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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 28.12.2001
Aktenzeichen: 16 WF 548/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 284 Abs. 3
BGB § 1613 Abs. 1
BGB § 1585 b Abs. 2
BGB § 1570
BGB § 1573 Abs. 2
BGB § 1613 Abs. 1 S. 2
BGB § 1585 b
BGB § 1613
ZPO § 127 Abs. 2 S. 2
1. Haben geschiedene Eheleute der Berechnung des nachehelichen Unterhalts in einem Vergleich die Anrechnungs- oder Mischmethode zu Grunde gelegt und sich (wovon im Zweifel auszugehen ist) hierbei an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert, so erschüttert eine Änderung dieser Rechtsprechung die Vergleichsgrundlage mit der Folge, dass eine Abänderung des Vergleichs und eine Neuberechnung des Unterhalts für die Zukunft gemäß der Differenz- bzw. Additionsmethode allein auf die Änderung der Rechtsprechung gestützt werden kann.

2. § 284 Abs. 3 BGB findet in teleologischer Reduktion keine Anwendung auf Unterhaltsansprüche, soweit die anspruchserhaltende Wirkung der §§ 1613 Abs. 1, 1585 b Abs. 2 BGB in Frage steht.


Oberlandesgericht Stuttgart - 16. Zivilsenat - - Familiensenat - Beschluß

Geschäftsnummer: 16 WF 548/01

In der Familiensache

wegen Abänderung von Geschiedenenunterhalt; hier: Prozesskostenhilfe

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

...

am 28. Dezember 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Böblingen vom 12.11.2001 wie folgt abgeändert:

Der Antragstellerin wird für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt, soweit sie die Abänderung des zwischen den Parteien am 12.06.2001 vor dem AG Böblingen, ..., geschlossenen Vergleichs dahin erstrebt, dass der Beklagte an sie ab 14.08.2001 Geschiedenenunterhalt von monatlich 600,- DM bis 31.12.2001 und von monatlich 320 € ab 01.01.2002 zu bezahlen hat.

Der weitergehende Prozesskostenhilfeantrag wird abgewiesen, die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen.

Der Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

Gründe:

Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die beabsichtigte Abänderungsklage bietet überwiegend hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Parteien, geschiedene Eheleute, haben in dem abzuändernden Vergleich vom 12.06.2001 unter anderem die Ansprüche der Antragstellerin auf nachehelichen Unterhalt gem. §§ 1570, 1573 Abs. 2 BGB geregelt, und zwar auf der Grundlage eines Nettoerwerbseinkommens des Antragsgegners von monatlich 3.926,- DM (unbereinigt) zuzüglich monatlicher Einkünfte aus Dividende von rund 45,- DM und abzüglich des vom Antragsgegner übernommenen Kindesunterhalts für die von der Antragsstellerin betreute Tochter D., geb. 1987, in Höhe von 135 % des Regelbetrags der dritten Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes sowie von eigenen Erwerbseinkünften der Antragstellerin aus einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit im Umfang von rund 30 Stunden monatlich mit 1.657,- DM (unbereinigt), wovon sie jedoch nur einen Teil von 747,- DM (bereinigt) als bedarfsprägend angesehen haben. Die Festlegung der Vergleichsgrundlage schließt mit dem Satz: "Die Parteien sind sich darüber einig, dass für zukünftige Abänderungsklagen die Bewertung sämtlicher Einkünfte der Klägerin Ziff. 2 (jetzige Antragstellerin) als eheangemessen nicht ausgeschlossen wird". Trotz im wesentlichen unveränderter Einkommensverhältnisse (die Antragstellerin geht lediglich davon aus, dass ihr eigenes Einkommen sich auf 1.767,- DM netto - unbereinigt - erhöht hat) betreibt die Antragstellerin die Abänderung dieses Vergleichs ab 01.08.2001. Sie sieht eine wesentliche Änderung der Vergleichsgrundlage darin, dass der BGH mit Urteil vom 13.06.2001 (FamRZ 2001, 986), dem inzwischen weitere Entscheidungen mit gleicher Tendenz gefolgt sind, seine bisherige Rechtsprechung zur Bemessung des Geschiedenenunterhalts dahin geändert hat, dass Einkünfte aus einer nach Scheidung der Ehe vorgenommenen Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit des während der Ehe nicht oder in geringerem Umfang erwerbstätigen, unterhaltsberechtigten Ehegatten in der Regel als bedarfsprägend für die (nach-)ehelichen Lebensverhältnisse zu behandeln, also bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind.

