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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 02.11.1999
Aktenzeichen: 14 U 43/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
14 U 43/98

Ein Bettgitter muß zum Schutz des Patienten erst bei Vorliegen besonderer Gründe angebracht werden. Ein Sturz während eines früheren Krankenhausaufenthalts genügt dazu noch nicht.

OLG Stuttgart; Urteil vom 02.11.1999


Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 14 U 43/98 Landgericht Ulm, 6 O 149/97

In Sachen

- Klägerin/Berufungsklägerin -

Proz. Bev.:

gegen

- Beklagte/Berufungsbeklagte -

Proz. Bev.:

Verkündet am 02. November 1999

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 1999 unter Mitwirkung

des Richters am OLG der Richterin am OLG des Richters am LG

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 25.06.98 - 6 O 149/97 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 27.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Wert der Berufung: 305.329,80 DM;

Beschwer der Klägerin: über 60.000,00 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Schadensersatz - Zahlung von Schmerzensgeld, rückständigem Mehrbedarf und einer entsprechenden Rente - wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in der Klinik a E in G.

Die - damals 59 Jahre alte - Klägerin wurde dort am 08.11.96 zur Durchführung einer Hämorrhoidenoperation aufgenommen. Sie war - wie den Ärzten im Krankenhaus bekannt war - Shunt-Patientin (dieser war ihr im März 1996 im Bezirkskrankenhaus Gü wegen eines Hydrocephalus internus implantiert worden). Sie litt ferner an Neurofibromatose und nahm wegen eines Hypertonus Fondril ein. Mitgebracht hatte sie das Beruhigungsmittel Remestan. Die Operation war auf den 13.11.96 geplant. Am Tag davor fand das Aufklärungsgespräch über den Eingriff und das geplante Narkoseverfahren statt. Die Klägerin erhielt zur Prämedikation am Abend 1 Tabl. Adumbran (10 mg) und am Vormittag des geplanten Eingriffs eine Tablette Tavor (2,5 mg). Gegen 13.45 Uhr stürzte sie aus dem Bett. Äußerlich war insbesondere eine Verletzung an der linken Schläfe sichtbar. Die Operation wurde abgesetzt. Eine knöcherne Schädelverletzung konnte röntgenologisch ausgeschlossen werden. Grob neurologisch ergaben sich keine Auffälligkeiten. Die Klägerin erhielt auf ihren Wunsch ein Bettgitter angebracht. Da sie auch am Morgen des Folgetags bei einer wiederholten grob neurologischen Untersuchung unauffällig blieb, wurde - ihrem Wunsch entsprechend - die Hämorrhoidenoperation durchgeführt. Innerhalb der nächsten beiden Tage traten bei der Klägerin Schwindel, Unwohlsein und Kopfschmerz auf. In der Nacht zum 16.11.96 zeigte sich eine linksseitige Schwäche im Gehen. Eine fachneurologische Untersuchung am 16.11.96 ergab weitere Auffälligkeiten, u.a. eine armbetonte Hemiparese links. Ein um 13.02 Uhr erhobenes Schädel CT zeigte ein subdurales Hämatom rechts hochparietal. Dieses wurde gegen 16.40 Uhr operativ entlastet. Die Hemiparese bestand jedoch fort. Am Morgen des 18.11.96 ergab ein Kontroll-CT eine intracerebrale Blutung rechts hochparietal in der Zentralregion. Die halbseitig gelähmte Klägerin wurde wegen eines offenliegend befundeten Teils des Shunts in das Bezirkskrankenhaus G verlegt, wo eine Revision erfolgte; eine Änderung des Shunts war jedoch nicht erforderlich. Anschließend wurde die Klägerin in der E -Klinik weiter stationär behandelt. Die Anschlußheilbehandlung fand seit dem 04.12.96 im Neurologischen Rehabilitationszentrum Q hof in B W statt. Die Behandlung war durch eine Lungenembolie - Folge einer Unterschenkelvenenthrombose - kompliziert, die zu einer Rückverlegung führte. Auch war eine erneute Shuntrevision erforderlich. Die Rehabilitation konnte deshalb erst am 03.01.97 fortgesetzt werden. Nach Abschluß der Behandlung zog die nunmehr pflegebedürftige Klägerin in die zuvor erworbene Untergeschoßwohnung im Gebäude F weg 3 in A ein. In diesem Haus bewohnen eine Nichte mit Familie und ein Neffe jeweils eine Eigentumswohnung; diese unterstützen die Pflege und übernehmen Fahrdienste. In die vor den Ereignissen - zusammen mit ihrem Bruder - genutzte Wohnung , in U kehrte die Klägerin nicht zurück. Ihre Behinderung ist von der Pflegeversicherung als Dauerpflegefall der Stufe II anerkannt; sie erhält eine Pflegerente in Höhe von 800,00 DM monatlich.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagten seien für den Sturz und die weiteren Folgen verantwortlich, weil sie grob fehlerhaft mit einer überdosierten und "auf Vorrat gegebenen" Mischung aus Tavor, Adumbran, Remestan präoperativ ruhig gestellt worden sei und infolge des dadurch bewirkten Schwindel- und Mattigkeitszustands aus dem Bett gefallen sei. Sie hat vorgetragen, auch das mitgebrachte Beruhigungsmittel Remestan eingenommen zu haben. Es hätte deshalb eine Sicherung mit Bettgitter erfolgen müssen. Auch hätte der durch den Sturz ausgelösten subduralen und intracerebralen Blutung diagnostisch und therapeutisch rascher und konsequenter nachgegangen werden müssen. Die Operation hätte nicht durchgeführt werden dürfen. Bei richtiger Behandlung wäre die Hemiparese vermieden worden. Die Klägerin hat ihren bis zur Einreichung der Klage entstandenen materiellen Schaden auf 58.329,80 DM beziffert (im wesentlichen Telefonkosten während der stationären Behandlung, sachlicher Mehrbedarf, Umbaukosten, Fahrtkosten, Pflegemehrbedarf und entgangene Zinseinkünfte). Zinsverluste und PKW-Mehrkosten machten künftig 1.600,00 DM monatlich aus, der Pflegemehrbedarf 1.900,00 DM monatlich. Ein Schmerzensgeld von 100.000,00 DM sei angemessen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,

