbar. Eine Magnetresonanztomographie vom 23.06.1997 wurde - neben einem großräumigen ulcerativen Defekt - dahin beurteilt, dass eine ossäre Mitbeteiligung am Köpfchen und Schaft des Metatarsale IV vorliege. Wegen chronischer Osteitis wurde der Kläger an diesem Tag noch stationär in die chirurgische Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses aufgenommen, wo am 25.06.1997 ein Ulcusexcision mit Resektion der Metatarsaleköpfchen III und IV erfolgte Die Histologie ergab u. a. einen überknorpelten spongiösen Knochenkörper, überlagert durch eine eitrige unspezifische Osteomyelitis. Am 14.07.1997 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen. Eine Röntgenuntersuchung am 10.09.1997 im Bundeswehrkrankenhaus zeigte keine Osteolysen an den Basen der Phalangen, aber im Vergleich zu Voruntersuchung eine umschriebene periostale Reaktion um das Metatarsale I. Sie wurde als Anhalt für eine Periostreaktion als Ausdruck einer Entzündung gewertet. Eine Magnetresonanztomographie am 04.11.1997 ergab eine Befundprogredienz im Sinne einer phlegmonösen, teils ossär destruierenden Infektion oberhalb des Os naviculare mit Begleitreaktionen bis in den distalen WT-Bereich dorsal der Tibia. Wegen fortschreitender chronischer Osteitis wurde am 05.11.1997 der rechte Unterschenkel amputiert.

Die Histologie erbrachte keinen Nachweis einer Periostitis und Ostitis.

Der Kläger hat vorgetragen, er sei vom Beklagten zu 1 falsch behandelt worden. Die Behandlung mit Antibiotika sei zu früh abgebrochen worden. Vor der Entlassung habe eine bakteriologische Untersuchung stattfinden müssen. Wenn er länger mit Antibiotika behandelt worden wäre, hätte sich bei ihm keine Osteomyelitis ausgebildet. Der Wundbereich habe bereits vor dem Januar 1997 ausgeschnitten werden müssen. Bei richtiger Behandlung wäre die Entfernung von Zehengelenken und vor allem die Unterschenkelamputation vermieden worden. Er könne deshalb ein Schmerzensgeld von 65.000,00 DM und eine monatliche Schmerzensgeldrente von 200,00 DM verlangen. Außerdem müssten die Beklagten ihm Fahrtkosten in Höhe von 4.840,00 DM und 2.024,00 DM, den Eigenanteil an den Behandlungskosten von 184,00 DM, Verdienstausfall aus einer Nebentätigkeit von 1.350,00 DM, den Mehraufwand für den Kauf eines Automatik-Pkws von 3.524,22 DM, den Veräußerungsverlust beim Verkauf eines neuwertigen Pkws in Höhe von 5.000,00 DM, entgangenen Gewinn aus seiner selbständigen Gewerbetätigkeit von 12.000,00 DM und den Eigenanteil an den Kosten für die Beschaffung einer Prothese von 324,55 DM, insgesamt 29.246,77 DM, ersetzen.

Der Kläger hat beantragt,

1. Den Beklagten zu 1 zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld sowie eine angemessene Schmerzensgeldrente zu bezahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte zu 1 dem Kläger den gesamten nicht vorhersehbaren künftigen immateriellen Schaden zu ersetzen habe, der ihm daraus entstehe, dass die am 17. September 1996 erlittene Verletzung am rechten Vorfuß zu einer Ostecmyelitis und anschließenden Amputation des rechten Unterschenkels geführt habe,

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 29.246,77 DM nebst 9,5 % Zinsen aus 28.922,22 DM vom 09. April 1998 bis zur Rechtshängigkeit und aus 29.246,77 DM ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm den gesamten künftigen materiellen Schaden zu ersetzen, soweit Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind und soweit der Schaden dadurch entsteht, dass die am 17. September 1996 erlittene Verletzung am rechten Vorfuß zu einer Osteomyelitis mit anschließender Amputation des rechten Unterschenkels geführt hat.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, die antibiotische Behandlung sei rechtzeitig und in ausreichendem Umfang erfolgt. Die erforderlichen mikrobiologischen Untersuchungen seien durchgeführt worden, weitere Laboruntersuchungen seien nicht geboten gewesen.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung durch ein schriftliches Sachverständigengutachten und die mündliche Erläuterung durch Prof. Dr. W , F , die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die er gegen die Beklagte zu 3 zurücknahm.