Das Familiengericht hat ihr die hierfür beantragte Prozesskostenhilfe verweigert, weil es eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung alleine nicht als Störung der Vergleichsgrundlage angesehen und auch dem oben zitierten Satz in dem abzuändernden Vergleich zwischen den Parteien keinen dahingehenden Parteiwillen entnommen hat.

Dem ist zuzugeben, dass aus der Formulierung, wonach für zukünftige Abänderungsklagen die Bewertung sämtlicher Einkünfte der Klägerin Ziff. 2 (jetzige Antragstellerin) als eheangemessen nicht ausgeschlossen werde, nichts dafür hervorgeht, dass eine dahingehende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung alleine einen Abänderungsgrund darstellen solle. Es geht aber aus dieser Formulierung auch nichts für das Gegenteil, nämlich dafür hervor, dass es "für zukünftige Abänderungsklagen" stets eines zusätzlichen Abänderungsgrundes bedürfe. Die Parteien haben mit dieser Wendung lediglich deutlich gemacht, dass sie diese Berechnungsweise nicht für alle Zukunft festgeschrieben wissen wollen, sondern dass die Antragstellerin sich insoweit die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Bewertung offen halten will und darf, wenn sich - aus welchen Gründen auch immer - eine Abänderungsmöglichkeit ergibt.

Somit stellt sich die Frage, ob sich unabhängig von der zitierten Vergleichsformulierung eine Erschütterung der Vergleichsgrundlage durch eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die Unterhaltsberechnung zwischen den Parteien berühren könnte, ergibt.

Dies ist zu bejahen.

Die Abänderung eines Vergleichs über wiederkehrende Leistungen kann verlangt werden, wenn sich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen, die dem Vergleichsschluss zugrunde lagen, in einer Weise geändert haben, dass das Festhalten an dem Vergleich zu Lasten der von der Veränderung nachteilig betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht verlangt werden kann. Dies ist zwar regelmäßig nur der Fall, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen geändert haben; Änderungen in der rechtlichen Beurteilung unverändert gebliebener tatsächlicher Umstände als Erschütterung der Vergleichsgrundlage zu berücksichtigen, erscheint generell bedenklich, weil der Vergleich Ausdruck der Parteiautonomie ist und die Vergleichsparteien auch darin frei sind, wie sie tatsächliche Umstände rechtlich würdigen wollen; haben sie sich hierin einmal festgelegt, sind sie grundsätzlich für die Zukunft daran gebunden; der Sinneswandel eines von ihnen kann nicht zu einer Änderung führen, auch wenn dessen Rechtsauffassung eher einleuchtet als die gegensätzliche, die im Vergleich Ausdruck gefunden hat.