2. dem Beklagten weiter zu verurteilen, an die Klägerin 58.329,80 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,

3. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ab 01.07.97 eine monatliche Rente von 1.600,00 DM und eine weitere Rente in Höhe des Bruttoentgelts zu bezahlen, welche sich aus eine Nettobetrag von 1.900,00 DM errechnet.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß keine Überdosierung von Beruhigungsmitteln vorgelegen habe. Er hat vorgetragen, daß die Klägerin Remestan nicht genommen habe. Sie sei vor dem Sturz und danach bewußtseinsmäßig klar und ansprechbar gewesen. Die Behandlung nach dem Sturz sei regelgerecht gewesen. Ferner hat er Einwendungen zur Höhe des geltend gemachten materiellen Schadens und Schmerzensgeldes erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Behandlungsablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. In einem nachgereichten Schriftsatz hat die Klägerin vorgetragen, schon 1991 sei sie während ihres stat. Aufenthalts aus Anlaß einer gynäkologischen Operation aus dem Bett gefallen; darauf habe der Ehemann ihrer Nichte bei stationäre Aufnahme hingewiesen und um Abhilfe gebeten.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.06.98 abgewiesen. Es hat hierzu auf der Grundlage der erhobenen chirurgischen und anästhesiologischen Gutachten von Prof. Dr. G , Dr. R und Prof. Dr. B die Prämedikation als ordnungsgemäß angesehen und Schutzmaßnahmen nicht für erforderlich gehalten. Trotz feststellbarer Behandlungs- und Befunderhebungsfehler sei die Halbseitenlähmung nicht vermeidbar gewesen. Das nachträgliche Vorbringen begründe keinen Behandlungsfehler. Wegen der Gründe der Entscheidung wird hierauf Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Bevollmächtigten am 06.07.98 zugestellte Urteil am 04.08.98 Berufung eingelegt und diese 27.08.98 begründet.

