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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 06.11.2001
Aktenzeichen: 16 WF 405/01
Rechtsgebiete: KindUG, ZPO, KJHG, UTAG


Vorschriften:

KindUG Art. 5 § 2 Abs. 1 Nr. 3
KindUG Art. 5 § 2 Abs. 2 Nr. 2
KindUG Art. 5 § 3 Abs. 1
ZPO § 642 a
ZPO § 642 b
ZPO § 642 c
ZPO a.F. § 642 d
ZPO n.F. § 655
KJHG a.F.§ 60 Abs. 2
UTAG § 2
1. Zur Verbindung der sogenannten Vereinfachten Verfahren nach §§ 642 a ff. ZPO a.F. (i.V.m. Art. 5 § 2 Abs. 2 Nr. 2 KindUG), Art. 5 § 3 KindUG und §§ 2 Unterhaltstitelanpassungsgesetz, 655 ZPO n.F.

2. In einem Vereinfachten Verfahren der in Ziff. 1 genannten Art kann ein Unterhaltstitel, der eine zeitliche Begrenzung enthält, nicht in einen zeitlich unbegrenzt wirkenden Titel abgeändert werden.


16 WF 405/01

Beschluss vom 06.11.2001

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am OLG Amelung, des Richters am OLG Ziemer und des Richters am OLG Kodal

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Waiblingen vom 20.06.2001 wird mit der Maßgabe

zurückgewiesen,

dass seine Unterhaltsverpflichtung auf den Zeitraum bis 02.11.2006 beschränkt wird. Der weitergehende Antrag der Antragstellerin wird

abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.

3. Beschwerdewert: 1.044,-- DM.

Gründe:

Die am 03.11.1988 geborene Antragstellerin ist das Kind des Antragsgegners. Dieser hat sich durch vollstreckbare Urkunde vom 30.06.1992 unter Abänderung eines früheren Titels verpflichtet, an die Antragstellerin bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres den Regelunterhalt zuzüglich eines Zuschlags von 20 % abzüglich des hälftigen Kindergeldes von damals 35 DM zu bezahlen. Die Antragstellerin nimmt ihn im vereinfachten Verfahren gemäß §§ 642 b, 642 c ZPO a. F., 60 Abs. 2 KJHG a.F. i. V. m. Art. 5 § 2 Abs. 2 Nr. 2 KindUG auf Neufestsetzung des Unterhalts aufgrund zwischenzeitlicher Änderungen der Regelunterhaltsverordnung und im gleichen Zug gem. Art. 5 § 3 Abs. 1 KindUG auf Änderung der Unterhaltsfestsetzung sowie gemäß § 2 Unterhaltstitelanpassungsgesetz (UTAG; Art. 4 des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000) dahingehend in Anspruch, dass der Unterhaltsbetrag auf 120 % des jeweiligen Regelbetrags der 3. Altersstufe nach § 1 der Regelbetragverordnung festgesetzt und das hälftige Kindergeld hierauf nur insoweit angerechnet wird, wie dieses zusammen mit dem Unterhaltsbetrag 135 % des Regelbetrags übersteigt. Das Familiengericht hat durch den angefochtenen Beschluss dem am 19.12.2000 eingegangenen Antrag für die Zeit ab 01.01.2001 nach Anhörung des Antragsgegners voll entsprochen. Der Antragsgegner hat sich in l. Instanz nicht geäußert. Gegen die ihm am 10.08.2001 zugestellte Entscheidung hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt, die am 23.08.2001 beim Familiengericht einging. Er verteidigt sich mit fehlender Leistungsfähigkeit.

2.