Er vertieft sein Vorbringen und trägt weiter vor, bereits während des ersten stationären Aufenthaltes sei eine weitergehende Diagnostik durch bildgebende Verfahren wie eine Kernspintomographie notwendig gewesen. Am 09.12.1996 habe er stationär aufgenommen und eine Beteiligung des Fußknochens am Entzündungsprozess durch einen operativen Eingriff spätestens zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen werden müssen. Jedenfalls nach der stationären Aufnahme am 14.01.1997 hätte die erforderliche chirurgische Intervention die Osteomyelitis ausheilen lassen. Auch hier sei die richtige Diagnose durch eine Kernspintomographie versäumt worden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des 20.05.1999 verkündeten Urteils des Landgerichts Ravensburg - 3 O 1031/98 -

1. den Beklagten zu 1 zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld sowie eine angemessene Schmerzensgeldrente zu bezahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte zu 1 dem Kläger den gesamten nicht vorhersehbaren künftigen immateriellen Schaden zu ersetzen hat, der ihm daraus entsteht, das die am 17.09.1996 erlittene Verletzung am rechten Vorfuß zu einer Osteomyelitis und anschließender Amputation des rechten Unterschenkels geführt hat,

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 26.729,55 DM nebst 9,5 % Zinsen aus 20.398,00 DM vom 09.04.1998 bis zur Rechtshängigkeit und aus 26.729,55 DM ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den gesamten künftigen materiellen Schaden zu ersetzen, soweit Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind und soweit der Schaden dadurch entsteht, dass die am 17. September 1996 erlittene Verletzung am rechten Vorfuß zu einer Osteomyelitis mit anschließender Amputation des rechten Unterschenkels geführt hat.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertiefen ebenfalls ihr erstinstanzliches Vorbringen und bestreiten, dass bis zum Ende der Behandlung durch den Beklagten zu 1 eine Osteomyelitis vorgelegen oder sich entwickelt habe.

Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die private Krankenversicherung des Klägers ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers als Streithelferin beigetreten. Das Oberlandesgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen chirurgischen Sachverständigengutachtens von Dr. R . Nach der erfolgreichen Ablehnung des Sachverständigen hat Prof. Dr. R (Bl. 441) ein schriftliches chirurgisches Sachverständigengutachten erstattet (Bl. 441) und dieses mündlich erläutert (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2000, Bl. 480). Außerdem wurde ein schriftliches radiologisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. B (Bl. 558) eingeholt, das dieser gemeinsam mit Prof. Dr. R . In der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2001 (Bl. 586) erläuterte.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten. Er hat nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1 die Schädigung, die Resektion zunächst der Metatarsaleköpfchen im Juni 1997 und schließlich die Unterschenkelamputation im November 1997 als Folge von Fehlern bei der Behandlung vom September 1996 bis Februar 1997 schuldhaft herbeigeführt hat. Die Behandlung durch den Beklagten zu 1 war zwar nicht fehlerfrei. Spätestens im Januar 1997 hätte eine Kernspintomographie zur weiteren Befunderhebung erfolgen müssen. Daraus hätten sich aber keine Befunde ergeben, die zu einer anderen Behandlung als geschehen führen mussten.