Die Klägerin wiederholt zum Thema der Überdosierung ihr erstinstanzliches Vorbringen; im Hinblick auf den schon 1991 erlittenen Sturz und ihre Verletzlichkeit infolge des mit Shunt versorgten Hydrozephalus seien Bettgitter anzubringen gewesen. Im übrigen ist sie der Auffassung, daß ihr wegen der Vermeidbarkeit der Halbseitenlähmung Beweiserleichterungen zustünden.

Sie beantragt,

das Urteil des Landgerichts Ulm abzuändern und den Beklagten zu verurteilen

1. an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

2. an die Klägerin 58.329,80 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

3. an die Klägerin ab 01.07.97 eine monatliche Rente in Höhe von 1.600,00 DM und eine weitere Rente in Höhe des Bruttoentgelts zu bezahlen, welche sich aus eine Nettobetrag von 1.900,00 DM errechnet.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich im wesentlichen auf sein erstinstanzlichen Vorbringen. Ferner bestreitet er, daß die Klägerin anläßlich der Behandlung in 1991 aus dem Bett gestürzt sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende schriftliche Gutachten der Sachverständigen Dr. R und Prof. Dr. B . Diese haben ihre Gutachten im Termin am 30.09.99 erläutert. Auf ihre schriftlichen Ausführungen und mündliche Äußerungen - auch in erster Instanz - wird Bezug genommen. Der Senat hat ferner den Zeugen H -J B vernommen. Wegen seiner Aussage wird auf die Niederschrift des Termins vom 30.09.99 verwiesen. Wegen des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Prämedikation der Klägerin war fehlerfrei. Auch war die vorsorgliche Anbringung eines Bettgitters nicht geboten. Ferner ist als erwiesen anzusehen, daß die Halbseiteniähmung, unter deren Folgen die Klägerin leidet, auf die intracerebrale Blutung zurückzuführen ist, die mit dem Sturzereignis hinsichtlich ihres Verlaufs im wesentlichen vorherbestimmt war und nicht mehr aufgehalten werden konnte. Etwaige Fehler in der Behandlung - verspätete Abklärung der Sturzfolgen durch ein CT, nicht einberufenes neurologisches Konsil vor erneuter Durchführung der Hämorrhoiden-Operation und verzögerte Durchführung des Revisionseingriffs - sind deshalb für die Schädigung der Klägerin nicht kausal geworden; jedenfalls ist dies äußerst unwahrscheinlich.

I.

1.

Die der Klägerin verabreichte anästhesistische Prämedikation entspricht den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft. Sie war auch nicht ausnahmsweise kontraindiziert.

Eine Prämedikation durch Gabe beruhigender und sedierender Medikamente ist, wie Prof. Dr. B überzeugend ausgeführt hat, vor einem operativen Eingriff - insbesondere bei einem in Vollnarkose - erwünscht und indiziert. Sie soll in der Nacht davor den Schlaf fördern und am Operationstag Angstgefühlen und etwaigen Schmerzen entgegenwirken. Bei einem derart abgeschirmten und beruhigten Patienten läßt sich die notwendige Narkose leichter, sicherer und mit geringerer Gabe von Medikamenten durchführen.

Die Klägerin erhielt Beruhigungsmittel - hier sog. Benzodiazepine - in Tablettenform, die in ihrer Dosierung auch bei dem geringen Körpergewicht der Klägerin keine Gefahr bedeutet haben. Wegen ihrer besonderen - indirekten - Wirkungsweise können sie praktisch nicht überdosiert werden. Dementsprechend waren diese Mittel nicht geeignet, bei der Klägerin einen Bewußseinsverlust oder eine Verwirrtheit auszulösen, die zum Sturz hätten führen können. Die im Beipackzettel beschriebenen Nebenwirkungen wie etwa Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel oder Sehstörungen haben bei dem im Bett liegenden Patienten in der Regel keine nachteiligen Wirkungen und sind teilweise erwünscht (Müdigkeit, verminderte Aufnahmefähigkeit von äußeren Reizen).