Die sofortige Beschwerde ist als solche statthaft nach §§ 60 Abs. 2 KJHG, 642 c Nr. 2, 642 b Abs. 1 S. 3, 642 a Abs. 3 ZPO a. F., Art. 5 § 3 Abs. 2 KindUG, 652 ZPO n. F., 2 UTAG, 655 Abs. 5 ZPO n.F.. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil das Familiengericht die bei der Neufestsetzung erforderlichen Umrechnungen zutreffend vorgenommen hat und der einzige Einwand des Antragsgegners, er sei aufgrund seiner beengten finanziellen Verhältnisse zur Zahlung der neu festgesetzten Beträge außerstande, im vereinfachten Verfahren nicht beachtet werden kann. Wenn der Antragsgegner möchte, dass dieser Einwand vor Gericht Beachtung findet, muss er sich in einem ordentlichen Verfahren (Abänderungsverfahren nach § 323 ZPO), also mit einer Klage gegen die Antragstellerin, gegen die Unterhaltsverpflichtung zur Wehr setzen. Hierzu wäre erforderlich, dass er zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen genauere Angaben macht und diese belegt. Um keine Rechtsnachteile zu erleiden, ist ihm dringend zu empfehlen, eine solche Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu erheben, wobei es sinnvoll wäre, wenn er sich anwaltlich beraten lassen würde, weil er selbst offenbar nicht ausreichend rechtsgewandt ist.

3.

Die Antragstellerin verlangt die Neufestsetzung des Unterhalts eigentlich in drei Schritten, die sie selbst und das Familiengericht der Einfachheit halber aber rechnerisch in einem Schritt vollzogen haben:

a)

Da der Titel auf einen bestimmten Prozentsatz des Regelbedarfs lautet und dieser sich, seit die vollstreckbare Urkunde errichtet wurde, geändert hat, erstrebt sie zunächst eine Neufestsetzung gemäß §§ 642 b, 642 c, 642 d ZPO a.F., 60 Abs. 2 KJHG, auf 120 % des Regelbedarfs nach § 1 Nr. 3 j der Regelunterhaltsverordnung. Im zweiten Schritt möchte sie, dass der so errechnete, höhere Betrag in einen Vomhundertsatz des Regelbetrags nach § 1 der (zum 01.07.1998 in Kraft getretenen) Regelbetragverordnung "übersetzt" wird, wobei sich in diesem zweiten Schritt an der Höhe des letztlich geschuldeten Unterhalts aber nichts ändert (eine Änderung der Höhe nach ergibt sich daraus erst ab 01.07.1999 und erneut ab 01.07.2001, weil inzwischen die Regelbetragverordnung selbst geändert und der Regelbetrag ab 01.07.1999 und sodann ab 01.07.2001 erhöht worden ist, also nicht aufgrund des vorliegenden Verfahrens, sondern kraft Gesetzes). Im letzten Schritt erstrebt sie eine Änderung der Kindergeldanrechnung nach Maßgabe des § 1612 b Abs. 5 BGB n.F., wozu §§ 2 UTAG, 655 ZPO die verfahrensrechtliche Handhabe bieten. Die Verbindung der beiden erstgenannten Verfahren ist statthaft gem. Art. 5 § 2 Abs. 1 Nr. 3 KindUG, aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ist auch die Verbindung mit dem Verfahren nach §§ 2 UTAG, 655 ZPO für zulässig zu erachten (eine getrennte Behandlung würde nur für das Gericht unnötigen Aufwand und für die Parteien unnötige Kosten verursachen). Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Waiblingen für alle Verfahren ergibt sich aus §§ 642 a Abs. 4 ZPO a.F. einerseits und Art. 5 § 3 Abs. 2 KindUG, 642 ZPO n. F. andererseits.

4.

Der Anspruch des Kindes auf Neufestsetzung des Unterhalts aufgrund Änderung der Regelunterhaltsverordnung folgt aus § 642 b ZPO a.F.. Hiernach ist der Unterhalt zunächst (gedanklich) im ersten Rechenschritt auf 120 % des ab 01.01.1996 neu geltenden Regelbedarfs für ein Kind der (inzwischen) 3. Altersstufe von 502,- DM festzulegen, wonach sich der vom Antragsgegner geschuldete Zahlbetrag von 467,-- DM zuzüglich 35,- DM (damaliges halbes Kindergeld) abzüglich halbes aktuelles Kindergeld auf 602,- DM abzüglich halbes aktuelles Kindergeld erhöht. Ferner verlangt das Kind, dass der Zahlbetrag nicht in einer bestimmten Summe, sondern als Prozentsatz des Regelbetrags nach § 1 der ab 01.07.1998 geltenden Regelbetragverordnung ausgedrückt wird. Hierdurch ändert sich beim Zahlbetrag zunächst nichts; die Titulierung in dieser Form (auf die das Kind nach Art. 5 § 3 KindUG Anspruch hat) hat nur zur Folge, dass bei künftigen Änderungen der Regelbetragverordnung (die alle zwei Jahre gesetzlich vorgesehen sind) sich auch der Zahlbetrag kraft Gesetzes ändert, ohne dass deswegen ein neues Abänderungsverfahren angestrengt werden muss. Da der Regelbedarf nach der Regelunterhaltsverordnung ab 01.01.1996 identisch ist mit dem ab 01.07.1998 geltenden Regelbetrag, bleibt es weiterhin bei einer Festlegung auf 120 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe nach § 1 der Regelbetragverordnung (Rundungsunterschiede zwischen § 642 d Abs. 2 S. 2 ZPO a.F. und § 1612 a BGB n.F. sind nach Auffassung des Senats außer Betracht zu lassen, wenn der Ausgangstitel auf einen bestimmten Prozentsatz des Regelbedarfs lautet). Nachdem diese sich zum 01.07.1999 geändert hat (der neue Regelbetrag der 3. Altersstufe beträgt 510,-DM), ergibt sich auch eine geringfügige Erhöhung des Zahlbetrages auf den vom Familiengericht errechneten Betrag von 612,-- DM.

