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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 27.06.2000
Aktenzeichen: 14 U 8/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 278
BGB § 823
BGB § 847
ZPO § 74
ZPO § 68
ZPO § 72
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711

Entscheidung wurde am 14.09.2001 korrigiert: Titel durch Stichworte ersetzt
1. Der konsiliarisch zugezogene Neurologe hat alle auf neurologischem Fachgebiet liegenden differentialdiagnostisch naheliegenden Erkrankungen auszuschließen.

2. Die Überweisungen zu weiteren notwendigen Befunderhebungen an einen anderen Arzt (hier an den Radiologen zu einer Kernspintomographie) muss mit einer präzisen Fragestellung versehen werden, um eine unzureichende Untersuchung zu vermeiden.

3. Zum Ausschluss einer Sinusvenenthrombose ist bei einer unauffälligen Kernspintomographie eine Angiographie notwendig. Der konsiliarisch zugezogene Arzt muss sicherstellen, dass ihm in einem solchen Fall das Ergebnis der Kernspintomographie mitgeteilt wird. Seine Behandlung ist nicht mit der Anordnung der Kernspintomographie beendet.


Revision durch Beschluss des BGH vom 13.03.2001 - VI ZR 280/00 - nicht angenommen.

Geschäftsnummer: 14 U 8/00 15 O 159/99 LG Stuttgart

Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Urteil

In Sachen

verkündet am 27. Juni 2000

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2000 unter Mitwirkung von

Richter am OLG Richterin am OLG Richter am OLG

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8.10.1999 - 15 O 159/99 - wird

zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120.000,- DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Wert der Berufung und Beschwer des Beklagten: 180.000,- DM.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten, einen niedergelassenen Facharzt für Neurologie, mit dem Vorwurf fehlerhafter Diagnostik und unzureichender Befunderhebung auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihr durch die verspätete Erkennung und Behandlung einer Sinusvenenthrombose entstanden ist.

Die seinerzeit 34 jährige Klägerin wurdde am 13.4.1992 in der F durch Sectio von einem gesunden Kind entbunden. Die komplikationsreiche Schwangerschaft war durch eine tiefe Beinvenenthrombose (15. SSW), eine Nierenkolik (23./24. SSW) und eine EPH - Gestose belastet, die sich auch nach stationärer Aufnahme in der 33. SSW verschlechtert hatte und in der 38. SSW zur Schnittentbindung Anlaß gab.

Am 30.4.1992 wurde die Klägerin bei noch nicht vollständig abgeklungener Gestosesymptomatik und bestehendem Harnwegsinfekt mit entsprechender Medikation und im Hinblick auf die Thrombose noch teilheparinisiert in die hausärztliche Behandlung entlassen. Einen Tag später kam es bei mehrfachem Erbrechen zunehmend zu Kopfschmerzen und am 3.5.1992 gegen 22 Uhr zu einem Krampfanfall, der die sofortige Wiederaufnahme der Klägerin in der geburtshilflichen Abteilung der F zur Folge hatte. Bei der Aufnahme wurden der linke Arm als hyperton angewinkelt und die Finger verkrampft beschrieben. Die Klägerin klagte laut Überwachungsblatt immer wieder über Kopfschmerzen und Zuckungen im linken Arm und Bein. Der Stationsarzt befundete bei im übrigen unauffälligem Status eine diskrete Facialisschwäche links und eine Herabsetzung der groben Kraft im linken Arm und Bein. Der konsiliarisch zugezogene Leiter der psychosomatischen Abteilung der F beschrieb am 4.5.1992 gegen 18 Uhr eine "erschöpft und müde wirkende Patientin mit starkem Leidensdruck, u. U. etwas psychisch überlagert bei hysterischer Konstitution." Wegen der seit der Aufnahme bestehenden leichten Halbseitenschwäche und "deutlicher Facialisparese links" empfahl er ein EEG und CT zur neurologischen sicheren Abklärung sowie ein neurologisches Konsil, das gegen 20 Uhr vom Beklagten durchgeführt wurde. In der Konsiliaranforderung ist auf die Vorgeschichte und die "im Verlauf des Tages zunehmenden Angaben linksseitiger Arm- und Beinschwäche (Lähmung)" hingewiesen. Der Beklagte befundete bei im übrigen unauffälligem Reflexstatus Berührungsparästhesien im Bereich des linken Trigeminusastes I - III sowie eine funktionell überlagerte Hemiparese links, die Arm und Bein betroffen hat bei mangelnder Mitarbeit (z. B. Gegeninnervation). Er empfahl bei "Verdacht auf funktionelle Störung ohne sicheren neurologisch pathologischen Befund" eine Kernspintomographie des Schädels. Nach einer im Überwachungsblatt als unruhig beschriebenen Nacht, in der die Klägerin weiter über Kopfschmerzen und Krämpfe klagte, wurde am Vormittag des 5.5.1992 im Radiologischen Institut Dr. T -Z durch den Praxisvertreter Dr. T eine Kernspinuntersuchung des Schädels durchgeführt. Die Klägerin wurde dabei von dem Stationsarzt Dr. R begleitet. Ob und mit welchem Ergebnis unter den beiden Ärzten die Möglichkeit einer Sinusvenenthrombose diskutiert wurde, ist streitig. In dem handschriftlichen Kurzbefund heißt es: "... etwas betonte innere und äußere Liquorräume, keine Raumforderung und Blutung, ein fraglicher Defekt im laterales Stammganglienbereich rechts entspricht einem Furchenanschnitt". Im ausführlichen Befundbrief vom 6.5.1992 wird außerdem eine geringfügig inhomogene Darstellung des Sinus sagittalis erwähnt, die als strömungsbedingt gewertet wurde. Das am selben Tag in der F abgeleitete EEG blieb ohne pathologischen Befund.