1. Behandlungsfehler bei der Untersuchung des Klägers am 24.09.1996 und der stationären Aufnahme bis 01.10.1996 sind nicht bewiesen.

a) Nach der Aufnahme musste die Wunde nicht operativ revidiert werden. Der Beklagte zu 1 hatte den Wundkanal sondiert und dabei Eiter festgestellt. Blutwerte und der CRP-Wert wurden erhoben und ein für eine Beurteilung ausreichendes Röntgenbild gefertigt. Auf diesem Röntgenbild, das geeignet war, kleinere, nicht metallharte Fremdkörper abzubilden, ergaben sich keine Anhaltspunkte für Fremdkörper in der Wunde. Bei diesem Befund war es nicht behandlungsfehlerhaft, vor einer chirurgischen Intervention zwei bis drei Tage abzuwarten, ob die lokale Versorgung mit Wundreinigung, antiseptischer Wundbehandlung und Antibiose ansprach und die Wundverhältnisse verbesserte. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. R, in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15. Februar 2000 überzeugend dargelegt. Der Sachverständige Prof. Dr. W hat in erster Instanz zwar ausgeführt, auf der Röntgenaufnahme vom 24.09.1996 zeige sich ein chronisch entzündlicher Prozess im Bereich des 5. Mittelfußknochens. Dem Sachverständigen Prof. Dr. R war dies nach Besicht der Röntgenaufnahme unverständlich. Daß im September 1996 keine knöcherne Beteiligung vorlag, ergibt nicht nur die damalige röntgenologische Auswertung, sondern auch die Kernspinaufnahme vom 13.11.1996, die keine Osteitis oder Osteomyelitis zeigt. Wenn im September 1996 eine Osteitis/Osteomyelitis vorgelegen hätte, hätte sich diese auch in der Kernspintomographie vom 13.11.1996 zeigen müssen. Der Sachverständige Prof. Dr. R. ging deshalb davon aus, dass Prof. Dr. W , der Orthopäde ist, nicht ausreichend zwischen chronisch entzündlichen Knochenveränderungen und rheumatisch degenerativ verursachten entzündlichen Veränderungen unterschieden hat. Nur so ist es auch zu erklären, dass Prof. Dr. W aus der angeblichen Osteomyelitis keine chirurgischen Konsequenzen ziehen wollte.

Soweit Dr. R . Für den 24., spätestens 25.09.1996 eine operative Revision der Wunde für angezeigt hielt, hat er gleichzeitig den Einwand für berechtigt erachtet, dass durch ein radikales Debridement ein großer, evtl. den Knochen freilegender Defekt geschaffen würde, dessen primäre Deckung unmöglich und dessen sekundäre Deckung sehr problematisch sei. Daraus ergibt sich, dass die Entscheidung zur operativen Revision von einer Abwägung verschiedener Umstände abhängt. Der Sachverständige Prof. Dr. R hat vor dem Senat überzeugend dargelegt, dass es im Hinblick auch auf die Problematik des mehrfach voroperierten Fußes des Klägers ausreichend war, zunächst zwei bis drei Tage abzuwarten, ob nicht unter einer konservativen Behandlung eine Besserung eintrat und dadurch eine operative Revision mit ihren besonderen Heilungsrisiken aus der Vorschädigung des Fußes vermieden werden konnte. Nachdem sich die Wundverhältnisse tatsächlich besserten und die Entzündungsparameter während des stationären Aufenthaltes zurückgingen, konnte sich der Beklagte zu 1, wie Prof. Dr. R dargelegt hat, auf der sicheren Seite fühlen. Dass nicht unmittelbar nach der stationären Aufnahme operiert wurde, ist deshalb kein Behandlungsfehler.

b) Der Kläger wurde auch im weiteren Verlauf der stationären Aufnahme nicht fehlerhaft behandelt. Die antibiotische Behandlung bis 29.09.1996 war in Dosis und Dauer ausreichend. Zwar hat auch hier der Sachverständige Dr. R die Dauer der Therapie ohne Beweise einer Keimfreiheit der Wunde als unzureichend bezeichnet und einen Zeitraum von mindestens 10 Tagen als Regel für die Antibiose angenommen. Schon Prof. Dr. B , der für den Kläger ein außergerichtliches Gutachten erstattet hat, stellte jedoch im Gegensatz zum Gutachten von Dr. S vom 05.03.1999, das der Kläger ebenfalls einholte, fest, dass die antibiotische Behandlung als reine Vorsichtsmaßnahme zur Verhinderung einer Ausbreitung der in der Wunde gefundenen Keime über die Blutbahn in andere Organe ausreichend war und überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spielte, weil es sich um eine Vorsichtsmaßnahme handelte.