Ab 01.07.2001 hat sich der Regelbetrag erneut erhöht; er beträgt jetzt in der 3. Altersstufe 525,-- DM. 120 % hiervon sind 630,-- DM.

5.

Auf diesen Betrag muss sich die Antragstellerin die Hälfte des Kindergeldes, das ihre Mutter für sie bezieht, nur insoweit anrechnen lassen, als es zusammen mit dem oben errechneten Bedarfsbetrag von 630,-- DM (bis 30.06.2001 612,- DM) 135 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe nach § 1 der Regelbetragverordnung nicht übersteigt. Diese Anrechnung entspricht § 1612 b Abs. 5 BGB in der seit 01.01.2001 gültigen Fassung.

In Übereinstimmung mit OLG Düsseldorf, FamRZ 2001, 1096 hält der Senat diese Vorschrift für verfassungsgemäß und hat dies auch bereits entschieden (Beschluss vom 19.10.2001, 16 UF 105/01, zur Veröffentlichung bestimmt; a.M. AG Kamenz, FamRZ 2001, 1090). Der hiernach zu zahlende Unterhaltsbetrag für die Zeit bis 30.06.2001 ist vom Familiengericht zutreffend errechnet. Ab 01.07.2001 gilt folgendes: 135 % des neuen Regelbetrages sind 709,-- DM. Zieht man hiervon 135,-- DM (anteiliges Kindergeld) ab, verbleibt ein Zahlbetrag von 574,- DM, das sind 56,-- DM weniger als der oben errechnete Betrag von 630,- DM (120 % des Regelbetrages). Der Antragsgegner muss also, solange er sich nicht selbst um eine Abänderung nach unten im ordentlichen Verfahren bemüht, an die Antragstellerin 574,-- DM monatlich ab 01.07.2001 bezahlen.

Wenn das Kindergeld für ein erstes Kind ab 01.01.2002 auf 300,-- DM erhöht wird, vermindert sich dieser Zahlbetrag nochmals um 15,-- DM.

Die Berücksichtigung der geänderten Kindergeldanrechnung im Vereinfachten Verfahren ergibt sich aus § 2 UTAG. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Senat in anderen Verfahren gegen § 2 UTAG geäußert hat, richten sich nur dagegen, dass der Gesetzgeber auch Unterhaltstitel dem Vereinfachten Verfahren nach dieser Vorschrift unterworfen hat, die von vornherein nur auf den Regelbedarf oder Regelbetrag (ggf. zuzüglich eines Zuschlags von weniger als 10 %) abzüglich des hälftigen Kindergeldes lauteten, weil in diesen Fällen eine Überforderung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen besonders nahe liegt und seine Verteidigungsmöglichkeiten im Vereinfachten Verfahren auf rein formale Einwände beschränkt sind. Wer sich jedoch, wie der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren, von vornherein zur Zahlung von 120 % des Regelbetrags verpflichtet hat, ist regelmäßig auch zur Zahlung eines Unterhaltsbetrages leistungsfähig, der den bisherigen Zahlbetrag um das hälftige Kindergeld übersteigt. Trifft dies im Einzelfall nicht zu, kann er sich nach Abschluss des Vereinfachten Verfahrens mit der Abänderungskorrekturklage nach § 656 ZPO gegen die erhöhte Zahlung zur Wehr setzen.