Die Klägerin wurde nach den Untersuchungen noch am 5.5.1992 unter dem Verdacht auf eine "hysterische Lähmung" auf die Intensivstation der Inneren Abteilung verlegt, am Folgetag dann auf die Normalstation, wo sie weiter über Kopfschmerzen im Stirnbereich klagte.

Auf Drängen ihres Bruders, der Arzt ist und mehrfach vergeblich um weitere neurologische Abklärung gebeten hatte, wurde die Klägerin in der Nacht zum 9.5.1992 in die Universitätsklinik B transportiert, wo sogleich eine Angiographie durchgeführt wurde. Diese zeigte einen Verschluß sämtlicher Hirnvenensinus (Sinus sag. sup., Sinus transversus, Sinus sigmoideus, Sinus cavernosus) und zum Teil auch cerebraler Venen. Computertomographisch zeigte sich eine lokale Schwellung im Bereich der rechtsseitigen Zentralregion, klinisch imponierte eine Nackensteifigkeit und die linksseitige Armparese. Die Klägerin wurde ab den frühen Morgenstunden vollheparinisiert (1000 E/h i.v.), mit antiepileptischen Medikamenten behandelt und in die Rheinische Landesklinik B verlegt, aus der sie am 24.6.1992 in die Anschlußheilbehandlung entlassen werden konnte. Eine am Entlassungstag durchgeführte Kernspinangiographie zeigte lediglich noch einen langstreckigen Verschluß im Bereich des Sinus sagittalis superior. Die Klägerin war zu dieser Zeit neurologisch unauffällig und weitgehend beschwerdefrei. Zwischendurch aufgetretene Schwindelzustände und Kopfschmerzen wurden auf die computertomographisch nachgewiesene Schrankenstörung zurückgeführt.

Die Klägerin, die als Folge der Sinusvenenthrombose eine deutliche Reduzierung ihrer früheren Leistungsfähigkeit beklagt und ihre Tätigkeit als Lehrerin der Waldorfschule bisher nicht wieder aufnehmen konnte, hat mit dem Vorwurf fehlerhafter Diagnostik zunächst die F auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung der Eintrittspflicht für den materiellen Schaden in Anspruch genommen. Der unter dem Az. 15 U 133/96 vor dem Landgericht Stuttgart geführte Rechtsstreit, in welchem sowohl dem Beklagten als auch dem Radiologischen Institut Dr. T -Z jeweils von beiden Seiten der Streit verkündet war, wurde durch Urteil vom 27.11.1998 rechtskräftig abgeschlossen. Danach hatte der Feststellungsantrag Erfolg, während die Schmerzensgeldklage abgewiesen wurde. Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf das Gutachten der neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. H angeführt, die F müsse sich im vertraglichen Bereich nach § 278 BGB das Behandlungsverschulden des Beklagten zurechnen lassen, der die bei unauffälligem Kernspintomogramm zum sicheren Ausschluß einer Sinusvenenthrombose gebotene Angiographie versäumt habe.

Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin nunmehr den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung der Eintrittspflicht für den materiellen Zukunftsschaden in Anspruch.

Sie hat geltend gemacht, der Beklagte sei allein schon aufgrund der Streitverkündung an die Beurteilung seines diagnostischen Vorgehens als fehlerhaft gebunden. Unter Bezugnahme auf die sachverständige Beurteilung im Vorprozeß hat sie sich den Vorwurf zueigen gemacht. der Beklagte habe durch unzureichende Diagnostik eine frühzeitige und erfolgversprechende Erkennung und Behandlung der Sinusvenenthrombose unmöglich gemacht. Als konsiliarisch zugezogener Facharzt habe er die Möglichkeit einer Sinusvenenthrombose bedenken und wegen der Schwere des Krankheitsbildes sicher ausschließen müssen. Dazu sei bei unauffälligem Kernspinbefund die Angiographie unverzichtbar gewesen.