Auch das von der Klägerin mitgebrachte Beruhigungsmittel (Remestan) gehört zur Gruppe der Benzodiazepine. Wegen der anzunehmenden Gewöhnung wäre deshalb sogar eine leicht erhöhte Dosierung durchaus vertretbar gewesen. Deshalb kann dahinstehen, ob die Klägerin, die hierzu vor dem Landgericht keine Erinnerung hatte, am Vorabend des Operation zusätzlich eine Tablette Remestan eingenommen hat oder nicht.

Aufgrund der Neurofibromatose bestand bei der Klägerin keine erhöhte Empfindlichkeit auf Sedativa. Dies gilt auch für den suffizient versorgten Hydrocephalus. Wie schon das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist jedenfalls im Fall der Klägerin eine Wirkungsverstärkung durch die eingenommenen Beruhigungsmittel und den Blutdrucksenker nicht anzunehmen, nachdem die Klägerin vor und nach dem Sturz unauffällig gewesen war und auch die gemessenen Blutdruckwerte im Normalbereich gelegen hatten. Zur Auslösung von Schwindel- oder Verwirrtheitszuständen hätte es - wie der Sachverständige Prof. Dr. B ergänzend ausgeführt hat - einer extrem hohen Überdosierung bedurft.

Die Einnahme der für den Operationstag bestimmten Medikamente schon am Vormittag und nicht erst in zeitlicher Nähe zum vorgesehenen Eingriff entspricht nicht nur einer unbedenklichen Übung, sondern war im Hinblick auf die angestrebte beruhigende und abschirmende Wirkung indiziert.

2.

Bei der Klägerin bestand keine Veranlassung, vorsorglich ein Bettgitter anzubringen, um einem Sturz vorzubeugen. Dieser Sturz hat sich nicht in einem Bereich zugetragen, dem durch vorsorgliche Maßnahmen im Rahmen des stationären Aufenthalts begegnet werden kann und muß (voll beherrschbares Risiko).

a) Stürze aus dem Bett ereignen sich im Klinikalltag immer wieder. Es bedarf keiner näheren Begründung dafür, daß allein deshalb das Anbringen von Bettgittern nicht gefordert werden kann, und zwar schon wegen der damit verbundenen Beschränkung des Patienten, der zum Aufstehen auf die Hilfe Dritter angewiesen wäre, und wegen der erhöhten Gefahr, die etwa mit dem eigenmächtigen Überwinden des Gitters verbunden ist. Beide Sachverständige haben auf diese Bedenken hingewiesen.

b) Deshalb bedarf es, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, besonderer Gründe im Einzelfall, wenn aufgrund der Obhuts- und Fürsorgepflicht des Krankenhausträgers zum Schutz des Patienten ein Gitter angebracht werden soll (vgl. OLG Düsseldorf AHRS 3500/22 - halbseitig gelähmter Patient nach Krampfanfall und Fieber, besondere Gründe zur Anbringung eines Schutzgitters bejaht; zu anderen Schutzmaßnahmen OLG Frankfurt VersR 1995, 1498 - Schlaganfallpatientin, die auf dem Weg zur Toilette gestürzt war, besondere Gründe verneint; OLG Düsseldorf VersR 1977, 456 = AHRS 3020/4 - sehbehinderte Patientin nach Staroperation, besondere Gründe verneint; OLG Düsseldorf AHRS 3215/4 - auf dem OP-Tisch gelagerter prämedizierter Patient, Gefahrenlage verneint).

aa) Die Prämedikation als solche gab keinen besonderen Anlaß zu Vorsorgemaßnahmen. Darin waren sich beide Sachverständige schon im ersten Rechtszug einig. Auf die Ausführungen im Urteil des Landgerichts kann Bezug genommen werden. Dies gilt auch bezüglich des mit Shunt versorgten Hydrocephalus, da dieser ordnungsgemäß versorgt war; Bewegungseinschränkungen gingen von ihm nicht aus und waren auch nicht zu erwarten.