Hiervon ist jedoch eine Ausnahme anzuerkennen, nämlich wenn eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingetreten ist und die im Vergleich zum Ausdruck gekommene rechtliche Beurteilung hierzu in Widerspruch, aber zur früheren höchst richterlichen Rechtsprechung in Einklang steht (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 323 Rdz. 32; Wendl/Thalmann, Unterhaltsrecht, 5. Aufl., § 8 Rdz. 158 c, jeweils unter Berufung auf BGH, FamRZ 1983, 569, 573, wo dies aber nicht so klar zum Ausdruck kommt). Der Senat hält dies für richtig, soweit es um die Abänderung eines Vergleichs geht, also nicht die Rechtskraftwirkung eines Urteils überwunden werden muss: Haben die Parteien beim Vergleichsabschluss eine Rechtsauffassung übernommen, die der (bisherigen) ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht, so im Zweifel deshalb, weil sie der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht (und in einem Urteil nach ihrer Einschätzung auch nichts anderes herausgekommen wäre), und nicht aus eigenen, autonomen Gerechtigkeitsvorstellungen heraus. Hätten die Parteien die nachfolgende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorhergesehen, so hätten sie die Berechnung gleich ihr entsprechend vorgenommen. Dass die Unterhaltsberechnung nach der Mischmethode, wie sie im abzuändernden Vergleich vorgenommen wurde, vorliegend nicht auf autonomen Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien beruhte, ergibt sich hinreichend deutlich daraus, dass die Antragstellerin sich die Möglichkeit einer Neuberechnung (uneingeschränkte Anwendung der Differenz- bzw. Additionsmethode) für künftige Abänderungsfälle ausdrücklich vorbehalten hat. Unter diesen Umständen muss sich der Antragsgegner auf eine Neuberechnung unter Anwendung der jetzt geänderten Rechtsprechung des BGH für die Zukunft nach Treu und Glauben einlassen.

Gem. § 1585 b Abs. 2 BGB kann die Antragsstellerin jedoch höheren Unterhalt erst ab dem Zeitpunkt verlangen, zu dem sie den Antragsgegner mit weitergehenden Zahlungen in Verzug gesetzt hatte, das war mit Zugang ihres Schreibens vom 13.08.2001 der Fall. Eine Rückbeziehung der Verzugswirkungen auf den Monatsbeginn entsprechend § 1613 Abs. 1 S. 2 BGB kommt für den nachehelichen Unterhalt nicht in Betracht, weil § 1585 b BGB eine autonome Regelung enthält. Andererseits ist die neu eingeführte Vorschrift des § 284 Abs. 3 BGB (der zu Gunsten des Gläubigers eine Mahnung nach Rechnungsstellung und Fälligkeit entbehrlich macht, zu Gunsten des Schuldners aber einen Zahlungsaufschub bewirkt) im Wege teologischer Reduktion auf Unterhaltsforderungen nicht anzuwenden, jedenfalls nicht, soweit die anspruchserhaltende Funktion der §§ 1613, 1585 b Abs. 2 BGB in Frage steht.

Der Höhe nach begegnet die Mehrforderung der Antragsstellerin ebenfalls Bedenken. Sie möchte sich ihr Eigeneinkommen im Falle der Neuberechnung nur teilweise bedarfsdeckend anrechnen lassen, weil sie meint, es beruhe zum Teil auf überobligatorischer Tätigkeit. Damit setzt sie sich jedoch in Widerspruch zu den - insoweit unveränderten - Grundlagen des abzuändernden Vergleichs. Wenn auch die Vergleichsgrundlage nicht so eindeutig abgefasst ist, dass sich der Rechenweg vollständig nachvollziehen ließe, auf dem die Parteien zu dem Vergleichsbetrag gelangt sind, so kann sich ein Unterhaltsbetrag von (annähernd) 292,- DM doch nur ergeben, wenn das volle, von ihr bezogene Einkommen (lediglich gemindert um den üblichen Erwerbstätigenbonus von 15 %) als bedarfsdeckend berücksichtigt wird:

Nettoeinkommen des Antragsgegners unbereinigt 3.926,- DM abzüglich 15 % Erwerbstätigenbonus verbleiben 3.337,- DM zuzüglich Dividende 45,- DM abzüglich Kindesunterhalt (Tabellenbetrag) 709,- DM Zwischensaldo 2.673,- DM zuzüglich bedarfsprägende Einkünfte der Antragstellerin 747,- DM bedarfsprägende Gesamteinkünfte 3.420,- DM :2 = Bedarf 1.710,- DM

Zieht man hiervon das Eigeneinkommen von 1.657,- DM abzüglich 15 % = 1.408,- DM ab, verbleibt ein Restanspruch von 302,- DM. Der vereinbarte Betrag von monatlich 292,- DM liegt um 10,- DM darunter. Vermutlich liegt ein Rechenfehler vor; auch beim Kindesunterhalt (Zahlbetrag) haben sich die Parteien um 10,- DM monatlich nach oben oder nach unten (je nachdem, von welchem Stand der Düsseldorfer Tabelle sie ausgegangen sind) verrechnet.