Die ihr bleibenden Schäden hat die Klägerin im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms wie folgt beschrieben: Sie könne sich nur noch kurzfristig konzentrieren, sei in ihrer Erinnerungsfähigkeit gestört und infolge ihres Leistungsdefizits nicht mehr belastbar. Sie leide unter anhaltenden Kopfschmerzen, Koordinationsproblemen, Schwindelgefühlen und Depressionen und sei kaum in der Lage, ihren Alltag zu meistern. An eine berufliche Wiedereingliederung sei derzeit nicht zu denken.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld i. H. von 80.000,-DM nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 24.7.1998 zu bezahlen und

2. festzustellen, daß der Beklagte als Gesamtschuldner mit dem F Förderverein e.V. verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, daß anläßlich ihres stationären Aufenthaltes in der F in der Zeit vom 3. bis 8.5.1992 die vorliegende Sinusvenenthrombose nicht erkannt wurde, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, er sei nach seinen Untersuchungen von einer funktionellen Überlagerung ausgegangen. Dabei habe es sich aber zunächst nur um eine Verdachtsdiagnose gehandelt. Auf der Grundlage dieser Diagnose sei die Empfehlung einer Kernspintomographie des Schädels richtig gewesen, da sie geeignet sei, Krankheitsbilder des Gehirns abzuklären. Als konsiliarisch tätiger Arzt sei er im Weiteren von der Behandlung ausgeschlossen gewesen, insbesondere über das Ergebnis der Kernspinuntersuchung nicht informiert worden. Er sei insoweit von einem unauffälligen Ergebnis ausgegangen. Hätte er erfahren, daß der die Klägerin begleitende Arzt Dr. R mit dem Radiologen die Möglichkeit einer Sinusvenenthrombose diskutiert habe, so hätte er in jedem Fall die Durchführung einer Angiographie veranlaßt.

Das Landgericht Stuttgart hat das im Vorprozeß eingeholte Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. H, im Wege des Urkundenbeweises verwertet. Auf dieser Grundlage hat es der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf die Darlegungen der Sachverständigen ausgeführt, mit der angeordneten Kernspinuntersuchung habe der Beklagte eine Sinusvenenthrombose nicht sicher ausschließen können. Gerade im Hinblick auf den unauffälligen Kernspinbefund sei er verpflichtet gewesen, als zweite Methode eine Angiographie nachzuschalten. Das Unterlassen dieser Untersuchung hat das Landgericht als grob fehlerhaft gewertet und ist unter Zubilligung von Beweiserleichterungen zu einer vollen Zurechnung der von der Klägerin beklagten Beschwerden gelangt.

Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 17.1.2000 begründet.

Er beanstandet das prozessuale Vorgehen des Landgerichts, insbesondere die Verwertung des Gutachtens aus dem Vorprozeß und betont, daß er entgegen der Vermutung der Sachverständigen die Möglichkeit einer Sinusvenenthrombose in seine differentialdiagnostischen Erwägungen einbezogen habe. Zwar habe er nach den von ihm erhobenen Befunden in erster Linie an eine funktionelle Überlagerung psychosomatischer Beschwerden gedacht, unter den weiter in Betracht kommenden Krankheitsbildern aber insbesondere auch die Sinusvenenthrombose mit dem behandelnden Stationsarzt Dr. R erörtert und deshalb eine Kernspintomographie angeordnet, die zum Ausschluss dieses Krankheitsbildes geeignet sei. Als begleitender Arzt habe Dr. R die Möglichkeit der Sinusvenenthrombose auch mit dem radiologischen Fachkollegen diskutiert, der jedoch ausdrücklich keinen Hinweis in dieser Richtung gefunden habe. Die darin liegende Fehlbeurteilung des Radiologen, der die beschriebene inhomogene Darstellung des Sinus sagittalis fälschlich als strömungsbedingt gewertet habe, müsse sich der Beklagte nicht zurechnen lassen, zumal er über das Ergebnis der Kernspinuntersuchung nicht unterrichtet und auch im weiteren Verlauf der Behandlung nicht erneut zugezogen worden sei.

Mit seinen nachgereichten Schriftsätzen vom 09.05.2000, 19.05.2000 und vom 16.06.2000 beantragt der Beklagte, Dr. R als Zeugen dazu zu hören, dass die Diagnose Sinusvenenthrombose vor Anordnung der Kernspintomographie und auch danach in der radiologischen Praxis diskutiert worden sei, und die Kernspintomographieaufnahmen vom 05.05.1992 von Amts wegen bei der Klägerin beizuziehen.

Zugleich wendet sich der Beklagte hilfsweise gegen die volle Schadenszurechnung und macht geltend, die Hirnschädigung sei entgegen der Darstellung der Sachverständigen unumkehrbar bereits vor der Wiederaufnahme in die stationäre Behandlung anlässlich des ersten Krampfanfalls eingetreten, bei dem es sich ausweislich des Berichts der Rheinischen Landesklinik Bonn vom 10.07.1992 um einen "links fokalen Anfall mit sekundärer Generalisierung" gehandelt habe. Schließlich bestreitet er den angekündigten Berufsausfallschaden mit der Begründung, die Klägerin könne nicht plausibel machen, dass sie ihre frühere Tätigkeit als Lehrerin nach der Geburt des Kindes wieder habe aufnehmen wollen.

Der Beklagte beantragt,

das am 8.10.1999 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten kostenfällig zurückzuweisen.