bb) Die Klägerin war wegen des Shuntventils auch nicht in erhöhtem Maße gefährdet. Dazu hat Dr. R in seinem ergänzenden Gutachten überzeugend ausgeführt, daß seine in diesem Sinne verstandenen Äußerungen vor dem Landgericht ein Mißverständnis beinhalten. Tatsächlich war die Klägerin nicht im Sinne einer gravierend erhöhten Verletzlichkeit besonders gefährdet; vielmehr war bei ihr infolge der Shuntversorgung eine Verletzung der gegenüber liegenden Hirnpartie und ein protrahierter Verlauf der Hirnblutung zu erwarten (Bl. 272). Diese Erwägungen betreffen die Lokalisation und den Ablauf der Schädigung, nicht aber die Verletzlichkeit als solche.

cc) Andere konkrete Umstände, die es - etwa wegen einer akuten oder bevorstehenden Bewußtseinseintrübung oder Verwirrtheit der Klägerin - erforderlich gemacht hätten, sie vor der Gefahr eines Sturzes aus dem Bett durch Anbringen eines Gitters zu bewahren, sind nicht erweislich. Die Medikation oder die Vorerkrankungen der Klägerin können - wie schon ausgeführt - hierzu nicht angeführt werden (vgl. auch OLG Düsseldorf VersR 1977, 456 = AHRS 302014 - vor dem Ereignis verabreichte Schmerz- und Schlafmittel, Sturz nicht vorhersehbar).

Nach dem ergänzenden Gutachten Prof. Dr. B waren die am Abend vor dem geplanten Eingriff gegebene Menge Adumbran (10 mg) und die am Morgen gegebene Menge Tavor (2,5 mg) nicht geeignet, einen Bewußtseinsverlust oder Verwirrtheit auszulösen. Dies gilt auch angesichts des geringen Körpergewichts der Klägerin. Ferner war die Klägerin vor und nach dem Sturz unauffällig gewesen. Sonstige Hinweise oder Anhaltspunkte, die für eine erkennbare Gefährdung der Klägerin gesprochen haben, sind nicht ersichtlich.

dd) Allein der Umstand, daß die Klägerin während ihres stationären Aufenthalts im Oktober/November 1991 aus dem Bett gestürzt war und dies der aufnehmenden Krankenschwester mitgeteilt worden ist, gibt keinen Anlaß, vorsorglich eine Schutzmaßnahme zu ergreifen oder eine solche der Klägerin zu empfehlen, und zwar auch dann nicht, wenn dabei die Patientin als besonders "schusselig" geschildert worden sein sollte.

Anhand der beigezogenen Behandlungsunterlagen ergibt sich, daß die Klägerin nach dem damals durchgeführten Eingriff im Krankenzimmer "gegen morgens aus dem Bett gefallen" war. Der Senat unterstellt ferner, daß die Schilderung des Zeugen Dr. B zutrifft, wonach er dies zum Anlaß genommen haben will, die aufnehmende Krankenschwester um die Beiziehung der Behandlungsunterlagen gebeten zu haben. Ferner will er die Klägerin als "schusselig" und besonders anfällig für Unfälle geschildert und der besonderen Obhut der Schwester anempfohlen haben.

Es mag zutreffen, daß diese Angaben, wenn sie so gemacht worden sind, in die Pflegeanamnese hätten aufgenommen werden müssen.

Die Unterlassung bleibt aber deshalb ohne haftungsrechtliche Folgen, weil die Mitteilung nicht dazu hätte führen müssen, daß am Bett der Klägerin vorsorglich Bettgitter anzubringen waren. Aus medizinischer Sicht geben das längere Zeit zurückliegende Sturzereignis und die vom Zeugen B geäußerten Befürchtungen keinen Anlaß zu besonderen Schutzmaßnahmen. Nach Auffassung des Sachverständigen Dr. R gibt es in der Medizin kein wissenschaftlich oder praktisch begründbares Gebot, wonach ein in der Vergangenheit stattgehabter Bettsturz oder eine dem Alltagsbereich zuzuordnende "Schusseligkeit" eine solche Gefährdungslage begründen, daß auf sie mit besonderen Maßnahmen wie dem Anbringen eines Bettgitters reagiert werden muß. Die Erwartungen des durchschnittlichen Patienten gehen nicht dahin, daß im Klinikalltag auf die gegebene Situation mit einer so einschneidenden Maßnahme wie der Anbringung eines Bettgitters reagiert wird. Deshalb gebietet es die dem Krankenhausträger obliegende Obhuts- und Fürsorgepflicht in diesem Fall nicht, den Patienten vor der allgemeinen - durch einen vorausgegenen Sturz und die Schusseligkeit nicht spezifisch erhöhten - Gefahr eines Bettsturzes in dieser Weise zu schützen.