Damit stimmen die Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. R überein. Hinzu kommt, dass die ggf. verkürzte Gabe von Antibiotika keine Konsequenzen für den weiteren Behandlungsverlauf hatte. Zu einer Infektion von Nachbarorganen kam es nicht. Aus der Kernspintomographie vom 13.11.1996 ergibt sich, dass bis zu diesem Zeitpunkt auch keine Osteomyelitis vorlag. Aus diesem Grund kommt es auch auf die von Dr. S in seinem Privatgutachten vom 05.03.1999 monierten Unterlassungen nicht an.

Ein mikrobiologischer Abstrich bei der Entlassung des Klägers am 01.10.1996 war nicht veranlasst. Zwar hat Dr. R zur Beweisführung für eine tatsächliche Eliminierung der Erreger einen Wundabstrich für notwendig erachtet. Schon das vom Kläger eingeholte außergerichtliche Gutachten von Prof. Dr. B , der Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie ist, wies jedoch darauf hin, dass mikrobiologische Untersuchungen im Hinblick auf den klinischen Befund, der eine Besserung der Wundsituation mit guter Granulation zeigte, keine weiteren therapierelevanten Informationen erbracht hätten und daher überflüssig waren. Dieser Auffassung war auch der Sachverständige Prof. Dr. R . Er wies darauf hin, dass bei einem Wundabstrich sicherlich wie auf jeder Fußsohle Keime gefunden worden wären, einem solchen Befund jedoch im Hinblick auf den Heilungsverlauf keine größere Bedeutung zugekommen sei. Die Wundverhältnisse waren sauber und stabil und es zeigten sich gute Granulationen. Aufgrund dieses günstigen Heilungsverlaufs konnte der Kläger auch am 01.10.1996 entlassen werden.

2. Die Behandlung bei der ambulanten Wiedervorstellung des Klägers am 18.10.1996 war regelgerecht. Weitere Befunderhebungen oder Maßnahmen waren nicht angezeigt. Das Hautgeschwür war reizlos, die Umgebung weich, auf Druck entleerte sich kein Eiter und in die Tiefe konnte kein Kanal mehr gefunden werden. Damit konnte ein weiterer komplikationsloser Abheilungsverlauf festgestellt werden. Prof. Dr. R , Dr. R und der vom Kläger außergerichtlich beauftragte Prof. Dr. B stimmten darin überein, dass aus diesem Grund weder weitere Untersuchungen noch weitere Therapiemaßnahmen erforderlich waren.

3. Die Behandlung nach dem 09.12.1996 war fehlerhaft. Spätestens um den Jahreswechsel hätte durch eine Röntgenaufnahme oder eine Kernspintomographie abgeklärt werden müssen, ob es über eine Weichteilinfektion hinaus zu einer Beteiligung des Knochen gekommen war. Das hat der Beklagte zu 1 versäumt. Diese Unterlassung hat die Schädigung des Klägers aber nicht herbeigeführt. Eine Osteomyelitis lag nicht vor, so dass auch keine Veranlassung zu weitergehenden chirurgischen Maßnahmen im Januar/Februar 1997 bestand.

a) Eine mikrobiologische Untersuchung war am 09.12.1996 nicht erforderlich. Bei der Vorstellung am 09.12.1996 zeigte sich ein erbsgroßer Defekt unter der Fußsohle mit einer 2-3 cm tiefen Höhle. Diese wurde gesäubert. Die Höhle selbst wird als reizlos, ohne Druckschmerz und ohne sicheren Hinweis auf einen Sekretverhalt beschrieben. Wie der Sachverständige Prof. Dr. R dargelegt hat, bestand damit über die erbsgroße Höhle hinaus kein Anhalt für eine entzündliche Mitreaktion der umgebenden Weichteile. Aus diesem Grund war eine Wundabstrichsuntersuchung nicht erforderlich, wie Prof. Dr. R bereits in seinem schriftlichen Gutachten in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. R dargelegt hat.