Sie hält das landgerichtliche Urteil für richtig und verweist darauf, das der Beklagte auch bei einer fehlerhaften Auswertung der kernspintomographischen Untersuchung durch den Radiologen für den Fall eines unauffälligen Befundes zwingend eine Angiographie habe anschließen müssen. Der Hinweis, er sei mit der Patientin nicht mehr befaßt worden, könne ihn nicht entschuldigen, da er als der auf neurologischem Fachgebiet verantwortliche Konsiliarius die zum sicheren Ausschluss einer Sinusvenenthrombose notwendige Angiographie rechtzeitig habe vorgeben müssen.

Wegen der weitergehenden Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat die in dem Vorprozess eingeholten schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. H sowie ihre dort unter dem 29.05.1998 protokollierten mündlichen Erläuterungen urkundlich verwertet und Beweis erhoben durch Einholung eines ergänzenden mündlichen Gutachtens derselben Sachverständigen. Zum Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.4.2000 ( Bl. 150 ff d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Beklagte ist der Klägerin vertraglich und nach §§ 823, 847 BGB auch deliktisch zum Schadensersatz verpflichtet, weil er die Sinusvenenthrombose, die Anlaß für ihre stationäre Wiederaufnahme war, infolge unzureichender Diagnostik nicht erkannt und dadurch eine frühzeitige und erfolgversprechende Behandlung der Klägerin verhindert hat. Er hat deshalb für die Hirnschädigung der Klägerin einzustehen.

Die Haftung des Beklagten folgt allerdings - wie das Landgericht zutreffend feststellt - nicht schon aus der Interventionswirkung der §§ 74, 68 ZPO. Insoweit fehlt es an der Voraussetzung einer nach § 72 ZPO zulässigen Streitverkündung deshalb, weil im Verhältnis der Klägerin zur F einerseits und zu dem von dieser konsiliarisch zugezogenen Beklagten andererseits ein rechtliches, nicht nur im tatsächlichen begründetes Alternativverhältnis zu keiner Zeit vorgelegen hat. In Betracht stand - die beiderseitige Haftung unterstellt - von vornherein eine Gesamtschuldnerschaft (vgl. hierzu BGHZ 100, 257, 259 f.).

I. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Beklagte den ihm als dem konsiliarisch zugezogenen Facharzt für Neurologie obliegenden Sorgfaltspflichten nicht genügt hat. Ihm ist vorzuwerfen, daß er seine als vorläufige Arbeitsdiagnose bezeichnete psychosomatische Deutung der Erkrankung im Sinne einer funktionellen Störung ohne sicheren neurologisch pathologischen Befund unzureichend abgesichert und andere differentialdiagnostisch naheliegende Erkrankungen wie insbesondere die Sinusvenenthrombose nicht zuverlässig ausgeschlossen hat. Die isolierte Anordnung einer kernspintomographischen Untersuchung des Schädels ohne eigene fachärztliche Befundkontrolle genügte hierfür nicht. Zum sicheren Ausschluß einer Sinusvenenthrombose mußte bei unauffälligem Kernspinbefund eine Angiographie folgen, deren Anordnung dem Beklagten oblag. Dieser war deshalb gehalten, entweder zugleich mit der Empfehlung der Kernspinuntersuchung für den Fall eines unauffälligen oder unklaren Befundes eine Angiographie vorzugeben oder aber sicherzustellen, daß ihm die Patientin auch bei unauffälligem Kernspinbefund unverzüglich wieder vorgestellt wird, um sodann bei unverändertem klinischen Befund eine angiographische Untersuchung anfordern zu können, die - mit hoher Wahrscheinlichkeit - die Sinusvenenthrombose offenbart hätte.

1. Rückblickend steht fest, daß die Klägerin bei ihrer Wiederaufnahme in die stationäre Behandlung der gynäkologischen Abteilung an einer Sinusvenenthrombose gelitten hat. Dies hat die Sachverständige Prof. Dr. H unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik, die im Ergebnis nur durch die später gesicherte Sinusvenenthrombose erklärt werden kann, überzeugend bestätigt und wird vom Beklagten auch nicht mehr in Zweifel gezogen. Es handelt sich nach den Erläuterungen der Sachverständigen um ein primär seltenes, mit Kopfschmerzen, Krampfanfällen und neurologischen Ausfallerscheinungen verbundenes chronisches Krankheitsgeschehen, das unbehandelt eine Schädigung des Gehirns nach sich zieht, letztlich das Leben des Patienten gefährdet und deshalb unbedingter Abklärung bedarf.

2. Dem Beklagten gereicht nicht zum Vorwurf, daß er das auch nach Darstellung der Sachverständigen diagnostisch schwer zu erfassende Krankheitsbild der Sinusvenenthrombose nicht anläßlich seiner ersten neurologischen Untersuchung sogleich erkannt hat. Er muß sich aber als Behandlungsfehler vorwerfen lassen, daß er die diagnostischen Möglichkeiten zur sicheren Abklärung der differentialdiagnostisch an prominenter Stelle zu diskutierenden Sinusvenenthrombose nicht ausgeschöpft hat. Insoweit kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Beklagte die Möglichkeit einer Sinusvenenthrombose in seine differentialdiagnostischen Erwägungen einbezogen hat, wie er in dieser Form erstmalig im Berufungsrechtszug behauptet, oder ob er dahingehende Erwägungen vernachlässigt hat, wie die Sachverständige im Blick auf die Krankenakten deshalb vermutet, weil in den zeitnahen Eintragungen von einer Sinusvenenthrombose nirgends die Rede ist. Einer weiteren Aufklärung dieser Frage durch Einvernahme des vom Beklagten angebotenen Zeugen Dr. R bedurfte es nicht.