Sollte es letztlich so gewesen sein, daß die Klägerin wegen einer ungeschickten Bewegung aus dem Bett gefallen ist, gibt es auch bei einem älteren Patienten keine praktische, dem Krankenhaus einfach zu Gebot stehende Maßnahme, mit weicher dieser Gefahr hätte begegnet werden können. Die Anbringung eines Bettgitters muß angesichts der beschriebenen Nachteile auf besondere Einzelfälle beschränkt sein. Ein solcher Sachverhalt hat hier nicht vorgelegen.

Bei der gegebenen Sachlage wäre es zwar möglich gewesen, auf Wunsch des Begleiters der Klägerin oder ihren Wunsch - wie dies dann später auch geschehen ist - ein Bettgitter anzubringen. Das Arzt oder Pflegepersonal war jedoch bei der unterstellten Aufnahmesituation nicht gehalten, von sich aus diese Möglichkeit mit der Patientin zu erörtern oder die Anbringung eines Bettgitters zu empfehlen.

c) Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß sich das Sturzereignis nicht in einem Gefahrbereich zugetragen hat, der für die Behandlungsseite voll beherrschbar war. Weil Klinikträger und Personal auch bei optimalen Bedingungen nicht in jedem Fall Vorsorge dagegen treffen können und müssen, daß der auf Station liegende und nicht in besonderer Weise gefährdete Patient aus dem Bett stürzt, kommen der Klägerin keine Beweiserleichterungen zu. Die Sedierung ist kein Sonderfall, bei welchem hiervon eine Ausnahme zu machen wäre. Es geht vorliegend auch nicht um einen Bereich, in weichem etwa vom Pflegepersonal sichere Vorsorge gegen bekannte Gefahren - wie bei speziellen Verrichtungen - zu erwarten war (BGH v. 18.12.90 - VI ZR 169/90 = VersR 1991, 1540 = AHRS 6338/1 - Sturz des Patienten beim Krankentransport; BGH v. 25.06.91 - VI ZR 320/90 = VersR 1991, 1058 = AHRS 3500/23 - Sturz des Patienten aus dem Duschstuhl; OLG Köln VersR 1990, 1240 = AHRS 3500/18 - Sturz des Patienten von der Untersuchungsliege; OLG Köln AHRS 3215/5 - Sturz aus dem Bett bei unterlegter Bettpfanne).

3.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, entsprach die Behandlung der Klägerin nach dem Sturz nicht den im konkreten Fall zu stellenden Anforderungen. Das hat der Sachverständige Dr. R in seinem Ergänzungsgutachten bestätigt. Dadurch hätte jedoch die Halbseitenlähmung nicht vermieden werden können. Jedenfalls ist dies äußerst unwahrscheinlich.

a) Vor der Hämorrhoidenoperation ist im Fall der Klägerin versäumt worden, eine etwa vorhandene innere Schädelverletzung auszuschließen, sei es durch die konsiliarisch Hinzuziehung eines Neurologen oder durch Anfertigung eines Schädel-CT, das der Fachneurologe jedenfalls veranlaßt hätte. Dabei wäre die Subduralblutung entdeckt worden.