Neben der Betreuung eines knapp 14-jährigen Kindes erscheint eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 30 Stunden pro Woche nicht schlechterdings unzumutbar. Wenn die Parteien das hieraus erzielte Einkommen der Antragstellerin im Vergleich in voller Höhe als bedarfsdeckend berücksichtigt haben, so bleibt die Antragstellerin an diese Wertung auch im Abänderungsverfahren gebunden.

Hiernach ergibt sich folgende Neuberechnung:

Einkommen des Antragsgegners nach Abzug des Kindesunterhalts (Zwischensaldo wie oben) 2.673,- DM zuzüglich Einkommen der Antragstellerin (1.767,- DM abzüglich 15 %) 1.502,- DM prägende Gesamteinkünfte 4.175,- DM :2 = Bedarf 2.088,- DM abzüglich Eigeneinkommen der Antragstellerin 1.502,- DM es verbleibt ein Unterhaltsanspruch von 586,- DM, gerundet 600,- DM.

Ab 01.01.2002 ist der Erwerbstätigenbonus (den die Parteien im Vergleich entsprechend den bisherigen unterhaltsrechtlichen Hinweisen des OLG Stuttgart mit je 15 % des unbereinigten Nettoerwerbseinkommens angesetzt haben) auf beiden Seiten etwas niedriger anzusetzen, denn insoweit ändert sich die Rechtsprechung des OLG Stuttgart, die für die Parteien ersichtlich ausschlaggebend für die Bemessung war: Nach den nunmehr maßgeblichen Süddeutschen Leitlinien sind vorweg berufsbedingte Aufwendungen abzuziehen, die mangels gegenteiliger Anhaltspunkte jeweils mit pauschal 5 % angesetzt werden; vom so bereinigten Einkommen sind anderweitige prägende (auch Unterhalts-) Verbindlichkeiten abzuziehen, und erst vom hiernach verbleibenden Einkommen (das sind maximal 95 % des unbereinigten Erwerbseinkommens, nämlich wenn sonstige Verbindlichkeiten nicht zu berücksichtigen sind) ist ein Bonus für Erwerbsanreiz von weiteren 10 % abzuziehen. Die Änderung der Leitlinien, die die Parteien der bisherigen Unterhaltsbemessung zu Grunde gelegt haben, ist auch im Abänderungsverfahren zu berücksichtigen. Ab 01.01.2002 ergibt sich somit folgende Berechnung:

Erwerbseinkommen des Antragsgegners unbereinigt 3.926 DM abzüglich 5 % für berufsbedingte Aufwendungen verbleiben 3.730 DM zuzüglich Dividende 45 DM abzüglich Kindesunterhalt (Tabellen betrag) - 709 DM Zwischensaldo 3.066 DM abzüglich 10 % Bonus für Erwerbsanreiz verbleiben 2.759 DM Prägendes Einkommen der Antragstellerin: unbereinigt 1.767 DM; abzüglich 5 % verbleiben 1.679 DM; abzüglich 10 % hiervon für Erwerbsanreiz verbleiben 1.511 DM Prägendes Gesamteinkommen 4.270 DM :2 = Bedarf 2.135 DM

Nach Abzug des Eigeneinkommens von 1.511 DM verbleiben 624 DM, das sind rund 320 €. Insoweit verspricht das Abänderungsbegehren hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die weitergehende Beschwerde ist zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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