a) Sollte der Beklagte die Möglichkeit einer Sinusvenenthrombose seinerzeit nicht bedacht haben, so läge nach der Beurteilung der Sachverständigen, die sich der Senat zu eigen macht, allein hierin ein klarer Fehler. Die Sachverständige hat keinen Zweifel daran gelassen, daß der Beklagte bei anamnestisch vorbekannter Beinvenenthrombose und EPH-Gestose in Anbetracht des typischen Krankheitsverlaufs (Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, epileptischer Krampfanfall mit weiterlaufenden Zuckungen im Bereich des linken Armes, neurologische Halbseitenlähmung links) die Sinusvenenthrombose unbedingt in seine differentialdiagnostischen Erwägungen einbeziehen und insoweit auf eine neurologische Abklärung drängen mußte Das gilt um so mehr, als primäre Sinusvenenthrombosen wenngleich selten - gerade für Frauen in der Schwangerschaft und im Wochenbett beschrieben sind.

b) Hat der Beklagte indessen richtigerweise den Verdacht auf eine Sinusvenenthrombose in seine Erwägung einbezogen, gehört es zu den elementaren Behandlungsgeboten, dem sofort nachzugehen und eine schnelle und abschließende Klärung dieses mit gravierenden Gefahren verbundenen Krankheitsbildes sicherzustellen. Die Empfehlung einer Kernspintomographie des Schädels war hierfür nicht ausreichend.

Daß der Beklagte sich gegenüber einer von ihm in Betracht gezogenen Differentialdiagnose einer Sinusvenenthrombose nicht abwartend verhalten durfte, versteht sich bei der Schwere des Krankheitsbildes in Anbetracht der daraus resultierenden Gefahren für den Patienten von selbst. Zur Dringlichkeit der Abklärung hat die Sachverständige ergänzend darauf hingewiesen, daß die Schilderung des ersten, zur stationären Aufnahme führenden Krampfanfalls (Fechterstellung) dem Neurologen erkennbar machte, daß insgesamt größere Hirnbereiche betroffen sein mußten, weil diese auf eine Stirnhirnbeteilung hindeutete, während die später beschriebenen Anfälle das Temporalhirn betrafen.

Die Sachverständige hat allerdings die Anordnung einer Kernspintomoraphie als einleitendes diagnostisches Verfahren nicht beanstandet, weil dadurch zugleich andere mögliche Herdbefunde geklärt werden konnten und weil es sich um das gegenüber der Angiographie weniger invasive und damit für den Patienten weniger belastende Verfahren handelt. Mit kritischen Anmerkungen hat sie allein die unscharfe Fragestellung in der Kernspinanforderung versehen, die entgegen der üblichen Handhabung nicht den Ausschluß einer Sinusvenenthrombosem fordert, sondern nur allgemein den Krampfanfall bei Zustand nach EPH-Gestose und peripherer Thrombose als abklärungsbedürftig nennt. In diesem Zusammenhang weist die Sachverständige zutreffend darauf hin, daß allein die Anforderung einer Ausschlußdiagnose den Radiologen zu gezielter Suche nach einer Sinusvenenthrombose zwingt, so daß allein schon die Fragestellung den Untersuchungsgang und auch die Aussagekraft der Kernspinuntersuchung beeinflussen kann.

Nach den überzeugenden Erläuterungen der Sachverständigen durfte es der Beklagte indessen bei der Anordnung einer Kernspinuntersuchung nicht bewenden lassen. Unerheblich ist dabei, ob der die Klägerin zur Untersuchung begleitende Gynäkologe Dr. R die Fragestellung an den Radiologen ausdrücklich auf den Ausschluß der differentialdiagnostisch abzuklärenden Sinusvenenthrombose erstreckt hat und der Radiologe den Befund insoweit fehlerhaft ausgewertet hat.

Die vom Beklagten angeordnete Kernspinuntersuchung allein war - wie die Sachverständige mehrfach betont hat - jedenfalls im Jahr 1992 bei unauffälligem Befund zum sicheren Ausschluß einer Sinusvenenthrombose nicht geeignet. Der Beklagte mußte deshalb als gewissenhafter und aufmerksamer Neurologe nicht nur für den von ihm genannten Fall, daß der Kernspinbefund Besonderheiten enthält, eine Wiedervorstellung anordnen, sondern von vornherein im Wege der Stufendiagnostik gerade auch für den Fall eines unauffälligen Kernspinbefundes eine weitere radiologische Abklärung anschließen, ein - nach der überzeugenden Darstellung der Sachverständigen - nicht nur übliches, sondern nach neurologischem Standard zwingend zu forderndes Vorgehen.