Die am Morgen des 14.11.96 durchgeführte grob neurologische Untersuchung schloß eine Komplikation - etwa im Sinne einer Hirnblutung - nicht aus. Spätestens vor der Operation, die eine Blutung im Schädelinneren negativ beeinflussen kann, war die konsiliarisch Hinzuziehung eines Neurologen oder die Anfertigung eines CT zum Ausschluß einer inneren Schädelverietzung erforderlich. Bei einem Schädel-CT mit Kontrastmittelgabe am Vormittag des 14.11.96 hätte sich sehr wahrscheinlich die Subduralblutung als schmaler, wenige Millimeter breiter Hämatomsaum dargestellt. Die Patientin wäre dann nicht operiert, sondern wäre engmaschig auf der Intensivstation überwacht worden; ggf. wären weitere CT-Kontrollen durchgeführt worden (Gutachten Bl. 273).

b) Auch hätte am 15.1.96 den von der Patientin geklagten Beschwerden - Unsicherheit, Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen - durch weitergehende Untersuchungen nachgegangen werden müssen (Gutachten Bl. 274).

c) Dennoch läßt sich daraus keine Haftung des Beklagten ableiten. Bei Einhaltung des geschuldeten Behandlungsstandards wäre allenfalls die Subduralblutung - um Stunden oder einen Tag - früher therapiert worden. Dieser Zeitverlust ist aber für die Halbseitenlähmung, unter welcher die Klägerin leidet, nicht ursächlich geworden. Diese beruht auf der bereits im Unfallzeitpunkt entstandenen und in ihren Folgen weitgehend vorherbestimmten Kontusionsverletzung, einer lokal umschriebenen - herdförmigen - Hirnquetschung, die in der Folgezeit zu einem Absterben von Hirnsubstanz mit konsekutiver Hirnblutung und dadurch zu dem Schadensbild der Klägerin geführt hat. In diesen Ablauf hätte durch eine frühere Diagnose - auch der Hirnblutung - nicht eingegriffen werden können. In keinem Fall hätte die Blutung operativ angegangen werden können. Auch hat die Durchführung der Hämorrhoidenperation und die unterbliebene intensiv-medizinische Überwachung keinen meßbaren oder abgrenzbaren Schaden verursacht, jedenfalls ist dies äußerst unwahrscheinlich. Auch besteht den verursacht, jedenfalls ist dies äußerst unwahrscheinlich. Auch besteht kein solcher Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der subduralen Blutung und dem im Schädelinneren ablaufenden Schadensprozeß.

Hierzu kann auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Landgerichts und die ihm zugrunde liegenden gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen Dr. R und Prof. Dr. B Bezug genommen werden. Eine ergänzende, neurochirurgische Begutachtung des Kausalverlaufs ist nicht geboten, da in dem hier angeschnittenen Bereich auch der in der Behandlung von Hirnverletzungen erfahrene Chirurg - hier Dr. R - die erforderlichen Kenntnisse besitzt und er sich hierzu auch intern mit dem am BWK U tätigen Neurochirurgen Prof. Dr. W abgestimmt und verlässigt hat.

Im Termin vor dem Senat hat der Sachverständige Dr. R diese Auffassung bestätigt. Danach ist - davon ist der Senat überzeugt - eine negative Beeinflussung der intracerebral ablaufenden Schädigung durch die Hämorrhoidenoperation und die verzögerte Diagnose und Therapie des subduralen Hämatoms praktisch auszuschließen. Die während der Hämorrhoidenoperation durchgeführte Narkose hat sich als solche nicht nachteilig ausgewirkt. Die als primäre Schädigung in Betracht stehende Halbseitenlähmung ist vielmehr in vollem Umfang auf die im Sturz erfolgte Hirnkontusion zurückzuführen und war deshalb durch ärztliche Maßnahmen nicht mehr beeinflußbar.

d) Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, wie die diagnostischen und therapeutischen Versäumnisse der Ärzte des Beklagten zu bewerten sind, ob als einfache Behandlungs- und Befunderhebungsfehler oder im Sinne eines groben Verstoßes gegen die ärztliche Sorgfalt. Denn eine deshalb an sich in Betracht kommende Beweiserleichterung hat auszuscheiden, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Gesundheitsschaden - auch im Sinne einer Mitursächlichkeit - ganz unwahrscheinlich ist (vgl. Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rn. 520 m.w.N.; OLG Oldenburg VersR 1997, 1405 - unterlassene Abklärung einer Schädelverletzung durch CT bei ausgeschlossener operativer Beseitigung der Schädigung).

So verhält es sich hier.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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