6.

Den Einwand, dass er aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse den neu verlangten Unterhalt nicht zahlen könne, kann der Antragsgegner im vereinfachten Verfahren nicht bringen. In der vollstreckbaren Urkunde vom 11.02.1993 hat er anerkannt, der Antragstellerin den Regelunterhalt zuzüglich eines Zuschlags von 20 % zu zahlen, und sich (im Kleingedruckten) dem gerichtlichen Beschlussverfahren gemäß §§ 642 a ff. ZPO unterworfen. Nach damaliger Rechtslage, die gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 5 § 2 Abs. 2 Nr. 2 KindUG weiterhin zu beachten ist, hatte dies zur Folge, dass jede Änderung der Regelbeträge nach der Regelunterhaltverordnung automatisch eine höhere Zahlungsverpflichtung nach sich zog. Wenn der Antragsgegner meint, dieser höheren Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen zu können, und auf dem ursprünglichen Zahlbetrag beharrt, so greift er damit den Ausgangstitel, der über 120 % des Regelbetrags lautet, an, denn nach Änderung der Regelunterhaltsverordnung wäre der bisherige Zahlbetrag weniger als 120 % des (nunmehr geltenden) Regelbedarfs. Da das Abänderungsverfahren gemäß §§ 642 b ff. ZPO a.F. aber den Ausgangstitel unberührt lässt, ist der Einwand, für den höheren Zahlbetrag nicht leistungsfähig zu sein, in diesem Verfahren nicht zu beachten (Stein-Jonas/Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 642 a Rz. 7 m.w.N.). In gleicherweise ist ihm dieser Einwand verschlossen, soweit es darum geht, den nach den vorstehenden Vorschriften angepassten Titel in einen Prozentsatz des neu geltenden Regelbetrags zu "übersetzen", denn diese "Übersetzung" bedeutet keine höhere Zahlungsverpflichtung, sondern stellt nur eine andere Ausdrucksweise des gleichen Zahlbetrags dar. Deshalb sieht Art. 5 § 3 Abs. 2 KindUG in seiner teilweisen Verweisung auf § 648 ZPO n.F. nur vor, dass der Antragsgegner rein formale Einwendungen erheben kann; den Einwand eingeschränkter oder fehlender Leistungsfähigkeit, der in § 648 Abs. 2 ZPO geregelt ist, soll er nicht geltend machen können, denn auf diesen Absatz verweist Art. 5 § 3 Abs. 2 KindUG ausdrücklich nicht. Schließlich beschränkt auch § 655 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 ZPO die Verteidigungsmöglichkeiten des Antragsgegners auf rein formale Einwände; der Einwand fehlender Leistungsfähigkeit gehört nicht dazu. Deshalb betont der Senat nochmals, dass der Antragsgegner sein Ziel, eine Herabsetzung des nunmehr neu festgesetzten Unterhalts zu erreichen, nur dadurch erreichen kann, dass er eine Abänderungsklage gegen die Antragstellerin erhebt, also selbst Initiative entfaltet.

7.

Zu beanstanden ist der angefochtene Beschluss deshalb nur insofern, als er der Antragstellerin den neu festgesetzten Unterhalt ohne zeitliche Begrenzung zuspricht, obwohl in der Verpflichtungsurkunde, um deren Abänderung es geht, eine solche Begrenzung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Antragstellerin vorgesehen war. Im vorliegenden Verfahren können der Antragstellerin nur die sich aus den zwischenzeitlichen Änderungen der Regelunterhaltverordnung und der Regelbetragverordnung ergebenden Erhöhungen der laufenden Unterhaltsrente und der verminderte Abzug von Kindergeld zugute kommen; eine Erweiterung der Unterhaltspflicht in zeitlicher Hinsicht entspricht nicht dem Gesetz. Der Beschluss ist deshalb dahin abzuändern, dass die zeitliche Begrenzung wieder hergestellt wird. Insoweit hat die Beschwerde Erfolg, im übrigen ist sie zurückzuweisen, weshalb insgesamt die Aufhebung der Verfahrenskosten gerechtfertigt ist. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 17 GKG.

Ende der Entscheidung

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