Die vom Beklagten wiederholt in Kopie vorgelegten Zitate aus neurologischen Lehrbüchern, wonach sich der Fokus "meistens" bei der ohnehin durchgeführten radiologischen Diagnostik (CT oder MRT) darstellt (so Brandt/Dichgans/Dina, Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen, 3. Aufl., 1998, S. 327) bzw. das "MR die diagnostische Methode der Wahl" sei, weil die Thrombosen "meistens im CT mit Kontrastmittel oder im MR erkennbar seien, und "nur selten erst in der Angiographie" (so Mummenthaler/Mattle, Neurologie, 10. Aufl. 1997, S. 254), sind schon deshalb nicht geeignet, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Darstellung der Sachverständigen Prof. Dr. H zu wecken, weil sie der entscheidenden Aussage nicht widersprechen, wonach jedenfalls im Jahr 1992 beweiskräftig i. S. einer Ausschlußdiagnostik letztlich nur die Angiographie war. Im übrigen stehen die Ausführungen der Sachverständigen, die sich gegenüber dem Senat vielfach in anderen Verfahren durch überlegene Sachkompetenz ausgewiesen hat, nicht nur im Einklang mit der klaren Stellungnahme der Neurologin Dr. He in ihrer an die Krankenkasse gerichteten Stellungnahme vom 23. Mai 1995 (Bl. 8 d. BA), sondern auch mit der nach Verlegung der Klägerin in die Universitätsklinik B ganz selbstverständlich geübten Praxis.

3. Ohne Erfolg versucht sich der Beklagte von dem Vorwurf unzureichender Befunderhebung durch die Behauptung zu entlasten, die Sinusvenenthrombose habe in der von ihm veranlaßten Kernspinaufnahme erkannt werden können und müssen. Auch wenn der Beklagte im Behandlungsgeschehen grundsätzlich auf die kompetente Auswertung des Befundes durch den Radiologen vertrauen darf, durfte er sich im konkreten Fall mit Rücksicht auf die begrenzte Aussagekraft der Kernspintomographie mit dem unauffälligen Befund gerade nicht zufrieden geben, sondern mußte in dem Bewußtsein, daß ein sicherer Ausschluß der Sinusvenenthrombose mit dieser Methode nicht erreichbar ist, eine Angiographie anschließen. Der Senat sieht bei dieser Sachlage keinen Anlaß, weiter nach den Originalaufnahmen zu fahnden, die nach Darstellung der Parteien keine von beiden in Händen hält und deren Verbleib trotz zahlreicher, aktenmäßig dokumentierter Nachforschungen von verschiedener Seite nicht geklärt werden konnte. Die Frage einer Fehlbewertung durch den Radiologen, die der Senat im Blick auf die in den Krankenakten dokumentierte abweichende Beurteilung durch die Neurologen der Universitätsklinik B und unter Berücksichtigung der von der Sachverständigen als zarte Hinweise auf eine Sinusvenenthrombose gedeuteten Beschreibung "ignalintensiver Inhomogenitäten im Bereich des sinus sagittalis" für möglich hält, könnte allenfalls für die im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu entscheidende Frage Bedeutung gewinnen, ob den Radiologen eine Mitverantwortung trifft.

4. Den Beklagten entlastet schließlich nicht sein Vorbringen, der kernspintomographische Befund sei ihm entgegen der Regel ebensowenig mitgeteilt worden, wie die darüber zwischen dem Radiologen und Dr. R geführte Diskussion. Auch wenn aus der Sicht des Senats wenig verständlich erscheint, warum der Beklagte von seiten der behandelnden Ärzte der F trotz des weiterhin auffälligen klinischen Zustands der Klägerin nicht informiert und erneut zum weiteren Vorgehen befragt worden ist, trägt er - dies hat die Sachverständige dem Senat überzeugend vermittelt - als konsiliarisch zugezogener Neurologe die Verantwortung für den sicheren Ausschluß der nach der Anamnese und dem Beschwerdebild aus neurologischer Sicht unbedingt in Betracht zu ziehenden Sinusvenenthrombose. Er hatte deshalb die notwendigen diagnostischen Schritte vorzugeben und für den Fall des unauffälligen Kernspinbefundes die Angiographie anzuordnen. Dem ist der Beklagte unbestritten nicht nachgekommen. Sein Hinweis, ohne erneute Zuziehung habe er als Konsiliarius nicht erneut tätig werden dürfen, geht insoweit fehl, als er zum einen - so die Sachverständige - von vornherein den Takt für das weitere diagnostische Vorgehen hätte vorgeben müssen und zum anderen seine konsiliarische Tätigkeit keineswegs auf die einmalige Untersuchung und Empfehlung einer Kernspintomographie beschränkt war. Solange aus seiner neurologischen Fachsicht weiterer Aufklärungsbedarf bestand, hatte er nicht nur das diagnostische Vorgehen festzulegen, sondern auch für die notwendige Zwischeninformation Sorge zu tragen.

II.

Ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich die danach vom Beklagten zu verantwortende Unterlassung einer angiographischen Abklärung auf das weitere Krankheitsgeschehen und die damit zusammenhängende Hirnschädigung der Klägerin ausgewirkt hat, läßt sich nicht mehr zuverlässig aufklären. Fest steht nach den plausiblen Erläuterungen der Sachverständigen nur, daß die Angiographie die Sinusvenenthrombose offenbart und bei regelrechter Behandlung - ebenso wie später in der Universitätsklinik B - die umgehende Vollheparinisierung und Einleitung einer antiepileptischen Therapie nach sich gezogen hätte.

Die Sachverständige hat indessen darauf hingewiesen, daß auch bei frühzeitiger Therapie der Sinusvenenthrombose eine völlige Ausheilung nicht garantiert ist. Die darin liegende Ungewißheit zum Umfang der durch den Fehler verursachten Hirnschädigung geht vorliegend zu Lasten des Beklagten, weil der Klägerin nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum groben Behandlungsfehler und zur Verletzung der Befundsicherungspflicht Beweiserleichterungen bei dem grundsätzlich von ihr zu führenden Nachweis der auf den Behandlungsfehler zurückgehenden Schädigungen zuzubilligen sind.

Die dem Beklagten vorzuwerfende Unterlassung einer radiologischen Abklärung durch Angiographie wertet der Senat als groben Befunderhebungsfehler. Dabei geht es nicht um den Vorwurf besonders schweren ärztlichen Verschuldens im Sinne einer subjektiv gesteigerten Vorwerfbarkeit. Vielmehr gewährt die Beweiserleichterung dem Patienten bei einem groben Fehler einen Ausgleich dafür, dass ihm infolge des Fehlers der - volle - Nachweis der Kausalität für den eingetretenen Schaden unbillig erschwert ist. Insoweit reicht es aus, dass das ärztliche Verhalten objektiv eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen hat (vgl. BGH v. 19.11.1996 = VersR 1997, 315 und v. 21.1.1998 = VersR 1998, 585). Dies hat die Sachverständige, die insoweit von einem elementaren und groben Fehler gesprochen hat, bejaht. Sie hat bei zusammenfassender Würdigung des Behandlungsgeschehens zur Überzeugung des Senats deutlich gemacht, dass die Unterlassung deshalb so schwer wiegt, weil bei typischen Hinweiszeichen auf eine Sinusvenenthrombose und fortdauerndem Krampfgeschehen dem Patienten erhebliche Gefahren drohen.

Als Befunderhebungsfehler gewinnt die Unterlassung aber auch unterhalb der Schwelle zum groben Fehler beweiserleichternde Bedeutung bei der Schadensfeststellung schon dann, wenn im Einzelfall ein so deutlicher und gravierender Befund wahrscheinlich ist, daß sich dessen Verkennung oder das Nichtreagieren auf diesen Befund als grob fehlerhaft darstellen würde (BGH vom 13.02.1996 - VersR 1996, 633 und vom 06.10.1998 - VersR 1999, 60). So ist es hier. Die Sachverständige hat für den Senat überzeugend dargelegt, daß bei Feststellung einer Sinusvenenthrombose die Vollheparinisierung zwingend geboten ist und sich dieses Versäumnis sowie die Unterlassung der notwendigen antiepileptischen Therapie als grober Behandlungsfehler darstellen würde, hier in der Form, daß grundlos eine Standardmethode zur Bekämpfung bekannter Risiken nicht angewendet wird (Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, 8 Aufl, Rn. 532).