b) Dagegen war es zwingend erforderlich, zumindest durch eine Röntgenaufnahme abzuklären, ob an der Entzündung bereits Knochenteile beteiligt waren und damit eine Osteomyelitis vorlag. Die Kernspintomographie vom 12.11.1996 hatte am 2. und 3. Mittelfußköpfchen eine Flüssigkeitsansammlung abgebildet. Eine direkte Knochenbeteiligung war damals noch nicht feststellbar. Sowohl Prof. Dr. R als auch Dr. R haben überzeugend dargelegt, dass im Hinblick auf eine mögliche Weiterentwicklung der Entzündung bis in den Knochen hinein bei der erneuten Vorstellung am 09.12.1996, spätestens aber zum Jahreswechsel eine radiologische Abklärung notwendig war. Beide haben die Unterlassung des Beklagten zu 1 als medizinisch unverständlich bezeichnet.

c) Die Unterlassung hat jedoch nicht zur Schädigung des Klägers geführt. Sie hätte dann die Schädigung des Klägers kausal verursacht, wenn eine Osteomyelitis vorgelegen hätte und in den bildgebenden Verfahren nachgewiesen worden wäre. Wie der Sachverständige Prof. Dr. R übereinstimmend mit dem vom Kläger eingeholten Gutachten von Prof. Dr. B dargelegt hat, ist bei einer Osteomyelitis eine rasche chirurgische Revision unbedingt erforderlich, um eine weitere Ausbreitung der Entzündung und so einen noch weitergehenden Eingriff - wie im Fall des Klägers die Unterschenkelamputation - zu verhindern. Dagegen genügte bei einer Weichteilinfektion ein Eingriff nur an den Weichteilen, wie ihn der Beklagte zu 1 am 15.01.1997 vornahm. Wenn es dann in der Folge noch zu einer Weiterentwicklung der Infektion kam, beruht diese nicht auf einer unzureichenden Behandlung durch den Beklagten zu 1, wie der Sachverständige Prof. Dr. R in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13. Februar 2001 überzeugend dargelegt hat.

Eine Osteomyelitis lag bis zum Ende der Behandlung durch den Beklagten zu 1) im Februar 1997 nicht vor. Der Sachverständige Prof. Dr. R ging bei seiner Beurteilung im Termin vom 15. Februar 2000, dass eine weitergehende chirurgische Intervention aufgrund des Röntgenbildes bzw. einer Kernspintomographie angezeigt gewesen wäre, davon aus, dass eine Osteomyelitis vorlag und entsprechende Befunde erhoben worden wären. Dafür sprachen die Befunde, die später im B krankenhaus U erhoben wurden. Die Skelettszintigraphie vom 18.06.1997 ergab zwar nur einen Verdacht auf eine Osteomyelitis, und die am 20.06.1997 gefertigte Röntgenaufnahme zeigte keine abgrenzbaren sicheren osteolytischen Herdbefunde. Das MRT vom 23.06.1997 wurde aber dahin bewertet, dass eine ossäre Mitbeteiligung vorliege, wie sie auch im histologischen Befund nach der Resektion der Metatarsaleköpfe mit einer eitrigen unspezifischen Osteomyelitis angesprochen worden ist. Dagegen ergab die Histologie nach der Unterschenkelamputation vom 05.11.1997 keinen Nachweis einer Periostitis und Ostitis.

Die Nachbegutachtung des MRT vom 23.06.1997 durch Prof. Dr. B ergab jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt keine Osteomyelitis nachgewiesen werden konnte. Daraus ist sicher zu schließen, dass auch vom Dezember 1996 bis Januar 1997 keine Osteomyelitis vorhanden war und deshalb keine Indikation für eine chirurgische Wundrevision über die Weichteile hinaus bestand. Prof. Dr. B hat überzeugend dargelegt, dass es in der Kernspintomographie vom 23.06.1997 keinen Hinweis auf eine Osteomyelitis gibt. Die Veränderungen im Köpfchen des 4. Mittelfußknochens sind so gering ausgeprägt, dass sie nicht als Osteomyelitis gewertet werden können. Das beschriebene kleine Ödem ist im Rahmen der vorbestehenden Gelenkschädigung des Metatarsophalangealgelenkes IV zu erklären. Prof. Dr. B befindet sich bei seiner Bewertung in Übereinstimmung mit dem von den Beklagten eingeholten außergerichtlichen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. F.