Für die Zurechnung des von der Klägerin vorgetragenen Gesundheitsschadens genügt danach, daß die bei unauffälligem Kernspintomogramm nach Beurteilung der Sachverständigen spätestens innerhalb der folgenden 24 Stunden einzuholende Angiographie bei korrekter nachfolgender Behandlung geeignet gewesen wäre, den Kranheitsverlauf dahin zu beeinflussen, daß es zu keiner bleibenden Schädigung gekommen wäre. Der Fehler muß die Schädigung nicht unbedingt nahelegen oder wahrscheinlich machen; die kausale Zuordnung darf andererseits nicht ganz unwahrscheinlich sein (vgl. Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rn. 519 f.). Diese Voraussetzungen sind für die von der Klägerin angeführten Beschwerden zu bejahen. Die Sachverständige Prof. Dr. H hat nach umfangreicher eigener Befragung und Testung der Klägerin festgestellt, daß diese unter einem hirnorganischen Psychosyndrom mit Einschränkung der aktuellen Intelligenz und Konzentrationsstörungen bei Langzeitbelastung leidet, sowie unter Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen und nach wie vor einer leichten Halbseitensymptomatik. Sie hat ferner erläutert, daß die beschriebenen Leistungseinbußen bei nachgewiesener frontaler Einblutung und Durchblutungsstörungen im Kleinhirnbereich als Folge der Sinusvenenthrombose zu erklären sind, ebenso wie die Halbseitenlähmung und eine affektive Labilität, die sich aus der Frontalhirnstörung ableitet. Nach der Beurteilung der Sachverständigen, die sich der Senat zu eigen macht, ist keineswegs unwahrscheinlich, daß diese Beschwerden, die nunmehr nach über 8 Jahren als andauernd einzuschätzen sind, bei rechtzeitiger Behandlung der Sinusvenenthrombose vollständig reversibel gewesen wären. Vielmehr hätte eine gute Chance für eine vollständige Ausheilung der Folgen schon deshalb bestanden, weil bis dahin nur fokale Krampfanfälle beschrieben sind und auch die erfolgte Einblutung in das Gehirn, die im Kernspintomogramm vom 05.05.1992 noch nicht sichtbar ist, später stattgefunden haben dürfte. Erläuternd hat die Sachverständige darauf hingewiesen, daß aus hierüber geführten Studien bekannt sei, daß bei einer Therapie vor dem ersten generalisierten Krampfanfall in einem Drittel bis zur Hälfte der Fälle eine vollständige Heilung eintrete; dieses Stadium "generalisierter Krampfanfall" sei ausweislich der Krankenakten bei der Klägerin noch nicht erreicht gewesen. Die darin beschriebenen Krampfzustände könnten durchweg nur im Sinne fokaler Krampfanfälle interpretiert werden. Der in den nachgereichten Schriftsätzen vom 09.05. und 16.06.2000 erhobene Einwand des Beklagten, der "point of no return" sei bereits vor der Wiederaufnahme in die Klinik eingetreten, weil bereits damals ein generalisierter Krampfanfall vorgelegen habe, gibt dem Senat keinen Anlaß, die Verhandlung wiederzueröffnen und die von der Sachverständigen unter sorgfältiger Auswertung der Krankenakte überzeugend verneinte Frage nach einem ersten generalisierten Krampfanfall erneut aufzuwerfen. Das hierzu angeführte Zitat aus dem Bericht der Landesklinik B vom 10.07.1992, in welchem zur Vorgeschichte eher beiläufig erwähnt wird, daß am "03.05. wohl ein linksfokaler hirnorganischer Anfall mit sekundärer Generalisierung" stattgefunden habe, ist - wie der bei einer linksseitigen Halbseitensymptomatik nicht erklärbare Hinweis auf einen Fokus links belegt - nicht verläßlich und hat ersichtlich nicht die Bedeutung einer neurologischen Beurteilung der in den Akten beschriebenen Krämpfe, wie sie von Seiten der Sachverständigen sorgfältig unter Benennung der jeweiligen Quelle (z. B. der unter dem 03.05.1992 bei Wiederaufnahme erhobenen Anamnese) vorgenommen wurde.

III.

Das der Klägerin vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,- DM erscheint auch dem Senat zur Abgeltung der aus der verzögerten Diagnostik vorhersehbar entstandenen immateriellen Beeinträchtigungen gemäß § 847 BGB angemessen.

Im Vordergrund steht nicht die in der verspäteten Behandlung begründete, allenfalls geringfügige Verzögerung des ohnehin langwierigen Heilungsverlaufs; vielmehr ist maßgebend an die bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen anzuknüpfen, die die Klägerin für den Senat nachvollziehbar erheblich belasten und sie in der privaten wie auch beruflichen Lebensführung empfindlich einschränken.

Zu berücksichtigen sind vor allem die hirnorganischen Veränderungen (fronto zentrale - cerebellar betonte Hirnatrophie) mit den dadurch bedingten Einbußen im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms. Diese sind durch die Ergebnisse der von der Sachverständigen durchgeführten neuropsychologischen Untersuchungen objektiviert und lassen sich nach Darstellung der Sachverständigen zwanglos mit dem hirnorganischen Bild in Einklang bringen. Die Klägerin selbst hat die ihr verbleibenden Beeinträchtigungen ohne Anhaltspunkte für Übertreibungen im Senatstermin vom 11.04.2000 überzeugend dahingehend geschildert, dass sie nach wie vor häufig an Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen und Koordinationsproblemen leidet, ferner an einer deutlichen Beschränkung der Konzentrationsfähigkeit und schneller Erschöpfbarkeit. Die daraus für die Bewältigung alltäglicher Aufgaben, aber auch für die individuelle Freizeitgestaltung resultierenden Beschränkungen werden von ihr - für den Senat unschwer nachvollziehbar - ständig aufs neue belastend empfunden und begründen ihre nach wie vor bestehende Erwerbsunfähigkeit. Diese kennzeichnet den Schweregrad der Beeinträchtigungen unabhängig von der streitig gebliebenen Frage, ob und ggf. wann die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit als Waldorfschullehrerin wieder aufnehmen wollte.

IV.

Da der Beklagte auch im weiteren für die Folgen der verzögerten Behandlung einzustehen hat, war dem Feststellungsbegehren der Klägerin in vollem Umfang zu entsprechen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat an die sachliche Begründetheit eines solchen Feststellungsantrags stets maßvolle Anforderungen gestellt (BGH vom 19.03.1991 = VersR 1991, 779 und vom 11.07.1989 = NJW-RR 1989, 1367). Danach genügt eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit dafür, daß sich die Schadensersatzpflicht bereits realisiert hat oder künftig durch das Auftreten weiterer Schäden verwirklichen wird. Das liegt im vorliegenden Fall auch dann nahe, wenn sich der von der Klägerin angeführte Berufsausfallschaden später nicht in voller Höhe belegen lassen sollte.

V.

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.



Ende der Entscheidung

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