Aus diesem Befund ist, wie Prof. Dr. B überzeugend dargelegt hat, der medizinisch sichere Schluss zu ziehen, dass auch zuvor keine Osteomyelitis vorgelegen hat. Dem hat sich der Sachverständige Prof. Dr. R angeschlossen und eine chirurgische Konsequenz aus dem unterlassenen radiologischen Befund verneint.

Beweiserleichterungen kommen dem Kläger bei dieser Sachlage nicht zugute. Prof. Dr. R hat die unterlassene Befunderhebung durch ein bildgebendes Verfahren zwar als unverständlich bezeichnet. Damit liegt die Annahme eines groben Behandlungsfehlers nahe, bei dem Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten in Betracht kommen. Im konkreten Fall scheidet eine Beweislastumkehr jedoch aus. Die Umkehr der Beweislast setzt voraus, dass der grobe Behandlungsfehler generell geeignet ist, den eingetretenen Primärschaden zu verursachen und nicht aufgrund konkreter Umstände der Eintritt des Primärschadens äußerst unwahrscheinlich ist (BGH Urteil vom 13.01.1998, VI ZR 242/96 - NJW 1998, 1780 = VersR 1998, 457). Da nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. B denen sich Prof. Dr. R angeschlossen hat, eine Osteomyelitis zwischen Dezember 1996 und Februar 1997 nicht vorgelegen hat, ist es ausgeschlossen, daß eine unbehandelt gebliebene Osteomyelitis in der Folge zu weiteren Schäden geführt hat. Auch Beweiserleichterungen unterhalb der Schwelle des groben Behandlungsfehlers wegen einer unterlassenen Befunderhebung scheiden aus. Sie setzen voraus, dass der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein medizinisch reaktionspflichtiges Ergebnis gehabt hätte (BGH Urteil vom 06.07.1999, VI ZR 290/1998 - NJW 1999, 3408 = VersR 1999, 2082). Die gebotene Befunderhebung durch eine Röntgenaufnahme und ggf. eine Kernspintomographie hätte aber nicht als wahrscheinliches Ergebnis eine reaktionspflichtige Osteomyelitis gehabt, sondern aus den dargelegten Gründen gerade ausgeschlossen.

4. Die Behandlung bei der stationären Aufnahme ab dem 14.01.1997 war damit nicht fehlerhaft. Da keine Osteomyelitis vorlag, genügte die Wundrevision in den Weichteilen am 15.01.1997. Die antibiotische Behandlung zwischen 14.01. und 01.02.1997 war nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. R in seinem schriftlichen Gutachten ausreichend, zumal es zu einer zufriedenstellenden Sekundärheilung und zu einer weitgehenden Normalisierung der Entzündungszeichen im Blut gekommen war. Auch Prof. Dr. B hielt eine weitergehende Antibiose nur bei einer Osteomyelitis für notwendig. Damit waren auch keine weiteren labormedizinischen oder bildgebenden Untersuchungen vor der Entlassung notwendig. Im Übrigen hatte diese, da keine Osteomyelitis vorlag, den weiteren Verlauf nicht beeinflusst. Damit besteht auch kein Widerspruch zu dem vom Kläger eingeholten mikrobiologischen Gutachten von Dr. S vom 22.07.1999, in dem ebenfalls unter der letztlich nicht zutreffenden Annahme einer Osteomyelitis zu deren Diagnose weitere mikrobiologische Diagnostik verlangt und eine Fehlbeurteilung der Entzündungszeichen bemängelt wird.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO und im Verhältnis zur ausgeschiedenen Berufungsbeklagten zu 3 auf § 515 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.



Ende der Entscheidung

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